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Klicktivismus: Reichweitenstark aber unreflektiert?

Lya Cuéllar

/ 4 Minuten zu lesen

Beteiligungsmöglichkeiten per Mausklick senken zwar die Schwelle für gesellschaftliches Engagement, können politischen Forderungen aber auch den Wind aus den Segeln nehmen: das Phänomen "Klicktivismus".

Digitale Werkzeuge ermöglichen Bürgerinnen und Bürgern mehr gesellschaftliche und politische Beteiligung. (Adrianna Calvo / bearbeitet / Externer Link: Pexels / Externer Link: CC0 1.0 )

Begriffsklärung



Allgemein bezeichnet der Begriff Klicktivismus die Nutzung digitaler Werkzeuge zur gesellschaftspolitischen Beteiligung. So gibt die fortschreitende Digitalisierung den Bürgerinnen und Bürger zunehmend mehr Möglichkeiten an die Hand, sich einfach mit politischen Fragen auseinanderzusetzen und die Gesellschaft mitzugestalten. Einerseits durch den Zugang zu vielfältigen Quellen, andererseits durch partizipativ angelegte Online-Dienste. Diese neuen Wege entstehen unter anderem, indem klassische Formen der gesellschaftspolitischen Beteiligung digitalisiert, beziehungsweise durch digitale Plattformen ermöglicht werden: Die Ankündigung von Demonstrationen erfolgt mittlerweile über Facebook-Veranstaltungen anstelle von Flyern, Geldspenden werden über Crowdfunding (Schwarmfinanzierung) gesammelt und Aktivisten verbreiten Petitionen im Netz anstatt am Initiativen-Stand in der Fußgängerzone. Aktivistinnen und Aktivisten sparen somit Zeit und Kosten können und mehr Menschen erreichen.

Gleichzeitig kritisiert Klicktivismus den Umstand, dass die Inhalte politisch motivierter Initiativen in der digitalen Welt zwar häufig geliket, geteilt oder kommentiert und damit weiterverbreitet werden – etwa in den Sozialen Netzwerken – jedoch selten Auswirkungen auf das reale politische Geschehen haben bzw. weiterführendes politisches Engagement oft ausbleibt. (siehe unten: Slacktivismus).

Die Rahmenbedingungen im Netz


Online-Aktivismus ist nicht komplett aufwandsfrei und verlangt genau so viel Leidenschaft und inhaltliche Auseinandersetzung von Aktivistinnen und Aktivisten wie das analoge Gegenstück. Die enorme Auswahl an digitalen kostenfreien Werkzeugen erleichtert aber den logistischen Aufwand. Es gibt kostenlose Crowdfunding-Optionen mit spezifischen Tools für NGOs und soziale Bewegungen, wie Externer Link: Fundly, oder zahlreiche Plattformen für Online-Petitionen, wie Externer Link: change.org, openPetition oder Externer Link: Campact. Dazu bieten Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter eine größere und bei Bedarf auch internationale potenzielle Reichweite.

Ganz unkritisch sind diese allerdings nicht. Auch wenn die meisten Petitionsplattformen strenge Datenschutzrichtlinien haben, gibt es auch Anbieter, die Nutzerdaten an Drittorganisationen weitergeben. Wer zum Beispiel bei change.org eine gesponserte Kampagne unterschreibt und seine Zustimmung gibt, über den Verteiler der Kampagne informiert zu bleiben, genehmigt den Weiterverkauf der eigenen E-Mail-Adresse an den Sponsoren der Kampagne. Ab dem Moment steht man nicht mehr unter Schutz der Datenrichtlinien von Change.org. Dadurch werden die Nutzerinnen und Nutzer der Plattformen für Spambots angreifbar. Die Devise lautet also mit Blick auf die Datenschutzrichtlinien: Erst lesen, dann unterschreiben. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass auch die größten Plattformen Hacker-Angriffen ausgesetzt sein können. Das Sicherheitssystem des 45.000 Mitglieder starken US-Amerikanischen Kampagnen-Anbieters Externer Link: Avaaz wurde Externer Link: 2012 bedroht. Die Verstärkung des Systems musste durch Spenden bezahlt werden.

Klicken allein reicht nicht: Slacktivismus


Der Begriff "Slacktivismus" ist eine Verbindung der englischen Wörter "slack" (bummeln) und "activism" (Aktivismus) und bezeichnet eine oberflächliche Art der Beteiligung: Sie verlangt wenige inhaltliche Auseinandersetzung und Aktivität und hat wenige konkrete Auswirkungen in der analogen Welt. Dennoch hat der oder die Slacktivist/in das Gefühl, etwas getan und bewirkt zu haben. Slacktivismus ist demnach eine die negative Form beziehungsweis Folge des Klicktivismus.

Soziale Netzwerke ermöglichen Aktivistinnen und Aktivisten, eine sehr große Anzahl an Menschen zu erreichen. Ebenso groß ist die Menge an Informationen (Artikeln, Bewegungen, Petitionen), die regelmäßige Facebook- und Twitter-Nutzer erreicht. Dieser Informationsüberfluss in Kombination mit einer geringen inhaltlichen Auseinandersetzung kann dazu führen, dass der oder die Nutzende die politische Botschaft, Bewegung oder den dahinterliegenden Sachverhalt schnell vergisst. Beispielhaft hierfür sind Aufrufe zu Demonstrationen auf Facebook. Sie sind in den letzten Jahren zur Norm geworden und haben bereits zu nahezu historischen Ereignissen geführt (vgl. etwa der Externer Link: Women’s March, der ursprünglich für Washington D.C. geplant war, dann jedoch an vielen Orten in der ganzen Welt stattgefunden hat). Zusagen bei Facebook-Veranstaltungen sind allerdings nicht verbindlich, was dazu führt, dass die Diskrepanz zwischen der Absicht eines Demonstrationsbesuches und einer tatsächlichen Teilnahme immer größer wird. Aufrufe auf einer Demonstration mit 10.000 Teilnehmenden auf Facebook haben oft in der analogen Welt deutlich weniger Beteiligte.

Beispiel: KONY 2017


Diese oberflächliche und nicht nachhaltige Beteiligung wird von Klicktivismus-Skeptikern stark kritisiert. Eine der ersten und immer noch bekanntesten viralen politischen Kampagnen in den Sozialen Netzwerken war Externer Link: KONY 2012, eine Kurzdokumentation der Organisation Externer Link: Invisible Children, Inc. Die Kampagne sollte auf die Verbrechen des ugandischen Rebellenführers Joseph Kony aufmerksam machen und seine Festnahme herbeiführen. Kritiker der Kampagne sagen, dass die Dokumentation den Konflikt und die politische Situation in Uganda vereinfacht oder gar verfälscht dargestellt habe. Die vor allem über Soziale Netzwerke verbreitete Kampagne hatte jedoch eine enorme Reichweite und in weniger als einer Woche mehr als 50 Mio. Aufrufe. Menschen aus der ganzen Welt haben geklickt, gespendet, T-Shirts und Plakate bestellt, ohne sich weitergehend über die Hintergründe und aktuelle Lage zu informieren und zum Beispiel zu erfahren, dass Kony in dieser Zeit Externer Link: nicht einmal in Uganda war. KONY 2012 hat es letztlich sogar geschafft, Externer Link: die Entscheidung des US-Amerikanischen Senats zu beeinflussen, sich aktiv gegen die ugandische Terrorgruppe einzusetzen. Allerdings mit Hilfe vieler Slacktivisten, die über die Problematik selbst wenig informiert waren.

Konsequenzen und Handlungsempfehlungen


Slacktivist sein kann jeder, (Online-) Aktivismus aber fordert, dass man sich wirklich für dieses Anliegen einsetzt, sich informiert und damit beschäftigt. So kann man online direkt mit wichtigen politischen Akteurinnen und Akteuren über Twitter kommunizieren, auf Plattformen wie Externer Link: Lasst uns streiten oder Externer Link: Diskutier mit mir Meinungen austauschen, oder mit Tools wie FragDenStaat eigene Aktionen mit Informationen aus Behörden anreichern.

Die Digitalisierung ändert unsere Partizipationskultur. Durch sie wird unsere Vorstellung von Partizipationsformen erweitert. Sie erleichtert und potenziert die Verbreitung von politischen Botschaften und den Zugang zu Informationen, kann aber gleichzeitig zu einer oberflächlichen Beteiligung führen. Um dies zu vermeiden, ist es als Nutzerin oder Nutzer sinnvoll, Klicktivismus und digitale Partizipation nicht als eine getrennte Dimension zu betrachten, sondern als Erweiterung der analogen Welt. Am Stand einer Initiative würden wir keine Unterschrift oder Daten angeben, ohne sicher zu sein, dass sie gut genutzt werden.

Lya Cuéllar studiert im Bachelor Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Im Rahmen ihres Studiums beschäftigt sie sich unter anderem mit Erinnerungsarbeit und politischer Bildung. Die Redaktion der Werkstatt der bpb unterstützt sie seit Juni 2017.