Im Kleinen 3x3 stellen wir drei Akteuren dieselben drei Fragen. Zum Thema digitale Zivilgesellschaft und Partizipation haben wir den Medienpädagogen Jürgen Ertelt, die Partizipationsforscherin Sigrid Baringhorst und Yasemin Fusco, Mitarbeiterin bei Externer Link: abgeordnetenwatch.de interviewt.
Was bedeutet digitale Partizipation für Sie?
Jürgen Ertelt: Partizipation ist grundsätzlich nicht von analogen oder digitalen Formaten abhängig. Partizipation sollte eine Beteiligung mit Wirksamkeit beschreiben, was aber leider oft nicht greift. Digitale Medien und Internet eröffnen neue Wege, sich besser in Beteiligungsverfahren aufzustellen und einbringen zu können. Zeit- und Ortsunabhängigkeit, dokumentierte und transparente Abläufe, Schriftsprache ergänzende Visualisierungsmöglichkeiten sowie Solidarisierungs- und Netzwerkeffekte sprechen für potenzielle Vorteile digitaler Partizipation. Wichtigste Erfolgsbedingung bleibt aber der politische Wille zur Teilhabe.
Yasemin Fusco: Digitale Partizipation bedeutet für mich, dass die Zivilgesellschaft die parlamentarische Arbeit konstruktiv hinterfragt und von ihrem Recht Gebrauch macht, Transparenz einzufordern, zum Beispiel mit Blick auf das Abstimmungsverhalten ihrer Volksvertreterinnen und Volksvertreter. Man sollte digitale Partizipation als zivilgesellschaftliches Kontrollinstrument von unten nach oben begreifen, das die Anliegen von Menschen via Frageportale, Kampagnenplattformen oder Petitionen in Rathäuser, Landtage und den Bundestag transportiert. Ein "digitales Gedächtnis" wie abgeordnetenwatch.de ermöglicht zusätzlich, Aussagen von Politikerinnen und Politikern, ihr Abstimmungsverhalten oder Nebentätigkeiten jederzeit nachzuvollziehen.
Sigrid Baringhorst: "Digitale Partizipation der Zivilgesellschaft" ist ein Oberbegriff über vielfältige Formen bürgerschaftlicher Selbstorganisation oder Mitwirkung an politischen Entscheidungen über Angelegenheiten des Gemeinwohls im Internet. Beim zivilgesellschaftlichen Engagement im Netz handelt es sich oft um hybride Handlungsformen: kollaborative Online-Praktiken der Meinungs- und Willensbildung, Ressourcen-Generierung, Vernetzung und Mobilisierung unterstützen die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Offline-Aktionen. Im Zuge der Digitalisierung ist zivilgesellschaftliche Beteiligung niedrigschwelliger geworden. Zudem sind neben den klassischen Organisationsformen kollektiven Handelns wie Nichtregierungsorganisationen (NROs) neue, oft nur lose verbundene Netzwerke entstanden, die nach spontanen themenbezogenen Empörungswellen, oft schnell wieder zerfallen.
Wo steht Deutschland in den Bereichen E- und digitale Partizipation?
Jürgen Ertelt: An Online-Beteiligungsverfahren wird gerne die Erwartung an eine quantitative Steigerung der Beteiligung geknüpft. Größere Reichweiten bekommt man aber nicht über das Format, sondern über Betroffenheit und konkretere, erreichbare Ziele. Hier gilt es mehr Gelingensbedingungen der E-Partizipation herauszuarbeiten und mit politischen Willensbekundungen und Kommunikation fördernden Werkzeugen zu stabilisieren. Dank neuer niederschwelliger Instrumente kann die Qualität der Partizipation kontinuierlich ansteigen – Petitionen, Crowdfunding oder Social-Media-Kampagnen befördern eine sich entwickelnde Beteiligungskultur.
Yasemin Fusco: In der Medienpädagogik sollte noch mehr dafür getan werden, dass Jugendliche ein Interesse für digitale Partizipation entwickeln. So könnten gemeinsam mit jungen Menschen neue Modelle erarbeitet werden, um bessere Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen. Hierfür ist der Austausch zwischen Jugendlichen und Fachleuten wichtig, zum Beispiel über Schulprojekte oder außerschulische Veranstaltungen. Es gibt neben E-Petitionen auch andere wirksame Instrumente wie etwa das Informationsfreiheitsgesetz. Dank 1.600 Anfragen aus der Bevölkerung an die Ministerien hat abgeordnetenwatch.de zusammen mit fragdenstaat.de kürzlich im Rahmen der Aktion #GläserneGesetze erreicht, dass die Bundesregierung nun freiwillig viele Tausend Stellungnahmen von Interessenvertreterinnen und -vertretern herausgibt. Dieses konkrete Beispiel zum Thema Lobbyismus zeigt, dass die Zivilgesellschaft selbst für Transparenz sorgen kann. Ohne fragdenstaat.de, das Bürgerinnen und Bürgern bei Anfragen nach Informationsfreiheitsgesetz eine einfache Oberfläche zur Verfügung stellt, wäre es sicher nicht so weit gekommen.
Sigrid Baringhorst: Nach einer Phase der Hoffnung auf eine Revitalisierung von politischer Beteiligung und Graswurzel-Aktivismus im Netz mehren sich in den letzten Jahren eher kritische Beurteilungen des webbasierten Engagements. Während die einen von einer "Politik mit dem Mausklick“ und "Faulenzeraktivismus" sprechen, warnen andere vor einer demokratieschädigenden Unberechenbarkeit politischer Empörungswellen im Netz. Doch sollte zivilgesellschaftliches Engagement im Netz nicht mit bloßem "Klicktivismus" gleichgesetzt werden. Viele Aktionsformen sind durchaus kreativ und komplex, wie etwa das webgestützte Engagement in der Flüchtlingshilfe oder die Kollaboration auf innovativen ökologischen Aktionsplattformen wie Foodsharing.de belegen.