2012 beschloss die Externer Link: Kultusministerkonferenz (KMK), dass Medienbildung und Medienkompetenz zu den Grundfertigkeiten einer Wissens- und Informationsgesellschaft gehören. Schulen, aber auch andere Bildungseinrichtungen sind dazu aufgefordert, diese in den Unterricht einfließen zu lassen. Viele Bundesländer entwickelten daraufhin verbindliche Konzepte, so auch das Externer Link: Land Niedersachsen. Diese Konzepte werden über die Weiterentwicklung des jeweiligen Kerncurriculum der Fächer und der schuleigenen Fachlehrpläne sukzessive in den Unterrichtsalltag eingebunden.
Die Stadt Hannover als Schulträger erstellte 2015 einen Externer Link: kommunalen Medienentwicklungsplan, mit dem die Beschlüsse von KMK und Land zunächst an sechs Pilotschulen der Stadt realisiert werden sollen. Der Medienentwicklungsplan wird derzeit umgesetzt und Anfang 2018 evaluiert. Bei der Auswahl der Schulen berücksichtigte Hannover verschiedene Schulformen sowie Schulgebäude in unterschiedlichem baulichen Zustand. Die Pilotschulen haben den Charakter eines großen Versuchslabors, in dem der Schulträger wertvolle Erfahrungen für die spätere ganzflächige Umsetzung der Maßnahmen sammelt. Mittelfristig sollen möglichst alle Schulen Hannovers auf einen modernen digitalen Stand gebracht werden. Über den Fortgang wird die Kommunalpolitik zu entscheiden haben bzw. die finanzielle Situation des Schulträgers.
Technische Aufrüstung geht nicht ohne Weiterbildung der Lehrkräfte
Im Rahmen des Medienentwicklungsplans nimmt Hannover mehr als drei Millionen Euro für die Realisierung dieses Projekts in die Hand, um den Anschluss der Pilotschulen an das städtische Glasfasernetz, ihre Ausstattung mit Tablets nach dem Prinzip GYOD – Get Your Own Device, das heißt alle Schülerinnen und Schüler erhalten das gleiche elternfinanzierte Gerät –, Beamer, WLAN und Whiteboards zu erreichen. Den zentralen Support und die Wartung dieser technischen Einrichtungen übernimmt das Rechenzentrum der Stadt, wo auch die Benutzerverwaltung, die Datenhaltung und eine zentrale Softwareverteilung aufgebaut werden. Insgesamt sollen im Rahmen der Pilotphase etwa 500 Lehrkräfte und ca. 5.000 Schülerinnen und Schüler mit Geräten ausgestattet werden. Die Pilotschulen entscheiden eigenständig, in welchen Jahrgängen die Tablets zuerst eingeführt werden bzw. ob mit vier, fünf, sechs oder mehr Klassen begonnen wird.
Die entsprechende Weiterbildung der Lehrkräfte obliegt dem Land Niedersachsen – hier kommen die medienpädagogischen Berater des Landes bzw. des Medienzentrums der Region Hannover ins Spiel. Sämtliche Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte in Niedersachsen werden zentral in der Veranstaltungsdatenbank (VeDaB) angeboten.
Die Medienberaterinnen und -berater sind normale Lehrkräfte, die vom Land abgeordnet sind, um Schulen und Schulträger vielfältig zu unterstützen. Das Land Niedersachsen hat ca. 90 von ihnen im Einsatz, welche zu Beginn ihrer Abordnung als Medienberaterinnen und -berater ein Weiterbildungsprogramm durchlaufen (Systemische Beratung, Projektmanagement etc.). Um die Pilotschulen in Hannover kümmern sich konkret vier medienpädagogische Berater. Falls nötig, wird auf das gesamte Netzwerk "Medienberatung Niedersachsen" zugegriffen.
Alle Lehrkräfte der sechs Pilotschulen müssen zum einen in die Bedienung und Anwendung der neuen Techniken eingewiesen werden: Tablet, interaktiver Beamer, Lernplattform, Schul-Cloud. Im Mittelpunkt der Beratung steht aber die Vermittlung von Medienkompetenzen, die im Externer Link: Orientierungsrahmen Medienbildung definiert sind. Digitale Technik in der Schule bedeutet nicht automatisch Unterrichtsentwicklung. In vielen Workshops zeigt die medienpädagogische Beratung deshalb auf, wie digitale Medien gewinnbringend und mit medienpädagogischem Mehrwert im Schulalltag eingesetzt werden können. So wird z. B. in Workshops gezeigt, wie das Tablet im Sprachunterricht zur Produktion von Hörspielen oder Hörbeiträgen eingesetzt werden kann. Dies trainiert das Sprach- und Hörverständnis. Im Physikunterricht kann das Tablets als multifunktionales Mess- und Analysewerkzeug verwendet werden. Dies sind beispielhaft Workshopinhalte, die die Lehrkräfte als Anregung mit in ihre Schulen nehmen.
Für die Lehrkräfte der Pilotschulen sind die Umstellungen wie eine Operation am offenen Herzen. Der schulische Alltag läuft weiter – Zeit und Muße, sich den neuen digitalen Möglichkeiten zu widmen, bleibt kaum. Die Pilotschulen nutzen aber die Möglichkeit, ganztägige schulinterne Lehrerfortbildungen (SchiLFs) durchzuführen, um Freiraum für Fortbildung zu schaffen. Für die Prozesssteuerung innerhalb der Schule haben die Schulleitungen bzw. Lehrkräfte eigene Projektgruppen ins Leben gerufen. Diese tragen die Entscheidungen, die in regelmäßigen Arbeitstreffen mit der Stadt in sogenannten Teilprojekten (pädagogische Umsetzung, technische Infrastruktur, Endgeräte und Software, Personal und Organisation) getroffen werden, in das Kollegium. Die Arbeitstreffen zwischen den Schulen und der Stadt sind von zentraler Bedeutung: Dort werden Fragen geklärt, die für alle Schulen bzw. Lehrkräfte relevant sind, wie zum Beispiel die Finanzierung von Tablets für einkommensschwache Familien, Fragen zum Datenschutz oder welche grundlegende Software in der Schule genutzt werden soll. Auch hier stehen die medienpädagogischen Beraterinnen und Berater unterstützend zur Seite.
Im Februar 2017 erhielten die Lehrkräfte an den Hannoveraner Pilotschulen ihre Tablets, während ihre Schülerinnen und Schüler sie nach den Sommerferien 2017 bekommen. Somit haben die Fachlehrerinnen und Fachlehrer ein halbes Jahr Zeit, Unterrichtsentwicklung mit digitalen Medien zu betreiben. Darauf vorbereitet wurden sie schon seit 2016 im Rahmen medienpädagogischer Workshops, die einen fachdidaktischen Input gaben und zur Zusammenarbeit sowie zur gemeinsamen Planung von Unterricht mit digitalen Medien anregen sollten. Die Projektgruppen der sechs Pilotschulen sorgen innerhalb ihrer Schule dafür, dass zum Beispiel die Fachlehrerinnen und -lehrer die schuleigenen Lehrpläne überarbeiten. Damit soll gewährleistet werden, dass zukünftig der Unterricht in allen Fächern zur Medienbildung beiträgt. Der Orientierungsrahmen Medienbildung stellt dabei das zentrale unterstützende Instrument für die Qualitätsentwicklung der allgemeinbildenden Schulen, für die Entwicklung der Kerncurricula und für die Lehrkräfteaus- und fortbildung dar.
"Digitaler Mist"? Veränderungen für Lehrende
In den Kollegien der Pilotschulen wird auch hitzig über den Sinn und Zweck der digitalen Medien bzw. Technik diskutiert. Für die Lehrkräfte ist es ein hoher Aufwand, ihren Unterricht neu zu strukturieren bzw. die Nutzung digitaler Technik und Medien in diesen einfließen zu lassen. Ein befreundeter Medienberater aus einem niedersächsischen Landkreis erzählt von seinen Erfahrungen: "Ich befinde mich mitten auf dem Land auf einer Einführungsschulung zu einer Schulserver-Lösung. Da höre ich aus dem Off ein leises, aber prägnant gezischtes ‚Dieser digitale Mist kann mir gestohlen bleiben!’". Diese Ablehnung einiger weniger Lehrkräften ist schade, aber aus meiner Sicht auch nachvollziehbar. Zu oft wurde Schulen in den letzten Jahren viel versprochen und nicht eingehalten. Im Rahmen des Konjunkturpakets II haben beispielsweise viele Schulträger die Schulen mit Computerräumen, Smartboards etc. ausgestattet. Für die Wartung oder den Support fühlte sich dann niemand mehr verantwortlich, Lehrkräfte mussten dies übernehmen, oft auch in ihrer Freizeit. Somit machen Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Unterrichtsalltag oft die Erfahrung, dass die digitale Technik nicht funktioniert. Daraus hat sich über Jahre hinweg eine Technikskepsis entwickelt. Möglichen Unsicherheiten oder Veränderungsängsten an den Pilotschulen versucht die Medienberatung durch ihre zahlreichen Angebote und Workshops positiv entgegenzutreten. Oft reicht es schon aus, den Lehrkräften zu verdeutlichen, wie leicht z. B. die Handhabung von Tablets ist.
Mit dem digitalen Wandel wird sich die Organisation des Unterrichts verändern. So können die Lehrkräfte künftig den Unterricht am heimischen Computer vorbereiten und etwa Bilder, Texte oder Arbeitsmaterial für die Schülerinnen und Schüler auf dem Schulportal-Server hochladen. Da die Lernenden nun über ein eigenes digitales Endgerät verfügen werden, können sie im Unterricht oder auch zu Hause selbstständig auf die Arbeitsmaterialien zugreifen. Die Server sind Plattformen, über die Kommunikation (z. B. E-Mail, Weblog) und Datenaustausch von Unterrichtsmaterial zwischen Lehrkräften und Lernenden stattfindet, auch eignen sie sich bestens als Plattformen für kooperative Lehr- und Lernmethoden.
Das Tablet als Basiswerkzeug im Unterricht
Jede Schülerin und jeder Schüler ist bald in der Lage, die Arbeitsmaterialien über das eigene Tablet von der Lernplattform herunterzuladen, zu bearbeiten und zu speichern. Möglich ist auch, die mit dem Gerät erarbeiteten Ergebnisse auf das Whiteboard zu projizieren. Digitale kooperativeExterner Link: Lernumgebungen via Tablets bieten so neue Möglichkeiten der Gruppenarbeit: Informationen können schnell auf die einzelnen Lernenden aufgeteilt werden, die Gruppe erledigt die Aufgabe jedoch gemeinsam in der Zusammenarbeit an einem Dokument.
Werden die neuen Tablets gezielt eingesetzt, ermöglichen bzw. unterstützen sie auch das individuelle Lernen und eine individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern: An die eigene Arbeitsgeschwindigkeit bei der Lösung der Lernmodule angepasst, können Lernende beispielsweise zu unterschiedlichen Zeiten Klassenarbeiten schreiben. Selbstverständlich variieren Fragen- und Aufgabenstellungen. Das wiederum versetzt die Lehrkräfte in die Situation, sich intensiver um lernschwächere Schülerinnen und Schüler kümmern zu können.
Lernenden mit Behinderung können Tablets eine aktive Teilhabe am Unterricht ermöglichen, wie das Beispiel von Patrick Schäfter, Lehrer am Kaufmännischen Berufsbildungszentrum Halberg in Saarbrücken/Forschungsstelle App-Musik, zeigt: Hier können Lernende, die aufgrund einer körperlichen Behinderung kein Musikinstrument halten können, durch Tablets und entsprechende Apps gemeinsam musizieren. Die Tablets sind vielfältig einsetzbar: Sie sind Computer, Kamera, GPS-, Musik- und Videogerät in einem. Lernende können von Wissenskonsumenten zu Wissensproduzenten werden und eignen sich dabei verschiedene Medienkompetenzen an, die vom einfachen Bedienen und Anwenden der Soft- und Hardware bis hin zur Medienanalyse, Medienkritik bzw. ethischer Reflexion reichen. Bei der Veröffentlichung von digital produzierten Unterrichtsinhalten müssen sie sich auch mit Urheberrecht, Schutz der Privatsphäre und Fragen zum Datenschutz auseinandersetzen. Die Landesbeauftragten für Datenschutz haben hierzu ein Externer Link: gemeinsames Angebot erstellt.
Aus meiner Sicht überwiegen die Chancen digitaler Medien im Schulalltag. Ein intensiver (Material-) Austausch der Lehrkräfte über eine Lernplattform kann eine Senkung der Arbeitsbelastung zur Folge haben. Wenn den Lehrkräften die Vorteile digitaler Tools vermittelt werden und sie selbst positive Erfahrungen damit machen, werden sie diese meiner Einschätzung nach auch vermehrt einsetzen. Wie ich selbst immer wieder in meinem eigenen Unterricht erfahren darf, nutzen Schülerinnen und Schüler die neuen Techniken mit viel Freude und Motivation. Es wird aber Zeit brauchen, bis Schulen und Lehrkräfte diese Potenziale erkannt haben und konsequent gewinnbringend in ihrem Arbeitsalltag nutzen. Seitens der Lehrkräfte der Pilotschulen habe ich in den letzten Monaten hier viel Engagement beobachten dürfen.
Die medienpädagogischen Beraterinnen und Berater: Erfahrungswerte aus Hannover
Bei der Umsetzung der oben genannten Beschlüsse kommt dem schulischen Medienbildungskonzept eine zentrale Rolle zu: Es verbindet pädagogische, technische und organisatorische Aspekte, integriert die Medien in den Unterricht und bildet die Kooperationsbasis für Kollegium, Schulleitung und Schulträger. Es formuliert Erwartungen an Investitionsentscheidungen und bietet Planungssicherheit für Schulen. Schulintern zielt der Prozess der Medienkonzeptentwicklung auf die Verbesserung des Unterrichts, indem er die Grundlage dafür schafft, digitale Medien einzusetzen. Dadurch wird deutlich, dass die Einführung digitaler Medien eine Querschnittaufgabe von Lehrkräften, Schulleitungen und dem Schulträger ist.
In Hannover hört die Stadt den Pilotschulen seit Beginn der Planungen sehr genau zu, Entscheidungen werden im Dialog getroffen. Die Elternschaft der Pilotschulen ist von Beginn an in den Prozess eingebunden und wird regelmäßig über den Fortgang des Projekts informiert. Auf einem Elternratstreffen unter Beteiligung des Schulträgers durfte ich erleben, dass bei aller vorgetragener Kritik eine große Begeisterung für das Projekt besteht. Vorgetragene Unsicherheiten konnten schnell durch Erklärungen und Informationen gelöst werden. Zum Beispiel war unklar, ob das elternfinanzierte Tablet nur in einem Schulmodus funktioniert oder zu Hause auch als Privatgerät zum Spielen oder zum Anschauen von Filmen genutzt werden kann. Sobald sich das Tablet in das WLAN der Schule einwählt, werden diverse Funktionen gesperrt. So wird zum Beispiel die Apple-Dienstleistung iCloud deaktiviert, da der Server in den USA steht und somit nicht deutschen Datenschutzrichtlinien unterliegt. Das Tablet ist in der Schule ein reines Arbeitsgerät. Befindet es sich im heimischen WLAN, greifen die schulischen Einschränkungen nicht mehr. Das klingt einfach, die Realisierung bedeutet für das städtische Rechenzentrum aber einen hohen technischen Aufwand. Da die Geräte vom kommunalen Rechenzentrum der Stadt Hannover aus verwaltet werden, müssen selbstverständlich alle datenschutzrechtlichen Bestimmungen auch für digitale Endgeräte im schulischen Einsatz eingehalten werden. Aktuelle Angebote für elternfinanzierte Tablets mit Versicherungs- und Wartungspaket kosten je nach Vertragsgestaltung und Anbieter zwischen 13,00 und 23,00 Euro im Monat.
Die Lehrkräfte der Pilotschulen schwanken zwischen gesunder Skepsis, gelegentlicher Ablehnung und erwartungsvoller Neugier. In den bisherigen Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen war das Feedback durchweg positiv. Natürlich klappt nicht immer alles reibungslos, und selbstverständlich gibt es Kritik. Zum Beispiel musste bei einer Fortbildung innerhalb der Schule noch die alte WLAN-Infrastruktur genutzt werden. Dies sorgte zwischenzeitlich bei der Nutzung von Online-Ressourcen für Verzögerungen. Der Grundtenor bei den Pilotschulen ist aber positiv: Für Entlastung sorgt, dass zukünftig die Wartung bzw. der Support der Technik nicht mehr von einer Lehrkraft geleistet werden muss. Dies übernimmt der Schulträger bzw. ist Aufgabe des Schulträgers (§ 108 NSchG). Es gibt nicht mehr nur ein oder zwei Computerräume für Schulen mit über 1.000 Schülerinnen und Schülern, sondern jede/r Lernende hat einen mobilen Computer. Der schwere Multi- mediakoffer (Laptop + Beamer) muss nicht mehr in den Klassenraum geschleppt werden. Das Internet bricht nicht mehr zusammen, wenn in einer Klasse ein Film online abgerufen wird.
Willkommen im 21. Jahrhundert!
Weiterführende Literatur:
Burow, Olaf-Axel [2014]: Digitale Dividende, Beltz-Verlag
Computer + Unterricht, Fachmagazin aus dem Friedrich-Verlag
Dräger, Jörg [2015]: Die digitale Bildungsrevolution, Deutsche Verlags-Anstalt
Hofmann, Andreas [2016]: Tablets im Unterricht – ein praktischer Leitfaden, AOL-Verlag
L.A. multimedia, Fachmagazin aus dem Westermann-Verlag
Thissen, Frank [2015]: Mobiles Lernen in der Schule