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Digitale Bildung als Geschäftsmodell – eine Einführung | New Educonomy | bpb.de

New Educonomy Der schmale Grat zwischen wirtschaftlicher Einflussnahme und zeitgemäßer Schulentwicklung Pro & Contra: Digitale Nachhilfe auf Knopfdruck Mehr Medien, mehr Chancen, mehr Möglichkeiten Digitale Nachhilfe bietet nicht den Königsweg zu mehr Bildungsgerechtigkeit Vom Silicon Valley in die Schule? OER von Unternehmen Sollten Digitalwirtschaft und Schulen stärker zusammenarbeiten? Digitalwirtschaft und Schulen: Kompetenzvermittlung oder wirtschaftliche Abhängigkeit? Schülerfirmen – Ein Mittel zur wirtschaftlichen Mündigkeit? Sponsoring in der Schule: Ein Praxisbeispiel Meinung: Bildung ist ein öffentliches Gut und kein Geschäftsmodell Meinung: Ohne digitale Bildung werden persönliche Karrierechancen verspielt Calliope mini: Mikrocontroller für den Schulunterricht Digitale Bildung als Geschäftsmodell – eine Einführung Kleines 3x3 der New Educonomy Editorial: Die Digitalwirtschaft auf dem Bildungsmarkt

Digitale Bildung als Geschäftsmodell – eine Einführung

Theresa Samuelis

/ 9 Minuten zu lesen

Ob Vokabel-App oder Tabletklasse – digitale Bildung ist ein attraktives Geschäftsfeld für Hard- und Softwareunternehmen. Ein Überblick über Produkte, Interessen und Grenzen der (Digital-)Wirtschaft im Bildungsbereich.

Digitale Bildung ist ein attraktives Geschäftsfeld für Hard- und Softwareunternehmen ( geralt / bearbeitet / Externer Link: Lizenz CC0 / Externer Link: pixabay)

Die Digitalisierung des Bildungsbereichs ist ein Prozess, an dem viele verschiedene Akteure beteiligt sind. Um mit den technologischen Entwicklungen Schritt halten zu können, setzen die Gemeinden, Kommunen und Schulen auch auf private Geldgeber und Unternehmen, die bei der Bereitstellung von Infrastrukturen für Lehr- und Lernkontexte im digitalen Zeitalter unterstützen sollen. Ein Grund hierfür ist das bislang zurückhaltende Handeln der Politik. Eine Zentralisierung beziehungsweise bundesweite Digitalstrategie, wie sie etwa der Digitalpakt#D aus dem Herbst 2016 vorsieht, ist nicht nur aufgrund des Bildungsföderalismus mit einer vergleichsweise langsameren und schwerfälligeren Implementierung verbunden. Zudem sind große Investitionen im Bildungsbereich keinesfalls selbstverständlich, wie die aktuellen Entwicklungen und die ablehnende Haltung des Bundesfinanzministeriums bei der Bereitstellung der benötigten Haushaltsmittel für den Digitalpakt zeigen. Kritisiert wird die Politik zudem wegen ihrer Herangehensweise an die Entwicklung einer digitalen Gesellschaft, deren Bestandteil auch der Bildungssektor ist. So bemängelt etwa Markus Beckedahl von netzpolitik.org am letzten IT-Gipfel der Bundesregierung, dass dieser hauptsächlich mit Vertreterinnen und Vertretern der Industrie, nicht aber mit solchen aus der Zivilgesellschaft abgehalten wurde: "Der IT-Gipfel zeigt eindrucksvoll jedes Jahr, wie die Bundesregierung die Digitalisierung sieht. Rein wirtschaftlich und ohne viel Gesellschaft. Die Zukunft findet woanders statt", so Beckedahl.

Hier finden Sie die Regelungen zu Sponsoring und Werbung an Schulen in den entsprechenden Schulgesetzen der Bundesländer

Gründe für den Einzug der Digitalwirtschaft in den Bildungssektor

Die Gründe für das Engagement der Digitalwirtschaft im Bildungsmarkt sind vielfältig. Wenn digitale Medien und technologische Innovationen in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen die Zukunft darstellen, warum sollte das im Bildungsbereich anders sein? Der Bildungssektor ist also ein (digitaler) Wachstumsmarkt: Das Statistische Bundesamt prognostiziert für den Zeitraum 2007 bis 2018 eine Umsatzentwicklung von 8,31 Mrd. hin zu rund 11,54 Mrd. Euro in der Branche Erziehung und Unterricht. Zudem muss das Bildungswesen die Lernenden auf einen Arbeitsalltag in einer vernetzten Industrie und auf eine zunehmend digitalisierte Gesellschaft vorbereiten und ihnen entsprechende Medienkompetenz vermitteln. Um das zu gewährleisten, ist auch in der Schule ein selbstverständlicher, frühzeitiger und kritischer Umgang mit digitalen Medienangeboten notwendig.

Aus unternehmerischer Sicht spielen neben den offensichtlichen monetären Anreizen auch weitere Faktoren eine Rolle. So wird etwa durch die frühzeitige und langfristige Implementierung bestimmter Hard- oder Software in den Klassenzimmern sowie Product-Placement eine Markenbindung seitens der Lernenden befördert, mit der sich die Unternehmen ihre Kundinnen und Kunden von morgen sichern. Auch der Zugriff auf persönliche Daten, etwa durch die Registrierung bei Kommunikationsdiensten, die Einrichtung von Nutzerprofilen, oder für das Verfolgen individueller Lehr- und Lernprofile, sind für die Unternehmen von Interesse. Gerade mit Blick auf kostenfreie Dienste im Internet greift hier das Prinzip von Daten als Währung. Unternehmen können das Engagement im Bildungsbereich auch nutzen, um das eigene Image aufzubessern oder Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern und -trägerinnen aufzubauen. Mit Blick auf Lehrmaterialien ist für Unternehmen interessant, die Schülerinnen und Schülern an das Thema Wirtschaft nicht nur heranzuführen, sondern auch die Entwicklung des wirtschaftswissenschaftlichen Grundverständnisses zu beeinflussen. Wieder andere Kooperationen, vor allem im Hochschulbereich, legen den Fokus darauf, unmittelbar von einer bereits vorhandenen Expertise bei Lernenden zu profitieren oder Forschung im Sinne des Unternehmens zu unterstützen. Im Umkehrschluss können solche häufig projektgebundenen Kooperationsprogramme Studierenden durchaus beim Einstieg in den Beruf helfen.

Einflussbereiche der Digitalwirtschaft

Eine der wichtigsten Voraussetzungen, um die Auswirkungen des Engagements der Digitalwirtschaft im Bildungsbereich einschätzen und entsprechend auf sie reagieren zu können, ist das Wissen und Bewusstsein darüber, diese unternehmerischen Interessen überhaupt wahrzunehmen. Denn: Nicht immer sind die eigentlichen Urheber und Interessen von Bildungsangeboten sofort erkennbar.

Die Interessen bei der Bereitstellung von Hardware für Bildungseinrichtungen, insbesondere durch Großkonzerne wie beispielsweise Apple oder Samsung, sind noch relativ durchschaubar. Bildungseinrichtungen werden inzwischen auch in Deutschland mit Computern oder Tablets ausgestattet (dieser Trend war anfangs vor allem in den USA erkennbar) und spezielle Angebote für den Bildungsbereich ermöglichen Vergünstigungen bei der Anschaffung der Geräte wie zum Beispiel im Rahmen des Programms "Apple on Campus". Einerseits sind Schulen und ihre Lehrenden und Lernenden für die Unternehmen aus oben genannten Gründen eine marktwirtschaftlich interessante Gruppe, andererseits lässt sich durch die Verbreitung der eigenen Hard- und Software wesentlich die Infrastruktur des Bildungssektors mitgestalten. Hat eine Schule einmal ein System etabliert, ist es sehr aufwändig, dieses zu wechseln. So werden Abhängigkeiten geschaffen, aus denen die Institutionen nur mit hohem finanziellen Aufwand wieder ausbrechen können.

Die Konzerne setzen mittlerweile neben der Implementierung ihrer Hardware auch auf Softwareerweiterungen für den Bildungsbereich. Samsung etwa wartet mit einem eigenen Bildungsportal auf, Google bietet mit seinen Google Apps for Education "kostenlose Tools für Kommunikation und Zusammenarbeit in Bildungseinrichtungen an", die nach eigenen Abgaben aktuell von mehr als 16 Millionen Lehrenden und Lernenden genutzt werden. Dabei wirbt Google unter anderem mit persönlichen Erfahrungswerten bisheriger Nutzerinnen und Nutzer, der einfachen Einrichtung, dem Schutz der Privatsphäre und der Begeisterung der Studierenden. So verlockend die Vergünstigungen und kostenlosen Dienste auch sein mögen, Lehrende wie Lernende sollten sich stets bewusst sein, dass sie bereits durch die Nutzung bestimmter Marken(-Dienste) in der Unterrichtsplanung und -durchführung zu Werbeträgern und Multiplikatoren des Unternehmens werden. Das ist natürlich kein neues Problem. Die neue Problemstellung ergibt sich jedoch durch die wirtschaftliche Durchdringung des Bildungssystems, da mit der Entscheidung für eine digitale Plattform Abhängigkeiten generiert werden, die sich nicht ohne Weiteres auflösen lassen.

Abgesehen davon profitieren natürlich auch andere Technologie- und Dienstleistungsunternehmen von der Digitalisierung des Bildungssektors, etwa Firmen, die sich auf die Herstellung von Smartscreens, Smartboards oder digitalen Aufstellern für die Schulaula oder auf IT-Support für Schulen spezialisiert haben.

Digitale Bildungsangebote von Schulbuchverlagen, Medien und Unternehmen

An den kommerziellen Schulbuchverlagen geht die Digitalisierung nicht spurlos vorüber. Neben Digitalausgaben von Schulbüchern, setzen die Marktführer Klett, Cornelsen und Westermann verstärkt auf digitale Erweiterungen der bereits bestehenden analogen Lehrwerke, sowie Organisations- und Communitytools. Diese sind wiederum herstellergebunden und untereinander nicht kompatibel. Exemplarisch seien an dieser Stelle etwa das eBook pro, der digitale Unterrichtsassistent, sowie multimediale Zusatzinhalte und Community-Funktionen des Klett-Verlages genannt. Auch die Verlagsgruppe Westermann stellt digitale Lehrmaterialien und E-Books, sowie Online-Erweiterungen wie digitale Atlanten oder Lernportale und Download-Optionen bereit. Als Angebot von Cornelsen sei stellvertretend die Plattform scook genannt, die nicht nur die digitalen Ausgaben der zertifizieren Cornelsen-Lehrbücher entgeltlich zur Verfügung stellt, sondern auch weiterführende Digitalangebote wie Apps zur Erinnerung an Hausaufgaben, interaktive Übungen sowie Materialien „anerkannter Partner“. Zu Letzteren gehört unter anderem das kommerzielle Online-Bildungs-Startup sofatutor.de, das Lernvideos für verschiedene Fächer anbietet und auch mit Klett zusammenarbeitet. Sofatutor ist nur eines von vielen Startup-Beispielen. Andere kleine Firmen setzen auf digitale Organisationstools, Online-Diagnose-Tools, etwa mit Möglichkeiten der simultanen Leistungsstandüberprüfung, Übungssoftware, Apps, Online-Wörterbücher, editierbare Materialien und vieles mehr. Kooperationen zwischen Schulbuchverlagen und Startups sind dabei keine Seltenheit und zeigen, wie unübersichtlich und vielseitig die wirtschaftlichen Synergien ausfallen können.

Kommerzielle Medien klinken sich in diesen Trend ein. So bietet etwa die Wochenzeitung DIE ZEIT mit dem Programm Externer Link: ZEIT für die Schule kostenlose Unterrichtsmaterialien zu den Themen Medienkunde sowie Studien- und Berufsorientierung, kostenfreie Klassensätze der Wochenzeitung, passgenaue Newsletter für Lernende und Lehrende und sogar Externer Link: Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema Digitale Bildung an. Das Projekt der ZEIT kooperiert unter anderem mit scook (vgl. oben), sowie Google und der Deutsche Telekom Stiftung.

Ein weiterer Bereich der potenziellen Einflussname auf den Bildungsbereich liegt in der Erstellung von digitalen Lehr- und Lernmaterialien durch Unternehmen. Analoge Materialen sind in dieser Hinsicht schon lange ein Thema, jetzt ziehen digital immer mehr Betriebe mit eigenen freien Bildungsmaterialien (Interner Link: OER – Open Educational Resources) nach. Ein Beispiel ist hier etwa die Externer Link: Siemens Stiftung, die auf ihrem Medienportal Materialien zu naturwissenschaftlich-technischen Themen für verschiedene Schultypen und in unterschiedlichen Sprachen anbietet. Diese stehen unter der Lizenz CC-BY-SA 4.0 und lassen sich von Lehrenden kostenfrei einsetzen und anpassen.

Werbung, Lobbyismus, wirtschaftliche Abhängigkeit – wo liegen die Grenzen?

Gerade für Lehrende ist es wichtig, die obengenannten Formen der Einflussnahme kritisch zu hinterfragen und im Unterricht zu reflektieren. Bei allen beschriebenen Einflussbereichen und Interessen ist zudem eine Differenzierung zwischen Lobbyarbeit und Werbung, also der inhaltlichen Einflussnahme beziehungsweise Vermittlung politischer Ansichten und der Betrachtung von Schülerinnen und Schülern als konsumierende Zielgruppe wichtig. Ersteres ist im etwa im Berliner Schulgesetz ausdrücklich untersagt (Eine "Einseitige politische Beeinflussung einschließlich Werbung zu politischen Zwecken [ist] in schulischen Veranstaltungen und auf dem Schulgelände während der Unterrichtszeit nicht zulässig."), über "Werbung an der Schule sowie Art und Umfang des Sponsoring" entscheidet dagegen die Schulkonferenz, es ist also in bestimmtem Rahmen zulässig. In diesem Bereich helfen Einschätzungen und Publikationen der Bildungsgewerkschaft (GEW) und des gemeinnützigen Vereins Lobbycontrol Laut Lobbycontrol zählt etwa die Aufbesserung des eigenen Images zu Lobbyarbeit, denn „[mit] einem positiven Image lässt sich die Politik einfacher für die eigenen Belange einspannen.“ Auch am Sponsoring, sogenannter Bildungsförderung oder Bildungskommunikation, übt Lobbycontrol Kritik: "Auf den ersten Blick sieht dieses Bildungssponsoring nach einer Win-win-Situation aus. Die Gefahr ist jedoch groß, dass sich Schulen hierbei für die Interessen von Unternehmen einspannen lassen. Der Mehrwert für die Schulen ist zudem meist gering." Lobbycontrol weist hier immer wieder auf problematische Fälle hin, etwa den von Amazon ausgerichteten und inzwischen in vielen Ländern aufgrund unerlaubter Werbung verbotenen Schulwettbewerb "Kindle Storyteller Kids" aus dem Jahr 2016. Ein aktuelles Beispiel ist die Verschärfung des Werbeverbots in Hessen.

Chancen, Risiken und Handlungsempfehlungen

Wie sind solche Tendenzen nun einzuordnen? Obwohl die Regelungen in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgeführt sind, steht bei einer Kooperation oder einem Sponsoring stets der Nutzen für den Bildungsauftrag im Zentrum. Das meint sowohl die Verbesserung des Unterrichts durch modernisierte Lernsettings, aber auch die Vorbereitung auf eine digitale Gesellschaft und Berufswelt. Dadurch aber befinden sich die Lehrenden in einer neuen Verantwortung: Wichtig ist, dass die Zusammenarbeit von Unternehmen und Schule auf Transparenz und klaren Regeln beruht. Beispielsweise sollten Unternehmen keine Vertreterinnen und Vertreter als Personen mit einem Bildungsauftrag in die Schulen entsenden – und wenn, dann nur, wenn sie ihr unternehmerisches Eigeninteresse kenntlich machen. Die Position des Lehrenden muss in dieser Hinsicht gestärkt und als zentrale, moderierende, reflektierende und vermittelnde Position etabliert werden. Eine Möglichkeit ist in diesem Zusammenhang die gezielte Thematisierung möglicher – etwa datenschutzrechtlicher – Konsequenzen, die mit einer Kooperation oder der Benutzung eines bestimmten Tools im Unterricht einhergehen. Andererseits können Fachleute aus der Wirtschaft den Unterricht durch ihre Expertisen auch bereichern. Der Bildungsbereich kann sich derlei Einflüssen kaum entziehen. Dennoch sollten immer auch Alternativen wie Open Source-Angebote in Betracht gezogen und aktiv genutzt werden. Sie können helfen, Neutralität im Unterricht zu wahren und nicht zum Werbesprachrohr einzelner Anbieter und Unternehmen zu werden. Im Falle der Verwendung von Markenprodukten, kommerziellen Apps oder Diensten bietet sich an, zuvor das Gespräch zu suchen – innerhalb des Kollegiums, aber auch mit Eltern und Lernenden. Denn gerade für Schülerinnen und Schüler ist die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Mediennutzung, im schulischen wie im außerschulischen Kontext, eine wichtige Grundlage, um in der digitalen Gesellschaft zu bestehen.

Theresa Samuelis ist seit Oktober 2016 Redakteurin für werkstatt.bpb.de. Sie studierte Theaterwissenschaft, Französische Philologie und Angewandte Literaturwissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Université Laval Quebec in Kanada. Während des Studiums hospitierte und arbeitete sie unter anderem für die Pressestelle der Schaubühne Berlin sowie die Onlineredaktionen des ZDFtheaterkanals und des Suhrkamp Verlags. Neben ihrer Tätigkeit für die KOOPERATIVE BERLIN ist sie als freie Autorin für Online und Hörfunk tätig.