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Von Vor(ur)teilen: Digitale Spiele in der Bildung

Daniel Heinz

/ 4 Minuten zu lesen

Computerspiele haben im öffentlichen Diskurs oft einen schlechten Ruf. Gastautor Daniel Heinz schreibt über die Kritik an digitalen Spielen und die Herausforderungen, die diese noch meistern müssen, um in den Schulen anzukommen.

Welchen Wert haben Digitale Spiele in der Bildung? (Alexas_Fotos / Externer Link: Pixabay / bearbeitet / Externer Link: Lizenz CC0)

Stand anfangs noch das E-Learning als Überbegriff für alle computergestützten Lernverfahren, so hat sich der Bereich inzwischen ausdifferenziert. Der Ansatz des Digital Game-based Learning (DGBL) integriert dabei Lerninhalte und -aufgaben unmittelbar in die Spielwelt. Im deutschsprachigen Raum liegen bereits zahlreiche Forschungen vor, die den Kompetenzerwerb durch das digitale Spielen belegen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang etwa die Schulung von Sensomotorik, Reaktionsgeschwindigkeit und Multitasking, aber auch von Regelerfassung, Semantik, Problemlösung, räumlichem Vorstellungsvermögen und Orientierungsfähigkeit sowie affektiven und sozialen Kompetenzen. Gerade das gemeinsame Spiel stellt Anforderungen hinsichtlich Kommunikation, Kooperation, Teamfähigkeit und Akzeptanz – von anderen Spielenden, aber auch von Regeln der (Spiel-)Gemeinschaft. Unterschiedliche Spielformen sprechen dabei auch unterschiedliche Lerntypen an, intellektuelle und haptische genauso wie visuelle oder auditive. Im Rollenspiel können sich Spielerinnen und Spieler außerdem ausprobieren und Erfahrungen sammeln, die ihnen in der Alltagswelt verwehrt bleiben, etwa durch eine körperliche Behinderung, Krankheit oder den Alterungsprozess. Zudem plädieren einige Forschende dafür, Lehr- und Lernkontexte mit spielerischen Aspekten anzureichern. Das Schlagwort hierzu lautet "Gamification" und kann mit dem Beispiel Interner Link: Classcraft illustriert werden. Darin schlüpfen die Lernenden in die Rolle virtueller Spielfiguren, die sich zwar nicht aktiv in einer Spielewelt bewegen, aber als Avatare in alternativen Punktsystemen bewertet werden.

Der schlechte Ruf von digitalen Spielen

Zahlreiche bildungspolitische Willenserklärungen plädieren inzwischen für schülerzentrierte Unterrichtsszenarien sowie individuelle Lernformen. Diese Chancen zu nutzen und digitale Spiele in Lehr-, Lern- und Erfahrungskontexten zu verankern, geschieht in der Praxis allerdings eher selten. Trotz der Tatsache, dass das Medium Spiel seit dem Beschluss des deutschen Kulturrats im Jahr 2009 anerkanntes Kulturgut ist, haben Games in der Öffentlichkeit ein schlechtes Image. Im öffentlichen Diskurs stehen häufig nicht die Lernmöglichkeiten, sondern der Gewaltgehalt mancher Games und die möglicherweise davon ausgehende Entwicklungsbeeinträchtigung von Minderjährigen im Mittelpunkt. Dies zeigte die erst kürzlich wiederentflammte "Killerspieldebatte" allzu deutlich. Interessant ist hierbei die Tatsache, dass der Anteil an Spiel-Angeboten, die von der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (Externer Link: USK) im Jahr 2015 die Kennzeichnung "keine Jugendfreigabe" erhalten haben, lediglich bei 6,3 Prozent lag. Auch die Debatten um Computerspielsucht, undurchsichtige Bezahlmodelle von Online-Games und deren fehlende gesetzliche Kennzeichnung untermauern die Vorbehalte gegenüber dem Medium. Diese Einschätzungen sind zwar durchaus kritischer Natur, genügen jedoch nicht zur generellen Einschätzung.

Hürden für die Implementierung von Spielen

Wer sich nicht gut mit dem Medium auskennt, dem fällt es meist schwer, konkrete Ideen zu entwickeln, wie sich Spiele in Bildungskontexten einsetzen lassen. Eine entsprechende medienpädagogische Ausbildung von Lehrenden würde die konstruktive Auseinandersetzung mit digitalen Spielen sicher unterstützen. In der Ausbildung sind digitale Spiele allerdings höchstens am Rande Thema und auch darüber hinaus existieren nur wenige Fortbildungsmöglichkeiten, wie sie beispielsweise die Externer Link: Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW und die Externer Link: Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel anbieten. Hinzu kommen der Mangel an konkreten Unterrichtseinheiten, die digitale Spiele konkret einbinden, und der nicht auf den ersten Blick erkennbare Lehrplanbezug des Mediums. Als zum Teil kommerzielle Unterhaltungsmedien erheben Spiele nur selten den Anspruch, reale Zusammenhänge, auf die sie verweisen, auch in ihrer Komplexität darstellen zu wollen. Die Implementierung von digitalen Spielen im Unterricht bedeutet deswegen auch, die Kompetenzhoheit von Lehrenden in wesentlichen Bereichen an Lernende abzugeben und eine begleitende und moderierende Rolle einzunehmen. Denn meist kennen sich die Lernenden mit dem Medium besser aus als viele Lehrende. Auch diese Rollenverschiebung kann als Grund für die verhaltene Einbindung des Mediums im Unterricht gesehen werden.
Die größte Hürde für die Nutzung digitaler Spiele im Schulkontext ist jedoch die unzureichende technische Ausstattung der Institutionen und der Anschaffungspreis von digitalen Spielen als Klassensatz. Das Konzept des "Bring Your Own Device" (BYOD) kann hier eine Lösung für die Probleme auf Seiten der Hardware sein. Dem stehen an vielen Schulen allerdings ein restriktives Smartphoneverbot und Haftungsfragen bei Verlust und Beschädigung gegenüber.

Fazit und Ausblick

Auf diese Herausforderungen mit einer bewahrpädagogischen Grundhaltung zu reagieren, die die Gefahren von Mediennutzung fokussiert, und digitale Spiele schlichtweg aus den Lehr- und Lernkontexten auszuschließen, ist allerdings der falsche Weg, um Heranwachsende für die Zukunft fit zu machen. Die Förderung von Medienkompetenz ist zu einer gesellschaftlichen Querschnittsaufgabe geworden. Aufgabe einer zeitgemäßen Pädagogik muss es daher sein, Kinder und Jugendliche dabei zu unterstützen, aktiv, selbstbestimmt, reflektiert und kreativ mit digitalen Spielen umzugehen. Im Kern geht es somit nicht darum, die gesamten Lehr- und Lernkontexte mit digitalen Spielen zu durchdringen, denn guter Unterricht kann auch heute noch ohne Medieneinsatz funktionieren. Es gilt dagegen sinnvolle Einsatzmöglichkeiten zu erkennen und diese zu nutzen. Dort, wo sich das System Schule bislang noch schwertut, nämlich in der Akzeptanz des Medienverhaltens von Kindern und Jugendlichen, kann gerade die Jugendhilfe, beispielsweise in Jugendzentren oder anderen Institutionen der außerschulischen Jugendarbeit, wertvolle Unterstützung leisten. Hier werden bereits die oben genannten Chancen unterstützt, Freiräume für selbstgesteuertes und mediengestütztes Lernen angeboten, aber auch soziale Kompetenzen vermittelt, um über Probleme ins Gespräch zu kommen und die Reflexion des Medienhandelns anzuregen.

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Daniel Heinz ist Diplom-Sozialpädagoge und Projektleiter beim Spieleratgeber-NRW. Außerdem ist er in der Redaktionsleitung bei der Broschüre Spiel- und Lernsoftware pädagogisch beurteilt tätig, ist Referent bei der Initiative Eltern+Medien und bei den Medienscouts NRW sowie Jugendschutzsachverständiger bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK).