Wenn wir Computerspiele spielen, machen wir das in aller Regel, um Spaß zu haben. Wenn wir etwas lernen sollen, macht dies häufig keinen Spaß. Digital Game-based Learning oder Serious Games wollen das ändern, indem sie unterhaltsame digitale Spiele für ernste (Lern-)Zwecke nutzen.
Spielen und Lernen
Spielen und Lernen werden oft noch als Gegensätze gesehen, dabei gibt es eine sehr grundlegende Verbindung zwischen beiden Aktivitäten. Sowohl in der Phylo- als auch in der Ontogenese des Menschen, d. h. sowohl in der Stammesgeschichte als auch in der individuellen Entwicklung, gehören Spielen und Lernen zusammen. So lernen wir zu Beginn unserer individuellen Entwicklung als Mensch sehr viel auf spielerische Weise, ähnlich wie der Nachwuchs im Tierreich, für den das Spielen wohl die wichtigste Form des Lernens ist. Die Entkopplung von Spielen und Lernen erfolgt erst mit voranschreitendem Alter und dem Durchlaufen der klassischen Stufen institutionalisierter Bildung. Die Verknüpfung von Spielen und Lernen ist also keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Ähnliches gilt für den Versuch, Lernen mit Unterhaltung und/oder Medien zusammenzubringen. Bereits seit mehreren Jahrzehnten gibt es pädagogische Konzepte wie das Edutainment, die versuchen, Lernen bzw. Bildung (Education) und Unterhaltung (Entertainment) zu vereinen. Und auch im Bereich der Nutzung digitaler Medien zum Lehren und Lernen gibt es seit Langem Konzepte wie multimediales Lernen oder Interner Link: E-Learning.
Lernen mit digitalen Spielen: Digital Game-based Learning
Der Begriff des Digital Game-based Learning (im Nachfolgenden: DGBL) fand vor allem durch das gleichnamige Buch von Marc Prensky Verbreitung , der DGBL als die Verbindung von Lerninhalten mit Computerspielen definiert. Als "Synthese aus Medium und Spielzeug" integriert das DGBL Spiel, Unterhaltung und (digitale) Medien in den Lernprozess und unterscheidet sich somit von zuvor genannten Ansätzen wie Edutainment oder E-Learning.
Digitale Spiele für ernste Zwecke: Serious Games
Ein weiterer Begriff, der im Kontext von digitalen Spielen in der Bildung häufig genannt wird, sind die Serious Games, auch ernsthafte Spiele genannt. Populär wurde der Begriff durch die Gründung der Serious Games Initiative im Jahr 2002 . Der Begriff Serious Games selbst ist allerdings um einiges älter und wird von Clark C. Abt in seinem Buch "Serious Games" bereits 1970 verwendet, um die Nutzung verschiedener (vornehmlich analoger) Spielformen zu Lernzwecken zu beschreiben . Dies weiterdenkend betonen sowohl die Gründer der Serious Games Initiative als auch viele weitere Akteure in diesem Bereich, dass die Zwecke von Serious Games über das Lernen im Sinne eines Erwerbs bzw. einer Verbesserung/Erweiterung von Wissen oder Fähigkeiten hinausgehen sollten. Definitionen von Serious Games gibt es zahlreiche . Eine sehr weit gefasste lautet "games with a purpose beyond play" . Demnach kann die Kategorie der Serious Games neben Lernspielen beispielsweise auch Werbespiele, Computerspielkunst oder Spiele, die in der Therapie zum Einsatz kommen, umfassen.
Richtige Auswahl und passende Einbettung
Die Definitionen von DGBL und Serious Games weisen schon darauf hin, dass die Einsatzmöglichkeiten äußerst vielfältig sind. Da es auch ein attraktiver Markt für Spielentwickler ist, gibt es Lernspiele bzw. Serious Games für alle erdenklichen Bereiche, Plattformen und Zielgruppen. Zusätzlich ist es möglich, Spiele zu Bildungszwecken einzusetzen, die eigentlich zu Unterhaltungszwecken produziert wurden . Aufgrund der großen Bandbreite an potenziellen Einsatzfeldern ist es schwierig, allgemeine Empfehlungen auszusprechen. Einige gute Anhaltspunkte und Hinweise auf Spiele – die allerdings zum Teil nicht mehr ganz aktuell sind – liefern unter anderem die Publikationen der Landesanstalt für Medien NRW , , , das "Handbuch Digitale Spiele im Klassenzimmer" sowie die Handreichung "Didaktische Szenarien des Digital Game Based Learning" . Aktuelle und pädagogisch fundierte Beurteilungen von digitalen Spielen gibt es unter anderem auf der Website Externer Link: spielbar.de der Bundeszentrale für politische Bildung , beim Spieleratgeber NRW oder der österreichischen Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen . Mindestens genauso wichtig wie die richtige Auswahl eines geeigneten Spiels ist dessen Einbettung in andere (Lern-)Aktivitäten. Auch hier gibt es kein Patentrezept, allerdings liefern die zuvor genannten Publikationen einige hilfreiche Orientierungspunkte.
Sinnvolle Ergänzung statt einfacher Ersetzung
Auch wenn einige Enthusiasten das anders sehen mögen, sind digitale Spiele kein pädagogisches Allheilmittel. Im Bildungsbereich können sie einige Lernaktivitäten sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen. Zwar zeichnen die Einzel- und Überblicksstudien zur Wirksamkeit von DGBL und Serious Games ein insgesamt positives Bild. So berichten etwa Connolly und Kollegen in ihrer groß angelegten Überblicksarbeit und einem Update dazu aus dem Jahre 2016 , dass zahlreiche Studien positive Effekte u. a. in den Bereichen Motivation, Verhaltensänderung, Wissenserwerb, Themenverständnis und kognitive Fähigkeiten gefunden haben. Jedoch muss dabei bedacht werden, dass die Einzelstudien sich in aller Regel auf ein ganz bestimmtes Spiel und damit auch spezielle Anwendungsfelder und Zielgruppen beziehen und darüber hinaus häufig anstelle von "harten Fakten" wie zum Beispiel Testergebnissen oder Noten eher "weiche" Faktoren wie Motivation, Interesse oder selbsteingeschätzte Kompetenz erheben. Dies beeinflusst wiederum auch die Erkenntnisse der Überblickstudien, da diese sich auf die Ergebnisse aus den Einzelstudien beziehen bzw. diese zusammenfassen. Auf die Bedeutung der – inhaltlichen und methodischen – Qualität der Originalstudien und deren Einfluss auf die Erkenntnislage weisen auch Connolly und Kollegen in ihrer Arbeit ausdrücklich hin. Da es relativ wenige Langzeitstudien gibt, lässt sich nicht ausschließen, dass viele Spiele vom sogenannten chocolate broccoli problem betroffen sind, welches besagt, dass Spiele schnell unattraktiv oder gar abgelehnt werden, sobald sich der Neuheitseffekt abnutzt und den Lernenden klar wird, dass diese lediglich eine schöne neue Verpackung für altbekannte Lerninhalte und -mechanismen sind. Natürlich sind digitale Spiele auch nicht für alle Zwecke gleich gut geeignet. Während sie beispielsweise die Vermittlung von Interner Link: historischem Wissen – etwa auch durch narrative Unterhaltungsspiele im Sinne des Interner Link: Historytelling – oder das Erlernen von Fremdsprachen gut ergänzen können, sind sie für andere Bereiche, etwa das Erlernen musischer, künstlerischer oder motorischer Fähigkeiten (z. B. auch im sportlichen Bereich) oder auch einen Großteil sogenannter Soft Skills (beispielsweise Präsentations- oder Verhandlungsfähigkeiten) weniger gut geeignet. Generell lassen sich mit digitalen Spielen Aufmerksamkeit und Interesse für ein Thema wecken und in gewissem Maße kann auch Wissen vermittelt werden. Für die Änderung von Verhaltensweisen oder den Erwerb bzw. die Verbesserung sozialer Kompetenzen reicht der Einsatz digitaler Spiele allein allerdings selten aus.
Entwicklungen und Trends
Die Entwicklungen und Trends in den Bereichen DGBL und Serious Games sind im Wesentlichen an die (technischen) Entwicklungen digitaler Spiele allgemein gekoppelt. Aktuell bedeutet dies, dass der anhaltende Erfolg mobiler Spiele für Smartphones und Tablets auch dazu führt, dass für diese Plattformen zunehmend Lernspiele oder Serious Games produziert werden. Für Lehrende bzw. Pädagoginnen und Pädagogen haben diese Plattformen einige interessante Vorteile. Zunächst besitzen die allermeisten Lernenden bereits entsprechende Geräte (vor allem in der jüngeren Zielgruppe), das heißt es müssen nicht eigens teure Spielgeräte (Konsolen oder PCs) angeschafft werden. Zudem sind mobile Spiele in der Regel deutlich günstiger und weniger komplex und dadurch einfacher zu erlernen als Spiele für Konsole oder PC. Technische Möglichkeiten wie Augmented Reality , die Verwendung der Kamera oder von GPS-Daten sind einige Faktoren, die den Einsatz mobiler Spiele zu ernsten (Bildungs-)Zwecken besonders interessant machen. Selbstverständlich hat der Einsatz mobiler Spiele bzw. Geräte auch gewisse Nachteile, die berücksichtigt werden müssen. So besitzen beispielsweise trotz der großen Verbreitung unter Kindern und vor allem Jugendlichen nicht alle ein Smartphone oder Tablet. Wenn Schülerinnen und Schüler eigene Geräte mitbringen und nutzen – im Englischen auch "Bring your own device" (BYOD) genannt – erhöht deren Anwesenheit auch das Ablenkungspotenzial und kann sich somit unter Umständen störend auf andere Aktivitäten auswirken. Darüber hinaus muss bei BYOD gewährleistet sein, dass die Spiele auch auf den Geräten aller Schülerinnen und Schüler laufen (d. h. auf unterschiedlichen Betriebssystemen – v. a. iOS und Android – sowie verschiedenen Versionen von diesen). Trotz jener Nachteile sind mobile Spiele zu Lehr- und Lernzwecken eine interessante Option für Lehrkräfte, die gerne digitale Spiele einsetzen möchten, da sie kostengünstig, mit vergleichsweise geringem (technischen und organisatorischen) Aufwand sowie räumlich und zeitlich flexibel genutzt werden können.