In den 1980er Jahren eroberte eine neue Art von Jugendbüchern die Buchhandlungen, sogenannte "Spielbücher". Ungewöhnlicherweise sprachen diese nicht nur das Lesepublikum mit "Du" an, sondern bestanden auch aus vielen einzelnen nummerierten Textabschnitten, die nicht der Reihe nach gelesen wurden. Stattdessen standen am Ende der meisten Abschnitte Entscheidungsfragen, die es den Leserinnen und Lesern erlaubten, selbst über den Fortgang der Handlung zu bestimmen. Je nach getroffener Auswahl las man an einem bestimmten nummerierten Abschnitt weiter, bis man schließlich eines der guten oder bösen Enden erreichte. Daraus ergab sich auch der Reiz einer wiederholten Lektüre: Was passiert, wenn ich beim nächsten Mal doch den anderen Weg einschlage?
Wenn auch die Spielbücher durch den Siegeszug der Computerspiele Anfang der 1990er Jahre recht bald wieder aus den Buchhandlungen verschwanden, werden doch bis heute immer noch Beiträge in diesem speziellen Genre veröffentlicht.
Warum ist "Interactive Fiction" für den Bildungsbereich interessant?
Der Kommunikationsforscherin Janet H. Murray zufolge hat diese sogenannte “Interactive Fiction”, zu der sich auch Spielbücher rechnen lassen, vor allem drei Vorzüge, die auch im Bildungsbereich eine Rolle spielen
Durch das Eintauchen in eine Fantasiewelt und das Durchleben eines Abenteuers, das als das eigene wahrgenommen wird, entsteht eine sehr starke Identifikation mit dem literarischen Text. Diese wird noch durch das Gefühl verstärkt, selbst etwas bewirken zu können und sich und die fiktive Welt durch eigene Vorstellungskraft verwandeln zu können. Dies kann vor allem Schüler und Schülerinnen motivieren, die sonst eher ungern lesen. Außerdem zwingen die anstehenden Entscheidungen, Rätsel etc. zum genauen Lesen und fördern so das Textverständnis.
"Interactive Fiction" mit Twine
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Möglichkeiten von Computer und Internet für interaktive Texte genutzt wurden. Das Konzept der Verknüpfung einzelner Seiten mittels klickbarer Hyperlinks ist tatsächlich wie geschaffen für diese Art von Literatur. Doch erst das Programm Twine ermöglichte es auf einfache, intuitive Weise sich verzweigende Erzähltexte zu entwerfen und zu schreiben.
Eine verzweigte Erzählung anlegen – erste Schritte
Nach dem Start präsentiert sich das Open-Source-Tool Twine als graue Arbeitsfläche mit drei Kästchen (Abb. 1). Um die Inhalte zu bearbeiten, klickt man diese Kästchen einfach doppelt mit der primären Maustaste an. Die Kästchen “StoryTitle” und “StoryAuthor” dienen dazu, den Titel der Geschichte und den Autornamen einzugeben, während ins Feld "Start" der erste Textabschnitt geschrieben wird.
Abb. 2: Die Elemente lassen sich beliebig anordnen. (© Twine)
Abb. 2: Die Elemente lassen sich beliebig anordnen. (© Twine)
Um nun weitere Abschnitte zu erzeugen und miteinander zu verknüpfen, reicht es, einzelne Textstellen innerhalb der Abschnitte mit doppelten eckigen Klammern zu [[umgeben]]. Sobald man den jeweiligen Abschnitt schließt, werden nach einer Rückfrage passende neue Abschnitte erzeugt. Außerdem zeigen Pfeile zwischen den Kästchen an, welche Abschnitte bereits miteinander verknüpft sind. Die Kästchen lassen sich mit der Maus beliebig hin- und herziehen und auf diese Weise übersichtlich anordnen (Abb. 2).
Als nächstes werden die neuen Kästchen mit Inhalt gefüllt, wobei jeweils wieder neue Links erzeugt werden können. Auf diese Weise entsteht innerhalb kürzester Zeit ein komplexes Geflecht an Handlungsfäden, die sich in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln oder aber sich immer wieder an bestimmten Punkten treffen können.
Ergebnisse speichern
Wenn man seine Arbeit über das "File"-Menü speichert, wird eine Datei mit der Endung .tws angelegt. Diese Datei benötigt man, um später weiter an seinem Projekt zu arbeiten. Um es lesen bzw. spielen zu können, muss zunächst eine HTML-Seite erstellt werden, was zum Glück automatisch funktioniert. Hierzu wählt man die Funktion "Build Story" im Menü "Build" und legt im folgenden Dialog einen Dateinamen fest, der später auch in der Titelleiste des Browsers erscheint. Nach erfolgreicher Umwandlung öffnet sich auch gleich die fertige Geschichte (Abb. 3)