Werkstatt: Inwiefern ist die Schule, an der Sie lehren, auf den digitalen Wandel eingestellt? Welche Schulnote würden Sie vergeben?
Jauch: In meiner gegenwärtigen Einsatzschule am Stadtrand von Leipzig ist ein "befriedigend" angebracht. Leider wird an den Schulungen zur Bedienung gespart, sodass sich viele Lehrerinnen und Lehrer selbst "hineinfuchsen" müssen. Schwerwiegend scheint mir die Unkenntnis zum Urheberrecht bzw. zu Materialien unter Creative-Commons-Lizenzen zu sein.
Leinstein: Meine Schule treibt die Ausstattung aller Räume mit Laptops, Beamern und Dokumentenkameras, aber auch einem interaktiven Whiteboard, voran. Eine individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler erfolgt durch diese Maßnahmen jedoch nur bedingt – Ich gebe meiner Schule eine 3+.
Schulz: Das Gymnasium Grootmoor in Hamburg ist mit Smartboards, Beamern, Netbooks, einem funktionierenden WLAN, das BYOD (Bring Your Own Device) ermöglicht, und einem 3D-Drucker ausgestattet. Für die Ausstattung gebe ich demnach die Note 2. Auch für Möglichkeiten des Austauschs vergebe ich eine 2. Durch KUR (Kollegiale Unterrichtsreflexion) wird die gegenseitige Hospitation und Reflexion des Unterrichts unter Kolleginnen und Kollegen gefördert. Die Integration digitaler Medien in den schulischen Alltag schwankt und ist stark vom einzelnen Lehrenden abhängig. Daher hier die Notenspanne 1 bis 5.
Was müsste sich in Ihrem Praxisbereich strukturell verändern, um das Arbeiten mit digitalen Instrumenten stärker zu etablieren?
Jauch: Es gibt an der Schule zwar einen Pädagogischen IT-Koordinator (PITKo), dieser müsste jedoch zeitlich und inhaltlich dazu in die Lage versetzt werden, Kolleginnen und Kollegen in Medienfragen zu unterstützen, oder es sollte die Stelle eines "Medienberatenden" geschaffen werden.
Leinstein: Es müssten digitale Instrumente vorliegen, die das Erarbeiten und Bearbeiten von Medien jeglicher Art unterstützen, nicht nur deren Konsum, der nicht zu nachhaltiger Bildung führen kann.
Schulz: Der Austausch zwischen Kolleginnen und Kollegen muss weiter gestärkt werden. Trotz der guten Ausstattung meiner Schule plädiere ich für eine Professionalisierung des IT-Bereichs, weil dadurch technische Sicherheit und Entlastung gewährleistet werden können.
Chammon: Wir müssen bei uns mehr Geld haben, um Hardware und Software einkaufen zu können. Der Wille unter den Pädagoginnen und Pädagogen ist da.
Was würden Sie Kolleginnen und Kollegen raten, die bisher keine digitalen Medien im Unterricht einsetzen, sich jedoch dafür interessieren?
Leinstein: Ich rate grundsätzlich dazu, sich zu trauen, digitale Medien auszuprobieren, denn über Sinn und Unsinn derselben kann sich nur eine Meinung bilden, wer damit gearbeitet hat. Persönlich schätze ich die große Veränderbarkeit und Anpassbarkeit digitaler Medien, da so nicht nur eine konstante Evaluation des eigenen Unterrichts, sondern auch eine Evolution desselben möglich ist. Im Moment existiert noch keine Software, die Schülerinnen und Schüler mithilfe von statistischen Berechnungen auf ihrem individuellen Lernweg begleitet – hier sehe ich die Universitäten, aber auch staatliche Stellen in der Pflicht.
Jauch: Die Blog-Landschaft bietet sehr viele Erfahrungen, Tipps und Tricks zu vielen digitalen Tools, Materialien und methodisch-didaktischen Einsatzszenarios. Eine gute Idee ist es zudem, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schüler bestimmte Tools zu erproben und auch ihre Vorschläge aufzugreifen.
Chammon: Man muss nicht alles wissen – die Kinder sind die Expertinnen bzw. Experten. Nutzen Sie das! Als Lehrkraft muss man die pädagogischen, fachlichen und didaktischen Ziele setzen, die Schülerinnen und Schülern sollen die Aufgaben lösen. Wir müssen als Schule aufpassen, nicht eine "Parallel-Welt" zu sein, in der die Lernenden ihren Alltag und deren Medien nicht wiedererkennen können.
Schulz: Lernen. Ausprobieren. Repeat. Informieren: Berichte auf der Werkstatt-Seite lesen und Blogs von Lehrerinnen und Lehrern verfolgen. Austauschen: Am #edchatde auf Twitter teilnehmen. Schule, die an die Lebenswirklichkeit von Schülerinnen und Schüler anknüpfen möchte, darf sich nicht vor dem Digitalen verschließen.
Über welche Hardware sollte eine Schule im digitalen Zeitalter mindestens verfügen?
Chammon: Laptop, Handy mit Kamera und Internetzugang.
Jauch: Ganz wichtig ist WLAN, am besten im gesamten Schulgebäude, in Verbindung mit einer brauchbaren Internetverbindung der Schule. Beamer mit Streaming-Boxen gehören ebenso in eine moderne Schule, um schnell und ohne Hürden jedem den Zugriff auf ein Demonstrations- und Präsentationstool zu ermöglichen. Praktisch ist es, wenn es ein bis zwei Klassensätze Tablet-PCs gibt, um in spezifischen Phasen "vollwertige" digitale Werkzeuge einsetzen und um soziale Differenzen in der Geräteausstattung der Schülerinnen und Schüler ausgleichen zu können.
Leinstein: Dokumentenkameras statt der überkommenen Overheadprojektoren sind Grundvoraussetzung, da nur sie ein schülergerechtes Arbeiten mit klaren Bildern und guter Lesbarkeit ermöglichen.
Schulz: Der Stift bleibt wichtig. Die Funktionalität des Mediums für den Inhalt des Unterricht muss im Vordergrund stehen.
Worauf kommt es beim Einsatz von digitalen Medien im Unterricht aus Ihrer Sicht besonders an?
Chammon: Mut!
Jauch: Pädagogik! Nicht der Einsatz von Technik ist das Ziel, sondern die Unterstützung individueller selbstbestimmter Lernwege.
Leinstein: Digitale Medien aller Art müssen als Werkzeuge verstanden werden, die möglichst intuitiv bedienbar und vielseitig und unkompliziert im Unterrichtsalltag einsetzbar sind – sie dürfen sich also nicht selbst in den Vordergrund drängen.
Schulz: Unbedingt notwendig ist ein stärkerer Fokus auf das Erlernen von Programmiersprachen in der schulischen Bildung.
Brauchen wir in Bezug auf technische Neuerungen und den Einsatz digitaler Medien im Schulalltag eine digitale Didaktik?
Jauch: Generell mangelt es in Deutschland nicht an Didaktik und Modellen. Vielmehr gibt es nahezu keinen Transfer zwischen Universitäten und Schulen, bei dem Neuerungen, begleitend und mit Ressourcen ausgestattet, ihren Eingang in den Schulalltag finden.
Leinstein: Eine strukturierte und zielorientierte Didaktik muss das Große und Ganze im Blick haben, nicht nur die Details. Somit benötigen wir dringend eine digitale Didaktik, die darüber reflektiert, inwiefern digitale Medien und Geräte beim tatsächlichen Bildungserwerb dienlich sein können.
Chammon: Ja klar – wir müssen für uns als Pädagoginnen und Pädagogen überlegen, wann, wie und warum wir die neuen Medien einsetzen.
Was sind aus Ihrer Sicht die Trends der digitalen Bildung 2015 und warum?
Jauch: Vielversprechend scheinen mir Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Angebote zu sein, die zunehmend plattformübergreifend und für immer mehr Themenspektren zur Verfügung stehen. Damit verbinden sich zunehmend (Lern-)Raum, Zeit und Ort.
Leinstein: Es müssen Geräte und digitale Produkte entwickelt werden, die den Anforderungen von eigenständiger Erarbeitung von Bildung auch gerecht werden können. Der Trend wird also weg vom Fokus auf die Technik und hin zum Bildungsbedürfnis des individuellen Menschen führen.
Schulz: Nur praxisorientierte Didaktiken, die die Vorteile digitaler Bildung mit konventionellen Konzepten wie Kompetenz- und Problemorientierung verbinden, können skeptische Lehrkräfte überzeugen und so digitale Bildung zum schulischen Mainstream werden lassen.
Und wenn es technisch, institutionell und strukturell in der Schule keine Grenzen gäbe: Wie sähe dann der Unterricht der Zukunft aus?
Chammon: Nicht eins zu eins, also ein Kind arbeitet nicht die ganze Zeit mit einem Tablet bzw. Laptop. Zusammenarbeit und Kommunikation sollen in der Schule eine sehr große Rolle spielen!
Jauch: Um individuelles Lernen zu ermöglichen, braucht es Treffpunkte für alle, aber auch genügend Rückzugsräume, um in Ruhe an eigenen Projekten zu arbeiten. Fächer sollten verbindend, einander ergänzend und projektorientiert angeboten werden. Die Rolle der Lehrenden verschiebt sich von Belehrenden zu Beratenden. Meine Schule wäre somit eine vorbereitete Lernumgebung, die zum Entdecken einlädt und keine reine Verwaltungsinstitution.
Leinstein: Schülerinnen und Schüler hätten ein qualitativ hochwertiges und robustes digitales Notizbuch mit zwei e-Paper-Farbbildschirmen, einer guten Stifteingabe und einer leistungsfähigen Handschriftenerkennung. Eine Vernetzung mit WLAN ist nicht notwendig, sondern geschieht entweder durch in die Tische integriertes NFC (Near Field Communication) oder Bluetooth. Die Lehrperson bleibt im Zentrum des Unterrichts und im direkten menschlichen Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern.
Schulz: Der Unterricht ist vernetzt – virtuell und real. Kooperationen mit außerschulischen Lernorten sowie internationalen Projekten werden virtuell vorbereitet und fördern so den Austausch unter Lernenden und Lehrenden.
Vielen Dank für Ihre Antworten!
Das Interview ist eine Zusammenfassung von vier ausführlichen Einzelinterviews. Zu den Einzelinterviews gelangen Sie hier:
(1) Externer Link: Ausführliches Interview mit Jacob Chammon Chammon ist Schulleiter der deutsch-skandinavischen Gemeinschaftsschule in Berlin. Er hat u.a. Unterrichtsmaterialien für das interaktive Whiteboard entwickelt.
(2) Externer Link: Ausführliches Interview mit Steffen Jauch Jauch ist Lehrer an einer Oberschule in Leipzig. Er hat u.a. als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Tabletklassen-Projekt gearbeitet.
(3) Externer Link: Ausführliches Interview mit Richard Leinstein Leinstein ist Deutsch- und Englischlehrer sowie IT-Koordinator an einer Schule in Ansbach. Er war u.a. an der Konzeption und Programmierung einer Blended-Learning-Plattform beteiligt.
(4) Externer Link: Ausführliches Interview mit Regina Schulz Schulz ist Englisch- und Geschichtslehrerin in Hamburg. Sie konzipierte bereits interaktive Unterrichtsmaterialien und setzte sich für die Einführung von Tablets im Lehrerkollegium ein.