Worum geht es?
Online-Plattformen wie soziale Netzwerke spielen heute eine wichtige Rolle für unsere Kommunikation. Auch unsere Beteiligung am gesellschaftlichen Leben und an politischen Prozessen spielt sich zunehmend digital ab.
Die Bandbreite reicht von kleinen Erledigungen mithilfe von Behörden-Internetseiten bis hin zu den "großen" Anliegen für Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie: Wir informieren uns online über politische Themen und beteiligen uns selbst online am politischen Diskurs. Zum Beispiel, indem wir den Wahl-O-Mat nutzen, um uns über die Positionen der Parteien zu informieren, und anschließend das Ergebnis in sozialen Netzwerken teilen. Und wenn uns etwas wichtig ist oder aufregt, dann teilen viele dies ebenfalls dort.
Es gibt mittlerweile viele Beispiele dafür, wie politisches Engagement mithilfe "des Netzes" etwas bewegt hat. So wäre etwa die Entwicklung der Bewegung Fridays for Future ohne digitale Plattformen kaum denkbar gewesen. Am Anfang stand die Protestaktion einer einzelnen schwedischen Schülerin, Greta Thunberg. Innerhalb von wenigen Monaten inspirierte sie eine weltweite Jugendbewegung, die allein in Deutschland Demonstrationen mit mehreren hunderttausend Teilnehmenden organisiert hat.
Wer sich vor dem Zeitalter des Internets mit Gleichgesinnten in anderen Ländern vernetzen wollte, musste entweder lange auf die Post warten oder viel Geld für Ferngespräche bezahlen. Wer eine Demonstration organisieren wollte, musste Plakate und Flugblätter drucken lassen. Und wer darüber hinaus der Welt die eigene Meinung mitteilen wollte, musste zuerst einen Verlag oder Sender auf sich aufmerksam machen oder in eine Partei eintreten, die die eigenen Interessen und Überzeugungen am besten vertreten hat.
Heute hat praktisch jeder junge Mensch in Deutschland die Technik in der Hosentasche, um ein Video an ein großes Publikum zu senden. Das Internet und insbesondere Mobilgeräte wie Smartphones haben das Senden, Empfangen, Speichern und Abrufen von Informationen sowie den Austausch mit anderen Menschen schneller und einfacher gemacht.
Darum wurden und werden mit dem Internet auch Hoffnungen für die Demokratie verbunden. Die digitale Vernetzung kann dazu beitragen, das Engagement bei politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen zu steigern, heißt es im 7. Zwischenbericht der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags von 2013.
Wenn heute vom Zusammenhang zwischen Politik und Online-Kommunikation die Rede ist, stehen jedoch oft Probleme im Vordergrund. So gibt es zwar vielfältige Möglichkeiten, sich mittels sozialer Netzwerke in öffentliche Debatten einzubringen. Doch das Engagement in Online-Diskussionen birgt Risiken. Wer sich offen zu kontroversen Fragen äußert, riskiert, angegriffen zu werden. Hassrede und "Shitstorms" sind verbreitete Probleme.
Außerdem können längst nicht alle Menschen gleichermaßen an der Gesellschaft teilhaben, nur weil sie über einen Zugang zum Internet verfügen. Es gibt eine sogenannte digitale Kluft oder digitale Spaltung in der Gesellschaft (engl. "digital gap" oder "digital divide"). Während viele Menschen die Möglichkeiten des Netzes kompetent nutzen, sind große Gruppen benachteiligt. Dabei werden Ungleichheiten in der Gesellschaft im Netz reproduziert. Ältere Menschen sowie Menschen mit niedrigem Einkommen und geringerer Bildung haben die schlechtere Ausgangsposition.
Warum ist "digitale Teilhabe" wichtig?
Fasst man den Begriff Teilhabe weit, gehört dazu der allgemeine Zugang zum öffentlichen Leben. Partizipation im engeren Sinne bezeichnet die aktive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an den gemeinsamen Angelegenheiten, insbesondere am Prozess der politischen Willensbildung. Partizipation bzw. Teilhabe ist ein grundlegendes Element der Demokratie.
Bereits bei alltäglichen Anliegen spielt sich vieles zunehmend digital ab. Termine beim Bürgeramt buchen, Zugtickets kaufen – die Beispiele sind zahllos. Zugang zum Internet sowie die Fähigkeiten, sich im Netz zurecht zu finden, gelten mittlerweile als Grundvoraussetzungen, um am gesellschaftlichen Leben in Deutschland teilzuhaben.
Auch für die politische Partizipation spielt das Internet eine entscheidende Rolle, schon allein deshalb, weil digitale Plattformen für einen großen Teil der Bürger/-innen die wichtigsten Informations- und Kommunikationsmedien darstellen (siehe auch Hintergrundtext: Interner Link: Meinungsbildung).
Dass die politische Partizipation nicht perfekt funktioniert, ist eine Dauerbaustelle der Demokratie. So wird Deutschland unter anderem seit langem über die sogenannte Politikverdrossenheit diskutiert, etwa angesichts dessen, dass die Mitgliedszahlen der Parteien abnehmen. Auch bei Wahlen sank die Beteiligung lange Zeit, wobei sich seit der Bundestagswahl 2013 ein Aufwärtstrend beobachten lässt. Nur rund drei Viertel der Wahlberechtigten gaben bei der Bundestagswahl 2017 ihre Stimme ab. Bei Kommunalwahlen, Europawahlen und Landtagswahlen sind es oft nur rund die Hälfte.
Dennoch möchten viele Menschen stärker an politischen Entscheidungen beteiligt werden und finden, dass das Internet die Demokratie stärken kann – darauf verweist unter anderem die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. Politikverdrossenheit entstünde demnach unter anderem durch wenig Transparenz und fehlenden Dialog. Das Internet böte neben neuen Möglichkeiten der Information und Kommunikation auch neue Möglichkeiten der direkten Einflussnahme.
Wie funktioniert politische Partizipation in der "digitalen Welt"?
Das Spektrum der digitalen Partizipation ist groß. Dazu zählen unter anderem folgende Formen (Beispiele siehe nachfolgender Abschnitt):
Teilnahme an Online-Abstimmungen oder -Wahlen,
Beteiligung an Bürgerhaushalten über Internet-Plattformen,
Teilnahme an digitalen Beteiligungsverfahren und Bürgeranhörungen,
Online-Petitionen unterzeichnen oder erstellen,
politische Beiträge verfassen, zum Beispiel in sozialen Netzwerken oder Blogs,
Teilnahme an politischen Gruppen in sozialen Netzwerken,
Politiker/-innen kontaktieren.
(Nach: Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft, Externer Link: Partizipationsstudie 2014).
Wenn von "digitaler Partizipation" die Rede ist, liegt manchmal der Schwerpunkt auf neuen (technischen) Möglichkeiten der Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen, zum Beispiel mithilfe von speziellen Online-Plattformen oder digitalen Abstimmungs- und Wahlverfahren.
Der Großteil der Entscheidungsfindungsprozesse in Deutschland ist bislang jedoch unverändert geblieben. Die Arbeit der Legislative hat sich durch digitale Technologien nicht grundlegend verändert.
Allerdings haben sich die Strukturen von Öffentlichkeit durch die Möglichkeiten digitaler Kommunikation gewandelt. Dadurch ergeben sich große Veränderungen bei der Arbeit der Akteure im politischen System. Bürgerinnen und Bürger können sich in ganz neuem Ausmaß politisch informieren und einbringen. Die Technologie erlaubt eine umfassende Vernetzung und den Austausch einer Vielzahl von Menschen untereinander.
Veränderungen der öffentlichen Kommunikation
Kern der Veränderungen der Öffentlichkeit durch digitale Plattformen ist die Veränderung der Rollen. Die Plattformen ermöglichen die sogenannte Many-to-many-Kommunikation, das heißt, den horizontalen Austausch vieler Menschen untereinander. Bei sozialen Netzwerken wird ein großer Teil der Inhalte von den Nutzern/-innen selbst erstellt. Außerdem interagieren Nutzer/-innen mit den Beiträgen anderer und beeinflussen unmittelbar, welche Inhalte sichtbar werden und eine große Reichweite bekommen. (siehe auch Hintergrundtext: Interner Link: Meinungsbildung).
Herstellung von Öffentlichkeit
Mit der Verbreitung des Internets, spätestens aber durch Blogs und soziale Netzwerke sind die Hürden sehr viel niedriger geworden, eigene Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen. (Fast) jeder und jede kann sich an der öffentlichen Debatte beteiligen.
Ob eine Äußerung auch ein Publikum findet, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Jedoch ist es heute in westlichen Demokratien grundsätzlich jeder und jedem möglich, eine Art Sender zu betreiben (siehe auch Hintergrundtext: Interner Link: Meinungsbildung). Prominentes Beispiel ist der YouTuber Rezo, der vor der Europawahl 2019 das Video "Die Zerstörung der CDU" veröffentlichte und damit eine enorme Reichweite erzielte – vor allem bei jungen Zuschauern/-innen.
Organisation und Mobilisierung
Digitale Plattformen und Kommunikationsformen spielen auch eine wichtige Rolle für die Organisation von Protesten und Bewegungen. Damit tragen sie dazu bei, den jeweiligen Anliegen Gehör zu verschaffen. Neben den Fridays for Future gibt es dafür mittlerweile viele weitere Beispiele, so etwa die Anti-Rassismus-Bewegung Black Lives Matter.
Immer wieder wird auch der sogenannte Interner Link: Arabische Frühling im Jahr 2011 als Beispiel genannt für die Mobilisierung über die Netzwerke Facebook und Twitter.
Andere Beispiele, wie etwa die Hashtags #aufschrei oder #metoo, zeigen, dass Diskussionen im digitalen Raum angestoßen werden können, die dann gesellschaftliche Auseinandersetzungen in der "realen" Welt nach sich ziehen. Unter den Stichworten #aufschrei und #metoo veröffentlichten Menschen ihre persönlichen Erlebnisse zu sexuellen Übergriffen. Auch punktuelle Aufrufe zu aktuellen Ereignissen können politische Debatten nach sich ziehen, so etwa die unter dem Hashtag #JeSuisCharlie veröffentlichten Solidaritätsbekundungen nach dem islamistischen Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo im Januar 2015.
Formate der Online-Beteiligung: Beispiele
Online-Abstimmungen und -Wahlen
Digitale Wahlen zum Bundestag oder Länder- und Kommunalparlamenten sind in Deutschland bisher nicht möglich, und sie werden überwiegend skeptisch bewertet. In anderen Bereichen gibt es dagegen bereits viele Beispiele für Online-Abstimmungen. Unter anderem können Vereine Versammlungen online abhalten. Während der Corona-Pandemie führte 2021 erstmalig auch eine Partei, die CDU, einen Online-Parteitag einschließlich einer Vorstandswahl durch.
Vor einigen Jahren gab es zeitweise mehr Aufmerksamkeit für digital gestützte Abstimmungsverfahren. Die Piratenpartei, die ab 2011 in mehrere Landesparlamente einzog, experimentierte mit dem Konzept der "Liquid Democracy". Der Begriff steht für eine Mischung aus direkter und indirekter Demokratie. Die Teilnehmenden entscheiden, ob sie selbst abstimmen oder ihr Stimmrecht bei bestimmten Entscheidungen an andere übertragen. Praktisch umsetzbar wird ein solches "liquides" System durch Software.
Bürgerhaushalte
Ein Bürgerhaushalt ist ein spezielles Instrument der Bürgerbeteiligung, das in der Regel mithilfe von Online-Plattformen durchgeführt wird. Städte und Gemeinden befragen dabei ihre Einwohner/-innen dazu, wie öffentliche Gelder verwendet werden sollen. Typischerweise dürfen Bürger/-innen Vorschläge machen und bewerten, aber nicht entscheiden. Manchmal geht es um den gesamten Haushalt der Kommune, oft aber auch um eigens eingereichte Budgets. Ein Beispiel sind die sogenannten Kiezfonds in Berlin, z.B. im Externer Link: Bezirk Lichtenberg. Eine Liste mit Bürgerhaushalten in Deutschland findet sich auf Externer Link: www.buergerhaushalt.org.
Abbildung: Online-Plattform des Bürgerhaushalts Lichtenberg, eines Bezirks von Berlin.
Digitalen Beteiligungsverfahren und Bürgeranhörungen
Digitale Plattformen werden oft genutzt, um sogenannte Beteiligungs- oder Anhörungsverfahren durchzuführen. Typisch sind solche Verfahren bei großen Bauprojekten oder bei Projekten der Stadt- oder Regionalentwicklung. Oft werden bestimmte Fragen zur Diskussion gestellt. Die Teilnehmenden können Stellungnahmen abgeben und teilweise online gemeinsam beraten bzw. zusammenarbeiten.
In manchen Bereichen, zum Beispiel bei bestimmten Bauvorhaben, ist eine sogenannte Öffentlichkeitsbeteiligung vorgeschrieben. Sie kann sehr unterschiedliche Formen annehmen – ein digitales Verfahren ist dabei nur eine unter vielen Möglichkeiten. Die Ergebnisse müssen von den politischen Entscheidungstragenden zwar abgewartet und berücksichtigt werden, sie sind jedoch in der Regel nicht bindend.
Online-Petitionen
In sozialen Netzwerken kursieren häufig Aufrufe, sich Petitionen anzuschließen. Auf Plattformen wie change.org, openPetition oder Avaaz können Menschen ihre Unterstützung für dort formulierte Positionen und Forderungen zum Ausdruck bringen – oder selbst einen solchen Aufruf starten.
Eine Petition ist eine Beschwerde oder Bitte. Typischerweise richten sie sich an politische Akteure, aber auch an Unternehmen oder Institutionen wie die Kirchen.
Petitionen sind im Grunde Unterschriftensammlungen. Sie finden teilweise Millionen Unterzeichnende – auch, weil die Petitionsplattformen darauf ausgerichtet sind, eine möglichst große Verbreitung in sozialen Netzwerken zu erreichen.
Einen bindenden Charakter haben Online-Petitionen jedoch nicht. Viele gleichen eher einem offenen Brief. Sie sind ein wichtiges Mittel der öffentlichen Mobilisierung von Nichtregierungsorganisationen wie etwa Campact.
In Deutschland ist es allerdings auch möglich, digitale Petitionen an den Petitionsausschuss des Bundestags beziehungsweise an die Landtage zu richten.
Politische Beiträge und politische Gruppen in sozialen Netzwerken oder Blogs
So selbstverständlich wie andere Themen werden in sozialen Netzwerken auch gesellschaftlich relevante Fragen thematisiert. Alle dort üblichen Formen von Äußerungen gibt es auch zu politischen Themen. Das Spektrum reicht von "Likes" oder spontanen Kommentaren in populären Plattformen wie Facebook über Fragen und Ergänzungen bis hin zu ausgefeilten Vorschlägen und detaillierten Diskussionen, zum Beispiel in Blogs, Foren oder Communities.
Politische Beiträge auf digitalen Plattformen schließen Formen ein, die für die jeweilige Plattform typisch sind. Dazu gehören Selfies, kurze Videostatements, Memes, GIFs oder "Share Pics".
In sozialen Netzwerken und anderen Plattformen stehen die Äußerungen verschiedener Akteure oft gleichberechtigt nebeneinander. Die Beiträge von Medien, Amtsträgern/-innen oder Prominenten vermischen sich mit denen der "ganz normalen" Nutzer/-innen (siehe Text Interner Link: Meinungsbildung).
Politiker/-innen kontaktieren
Viele Politiker/-innen nutzen gezielt Möglichkeiten der Online-Kommunikation für den Austausch mit Bürgern/-innen. Einige sind in sozialen Netzwerken präsent und nutzen diese nicht nur zum Versenden von Positionen oder Infos, sie zeigen sich ausdrücklich auch offen für den Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern.
Zu den bekannteren Politikern/-innen, die bei Twitter eine große Followerzahl haben, gehören unter anderem der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, der CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, aber auch der Vorsitzende der Satirepartei Die Partei Martin Sonneborn.
Welche Grenzen und Probleme hat digitale Partizipation?
Während die beschriebenen digitalen Formate das Potenzial haben, die Teilhabe am öffentlichen Leben und die Partizipation an politischen Prozessen zu erleichtern, gibt es offensichtliche Grenzen sowie Kritik. Teilweise werfen digitale Formate der politischen Beteiligung ebenfalls Fragen der Teilhabe auf.
(Wie) wirkt digitales Engagement?
Oft wird diskutiert, was Nutzer/-innen von digitalen Plattformen bewirken können, wenn sie sich dort politisch äußern. Die Beteiligung per "Klick", zum Beispiel an Petitionen, wird gelegentlich kritisch als "Klicktivismus" bezeichnet. Manche Formen senken zwar die Schwelle für die Beteiligung, doch Auswirkungen auf das reale politische Geschehen bleiben oft aus, so die Kritik. Bei aller Reichweite, die Aktionen durch Online-Diskussionen erzielen konnten, führe erst der klassische Protest auf der Straße oder die Berichterstattung in klassischen Massenmedien zu nennenswerter Aufmerksamkeit, insbesondere bei der Politik.
Demnach konnte das Video des YouTubers Rezo nur deshalb Wirkung entfalten, weil klassische Medien und Politiker-/innen es aufgriffen, darüber berichteten und diskutierten.
Einige Beteiligungsformen sind besonders leicht zugänglich, während ihre Wirkung gleichzeitig eingeschränkt sein dürfte: Dazu zählen etwa das Verbreiten eines Hashtags oder das Ändern des Profilbilds in einem sozialen Netzwerk. Dennoch tragen diese Handlungen zu einer Identifikation mit politischen Positionen bei und können als Selbstvergewisserung und Zugehörigkeits- oder Solidaritätsbekundung wichtige Elemente politischer Willensbildung sein.
Wie sind die Bedingungen für Erfolg?
Politisches Engagement im Netz ist nicht leicht zu bewerkstelligen. Zwar gibt es Ausnahmen; aber in der Regel ist ein großer Aufwand nötig, um sich nachhaltig Gehör zu verschaffen.
Auch hierfür ist das Rezo-Video ein interessantes Beispiel: Zwar wirkt dessen große Reichweite aus Sicht vieler etablierter Akteure der Politik überraschend. Doch Rezo zählt seit einigen Jahren zu den bekanntesten deutschen YouTubern und erreicht ein großes Publikum. Er ist Medienprofi und arbeitet mit Agenturen zusammen, die sich auf das Marketing von sogenannten Influencern/-innen spezialisiert haben.
Für "ganz normale" Nutzer/-innen ist es zwar theoretisch denkbar, ebenfalls große Reichweiten zu erzielen, doch es ist sehr unwahrscheinlich. Äußerungen auf Plattformen wie Facebook, Twitter oder YouTube sind den dort herrschenden Regeln und Mechanismen unterworfen. Die Plattformen bevorzugen systematisch Inhalte, die besonders viel Aufmerksamkeit erzielen. Professionell produzierte Beiträge haben dabei einen Interner Link: Vorteil.
Wer hat Chancen auf "digitale Teilhabe"?
Die Chancen auf Partizipation mithilfe von digitalen Mitteln sind ungleich verteilt. Zu den Voraussetzungen für eine effektive Teilhabe zählt zum einen der technische Zugang, das heißt, der Zugang zu Endgeräten wie Smartphone oder Computer und zum Internet. Zum anderen setzt eine effektive Teilhabe an politischen Prozessen einen kompetenten Umgang mit digitalen Medien voraus.
Der sozio-ökonomische Hintergrund, aber auch Faktoren wie Geschlecht oder Alter, haben enormen Einfluss darauf, wie Menschen das Internet nutzen. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass sich bestehende Ungleichheiten im Digitalen fortschreiben.
Es besteht die Gefahr, dass das Internet den Zugang zu politischer Partizipation gerade für die Teile der Bevölkerung erleichtert, die sowieso schon Zugang hatten, während andere trotz neuer Möglichkeiten ausgeschlossen bleiben. So sind zum Beispiel Menschen mit bestimmten Behinderungen von manchen digitalen Angeboten ausgeschlossen, sofern diese nicht barrierefrei gestaltet sind. Beispiele dafür sind Stories oder Postings auf Instagram ohne Untertitel bzw. Bildbeschreibung/Alternativtext, die für Sehgeschädigte nicht zugänglich sind, aber auch fehlende Internetzugänge in Wohneinrichtungen. Der Begriff "Disability divide" beschreibt Benachteiligungen im Zugang zum Internet für Menschen mit Behinderungen.
Risiko der Beeinflussung
Insbesondere Möglichkeiten zur direkten und öffentlichen Kommunikation werfen ein Dilemma auf: Einerseits verlieren sogenannte Gatekeeper an Bedeutung, die Vielfalt der Meinungen tendenziell größer. Andererseits finden auch Lügen, Desinformation und Hassbotschaften häufig ungefiltert ihren Weg in die Öffentlichkeit. Die neuen Möglichkeiten der Mobilisierung kann auch von Gruppen genutzt werden, die gegen Recht und Gesetz verstoßen.
Was bedeutet "digitale Partizipation" für Jugendliche?
Vor wenigen Jahren war die sogenannte Politikverdrossenheit Jugendlicher ein großes Thema. Protestbewegungen wie Fridays For Future haben einer breiten Öffentlichkeit verdeutlicht, dass dieser Begriff nicht pauschal zutrifft. Jugendstudien bestätigen dies regelmäßig. Die Realität ist viel differenzierter.
Zwar gibt der größere Teil der Jugendlichen an, nicht politisch interessiert zu sein, so die Shell-Studie 2019. Und eine große Mehrheit ist demnach unzufrieden mit "den Politikern". Doch gleichzeitig stimmen 84 Prozent zu, dass junge Leute in der Politik mehr zu sagen haben sollten. Laut der Studie haben Jugendliche einen scharfen Blick für gesellschaftliche Missstände, prangern diese an und fordern Veränderungen. Sie wollen ernst genommen werden und an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken. Die Erfahrungen während der Corona-Pandemie haben dieses Bedürfnis bei vielen noch verstärkt.
Fachleute weisen darauf hin, dass gerade für junge Menschen die klassischen Möglichkeiten der politischen Partizipation nicht ideal sind, wie das Engagement in Verbänden, Organisationen und Parteien.
Digitale Medien bieten dagegen die Chance, Beteiligung niedrigschwelliger zu machen. Denn sie sind selbstverständlicher Bestandteil des Lebens junger Menschen und bilden einen "vertrauten Raum". Digitale Medien können die Formen der Beteiligung außerdem erweitern.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass Jugendliche selbst mithilfe digitaler Medien aktiv werden und sich organisieren können. Die Möglichkeiten digitaler politischer Partizipation und deren Nutzung bedingen sich dabei quasi wechselseitig: Jugendliche beteiligen sich, weil es digital möglich ist, aber diese Möglichkeiten werden ihnen nicht nur "vorgesetzt". Sie entwickeln sie selbst und wirken damit nicht nur im politischen Prozess mit, sondern auch auf ihn ein.
Allerdings ist "digitale Partizipation" kein Selbstläufer, auch wenn fast alle Jugendlichen eine hohe Affinität zu digitalen Medien haben. Und nicht jedes Format spricht alle gleichermaßen an. Die Möglichkeiten müssen vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Bedürfnisse und Lebensumstände betrachtet werden.
Ziel politischer Bildung kann es sein, diese Möglichkeiten aufzuzeigen, einzuordnen und junge Menschen mit der Medienkompetenz auszustatten, die nötig ist, um mündig am digitalen politischen Prozess teilnehmen zu können.