Jüngst habe ich einer Seminargruppe folgenden Auftrag gestellt: Die 15 Teilnehmenden sollten sich mit der Geschichte der DDR auseinandersetzen und die eigene Biografie mit Hilfe der Software Externer Link: TimelineJS neben einen
Nach einer kurzen Einführung hatten die meisten Teilnehmenden schnell verstanden, wie die vorliegende Tabelle am Computer auszufüllen ist. Zwar waren nicht alle in der Lage, die Daten in den Laptop einzutragen, aber es gab in jeder Gruppe hilfsbereite Kolleg*innen. Die Untergruppen arbeiteten nahezu eigenständig. Nur zu Beginn musste ich einmal durch alle Gruppen gehen, um die Aufgabenstellung zu präzisieren und in dem ein oder anderen Fall den Umgang mit dem Laptop und der Tabelle erklären. Die Teilnehmenden halfen sich untereinander bei Fragen. Je länger die Untergruppen miteinander lernten, umso besser waren sie aufeinander eingespielt und kannten ihre Stärken und Schwächen.
Auf die Aufgabenstellung, das nahm ich am Ende aus der Übung mit, kommt es an: Der Abgleich der persönlichen Biografie mit der Chronik der DDR-Geschichte hat in der Reflexion aufzeigen können, wo politische Entscheidungen und das eigene Leben voneinander beeinflusst werden.
Eine gemeinsame Zeitleiste zu erstellen, stellte viele Teilnehmende vor eine zunächst fast unlösbar scheinende Aufgabe. Da in jeder Gruppe unterschiedliche Stärken und Fähigkeiten zusammenkamen, konnten auch technisch weniger versierte Teilnehmende eine aktive Rolle bei der Erstellung der Biografien einnehmen, statt nur auf die Teilnehmenden zu verweisen, die gut genug mit dem Computer umgehen konnten.
Wie dieses Beispiel zeigt, sind digitale Medien nicht nur ein Thema für Jugendliche, sondern auch für erwachsene Zielgruppen der politischen Bildung. Welche Voraussetzungen dabei beachtet werden sollten und wie politische Bildung und digitale Medien in der Erwachsenenbildung verknüpft werden können, soll im Folgenden diskutiert werden.
Wie lernen Erwachsene?
Erwachsene haben in den letzten zwanzig Jahren im Umgang mit Technik und digitalen Netzen die Meta-Kompetenz "Lernen lernen" erworben. Die Beschaffung von Informationen ist eine notwendige Voraussetzung, um zu lernen. In Zeiten, wo das Digitale allgegenwärtig ist, nutzen die einen Bildungs-Apps, die anderen wiederum soziale Netzwerke oder Kommunikationsplattformen wie WhatsApp, um sich mit Informationen zu versorgen. Wir alle haben unterschiedliche Strategien entwickelt, um an die Informationen zu gelangen, die nötig sind, um die an uns gestellten Aufgaben zu lösen. Sei es die Reparatur der Fahrradgangschaltung, bei der ein YouTube-Tutorial hilft, oder die Auseinandersetzung mit der Rolle der Online-Plattformen im Daten-Kapitalismus auf Nachrichtenwebsites.
Graham Attwell nennt das die Externer Link: "Personal Learning Environment" (engl. Persönliche Lernumgebung, kurz: PLE). Damit sind die spezifischen (analogen und digitalen) Lernräume und -medien gemeint, in denen Menschen gelernt haben zu lernen. Lernen bleibt in diesem Verständnis biografisch erlernt und verankert, allerdings geht das Konzept der PLE davon aus, dass Lernen heute fast immer technisch vermittelt geschieht, der Lernprozess also von Technik unterstützt wird. Sei es, dass wir ein Erklärvideo anschauen, mit Hilfe einer Suchmaschine nach Informationen recherchieren oder bei einem Podcast anderen Menschen beim Denken zuhören. Wiederum andere nutzen Notizen-Apps, um ihre eigene Wissensdatenbank aufzubauen.
Lernen geschieht vor allen Dingen per Trial-and-Error: Was funktioniert, wird als erlernt abgespeichert. Oft gibt es nicht den einen richtigen Lösungsweg und häufig gibt es auch mehr als eine richtige Lösung. Erlerntes Wissen wird meist nur einmal in dieser speziellen Form benötigt. Deshalb verliert das Speichern von Wissen an Bedeutung zugunsten der Kompetenz, ständig neue und andere Informationen zu Wissen zu konstruieren und dieses Wissen anzuwenden. Die Personal Learning Environment als individueller Lernrahmen lässt sich daher als eine Antwort auf die Anforderungen lebenslangen Lernens verstehen. Sie entsteht in nicht formalisierten Lernsettings und weist viele verschiedene Formen des Wissenserwerbs auf.
Da alle Teilnehmenden ihre individuellen Personal Learning Environments mitbringen, muss auch die politische Bildung mit diesen unterschiedlichen Voraussetzungen im Seminar umgehen. Würde sie die reine Wissensvermittlung in den Vordergrund schieben, würde sie den PLEs ihrer Teilnehmenden nicht gerecht werden. Stellt sie stattdessen den Kompetenzerwerb in den Vordergrund und gibt Raum, Kompetenzen für die Wissenskonstruktion und -anwendung innerhalb der Gruppe auf die jeweilige individuelle Weise zu erlernen oder zu vertiefen, können die vorhandenen, persönlich erlernten Lernstrategien angewandt werden.
Die Rolle der politischen Bildung beim Lernen in digitalen Zeiten
Wenn der Seminarraum die Lebenswelt der Erwachsenen erweitern will, muss er die Strategien, die sie zum Lernen benutzen, anerkennen und unterstützen. Da jeder Mensch seine eigenen Lernstrategien entwickelt hat und Informationserwerb und -konstruktion zunehmend durch digitale Medien vermittelt werden, ist es unerlässlich, auch im Seminarraum digitale "Kulturzugangsgeräte"
Politische Bildungsangebote, die digitale Medien als ein Werkzeug der Erkenntnisgewinnung in die Bildungsangebote miteinbeziehen, können damit auch wieder für Menschen anschlussfähig werden, die in der politischen Bildung nur die Auseinandersetzung mit dem politischen Apparat selbst sehen. Auch um beruflich relevante Bildungsaspekte mit aufzugreifen, ist die Integration digitaler Medien in die Lernprozesse politischer Bildung ein guter Weg.
Das oben beschriebene Beispiel zeigt auf, wie explorative Projekte im Seminarraum Selbstlernprozesse anregen können. Zum einen schaffen sie Raum für eine individuelle Aufgabenverteilung und damit für die eigenen schon erworbenen Kompetenzen. Zum anderen bleibt das Coaching durch die Seminarleitung immer möglich, etwa wenn die Gruppe nicht weiterkommt. Die so erworbenen Kompetenzen lassen sich sowohl auf die beruflichen Kontexte in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt als auch auf die politischen Herausforderungen anwenden.
In meiner Arbeit als Seminarleiter habe ich die Erfahrung gemacht, dass es für die Teilnehmenden über die letzten zwei Jahrzehnte zunehmend einfacher geworden ist, sich technische Kompetenzen anzueignen und dies mit einer Auseinandersetzung mit dem Politischen zu vereinbaren. Anfang des Jahrtausends haben die Teilnehmenden in der Seminarreflexion häufig mehr Zeit am Computer eingefordert, um technische Kompetenzen zu erwerben. Dabei kam die politische Dimension häufig etwas zu kurz. Solche Forderungen höre ich seit einigen Jahren nicht mehr. Das hängt auf der einen Seite mit dem Lernprozess der politischen Bildner und Bildnerinnen beim Einsatz digitaler Medien im Seminar zusammen, auf der anderen Seite mit den digitalen Möglichkeiten, die nun die Option eröffnen, das Internet nicht nur als Recherchemedium im Seminarraum, sondern vor allem für die Produktion neuer digitaler Medien einzusetzen.
Die produktionsorientierte politische Bildung
Digitale Medien sind zu "eingebetteten Medien" geworden. Ob in der politischen Bildung oder anderswo – sie werden nicht mehr anlassbezogen eingesetzt, sie sind einfach da. Ein YouTube-Clip dient wie selbstverständlich als Einstieg in das Thema des Tages und wird nicht extra als Film angekündigt und mit entsprechenden Fragestellungen im Seminar didaktisiert. Digitale Medien sind allgegenwärtig und stehen auf Abruf zur Verfügung. Ihre Nutzung verlangt keine komplexe Einführung, der Einstieg im laufenden Betrieb ist Normalität. So bleibt Platz für Kommunikation und den Lernprozess selbst. Wenn nötig, stehen die digitalen Medien als Lernwerkzeug zur Verfügung. Ein forschendes, problemlösendes Seminardesign, in dem die Teilnehmenden weniger Informationen wiedergeben, sondern Informationen abwägen und auf eine "neue" Art aufbereiten sollen, könnte in der Rekontextualisierung – in unserem Beispiel die eigene Biografie als interaktive Zeitleiste parallel zur Chronik der DDR zu konstruieren – andere Perspektiven eröffnen. Um das Digitale und seine Wirkung auf die Gesellschaft zu verstehen, muss es erfahrbar gemacht werden, sonst bleibt es unsichtbar. Die aktive Eigenproduktion von digitalen Medien ist eine Möglichkeit, um die digitale Funktionsweise von Computern oder Smartphones und ihre gesellschaftliche Wirkung zu verstehen.
Gerade im Kontext Arbeit führt Digitalität zu einer Entprofessionalisierung vormals langjährig erlernter Tätigkeiten. Gleichzeitig kommt es zu einer fortschreitenden Spezialisierung. Jeder kann heute beispielsweise einen YouTube-Clip mit dem Smartphone herstellen, aber nicht jeder kann einen Kinofilm produzieren. Für den Umgang mit digitalen Medien im Seminarraum reicht allerdings die Produktion eines YouTube-Clips aus, um die Anforderungen ableiten zu können, die sich selbst bei modernen Kinofilmen ergeben würden. Das öffentliche Statement, das mit der Produktion und Veröffentlichung eines YouTube-Videos einhergeht, zeigt den Teilnehmenden eindrucksvoll, dass es nur in zweiter Linie um die technische Kompetenz des Videoerstellens geht, sondern vielmehr um eine medienadäquate Präsentation der beabsichtigten Inhalte.