Ausgangspunkt der Debatten um die Qualität von OER sind meist Verweise auf Qualitätssicherungsverfahren, die sonst Schulbücher und andere Bildungsmaterialien durchlaufen. In einer Mehrzahl der deutschen Bundesländer müssen Lehr- und Lernmaterialien vor ihrem Einsatz vom zuständigen Kultusministerium zugelassen werden, wie diese Externer Link: Übersicht zeigt.
Kritik an OER
Vor diesem Hintergrund bemängelt unter anderem der Externer Link: Verband Bildungsmedien in seiner Externer Link: Stellungnahme zu einer Anhörung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zum Thema OER, dass es in Bezug auf OER “keine erkennbare Qualitätssicherung der Materialien“ gebe. In ähnlicher Weise argumentiert auch das Externer Link: European Trade Union Committee for Education (ETUCE), ein Zusammenschluss von Bildungsgewerkschaften in Europa, in seiner Externer Link: Stellungnahme zur EU-Initiative “Opening Up Education”. ETUCE zeigt sich insbesondere skeptisch gegenüber Nutzer-Bewertungsverfahren ("Crowd Assessment“). Zudem weist der Verband auf das Risiko hin, dass die zunehmende Verwendung digitaler Bildungsmaterialien und die Öffnungsstrategie der EU-Kommission insgesamt zu einer Kommerzialisierung und Monopolisierung der Bildung führen könne, sich ohne entsprechende Zulassungsverfahren also wenige Bildungsanbieter mit eigenen privatwirtschaftlichen Interessen durchsetzen könnten, was auch Folgen für die inhaltliche Gestaltung der Bildungsangebote hätte. Von Seiten der Externer Link: Schulbuchverlage wird zudem das Argument ins Feld geführt, dass die Erstellung von Schulbüchern und anderen Lernmaterialien allgemein nur dann qualitativ hochwertig erfolgen kann, wenn die erstellenden Personen eine dauerhafte Beschäftigung und damit finanzielle Absicherung haben. Auf diese Weise könnten sie sich längerfristiger mit einem Thema befassen. Dies sei bei OER nicht gegeben.
Kritik an gängigen Prüfverfahren
Auf der anderen Seite kann festgestellt werden, dass auch Schulbücher durch das mit ihnen verbundene Prüf- und Zulassungsverfahren, bei dem meist im jeweiligen Kultusministerium das Angebot auf Passung mit dem Lehrplan und weitere Kriterien wie z.B. inhaltliche Ausgewogenheit geprüft wird, nicht vor Fehlern geschützt sind. So wies z. B. Externer Link: Stiftung Warentest 2007 in einer Untersuchung von 17 Biologie- und Geschichtsbüchern auf zum Teil gravierende Mängel hin. In jüngster Zeit zeigten u.a. Externer Link: Studien des Historikers Thomas Sandkühler und des Externer Link: Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung Fehler und Mängel in der Behandlung des Holocaust in aktuellen Schulbüchern auf.
Darüber hinaus wird der Bezug zu den Schulbuch-Prüfverfahren in der Diskussion grundsätzlich als zu eng für den OER-Kontext kritisiert: Denn oft handelt es sich bei OER gar nicht um Schulbücher, sondern beispielsweise auch um Arbeitsblätter oder digitale Bildungsangebote, wie unter anderem die Bestandsaufnahme des BMBF-geförderten Projekts Externer Link: “Mapping OER” zu freien Bildungsmaterialien in Schulen verdeutlicht. Zudem sei das Prüfverfahren von Schulbüchern in anderen Bildungsbereichen unbekannt. So ist es an Hochschulen oder in der Weiterbildung die Regel, dass die Lehrenden bzw. die anbietende Organisation für die Qualität der verwendeten Materialien einstehen. Eine externe Prüfung erfolgt nicht. In ähnlicher Weise könnte man auch bei Lehrkräften an Schulen davon ausgehen, dass sie über die Qualifikation verfügen, Materialien ihres Fachgebietes beurteilen zu können.
Forderung nach neuen Prüfverfahren
Vor diesem Hintergrund wird von den OER-Befürworterinnen und -Befürwortern ein anderes Qualitätsverständnis bei freien Bildungsmaterialien als bei der Schulbuch-Zulassung gefordert: Die Qualität von OER entstehe erst im Prozess – so führt es etwa Externer Link: Professor Ulf-Daniel Ehlers, Experte für Qualitätsentwicklung im eLearning, aus. Durch die Anpassbarkeit und Weiterentwicklungsmöglichkeiten von OER könne die Heterogenität der Lernenden zur Grundlage der Lehre genommen werden und so zu einer besseren Bildung für alle führen.
Dieser Gedanke ist auch prägend für die Schlussfolgerungen zur Qualitätssicherung aus dem Externer Link: "Praxisrahmen“ des Projekts "Mapping OER“. Entscheidend sei es, dass die Bedürfnisse von Lehrenden und Lernenden im Zentrum stünden. Dazu könnten durchaus auch zentralisierte Prüfverfahren – wie aus den Zulassungsverfahren von Schulbüchern bekannt – in Betracht gezogen werden. Diese dürften den Prozesscharakter bei der Qualitätsentwicklung von OER aber nicht unterminieren.
Qualitätssicherung von OER in der Praxis
Ein Blick in die Praxis zeigt, dass bei OER-Projekten bislang unterschiedliche Ansätze und Wege gewählt werden, um eine Qualitätssicherung zu gewährleisten. So setzt die Basis-Initiative und Online-Plattform Externer Link: “Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V.” (ZUM) bei der Bereitstellung von Material auf eine Wiki-Struktur, die die kontinuierliche Verbesserung und Fehlerkorrektur durch Kommentarfunktion und Überarbeitungsvorschläge möglich macht. Auch bei der polnischen OER-Initiative Externer Link: "Digital School Program" spielte die dortige Wikipedia-Sektion eine zentrale Rolle.
Ein anderes Verfahren erprobt die Initiative Externer Link: “edutags”. Diese bietet ein kollektives Tagging-System für Bildungsmaterialien im Internet an. Die Idee dahinter ist, dass im Rahmen von Peer-to-Peer Tagging qualitativ hochwertige Materialien leichter auffindbar werden.
Schließlich ist auch das Externer Link: OER-Projekt des Berliner Senats vor dem Hintergrund der Qualitäts-Debatte von Interesse. Hier entsteht eine Plattform, auf der gezielt OER-Materialien, die zum Rahmenlehrplan passen, verlinkt werden. Dabei wird vor allem auf die Beurteilungskompetenz der Lehrkräfte gesetzt. Denn diese können – so die Meinung der Berliner Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker – selbst am besten einschätzen, welche Materialien sich für ihren Unterricht eignen. Einen ähnlichen Weg wählte Norwegen mit der Externer Link: Norwegian Digital Learning Arena (NDLA). Dort werden – mit öffentlicher Finanzierung – OER speziell für die Themen des Oberschulbereichs zur Verfügung gestellt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Frage nach Qualitätssicherungsverfahren von OER insgesamt die Debatte öffnet, wie sich Qualität von Bildungsmaterialien im digitalen Zeitalter prüfen und entwickeln lässt. Neu ist hier vor allem die Orientierung auf einen Prozess: Qualität wird immer häufiger nicht mehr als statisch betrachtet, sondern im jeweiligen Bildungssetting entwickelt. Auch ist zu erwarten, dass partizipative Verfahren unter Einbeziehung der Nutzenden zukünftig noch weiter an Bedeutung gewinnen werden.
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