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Meinungsfreiheit – Werden wir alle zensiert?

Sebastian Schöbel-Matthey

/ 6 Minuten zu lesen

Deutschland ist ein Land ohne Zensur – so steht es jedenfalls im Grundgesetz. Aber stimmt das auch? Die Space Frogs schauen sich den Begriff "Zensur" genauer an und fragen sich, ob – und wenn ja, wo – es Zensur im Internet gibt.

Meinungsfreiheit - Werden wir alle zensiert?

SPACE NET – Netzpolitik mit den Space Frogs

Meinungsfreiheit - Werden wir alle zensiert?

Deutschland ist ein Land ohne Zensur – so steht es jedenfalls im Grundgesetz. Aber stimmt das auch? Die Space Frogs schauen sich den Begriff "Zensur" genauer an und fragen sich, ob – und wenn ja, wo – es Zensur im Internet gibt.

Zensur ist in Deutschland durch das Interner Link: Grundgesetz verboten: "Eine Zensur findet nicht statt", heißt es in Artikel 5: Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung "durch Rundfunk und Film werden gewährleistet". Grundlage ist die ebenfalls in Artikel 5 festgeschriebene Meinungsfreiheit: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern."

Allgemein unterscheidet man zwischen Präventiv- bzw. Vorzensur und Repressiv- bzw. Nachzensur: Entweder müssen Publikationen vor der Veröffentlichung einer Zensurbehörde zur Genehmigung vorgelegt werden, oder bereits erschienene Veröffentlichungen werden ganz oder teilweise beschlagnahmt oder ihre Verbreitung beschränkt bzw. verboten.
In Deutschland ist die Zensurfreiheit im Sinne eines Verbots der Vorzensur festgelegt. Nachträgliche Beschränkungen in Form von Kontroll- und Repressivmaßnahmen umfasst das Zensurverbot nicht. Sie können – etwa durch Kontrollbehörden, durch Drittwirkung (zum Beispiel einstweilige Verfügungen), in Form von Selbstzensur oder durch Aufsichtsbehörden – durchgesetzt werden. Dabei geht es stets um Inhalte, die gegen geltendes Recht verstoßen.
Auch in einer Demokratie gibt es keine absolute Meinungsfreiheit, sie gilt immer nur auf Grundlage der bestehenden Gesetze und in Abwägung mit anderen Grundrechten.

Meinungsfreiheit ist nicht grenzenlos

Der Meinungs- und Publikationsfreiheit werden also Grenzen gesetzt, vor allem durch das Presserecht, das Strafrecht und den Jugendschutz. So sind zum Beispiel Beleidigungen, Verleumdungen, Volksverhetzung und die Leugnung des Holocaust verboten. Auch bei der Darstellung von Gewalt oder Pornografie gibt es Auflagen, die der Staat kontrolliert und gegebenenfalls durchsetzt, indem entsprechende Inhalte nicht verbreitet, öffentlich aufgeführt oder beworben werden dürfen. Der Fokus liegt in Deutschland vor allem auf dem Jugendschutz, den die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM) übernimmt. Den Landesmedienanstalten kommt zudem für den privaten Rundfunk eine Kontrollfunktion zu.

Insgesamt wird die inhaltliche Kontrolle von publizistischen Inhalten in Deutschland aber vor allem der freiwilligen Selbstkontrolle der Medien überlassen. Dafür gibt es u.a. den Deutschen Presserat, bei dem man sich über mutmaßliche Rechtsbrüche in Zeitungs- und Magazinartikeln beschweren kann, oder die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die sich um die Altersfreigabe von Filmen und Serien kümmert. In beiden Fällen ist die sogenannte Staatsferne das erklärte Ziel: Nicht die Regierungen der Länder oder des Bundes sollen Inhalte prüfen, sondern unabhängige Stellen, die keiner politischen Gruppierung angehören und demnach keine ideologisch motivierte Zensur betreiben, sondern dies allein auf Grundlage der geltenden Gesetze tun.

Das NetzDG: Auflagen für Internetfirmen

Im Internet kommt in der Regel die Nachzensur zum Einsatz. Internetnutzende erleben das meistens in Form von blockierten oder gelöschten Kommentaren oder Einträgen auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken. Dazu sind die Betreiber inzwischen auch verpflichtet, durch das Externer Link: Netzwerkdurchsetzungsgesetz – kurz NetzDG – das vor der Bundestagswahl 2017 verabschiedet wurde. Es soll helfen, Hasskommentare, Volksverhetzung, Beleidigungen und sogenannte "Fake News” im Netz zu bekämpfen. Das NetzDG verpflichtet Plattformen wie YouTube, Facebook oder Twitter, Meldeverfahren für anstößige Inhalte einzurichten und Beiträge, die rechtswidrig sind, auf entsprechende Beschwerde innerhalb von wenigen Tagen zu löschen oder zu blockieren - bei offensichtlichen Verstößen sogar innerhalb von 24 Stunden. So wurden zum Beispiel bei YouTube bis Sommer 2018 rund 215.000 Inhalte auf Basis des NetzDG gemeldet und etwa 58.000 Inhalte wurden gelöscht, teilt der Mutterkonzern Google mit. Bei Twitter wurden nach eigenen Angaben 265.000 Tweets gemeldet, vor allem wegen Volksverhetzung und Beleidigung. Etwa 29.000 Tweets wurden gelöscht.

Damit kommen die Konzerne ihren gesetzlichen Pflichten nach – und lösen zugleich eine neue Debatte aus. "Overblocking", das vorschnelle Löschen oder Sperren von Beiträgen durch übervorsichtige Administratoren, erregt nun die Gemüter der Netzaktivisten. Denn einer der Nebeneffekte des NetzDG könnte sein, so die Befürchtung, dass Firmen lieber zu viel als zu wenig löschen, um keine hohen Geldstrafen zu riskieren. Damit drohe die "willkürliche Einschränkung der freien Meinungsäußerung", Externer Link: heißt es unter anderem in einem Bericht des EU-Parlaments, der im Mai 2018 verabschiedet wurde.

Organisationen wie Reporter ohne Grenzen fordern, eine unabhängige Kontrolle des Löschverfahrens bei Facebook und Co. zu etablieren. Die Plattformen seien "Teil der modernen Öffentlichkeit geworden", auf denen Menschen "alles sagen können müssen, was nicht gegen Gesetze verstößt", so die Nichtregierungsorganisation (NGO). "Die Bundesregierung hat mit dem NetzDG private Unternehmen zu Richtern über die Presse- und Informationsfreiheit im Netz gemacht", heißt es in einer Mitteilung. Auch der Verein Digitale Gesellschaft kritisiert, dass die Löschungen der Internetkonzerne nicht transparent vorgenommen würden.

China und Türkei: Wo das Internet wirklich zensiert wird

Es gibt allerdings auch Länder auf der Welt, in denen staatliche Internetzensur ganz konkret und offensichtlich durchgeführt wird. Sie richtet sich jedoch nicht nur gegen einzelne Inhalte, sondern führt inzwischen immer öfter dazu, dass komplette Angebote nicht mehr erreichbar sind oder gleich der Internetzugang insgesamt eingeschränkt wird.

So zeigen die derzeitigen Regierungen in der Türkei und in China, wie weit Internetzensur gehen kann – zwei Länder, in denen laut der unabhängigen NGO Reporter ohne Grenzen die Pressefreiheit ohnehin massiv eingeschränkt wird.

In der Türkei wurde 2007 der sogenannte "Internet Act" verabschiedet. Offiziell richtet sich das Gesetz gegen die Verbreitung von Kinderpornografie, doch Beobachter wie die EU-Kommission kritisieren, dass sich damit auch ganze Webseiten mit kritischen Inhalten blockieren lassen. Seit 2014 werden zudem Internet-Provider gezwungen, bestimmte URLs und sogar einzelne IP-Adressen zu blockieren – was die türkische Regierung in die Lage versetzte, nicht nur Webseiten, sondern auch die Nutzenden direkt zu blockieren. Nach dem Putschversuch im Juli 2016 regulierten sie nun auch den Datenverkehr und verlangsamten den Zugang zu bestimmten Webseiten, bis diese kaum oder gar nicht mehr nutzbar waren. Davon betroffen ist unter anderem auch Twitter, ein wichtiges Medium für die türkische Opposition .

Noch weitreichender ist die Internetzensur in China. Als "Externer Link: Great Firewall of China" werden staatliche Eingriffe, wie etwa das Blocken von IP-Adressen, in den westlichen Medien bezeichnet. Dies hat zur Folge, dass ganze Onlinedienste in China nicht abrufbar sind. Das betrifft Facebook, Twitter und Google, aber auch die New York Times oder die Seite von Amnesty International. Auch Externer Link: VPN-Tunnel, die das verschlüsselte Surfen ermöglichen, sind entweder blockiert oder staatlich reglementiert. Doch was die Internetzensur in China von der in anderen Ländern unterscheidet, ist ihre Wirkung auf die Gesellschaft: Laut einer Studie der Stanford-Universität aus den Jahren 2015 bis 2017 schafft die chinesische Regierung "eine Umgebung, in der Bürger überhaupt nicht auf die Idee kommen", nach kritischen Informationen zu suchen.

Netiquette ist nicht Zensur

In Deutschland sind solche Zustände kaum denkbar. Dennoch beschweren sich hier immer wieder Internetnutzende über angebliche Zensur in Sozialen Medien, weil dort ihre Posts gelöscht oder blockiert wurden. Auch in offenen und geschlossenen Foren werden Administratoren regelmäßig dafür kritisiert, dass bestimmte Beiträge plötzlich verschwinden – angeblich wegen "Zensur". Was viele Nutzende dabei übersehen, ist, dass viele Beiträge nicht etwa wegen der geäußerten Meinung, sondern wegen der Art des Vortrags gelöscht werden. Es sind also oft nicht die Verstöße gegen geltendes Recht, die zur Löschung führen, sondern die Verstöße gegen die Netiquette. Und um es mit den Worten der Space Frogs zu sagen: Jeder darf seine Meinung haben, aber wenn man sie Leuten ins Gesicht brüllt, darf man rausgeschmissen werden.

Sebastian Schöbel-Matthey hat an der HU-Berlin Geschichte und Amerikanistik studiert und parallel mehrere Jahre als Autor für Zeitungen und Nachrichtenportale gearbeitet. Er absolvierte ein multimediales Volontariat an der electronic media school in Potsdam-Babelsberg, danach arbeitete er beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, wo er als Reporter beim Inforadio und als Redakteur beim Nachrichtenportal rbb-online tätig war. Es folgten regelmäßige Entsendungen in das Hauptstadtstudio Berlin und eine Vertretung im ARD-Studio London. Von Februar 2016 bis Februar 2018 war er Hörfunk-Korrespondent im ARD-Studio Brüssel. Seit März 2018 ist er zurück beim rbb und arbeitet als Redakteur beim neuen Onlineportal rbb24 und als Korrespondent in der landespolitischen Redaktion.