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Todeslisten, Hatefluencer/-innen und rechtsextreme Mobilisierung auf der Plattform

Marcus Bösch

/ 7 Minuten zu lesen

(© picture-alliance, Bildagentur-online/Ohde | Bildagentur-online/Ohde)

Es ist nie abzusehen, welches Video auf der TikTok „For You“ Page nach dem Hochwischen eines Videos als nächstes erscheint. Die Auswahl der Videos basiert zwar auf dem eigenen Nutzungsverhalten, dennoch werden Nutzer/-innen neue, kuriose, ungewöhnliche Videos mit eingespielt: Eine Feldarbeiterin in den Bergen Nicaraguas, eine hydraulische Presse die Alltagsgegenstände zerdrückt oder ein Video des Accounts „Nürnberg 2.0“. Die Videos dieses Accounts verfügen über einen ähnlichen Aufbau. Unter dem Porträt bestimmter Personen des öffentlichen Lebens befindet sich die Bildunterschrift: „Ich komme ins Gefängnis, weil ich Plandemie-Terror förderte”. Es folgt eine Liste von „Verbrechen“, die fiktive Anklagepunkte beinhaltet. Diese sollen im Rahmen einer Wiederaufnahme der Nürnberger Prozesse verhandelt werden. Knapp über 100 Fotos, Namen und kurze „Anklageschriften“ zu Politiker/-innen, Wissenschaftler/-innen, Kultur- und Medienschaffenden sind hier zu finden. Der Betreiber des Accounts, der mit Gesicht in den Videos zu sehen ist, ist dem Querdenker/-innen-Milieu zuzuordnen. Er nennt politische Feinde „Gashahndreher“ und stellt Bezüge zwischen den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und dem Dritten Reich her. Nach Bekanntwerden des Accounts und Presseberichten sind die Videos des Accounts nicht mehr öffentlich einsehbar. Die Reichweite der Videos in Bezug auf Likes und Views waren zudem vergleichsweise gering. Doch handelt es sich hier nur um ein Beispiel rechter Mobilisierungsstrategien. Diese sind genauso divers, wie die einzelnen Akteur/-innen des breitgefächerten rechtsextremen Netzwerkes auf TikTok.

TikTok-Videos von @triene_85 (zuletzt abgerufen am 23.06.2023) (© Externer Link: @triene_85)

„Mein Name (Triene), mein Impfstatus (ungeimpft), meine Sexuality (hetero), meine Wahlpartei (AfD), meine Tankfüllung (Benzin). Bin ich Veganer (nope)? Und das ist meine Herkunft (Sachsen)“ singt die TikTokerin Triene im Dezember 2021. Angelehnt an einen beliebten TikTok-Trend, in dem sich Creator/-innen mittels eines Frage-und-Antwortspiels selbst vorstellen. Das Video erreicht 1,7 Millionen Aufrufe und verschafft der Influencerin Katrin K., wie TikTokerin Triene eigentlich heißt, eine enorme Reichweite, auch über TikTok hinaus. Katrin K. zeigt sich in ihren Videos in Handwerkerkleidung einerseits und in Spitzenunterwäsche mit Gasmaske andererseits. Sie inszeniert sich auf latent sexualisierte Art und mobilisiert so im Stil der so genannten Thirst Trap , einem Internet-Genre, bei dem Personen vor allem durch sexualisierte Inhalte Aufmerksamkeit generieren. Bilder zeigen die Frau aus Döbeln im Spitzenkleid auf einer Treppe sitzend – das Buch „Mein Kampf“ in der einen Hand, eine Tasse mit einem Foto von A. Hitler und „Na vermisst ihr mich?“-Aufdruck in der anderen Hand. „Katrin K. kokettiert nicht nur mit ihrer Weiblichkeit, sondern auch mit der Verharmlosung des Holocaust“, schreibt die Website Belltower News .

Bei einer Vielzahl von Videos ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar, dass es sich um ideologisch motivierte Videos handelt. Laut dem Vorsitzenden der Kommission für Jugendmedienschutz werden Minderjährige von Extremist/-innen zielgruppenspezifisch angesprochen, um sie schrittweise an verfassungsfeindliche Ideologien heranzuführen . So nutzen beispielsweise meist junge Frauen das auf der Plattform verbreitete lipsyncen, also das Lippenbewegen zur Musik, um Inhalte rechter Bands wie der Band „Stahlgewitter“ zu promoten. Die Band gehört zu den populärsten Vertretern im Rechtsrock und spielte etwa 2017 in Themar vor knapp 6.000 Neonazis. Mehrere Alben der Band stehen auf dem Index. Problematisch ist hier, dass nicht sofort ersichtlich ist, dass es sich hier um ein personalisiertes Werbevideo für Musik mit klarem rechtsextremen Hintergrund handelt. Darauf weist unter anderem der Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt Daniel Hajok hin . TikTok sei in diesem Fall eine Erstkontakt-Plattform, auf der es zunächst einmal darum ginge, auf sich aufmerksam zu machen. Die eigentliche Radikalisierung finde eher in geschlossenen Gruppen, zum Beispiel bei Telegram statt.

Die rechtsextreme Medienstrategie zur Erschließung neuer kommunikativer Wege setzt auf Plattformcodes. Genutzt werden unterschiedliche Emojis und Hashtags, die über bekannte rechte Zahlencodes wie 18 für Adolf Hitler oder 88 für „Heil Hitler” hinausgehen. Drei Herzen in den Farben schwarz, weiß und rot dienen als Chiffre für die Reichskriegsflagge, zwei Blitz-Emojis als Synonym für „SS” und ein Emoji, das für die meisten Menschen einfach winkt, kann in rechtsextremen Kreisen auch für den Hitlergruß stehen. Rassistische und antisemitische Inhalte werden mit sprachlichen und bildlichen Codes in Form von Memes, Sketches und Filtern kommuniziert. Darauf verweist der Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2021 und zitiert einen Bericht des Institutes for Strategic Dialogue (ISD), eine 2006 gegründete unabhängige Denkfabrik zur Konfliktforschung, Extremismus und Terrorismus. Basierend auf einer Stichprobe von 1030 Videos untersucht der Bericht, wie TikTok verwendet wird, um Verschwörungstheorien zu fördern, Ratschläge zur Waffenherstellung zu geben, Extremist/-innen, Terrorist/-innen, Faschist/-innen und Diktator/-innen zu verherrlichen, Minderheiten zu diskreditieren und Inhalte zu produzieren, die gewalttätige Ereignisse wie Völkermorde leugnen.

Ein Beispiel dafür ist ein Meme , das laut der Untersuchung knapp 25.000 Menschen erreichte, bevor es von TikTok gelöscht wurde. Im Netz ist es bekannt als „confused Travolta“. In dem Video ist der sich von links- nach rechtsdrehende John Travolta aus dem Film „Pulp Fiction“ zu sehen. Durch seine zuckenden Schultern und seine offenen Arme, gibt er den Zuschauer/-innen zu verstehen, dass er etwas sucht. Zunächst erweckt es den Anschein eines beliebigen, witzigen und unterhaltsamen Memes. Ein TikTok-User fügte nun zum Video die Schrift „Me in heaven looking for the 6 million“ („Wie ich im Himmel die 6 Millionen suche“) hinzu. Die Zahl-Wort-Kombination „sechs Millionen“ ist ein bekannter Code im Antisemitismus und wird von der rechtsextremistischen Szene in den Sozialen Medien genutzt. Mit den „sechs Millionen“ sind die von den Nationalsozialisten ermordeten Jüdinnen und Juden gemeint.

Account/Quelle wurde unkenntlich gemacht.

Da Travolta im Meme offensichtlich etwas sucht und nicht findet, wird TikTok-Nutzer/-innen suggeriert, dass es im Nationalsozialismus keinen millionenfachen Massenmord an Jüdinnen und Juden gegeben habe. Es handle sich hier laut Verfassungsschutzbericht, um eine den Holocaust leugnende, geschichtsrevisionistische und vor allem von Rechtsextremisten verbreitete Verschwörungserzählung.

Neben rechtem Extremismus hat ein Interner Link: Basismonitoring der Bundeszentrale für politische Bildung ergeben, dass TikTok als Plattform auch von Akteur/-innen des religiös begründeten Extremismus instrumentalisiert wird. Die Themen Ramadan, islamfeindliche Atmosphäre und Geschlechtervielfalt sind laut Interner Link: aktuellem Quartalsbericht wiederkehrende Trends in der Peripherie des religiös begründeten Extremismus auf TikTok. Wie geht TikTok mit extremistischen Inhalten um? Das Unternehmen beteuert stets, es gäbe keinen Platz für gewaltbereiten Extremismus auf TikTok, man arbeite intensiv daran, Inhalte zu entfernen, die das unterhaltsame Erlebnis untergraben würden. Nachweislich werden auffällige Inhalte von TikTok gelöscht. Die Suche nach dem Begriff „Nazi” beispielsweise führt nicht zu Videos von Nutzer/-innen, sondern zu einer Informationsseite. Dennoch ist die Entfernung von hasserfüllten und extremistischen Inhalten inkonsistent, bemängelt das Institute for Strategic Dialogue: 18,5% der untersuchten Daten (191 Videos) seien am Ende der Datenerhebung entfernt worden oder nicht mehr verfügbar, 81,5% aber weiterhin. Darunter sind Videos, die den Holocaust leugnen, Verschwörungstheorien zum Völkermord an Weißen verbreiten und Adolf Hitler verherrlichen.

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Quellen

Hier finden sie alle Referenzen, die bei der Erstellung dieses Dossiers genutzt wurden in alphabetischer Reihenfolge.

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Marcus Bösch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HAW Hamburg und forscht zu TikTok, politischer Kommunikation und Desinformation. Er veröffentlicht den wöchentlichen Newsletter Externer Link: Understanding TikTok.