Rassismus und Repräsentation: das Islambild deutscher Medien im Nachrichtenjournalismus und im Film
Kai HafezSabrina Schmidt
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Trotz der zunehmenden Bedeutung sozialer Medien sind es noch immer die traditionellen Medien, die bestimmen, wer öffentlich sichtbar ist und auf welche Weise. Das öffentliche Islambild wird seit Jahren von konflikthaften und alltagsfernen Erzählmustern dominiert.
Der gesellschaftliche Diskurs über Muslim*innen und die Religion des Islams wird maßgeblich von Medienbildern und Narrativen bestimmt. Gemeint sind Darstellungs-, Erzähl- und Deutungsmuster, die in der Lage sind, sowohl öffentliche als auch private Wahrnehmungen thematisch auszurichten und inhaltlich vorzustrukturieren. Trotz der zunehmenden Bedeutung sozialer Medien als Räume gesellschaftlicher Aushandlung sind es noch immer die Themenagenden und Deutungsangebote traditioneller Medien, die bestimmen, wer öffentlich sichtbar ist und auf welche Weise. Vor diesem Hintergrund ist die Bilanz der Forschung zur medialen Darstellung "des Islams" ernüchternd: Sie zeigt, dass das öffentliche Islambild seit Jahren von konflikthaften, alltagsfernen und oftmals (subtil) rassistischen Erzählmustern dominiert wird. Der Einfluss von Medienbildern auf Alltagsdiskurse ist dabei unbestritten und wird auch durch zahlreiche Studien über verbreitete Ressentiments gegen Muslim*innen in Deutschland und anderen Industrienationen nahegelegt.
Die Bedeutung traditioneller Massenmedien für die Herstellung und Festigung antimuslimischer Narrative kann jedoch nicht nur auf den klassischen Journalismus beschränkt werden. Gerade Formate der Populärkultur wie Filme und Unterhaltungsserien tragen durch ihren einfachen Zugang, ihre Emotionalität und ihr Spiel mit zeitgenössischer Ästhetik dazu bei, dass sich problematische Sichtweisen auf den Islam gesellschaftlich etablieren. Zugleich liegt hier aber auch ein Potential für mehr Selbstbestimmung, Rassismuskritik und gesellschaftliche Aufklärung. In der Populärkultur finden sich Erzählmuster, die Muslim*innen nicht mehr nur pauschal als fremde "Andere" beschreiben. Auf die politische Bedeutung von Unterhaltungsmedien ist wiederholt hingewiesen worden. Im Rahmen gesellschaftlicher Debatten um Fragen von Identität, Zugehörigkeit und Anerkennung gewinnen sie immer mehr an Bedeutung.
Dieser Beitrag wirft auf das Medienbild des Islams daher zwei Schlaglichter: zunächst werden zentrale Diskursmuster des klassischen Nachrichtenjournalismus identifiziert. Dabei zeigt sich, dass negative Islamnarrative überaus hartnäckig sind, teils aber auch flexibel und anpassungsfähig, solange nur die Trennlinie zwischen "uns" und "denen" erhalten bleibt. Die Ursachen hierfür liegen in spezifischen journalistischen Produktionsbedingungen, aber auch in Publikumserwartungen und Wissensumwelten, wie sie etwa auch von Elternhäusern und Schule vermittelt werden. Der zweite Teil behandelt das Islambild populärer Medien, wobei Filme und Unterhaltungsserien im Fokus stehen. Am Beispiel international erfolgreicher, kommerzieller Produktionen einerseits und Beiträgen migrantischer bzw. muslimischer Filmschaffender anderseits wird die gesellschaftliche Verantwortung und das emanzipatorische Potential medialer Popkultur erörtert. Der Beitrag macht zweierlei deutlich: erstens, wie sich antimuslimische Islamnarrative in (einigen) Mediendiskursen kontinuierlich reproduzieren, wobei diese im rechten Meinungsspektrum verschärft und durch die latenten Rassismen des konservativ-liberalen Milieus gestützt werden. Zweitens zeigt er, wie rassismuskritische, migrantische bzw. muslimische Stimmen sich in die öffentlichen Deutungskämpfe über den Islam einmischen, wobei auch sie Medien als Sprachrohre und Repräsentationsorgane nutzen.
Politisierung und Dämonisierung des Islams im Nachrichtenjournalismus
Das Interesse deutscher Massenmedien am Islam erwachte während der iranischen Revolution von 1978/79. Dabei beschränkte sich die Islamberichterstattung vor diesem Ereignis weitgehend auf Regelphänomene, etwa die jährlich wiederkehrende Berichterstattung über den Ramadan oder die Pilgerfahrt. Erst die islamische Revolution des Ayatollah Khomeini im Iran änderte dies schlagartig und ließ den Islam zu jenem weltweit beachteten Medienthema werden, das er bis heute ist. Mit dieser Entwicklung einher ging eine starke Politisierung des Islambildes, und, was als Hauptproblem der derzeitigen Situation betrachtet werden kann, eine Verengung der Themenauswahl, die wie bei fast keinem anderen Thema mit Fragen der Gewalt assoziiert wird. Mehr als jeder zweite Beitrag über den Islam thematisiert die Religion im Kontext körperlicher Gewalt. Gewalt tritt dabei in verschiedener Form auf, als Terrorismus, als familiäre Gewalt, als Gewalt gegen Frauen oder als ethnisch-religiöse Gewalt, die die Demokratie durch Gesetzlosigkeit gefährde (ähnlich dem rechtspopulistischen Bedrohungsszenario von muslimischen "Parallelgesellschaften"). Kein Wunder also, dass in Studien seit Jahren auf stabile Ablehnungswerte gegenüber Muslim*innen und den Islam hingewiesen wird.
Im Bereich der Auslandsberichterstattung über die sogenannte "islamische Welt" sind die Negativwerte durch die Konzentration auf Gewaltkonflikte so hoch wie sonst nur im Bereich der Kriegs- und Krisenberichterstattung. Problematisch ist dabei nicht das Berichten über Gewalt und Repression an sich, sondern die Fixierung auf dieses enge Themenspektrum. Mit anderen Worten: Kritisch ist weniger, worüber berichtet wird, als worüber nicht berichtet wird. Ein Gewaltbild des Islams kennzeichnet dabei keineswegs nur den Boulevardsektors, sondern prägt auch seriöse Medien. Dabei liegt der Islam im engeren Sinne der Theologie, des religiösen Kultus und Ritus kaum im Interesse deutscher Massenmedien. Ein Blick auf die Islamberichterstattung der letzten vier Jahrzehnte vermittelt fast den Eindruck, der Islam sei gar keine Religion, sondern eine Form der Politik oder der politischen Ideologie der Gewalt. Theologische Tatbestände, etwa dass Jesus Christus im Islam als Prophet und Vorgänger Mohammeds betrachtet wird, sind in der deutschen Gesellschaft mehrheitlich unbekannt.
Darin ähneln sich Islam und Judentum, das in seiner religiösen und kulturellen Substanz ebenfalls kaum in den Medien präsent ist und wenn, dann oft als Hintergrundfolie für die historische Aufarbeitung des Holocaust. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Ignatz Bubis, früherer Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, 1999 erkannte, dass das heutige Islambild ihn an das Bild des Judentums im 19. und frühen 20. Jahrhundert erinnert. Bestätigung findet Bubis‘ Vergleich auch noch zwanzig Jahre später. Dies deutet auf das Versagen einer sich liberal gebenden Öffentlichkeit hin, wobei nicht zuletzt der Nachrichtenjournalismus bei der Vermittlung nicht-christlich-religiöser Inhalte seiner Aufklärungsfunktion kaum gerecht wird. Statt auf interreligiöse Bildung wird auf politische und soziale Konfliktstoffe gesetzt.
Einseitiger Bildjournalismus, fehlende Selbstrepräsentation und mediale Skandalisierung
Ein Problem der Islamberichterstattung ist auch die Bildsprache, die aufgrund ihres scheinbaren Abbildcharakters von besonderer Bedeutung ist. Immer wiederkehrend sind etwa Impressionen von verschleierten Frauen, "Menschenmassen" in Mekka, bei Protesten oder auf der Flucht, bewaffnete Islamist*innen, die Prachtbauten des arabischen Golfs, islamische Schlachtrituale und Geißelprozessionen aus dem Iran. Auf dem Cover des Nachrichtenmagazins "Cicero" fand man 2014 eine vollverschleierte Burkaträgerin – statt eines Gesichts saß hinter dem Augengitter eine eingesperrte Friedenstaube. Nur wenige Monate später liefen auf dem Cover desselben Blattes viele kleine Waffenträger aus dem Bart eines überdimensionierten Islamisten (bzw. Salafisten). Seit der iranischen Revolution zeigt der Journalismus eine Bilderwelt, die vor allem Fremdheit suggeriert. Betrachter*in und Gezeigtes begegnen sich dabei nicht auf Augenhöhe, häufig kommen eher visuelle Strategien der Anonymisierung, Homogenisierung und Entmenschlichung zum Einsatz. Wie ein positiver Schock wirken da vereinzelt publizierte Fotos wie etwa das junger Musliminnen, die jüngst im Spiegel von ihren Modevorlieben erzählten und dazu selbstbewusst in die Kamera blickten. Die Bildsprache der Medien ist insgesamt symbolisch überfrachtet. Die Diversität muslimischen Lebens dokumentiert sie kaum.
Auch die mediale Selbstrepräsentation muslimischer Stimmen befindet sich in einer strukturellen Schieflage. So wird das deutsche Islambild etwa in politischen Talkshows von den immer gleichen Politiker*innen und selbsternannten Islamexpert*innen beherrscht. Letztere zeichnet weniger eine islamwissenschaftliche Expertise als Prominenz (z.B. Alice Schwarzer) oder Herkunft (z.B. Necla Kelek) aus. Beides dient als Medienkapital, das den journalistischen Marktwert ihrer Stellungnahmen erhöht. Die Inszenierung von Personen als muslimische Kronzeug*innen für antimuslimische Haltungen folgt derselben Logik. Ihre scheinbare kulturelle Nähe zum Islam verschleiert den teils offen-antimuslimischen Charakter ihrer Aussagen. Häufig fehlen wissenschaftlich anerkannte Expert*innen und Stimmen von Muslim*innen selbst. Bevorzugt werden hingegen extreme Positionen radikaler Islamprediger und "Islamkritiker*innen", wodurch künstlich Kontroversen erzeugt und ein "Kulturkampf" suggeriert wird. Diese Diskurslogik greift auch in Fällen, in denen Muslim*innen zwar in Talkshows eingeladen werden, sie die negative Themenagenda jedoch weder positiv umdeuten noch kritisch offenlegen können. Ihre Rolle beschränkt sich häufig auf die der moderaten und integrierten Muslim*innen. All dies trägt zu einer öffentlichen Entfremdung von muslimischen Lebensweisen bei, ist jedoch systemlogisch für einen Journalismus, der statt auf Fachwissen auf Sensationalismus baut. Für ein differenziertes Islambild braucht es jedoch deutlich mehr Zwischentöne und einer Medien-(selbst)kritik statt polarisierter Debatten.
Das Medienbild des Islams wird nicht nur durch die Wahl des Themas (Agenda Setting), sondern auch durch Deutungen und Interpretationsrahmen (Framing) bestimmt. Hierdurch wird das "Was" und "Wie" der Islamberichterstattung inhaltlich abgesteckt. Genau diese Textstrukturen aber sind es letztlich, die mit strukturellen Rassismen in anderen Bereichen unserer Gesellschaft – in Institutionen, Bildungseinrichtungen, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt – zusammenhängen. Mit Michel Foucault lässt sich hier von einer wechselseitigen Beeinflussung und Verstärkung institutioneller und symbolischer Machtverhältnisse sprechen.
Umkämpfte Öffnungstendenzen
Die deutsche Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten vielfältiger geworden. Zwar werden wichtige Aspekte postmigrantischer Wirklichkeit nach wie vor medial ausgeklammert, aber auf den Kommunikationsplattformen des Internets treten immer mehr muslimische bzw. migrantische Stimmen in Erscheinung. Onlineformate wie Blogs, Videokanäle, Twitter-Profile und Onlinemagazine bieten engagierte, rassismuskritische und alltagsnahe Beiträge. Ihre gesellschaftliche Reichweite bleibt jedoch begrenzt, solange sie sich nur auf virtuelle Öffentlichkeiten beschränken und – wie etwa bei muslimischen Weblogs – kaum vernetzt sind. Sie haben dennoch das Potential, klassische Mediendiskurse thematisch zu erweitern, sofern sie anschlussfähig an journalistische Arbeitsweisen und die Erfahrungswelten des Publikums sind.
Hilfreich ist hier, dass auch die Redaktionen traditioneller Medien allmählich vielfältiger werden. Migrant*innen und Muslim*innen sind im deutschen Journalismus noch stark unterrepräsentiert. Organisationen wie die Neuen Deutschen Medienmacher*innen setzen sich daher gezielt für eine Förderung deutscher Medienschaffender mit Migrationserfahrungen ein. Nach mehreren Generationen der Zuwanderung und trotz bestehender Ungleichheitsstrukturen im Bildungssystem treten so zunehmend neue journalistische Stimmen auf den Plan. Auch für sie bleibt es jedoch eine Herausforderung, sich nicht von der Logik negativer Nachrichtenwerte vereinnahmen zu lassen, sondern nach Möglichkeit eigene Debattenimpulse zu setzen. Ob und auf welche Weise dies in einem Mediensystem möglich ist, in dem antimuslimische Narrative trotz – oder gerade wegen – fortschreitender gesellschaftlicher Pluralisierungsprozesse zirkulieren, bleibt eine Frage zukünftiger Analysen.
So sehr die oben beschriebenen Öffnungstendenzen Grund zur Hoffnung geben, so sehr ruft ein gesellschaftlich wie politisch etablierter Rechtspopulismus berechtigte Sorge hervor. Vom Parlamentsraum bis hinein in die sozialen Medien sorgt er dafür, dass sich die gesellschaftliche Debatte radikalisiert und sozial abkapselt. Eine auf gemeinsamen Überzeugungen basierende demokratische Debattenkultur wird durch Hate Speech und Fake News untergraben. Rassistische Äußerungen und Verschwörungsnarrative über Migrant*innen und Muslim*innen bilden hierfür das symbolische Rüstzeug. Es wird versucht, die liberale Gesellschaft – verstanden als humanitär und pluralistisch – auszuhöhlen. Gerade im Nachrichtenjournalismus ist es Rechtspopulist*innen erstaunlich gut gelungen, ihre antidemokratischen Positionen zu platzieren und so kommunikative Öffnungsprozesse zu durchkreuzen.
Stabilisierung und Dekonstruktion antimuslimischer Diskurse im Film
Welche Bedeutung haben nun aber populärkulturelle Mediendiskurse in Filmen und Unterhaltungsserien für die Gesellschaft? Erste Antworten liefert der mehrdeutige Begriff "des Populären". In frühen kultursoziologischen Betrachtungen zuweilen als minderwertiges Gegenstück zur bürgerlichen Hochkultur und Rauschmittel "der Massen" verurteilt, trugen vor allem die Cultural Studies zu einer theoretischen Aufwertung populärer Kulturprodukte bei. Für sie bewegt sich Populärkultur im Spannungsfeld zwischen kommerziellen Interessen, gesellschaftlichen Hierarchien, emanzipatorischen Ideen und den Interpretationen eines aktiven Publikums. Popkulturelle Mediendiskurse beinhalten daher immer gleich mehrere gesellschaftsrelevante Potentiale: sie neigen dazu, bestehende Machtverhältnisse abzusichern, indem sie Mehrheitsüberzeugungen aufgreifen und festigen. Zugleich bieten sie Raum für kritische und widerständige Haltungen, die dazu beitragen, veraltete "Wir"-Vorstellungen zu hinterfragen.
Orientalistische Sehnsüchte und das Terror-Narrativ im Film
Diverse Hollywoodproduktionen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass antimuslimische Narrative auch in fiktionale Medienformate einfließen. Jack Shaheens Analyse hunderter TV- und Kinofilme stellt hierfür eine der wichtigsten empirischen Quellen dar. Sie belegt, dass sich an der Darstellung von Muslim*innen als unzivilisiertes Spiegelbild eines sich selbst als aufgeklärt empfindenden Westens in den vergangenen hundert Jahren Filmgeschichte strukturell wenig geändert hat. So lassen sich bereits in Filmen der 1920er Jahre orientalistische Erzählmuster über Muslim*innen und Araber*innen finden. Als brutale Sklavenhalter, übersexuelle Wüstenscheichs und sinnliche Bauchtänzerinnen (z.B. Der Scheich, 1921) werden sie exotisiert und für kulturell rückständig erklärt, während die westlichen Protagonist*innen kultiviert, fortschrittlich und moralisch überlegen erscheinen. Jene gegensätzlichen Figurenzeichnungen setzen sich in Filmen der 1970er und 1980er Jahre fort, wenn auch mit leichten symbolischen Verschiebungen: Vor dem Hintergrund internationaler Krisen und Konflikte – Iranische Revolution, erster Golfkrieg, Palästinakonflikt – treten Muslim*innen nun zunehmend als Terrorist*innen in Erscheinung (Frantic, 1988; Delta Force, 1986; Zurück in die Zukunft, 1985). Hier zeigen sich Parallelen zum Nachrichtenjournalismus, der durch die Iranische Revolution ebenfalls eine symbolische Zäsur erlebte (s.o.). Mit dem muslimischen Terroristen ist dabei ein medialer Stereotyp entstanden, der bis heute weder in der journalistischen Berichterstattung noch in filmischen Diskursen an Popularität verloren hat.
Zur filmischen Überlieferung antimuslimischer Erzählmuster trugen auch diverse Blockbuster der 1990er Jahre bei. In ihnen wird das Narrativ vom Islam als nationale und kulturelle Bedrohung populärkulturell fortgeschrieben: Filme wie Die Mumie (1999), True Lies (1994) und Nicht ohne meine Tochter (1990) zeichnen muslimische Männer als frauenfeindlich, gewaltbereit und antiwestlich , muslimische Frauen als unterdrückt und stimmlos. Zudem greifen Kassenschlager wie die Indiana Jones-Reihe (1981-2008) das koloniale Narrativ vom düsteren Orient auf, dessen kulturelles Erbe allein durch das Einschreiten eines weißen, männlichen Helden vor dem Vergessen gerettet werden kann. Jüngere Beispiele wie die kommerziell erfolgreichen US-Serien 24 und Homeland setzen zudem auch politische Losungen wie den "War on Terror" der US-Regierung unterhaltungsmedial in Szene. Obwohl sich hier auch positive muslimische Charaktere finden – etwa in Gestalt des patriotischen CIA-Agenten oder des Spezialisten für Terrorismusbekämpfung –, lässt sich das Hinzufügen eines einzelnen, sympathischen Charakters zum bekannten Negativrepertoire schnell als oberflächliche Erzählstrategie entlarven, die einer Rassismuskritik zuvorkommen will. Dies erinnert an die Mechanismen, mit denen, wie oben gezeigt, muslimische Talkshowgäste rekrutiert werden: auch ihre Rolle erschöpft sich häufig in der Bestätigung eines negativen Islambildes.
Popkultur und Nachrichtenjournalismus weisen also Gemeinsamkeiten auf. Unterhaltungsmedien sind kommunikative Räume, in denen vorherrschende Vorstellungen von Muslim*innen als "kulturell Andere" aufgegriffen und fiktional verarbeitet werden. Die sich auch an anderen gesellschaftlichen Orten zeigende Diskriminierung von Muslim*innen – etwa im Bildungssystem, auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt – wird mittels derartiger Medienbilder symbolisch unterfüttert. Mit anderen Worten: Was an Erzählmustern öffentlich zirkuliert, schlägt sich auch auf das alltägliche Zusammenleben und das Handeln in Institutionen nieder. Die medial konstruierten Vorstellungen von Muslim*innen als fremd, kulturell inkompatibel und bedrohlich bekräftigen und normalisieren dabei gesellschaftliche Ungleichbehandlungen. Die Tatsache, dass der persönliche Kontakt zwischen Personen mit und ohne muslimische Identitätsbezüge zwar stetig zunimmt, es jedoch immer noch Regionen beziehungsweise Bevölkerungsgruppen in Deutschland ohne direkte Kontakterfahrungen gibt , unterstreicht die Wichtigkeit differenzierter, vielstimmiger, kritischer wie auch anerkennender Medienbilder. Für Menschen, die den Großteil ihres Wissens über Muslim*innen und den Islam aus Nachrichten und Unterhaltungsmedien beziehen, wird die gesellschaftspolitische Verantwortung auch populärer Mediendiskurse deutlich.
Zwar kann das Publikum fiktionale Medieninhalte durchaus als "nicht real" entschlüsseln. Antimuslimische Narrative werden also keinesfalls automatisch aus Unterhaltungsformaten in Alltagsdiskurse übertragen. Dennoch legen die besonderen Eigenschaften populärer Medien, etwa ihre emotionale Attraktivität, geringe Komplexität und ihr Hang zu optimistischen Gesellschaftsvisionen, nahe, dass durch sie auch reale soziale Phänomene effektiv vermittelt werden können. So kann es passieren, dass persönliche Islamerfahrungen schon einmal mit den Leseerinnerungen aus Karl Mays Orientromanen oder den "Märchen aus 1001 Nacht" vermischt werden.
Das emanzipative Potential filmischer Populärkultur
Filmische Populärkultur lässt sich jedoch nicht darauf beschränken, dass sie gesellschaftliche Ungleichheiten bekräftigt. In ihr findet mehr statt als die Reproduktion des negativen Islambildes. Unterhaltungsmedien sind immer auch Aushandlungsorte für Herrschaftskritik, gesellschaftliche Zugehörigkeit und kollektive Identitätsbildung. Plastisch werden diese Potentiale am Beispiel migrantisch-deutscher Filmproduktionen, die Erfahrungen der multikulturellen Gesellschaft als gesellschaftlich relevante Themen einführen. Durch sie werden migrantische Filmschaffende selbst zu aktiven Stimmen im öffentlichen Diskurs.
Dabei war das migrantische Kino in seinen Anfangsjahren noch stark von Problemperspektiven geprägt. Filme wie 40 m2 Deutschland (1985) von Tevfik Başer sowie Yasemin (1988) vom deutschen Regisseur Hark Bohm wurden zwar vielfach ausgezeichnet, griffen jedoch mit ihrer beklemmenden Darstellung muslimischer Frauenwelten das etablierte Opfernarrativ von der unterdrückten Muslima und ihren autoritären Ehemännern, Brüdern und Vätern auf. Ihre Geschichten erzählen von Isolation und Repression innerhalb muslimischer Familienstrukturen in einem Deutschland, das durch die Zuwanderung sogenannter "Gastarbeiter*innen" zwar kulturell und religiös pluraler geworden war, seine neuen Mitbürger*innen jedoch nicht wirklich anerkannte, so dass ein gesellschaftliches Zusammenwachsen blockiert wurde. Entsprechend handeln weitere frühe Filme von Ausgrenzung (Shirins Hochzeit, 1976) und rassistischen Anfeindungen (Die Kümmeltürkin geht, 1985, Dokumentarfilm). Deren Bemühungen, durch Visualisierung die Anerkennung in der Einwanderungsgesellschaft zu fördern, wurden in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch kaum erkannt, weshalb man sie letztlich als "Betroffenheitskino" abtat. Kontrapunkte setzen hier Rainer Werner Fassbinders Katzelmacher (1969) und Angst essen Seele auf (1973), die sich für migrantische Erfahrungswelten im vom Nationalsozialismus geprägten Nachkriegsdeutschland interessierten, ohne dabei "von fürsorglich ausgrenzendem Mitleid geprägt" zu sein.
Mit Beginn der 1990er Jahre wurde das Kino migrantischer Autor*innen thematisch vielfältiger und löste sich zunehmend vom Genre des Sozialdramas. Einen besonderen Entwicklungsschub nahmen dabei deutsch-türkische Filmproduktionen, die sich zunächst über Kurzfilme (z.B. Ein Fest für Beyhan, 1994) der Öffentlichkeit präsentierten. Später kamen komödiantische Stoffe über das Berliner Alltagsleben (Ich Chef, du Turnschuh, 1997), Erzählungen über homosexuelle Liebesbeziehungen und fluide Genderidentitäten (Lola und Bilidikid, 1999) sowie Fatih Akins erster Kinoerfolg und Gangsterballade Kurz und Schmerzlos (1997) hinzu. Von der (internationalen) Öffentlichkeit spätestens seit Gegen die Wand (2004) gefeiert, setzte Akin fortan neue Maßstäbe für ein multithematisches migrantisches Kino, das neben Herkunfts-, Generations- und Identitätsfragen stets auch die deutsche Gesellschaft als selbstverständliche Heimat porträtierte.
Die Erzählungen migrantischer und anderer Filmschaffender zeigen, wie in Filmen stereotypen Mehrheitsvorstellungen von migrantischen und muslimischen Lebensweisen widersprochen werden kann und diese zugleich emotional zugängliche Gegenbilder schaffen. Filmische Popkultur stellt dabei immer auch ein "Konfliktfeld" verschiedener Interpretationen dar. Hier zeigt sich ihre Vieldeutigkeit: Wo Culture-Clash-Serien wie Türkisch für Anfänger (2006-2008) trotz ihres humoristisch-aufklärerischen Grundtons in starren Erzählmustern und Figurenzeichnungen verhaftet bleiben, gelingt es Filmen wie Almanya – Willkommen in Deutschland (2011) durch originell-komische Sprachspiele und ironische Überzeichnungen dem Publikum seine eigenen stereotypen Erwartungshaltungen vorzuführen. Dabei sind humoristische Formate keinesfalls nur kritisch gegenüber antimuslimischen Erzählmustern. Comedians wie Bülent Ceylan etwa reproduzieren in teils expliziter Weise hochgradig stereotype Deutungen. Als Witz getarnt und von einer als muslimisch inszenierten Künstlerfigur vorgetragen, werden hier antimuslimische Diskurse durch scheinbar authentische Muslim*innen bekräftigt.
Fazit
Es zeigt sich, dass sich das heutige Islambild am Scheideweg zwischen dauerhafter Negativagenda und zögerlicher Erneuerung befindet. Durch das Internet ist es muslimischen Stimmen heute verstärkt möglich, eigene Beiträge zu setzen und so öffentlich sichtbar zu werden. Solange ihre Perspektiven jedoch nicht in traditionelle Medien einfließen, bleibt ihre gesellschaftliche Wirkung beschränkt.
Der strukturelle Rassismus des Islambildes großer Medien hängt eng mit antimuslimischen Einstellungen in der Bevölkerung sowie strukturellen Rassismen in anderen Gesellschaftsbereichen – in Bildungseinrichtungen, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt – zusammen. Die negativ-stereotypen "Wissensstrukturen" moderner Medien reflektieren und prägen zugleich den strukturellen Rassismus in anderen Teilen der Gesellschaft. Ohne eine grundsätzliche Revision und kulturelle Öffnung unserer Medienbilder werden wir Rassismus nicht überwinden. Im Gegenteil:
Besonders in Sozialen Medien werden islambezogene Debatten zunehmend radikal geführt. Auch rechtspopulistische Akteur*innen nutzen virtuelle Plattformen für ihre anti-demokratische Propaganda. Von ihnen geht die Gefahr aus, das umkämpfte Selbstbild Deutschlands als plurale, offene und liberale Gesellschaft nachhaltig zu beschädigen.
Eine differenziertere Medienagenda erfordert einen internen Umbau der Islamberichterstattung weg von einer Fokussierung auf Politik und Konflikte hin zu einer breiteren sozialen, theologischen und alltagsbezogenen Palette an Themen und Deutungsmustern.
Zu diesem Zweck sollten öffentlich-rechtliche Sender ihre Islamberichterstattung bilanzieren und Programme von der Rand- in die Hauptsendezeit verlegen, die die kulturelle und religiöse Pluralität Deutschlands porträtieren. Auch deutsche Privatmedien bedürfen der selbstkritischen Auseinandersetzung über strukturelle Zwänge und redaktionelle Routinevorgänge, gegen die es sensibilisierte Journalist*innen schwer haben, Änderungen anzustoßen.
Zentral für nachhaltige Veränderungsprozesse ist auch, der Unterpräsentation migrantischer bzw. muslimischer Journalist*innen zu begegnen: Bestehende Qualifizierungs- und Förderprogramme sollten ausgebaut werden, damit sich unter den Medienschaffenden ein vielfältiges Perspektiv- und Erfahrungsspektrum entwickeln kann.
Nicht zuletzt hängen Mediendiskurse nicht nur von den Produzent*innen, sondern auch vom Wissen und den Interpretationsaktivitäten des Publikums ab. Rezipient*innen sollten daher frühzeitig in ihren Medienkompetenzen gefördert werden. Dies sollte insbesondere in Bildungsinstitutionen wie Schule und Universität erfolgen.
Prof. Dr. Kai Hafez. Seit 2003 Professor für die Vergleichende Analyse von Mediensystemen/Kommunikationskulturen an der Universität Erfurt. Studium der Politikwissenschaft, Neueren Geschichte, Journalistik und Islamwissenschaft, Habilitation 2001. 2018 Gründung des MA-Studiengangs "Global Communication: Politics & Society". Forschungsschwerpunkte u.a. Theorien der globalen Kommunikation, politische Beziehungen Westen/islamische Welt, Islamophobieforschung.
Sabrina Schmidt, M.A. Studium der Kommunikations- und Literaturwissenschaft. Doktorarbeit zum Thema antimuslimischer Alltagsrassismus an der Universität Erfurt. Seit 2011 Lehr-, Vortrags- und Forschungstätigkeit in den Bereichen Medien und Migration, Rassismus und Populärkultur.
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