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Rechtsextremismus und religiös begründeter Extremismus | Reflect Your Past | bpb.de

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Rechtsextremismus und religiös begründeter Extremismus

Manjana Sold

/ 12 Minuten zu lesen

Grundsätzlich wird zwischen "politisch motiviertem" und "religiös motiviertem" Extremismus unterschieden. Im Folgenden werden die beiden Formen Rechtsextremismus und islamistischer Extremismus näher betrachtet.

(© Bundeszentrale für politische Bildung)

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Nach der Definition des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zielen extremistische Personen darauf ab, "die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen" (Bundesamt für Verfassungsschutz o.J.a). Der Extremismusbegriff steht als "Oberbegriff für verschiedene Extremismusvarianten", die sich "hinsichtlich ihrer Organisationsform", "Aktionsformen" und "Intensität" unterscheiden (Mannewitz et al. 2018: 19-22). Als gemeinsamer Nenner unterschiedlicher Formen des Extremismus kann die Ablehnung der "Institutionen konstitutioneller Demokratie" festgemacht werden (Jesse/Mannewitz 2018: 159). Doch wenn Extremist*innen auf die Bekämpfung der Demokratie abzielen, dann müssen sie auch eine Vorstellung darüber haben, wie ihres Erachtens eine bessere politische Ordnung auszusehen hat. Was ist also die Alternative, die extremistische Personen den Werten der freiheitlich demokratischen Grundordnung vorziehen?

Diese Frage kann unterschiedliche Antworten haben, da sie auf die vertretene Ideologie von extremistischen Personen oder Gruppen abzielt. Grundsätzlich wird zwischen "politisch motiviertem" und "religiös motiviertem" Extremismus unterschieden (Bötticher/Mareš 2012: 219, 243). Im Folgenden werden die beiden Formen Rechtsextremismus und islamistischer Extremismus näher betrachtet.

Islamistischer Extremismus

Beim religiös motivierten Extremismus "handelt es sich um eine religiöse Bewegung, die einer Anschauung oder Auslegung folgt, die keine andere neben sich toleriert und/oder deren Anhänger bereit sind, diese auch mit gewalttätigen Mitteln durchzusetzen" (Dienstbühl 2019: 145). Der islamistische Extremismus stellt eine Form des religiös motivierten Extremismus dar und wird häufig auch als "Islamismus" bezeichnet (vgl. Bötticher/Mareš 2012: 245f.). Doch eine "allgemein akzeptierte Definition des Begriffs Islamismus gibt es nicht" (Seidensticker 2014: 9). Das BfV definiert "Islamismus" als "eine Form des politischen Extremismus", die "[u]nter Berufung auf den Islam […] auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab[zielt]" (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019: 170). Während die Definition des BfV insbesondere das Extremistische, also die Bekämpfung des Verfassungsstaates betont, sind in der Wissenschaft auch breitere Definitionen von Islamismus vorzufinden, die das Ziel der Umstrukturierung von Staat und Gesellschaft hervorheben. So definiert Seidensticker (2014: 9) Islamismus als "Bestrebungen zur Umgestaltung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von Werten und Normen, die als islamisch angesehen werden."

Nach Farschid und Rudolph sind die kennzeichnenden Merkmale islamistischer Ideologie:

  • "die Ableitung eines explizit politischen Anspruchs der islamistischen Religion",

  • "Bezüge auf das islamische Recht[,] [die] nicht allein als Rechtssystem, sondern als ein spezifisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip verstanden [werden]",

  • die Deutung von Koran und Sunna als "Funktion eines Gesetzbuchs mit Vorbildcharakter für politisches Handeln",

  • "Versuche, spezifische Herrschaftskonzepte durch Bezüge auf vermeintlich religiöse Grundlagen zu legitimieren",

  • der "Anspruch auf absolute Wahrheit [und] Zurückweisungen des Prinzips des Säkularismus",

  • die Konstruktion von "Feindbilder[n] von 'Juden' und 'Christen', die Nichtmuslime als vermeintliche 'Ungläubige' diffamieren und die häufig auf einer dichotomischen Zweiteilung der Welt auf 'Gebiet des Islam' (dar al-islam) und ein 'Gebiet des Krieges' (dar al-harb) basieren" sowie "sämtliche Bezüge auf die militante Variante des Dschihad" (2008: 406 ff.).

Die in den letzten Jahren relevanteste Form des islamistischen Extremismus in Deutschland stellt der Salafismus dar. Nach Angaben des BfV ist "der Salafismus […] nach wie vor die am stärksten wachsende islamistische Strömung in Deutschland" (Bundesamt für Verfassungsschutz o.J.b). Auch Dominic Musa Schmitz aus der Webvideoreihe "Reflect Your Past" war ein Salafist. Doch auch innerhalb des Salafismus gibt es Unterschiede; insbesondere hinsichtlich der Gewaltfrage. Die bekannteste Kategorisierung in "puristische", "politische" und "dschihadistische" Salafist* innen stammt von Quintan Wiktorowicz (2006: 207-239). Obschon der Islamismus in Deutschland häufig mit dem "Salafismus und Jihadismus" in Verbindung gebracht wird, sind diese jedoch "lediglich als Facetten des Islamismus zu verstehen, zu dem auch diverse nicht-salafistische Strömungen und Organisationen gehören" (Said 2017: 12). So differenziert auch das BfV unter dem "Oberbegriff 'Islamismus'" zwischen "legalistischen Strömungen", "islamistisch-terroristischen Gruppierungen" und "jihadistischen Gruppierungen", die sich in verschiedenen Gruppen, Organisationen oder politische Parteien zeigen (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019: 170, 178).

Rechtsextremismus

Unter politisch motiviertem Extremismus fallen klassische politische Lager des extrem rechten und linken Spektrums. Der Rechtsextremismus ist somit eine Form des politischen Extremismus. Ähnlich wie beim Islamismus besteht auch beim Begriff des Rechtsextremismus keine allgemeingültige Definition (Stöss 2010: 10) und der Rechtsextremismus "stellt in Deutschland kein ideologisch einheitliches Phänomen dar" (Bundesamt für Verfassungsschutz o.J.c). Eine Expertengruppe von Forschenden hat sich auf folgende Definition geeinigt (Stöss 2010: 57): "Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen." Eine ähnliche Definition ist bei Hans-Gerd Jaschke (2001: 30) zu finden, der jedoch im Gegensatz zur bloßen "Affinität zu diktatorischen Regierungsformen" (siehe oben Stöss 2010: 57) im Rechtsextremismus eine Ablehnung des "Wertepluralismus einer liberalen Demokratie", des "Multikulturalismus" sowie das Ziel, "Demokratisierung rückgängig machen [zu] wollen" erkennt.

Neben "rassistischen und nationalistischen Anschauungen" sind "Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie […] Demokratiefeindschaft" einschlägige Kennzeichen rechtsextremistischer Ideologien, weshalb das "rechtsextremistische Werteverständnis […] in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz [steht]" (Bundesamt für Verfassungsschutz 2019: 46).

Ähnlich wie beim Begriff Islamismus handelt es sich auch beim Terminus Rechtsextremismus um einen Sammelbegriff, unter den diverse Gruppen und Organisationen fallen. So sind rechte und/oder rechtsextremistische Einstellungen in Parteien (wie NPD, Der III. Weg, AfD), bei Bürger- und Protestbewegungen (wie PEGIDA, Identitäre Bewegung Deutschland, Neue Rechte) oder auch in sonstigen gewalttätigen Gruppen (wie Autonome Nationalisten, Oldschool-Society) beobachtbar (Dienstbühl 2019: 98-104).

Unterscheidung "politischer" und "religiöser" Extremismus in der Kritik

Inwieweit die Bezeichnungen "politischer" und "religiös motivierter" Extremismus aufrechtzuerhalten sind, sollte zumindest deshalb einer kritischen Reflexion unterzogen werden, da die Bezeichnung "religiös" als Gegenstück zu "politisch motiviert" den Anschein vermittelt, religiös motivierter Extremismus sei apolitisch. Doch der Extremismusbegriff an sich hat immer eine politische Komponente. Nach Backes (2006: 198) wurden Anfang der 70er Jahre in Deutschland auf Bundesebene diejenigen als Extremist*innen bezeichnet, die "verfassungsfeindliche" (Hervorhebung im Original) Bestrebungen unternahmen. Der Begriff des Extremismus referiert somit immer auf einen politischen Kontext. Daher ist religiös motivierter Extremismus auch immer politisch motiviert. Spezifisch an dieser Form des Extremismus ist lediglich, dass die extremistischen politischen Ideen und Handlungen aus religiösen Quellen abgeleitet werden. Eine alternative Bezeichnung könnte daher "religiös-politisch motivierter Extremismus" (vgl. Hafeneger 2015) sein, der als eine (Sub-)Kategorie des politisch motivierten Extremismus gedacht werden kann. In diesem Sinne bezeichnet beispielsweise Kailitz (2004: 164, 172) den islamistischen Extremismus als eine "religiöse Variante des politischen Extremismus" oder Gansewig (2018: 466) als "religiös begründete Form des politischen Extremismus". Die Unterscheidung in "politisch motivierten" und "religiös motivierten" Extremismus sollte daher stets reflektiert werden, da es sich dabei – im Hinblick auf den in beiden Fällen gegebenen politischen Charakter – um eine künstliche Trennung handelt.

Formen des Extremismus: Ähnlichkeiten und Unterschiede

Wie bereits dargestellt, gibt es unterschiedliche Formen des Extremismus, die sich insbesondere ideologisch und in ihren Zielsetzungen unterscheiden. Doch auch wenn sie auf unterschiedlichen Ideologien basieren, zeigen sich ideologieübergreifende "gleiche psychosoziale Grundmuster in den biographischen Entwicklungen" von extremistischen Personen (Lützinger 2010: 67). Dies wird insbesondere bei den Biografien von Dominic Musa Schmitz und Maximilian Kelm deutlich. Obwohl beide jungen Männer Radikalisierungsverläufe mit gegensätzlichen Ideologien (Salafismus vs. Neonazismus) durchliefen, sind große Ähnlichkeiten in ihren Radikalisierungsprozessen zu erkennen: Sowohl Dominic als auch Maximilian beschreiben ihre Jugend als isoliert, was wiederum beide anfälliger für die Wirkungskraft einer einschlägigen Kontaktperson machte, nämlich eines Schulfreundes – bei Dominic handelte es sich um einen muslimischen Freund mit marokkanischem Hintergrund, bei Maximilian hingegen um einen deutschen Mitschüler aus der Parallelklasse. Beide kamen durch diese Schlüsselpersonen in die jeweilige Szene und beschreiben das Ereignis als Beginn ihres Radikalisierungsprozesses. Auch die Entwicklungen danach zeigen Parallelen: Der Freundeskreis veränderte sich rasant, beide durchliefen eine Veränderung ihres äußerlichen Erscheinungsbildes der jeweiligen Ideologie entsprechend und auch der Lebensstil wandelte sich binnen kurzer Zeit. Menschen, die eine Radikalisierung durchlaufen und dies vor allem optisch nach außen tragen, bleiben selten unbemerkt. Auch Dominic und Maximilian erzeugten mit ihrem Wandel Reaktionen in ihrem Umfeld, die die beiden Aussteiger ähnlich beschreiben: Zwar lösten sie teilweise Ehrfurcht aus, doch erhielten sie auch Respekt und Akzeptanz – vor allem im Schulumfeld. Mit dem steigendem Selbstwertgefühl engagierte sich Dominic immer stärker in der Dawa-Arbeit und Maximilian verteilte Flugblätter, klebte Flyer in der Nachbarschaft auf und nahm an Demonstrationen teil, bis sich beide von Einsteigern zu Rekrutierern entwickelten. Sowohl Dominic als auch Maximilian beschreiben, wie sehr sie vor allem die Gruppenzugehörigkeit und die gemeinsamen Aktivitäten innerhalb der Gruppe schätzten, sodass ihre Bereitschaft, für die Gruppe aktiv zu werden und für die Überzeugungen zu kämpfen, immer größer wurde.

Auch der Beginn der Deradikalisierung weist bei beiden Aussteigern eine große Ähnlichkeit auf. In beiden Fällen markierte ein einschlägiges Gespräch den Beginn ihres Reflexionsprozesses. In diesen Gesprächen wurde ihnen das Gefühl vermittelt, dass ihre Persönlichkeiten nicht mit dem Bild ihrer propagierten Ideologie in Einklang seien, was wiederum beide jungen Männer zum Überdenken ihrer Überzeugungen anregte. Die Ähnlichkeiten im Radikalisierungsprozess des Ex-Salafisten und Ex-Neonazis verdeutlichen, dass verschiedene Formen des Extremismus bzw. des Radikalismus oft nach ähnlichen Mustern verlaufen, so sehr sie auch unterschiedlichen – oder gar gegensätzlichen – Ideologien unterliegen. Dieses Muster kennzeichnet sich häufig durch Schlüsselereignisse/-begegnungen, die den Beginn des Prozesses markieren, eine immer stärkere Anbindung an die Szene und das dadurch steigende Selbstwertgefühl, der Übergang vom Mitläufer zum aktiven Mitglied (Rekrutierer) und letztendlich ein/e Schlüsselereignis/-begegnung, das/die erste Zweifel und damit einen Reflexionsprozess auslöst.

Doch nicht nur Ereignisse, Handlungen und Aktivitäten zeigen in den verschiedenen Extremismusformen Ähnlichkeiten auf, sondern auch Überzeugungen und Ideen. So denken und argumentieren sowohl extremistische Salafist*innen als auch Neonazis oft in Schwarz-Weiß-Mustern und zeichnen sich durch eine stark vereinfachende Sicht auf die Welt aus (für Salafismus siehe El-Mafaalani 2014: 356). Komplexe politische Kontexte werden nicht berücksichtigt, Einzelfälle werden verallgemeinert und es werden Feindbilder konstruiert, die an allem Übel Schuld tragen und deren Existenz die eigenen politischen – teilweise sogar gewaltvollen – Handlungen rechtfertigen.

Ähnliche Muster und Dynamiken haben unter anderem dazu geführt, dass in den letzten Jahren das gesellschaftliche, aber auch das wissenschaftliche Interesse an Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Ursachen und Verläufen unterschiedlicher Extremismusformen zugenommen hat. Daher beschäftigen sich die Extremismus- und Radikalisierungsforschung, aber auch Präventionsakteure, vermehrt mit sogenannten "phänomenübergreifenden Ansätzen" (Gruber et al. 2016: 5). Für phänomenübergreifende Erzählungen verwenden Meiering et al. (2018: 10) den Begriff "Brückennarrative" und bezeichnen als solche "ideologische Diskurselemente (Ideologeme) oder Narrative, die von verschiedenen Gruppen geteilt werden". So seien beispielsweise Haltungen wie Antisemitismus, Anti-Imperialismus, Anti-Modernismus, Anti-Universalismus oder Anti-Feminismus über "verschiedene radikalisierte Gruppen hinweg" vorzufinden (Meiering et al. 2018: 26). Auch wenn solche Brückennarrative "zwar in den jeweiligen Bereichen unterschiedlich zugeschnitten [sind], gehören [sie] aber zu den gleichen narrativen Bündeln und erfüllen ähnliche Funktionen. Sie strukturieren Wahrnehmungsmuster, Zugehörigkeitsattributionen und Handlungsoptionen und wirken dadurch als Transmissionsriemen für Radikalisierungsprozesse" (Meiering et al. 2018: 10). Um die phänomenübergreifende Funktion solcher Narrative zu verdeutlichen, zeigen die Autoren und Autorin anhand von konkreten Beispielen, dass es "immer wieder Radikalisierungsverläufe [gibt], in denen zwischen verschiedenen Gruppen und Zugehörigkeiten gewechselt wird" (Meiering et al. 2018: 10).

Oft stehen jedoch Vergleiche zwischen verschiedenen Extremismusformen in der Kritik, sie würden die verschiedenen Extremismusformen gleichsetzten (Pfahl-Traughber 2018: 12), da die unterschiedlichen Phänomene "über einen Kamm" geschert würden (Mannewitz et al. 2018: 49). Jedoch handelt es sich um "Gemeinsamkeiten, nicht um Gleichsetzungen" (Mannewitz et al. 2018: 20) und phänomenübergreifende Ansätze können dazu beitragen, Extremismus – unabhängig von seinen verschiedenen Erscheinungsformen – besser zu verstehen. Daher sollten solche Ansätze nicht zweifellos aufgegeben werden, sondern vielmehr als ein breiter angelegtes Erkenntnissinteresse anstatt eines Gleichbehandlungsversuches betrachtet werden.

Ursachen von Extremismus

Mit der Forschung der Ursachen des Extremismus beschäftigen sich neben der Extremismusforschung auch weitere Forschungsstränge wie unter anderem die Radikalisierungsforschung, soziale Bewegungsforschung, Terrorismusforschung oder Forschung zu politischer Gewalt. Diese verfolgen unterschiedliche theoretische Zugänge. Daher ist es nicht verwunderlich, dass psychologische, sozialpsychologische, politische und ideologische Ansätze zur Erklärung verschiedener Extremismusformen vorzufinden sind (vgl. Miliopoulos 2018: 210-235). Diese operieren auf unterschiedlichen Analyseeinheiten wie der individuellen Ebene, Gruppenebene und gesellschaftlichen Ebene.

Häufig genannte Ursachen im Bereich des Rechtsextremismus sind beispielsweise Persönlichkeitsmerkmale wie Narzissmus (Nölke 1998: 259-268), familiäre Bedingungsfaktoren wie autoritärer Erziehungsstil (Noack 2001), "extreme Emotionen" im Kindheitsalter (Wahl 2006: 159), Anomie (Fuchs 2003: 41), ökonomische und Deprivation und geringe Bildung (Baier et al. 2016: 303f.) oder gruppensoziologische Faktoren, die durch die Anbindung an eine Gruppe bzw. "Clique" (Lützinger 2010: 70) erfahren werden.

Auch für den islamistischen Extremismus zeigen sich ähnliche Faktoren wie gebrochene Familiensozialisation (Schäuble 2012), autoritär-patriarchalisch geprägte Elternhäuser (Meng 2004: 279), sozio-demografische und ökonomische Faktoren (El-Mafaalani 2014: 357), virtueller Kontakt mit extremistischen Gruppen/Personen (für islamistischen Extremismus und Rechtsextremismus siehe Dienstbühl/Weber 2014) oder Kontakt zu radikalen Milieus (Malthaner/Waldmann 2012). Im Gegensatz zum Rechtextremismus werden für den islamistischen Extremismus in nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaften häufig weitere Faktoren wie Diskriminierungserfahrungen (Victoroff et al. 2012: 791) oder ökonomische und soziale Marginalisierung (Abbas 2007: 10) genannt.

Die Liste der möglichen Ursachen von Extremismus ist lang. Es kann jedoch festgehalten werden, dass sich kein typisches Profil radikaler oder extremistischer Personen abzeichnen lässt, sondern verschiedene "Typen von Extremisten" bestehen (Miliopoulos 2018: 209). Daher sind auch monokausale Erklärungsansätze wenig erkenntnisgewinnend; vielmehr muss die Zusammenwirkung verschiedener Bedingungsfaktoren untersucht sowie die Verbindung verschiedener Ansätze vorangetrieben werden.

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Manjana Sold ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Mitglied der Leibniz-Forschungsgruppe Radikalisierung sowie Research Fellow am Institute for Strategic Dialogue (ISD). Ihre Forschungsschwerpunkte sind insbesondere die Rolle des Internets in individuellen Radikalisierungsprozessen und der Zusammenhang zwischen virtueller und realweltlicher Radikalisierung. Sie promoviert zu Mobilisierungstechniken salafistischer und rechtsradikaler Akteure in der virtuellen Welt.