Politische Medienbildung
/ 8 Minuten zu lesen
Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.
Mit diesem vielzitierten und kritisierten ersten Satz
Transformation, Treiber und Wechselwirkungen
KI ist Teil einer digitalen Transformation unserer Gesellschaft, die zu einem neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit
Zur ersten Einordnung lassen sich vier soziotechnologische Prozesse dieser Transformation unterscheiden:
die Digitalisierung als Speicherung und Bereitstellung von Daten in digitaler und damit fluider Form,
die Vernetzung von menschlicher und nichtmenschlicher Informationsverarbeitung in gesellschaftliche Kommunikationstrukturen,
die Sensorisierung als Erfassung von Daten aus der Umwelt und
die Algorithmisierung als Automatisierung von Informations- und Kommunikationsprozessen – die KI „kommuniziert mit“ in unserer soziotechnischen Gesellschaft.
Das Zusammenspiel der vier Treiber lässt sich am Beispiel des Lesens einer Nachricht auf Social Media mit dem Smartphone verdeutlichen. Diese Interaktion ist etwas völlig anderes als das Lesen in einer gedruckten Zeitung: Die digitale Nachricht (a), mittels Algorithmen kuratiert, möglicherweise sogar von einer generativen KI, einem Bot erstellt (d), ist Effekt einer global vernetzten Plattform eines Internetkonzerns (b). Während des Lesens werden Lesegeschwindigkeit, Interaktionsverhalten, geographische Position, usw. über Sensoren des Smartphones erfasst (c) und wieder in das dynamische Miteinander von Menschen und Maschinen mit dem ökonomischen Ziel eingespeist, das „Engagement“ der User*innen möglichst lange hoch zu halten.
Im Zusammenspiel der vier treibenden Prozesse mit sozialen Faktoren, etwa konkreten politischen Absichten, entstehen Gefahren der Desinformation (Fakenews und Deepfakes mithilfe von KI-Anwendungen), der Inzivilität (Hate Speech und das Abwandern in geschlossene Gruppen des „Dark Social“) und der algorithmischen Diskriminierung
Nicht deterministisch, nicht neutral und
hoch dynamisch
Technologie allein bestimmt keine sozialen Veränderungen (Technikdeterminismus). Sie ist „weder gut, noch böse; noch ist sie neutral“ - lautet das erste Kranzbergsche Gesetz
Leben wir in „digitalen Sozialmaschinen“?
Die genannten Rahmenbedingungen, Treiber und Positionen, die für die politische Medienbildung relevant sind, müssten aufbereitet und verdichtet werden, um sie in der Bildungspraxis später einsetzen zu können. Ein Vorschlag und eine konzeptionelle Metapher hierzu ist die digitale oder algorithmische Sozialmaschine
„Social Machines“ entstammen konkreten Theoriekonzepten der Web Science
Aufklärung, Ermächtigung und Grenzen
Eine zeitgemäße politische Medienbildung kommt nicht umhin, einen Blick in den ‚Maschinenraum‘ unserer datafizierten und algorithmisierten Gesellschaft zu werfen. Gefragt ist ein grundlegendes Wissen darüber, wie Deepfakes und Steuerungspraktiken, wie Micro-targeting, Neuromarketing und Big Nudging, kommunikative Rahmenbedingungen und politisches Geschehen verändern. Politische Meinungsbildung, Teilhabe und Empowerment sollten somit durch das Zusammenwachsen von politischer Bildung und kritischer Medienbildung gestützt werden. Zu den Anforderungen und Erwartungen an ein selbstbestimmtes Subjekt liegt eine breite Diskussion mit einer Vielzahl von Kompetenz- und Literacy-Begriffen vor: Neben Medienkompetenz
informatisches Grundlagenwissen über Algorithmen, Machine Learning und digitale Infrastrukturen,
wirtschaftswissenschaftliches Wissen über Geschäftsmodelle in der globalen Datenökonomie,
psychologische Kenntnisse, etwa über kognitive Verzerrungen und Persönlichkeitsmodelle, die Basis für das micro-targeting sind,
sprachliches und sprachphilosophisches Wissen darüber, wie wir über KI sprechen und (ob und) wie KI mit uns „spricht“,
mathematisch-statistische Kenntnisse, um Wahrscheinlichkeitsaussagen interpretieren zu können,
rechtliches Wissen über Daten-, Urheber- und Verbraucherschutz,
sozialethisches Hintergrundwissen zur normativen Bewertung, etwa von Diskriminierungsgefahren.
Jenseits einer Kompetenzorientierung und der Neuverfugung von Wissensbereichen sollte die Bildungsperspektive eigens betont werden: Im Rückgriff auf die digitale Mündigkeit als aufklärerisches Ziel und den Bildungsbegriff Wilhelm von Humboldts als wechselseitige Durchdringung von Ich und Welt, treten hier kritisches Denken und Persönlichkeitsbildung in den Vordergrund. Bildung in der digitalen Welt erschöpft sich nicht in mehr erlerntem Wissen und neuen quantitativ messbaren Kompetenzen, sondern von Bedeutung ist eine reflexive, qualitative Veränderung der Welt- und Selbstbilder
Weitere Inhalte
Dr. Harald Gapski ist Kommunikations- und Medienwissenschaftler und leitet den Diskurs Wissenschaft am Grimme-Institut in Marl. Zuletzt arbeitete er in Projekten des Grimme-Forschungskollegs an der Universität zu Köln und war fellow am Center for Advanced Internet Studies in Bochum. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von kritischer Medienbildung, digitalen Kulturen und Wissenskommunikation.
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!