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Über den Tellerrand: Virtuelle Influencer*innen | Wenn der Schein trügt – Deepfakes und die politische Realität | bpb.de

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Über den Tellerrand: Virtuelle Influencer*innen Zwischen Faszination und Unheimlichkeit

Daniel Hajok Paulina Roloff

/ 8 Minuten zu lesen

Virtuelle Influencer können den Betreibern viel Geld einbringen. Die KI-generierten Deepfake-Influencer haben teilweise eine große Reichweite auf Sozialen Medien. Auch diese Figur hier ist teilweise mit KI generiert. | Illustration: www.leitwerk.com (© bpb)

Die Bedeutung von Social Media ist groß, gerade im Alltag von Jugendlichen. Beliebte Influencer*innen haben nicht nur zahlreiche Follower*innen, sondern auch die Macht und Fähigkeit, diese zu beeinflussen. Influencer*innen sind bereits ein langjähriges Phänomen sozialer Medien, – relativ neu sind die programmierten bzw. KI-basierten Vertreter*innen, die in jüngerer Zeit verstärkt Einzug auf den Plattformen erhalten haben. Obwohl nicht menschlich, gewinnen diese virtuelle Influencer*innen zunehmend an Präsenz und Einfluss. Das wirft grundlegende Fragen zur Beziehung zwischen Mensch und Technologie generell und zum Einfluss auf die jungen Follower*innen speziell auf. Die rasante Entwicklung von Deepfake-Technologien ermöglicht es zudem, die Kreation und Verbreitung virtueller Influencer*innen weiter zu steigern und ihre Erkennbarkeit zu erschweren.

Die Welt der virtuellen Influencer*innen

Virtuelle Influencer*innen gewinnen in den sozialen Medien zunehmend an Bedeutung. Seit ihrer Einführung zuerst auf Instagram im Jahr 2016 hat ihre Popularität zugenommen. Sie präsentieren sich ähnlich wie menschliche Influencer*innen mit Fotos, Videos und Geschichten aus ihrem 'Leben'. Doch im Gegensatz zu realen Personen existieren sie ausschließlich online und werden mit einer spezifischen Persönlichkeit versehen. Sie können eine Vielzahl an Formen annehmen, von cartoonartigen Figuren bis hin zu hyperrealistischen Charakteren, die kaum von menschlichen Influencer*innen zu unterscheiden sind. Einige scheinen in einer virtuellen Welt zu existieren, während andere den Anschein erwecken, in der realen Welt zu leben.

Virtuelle Influencer*innen werden vorrangig von Agenturen oder Unternehmen, aber teilweise auch von Einzelpersonen digital erschaffen, manchmal unter Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Ihr Ziel ist es, Einfluss auf sozialen Medien bzw. die Nutzer*innen zu gewinnen, indem sie Inhalte teilen und mit ihrem Publikum interagieren. Sie haben ein digital erstelltes Gesicht, das entweder mit einem digitalen Körper verbunden oder auf das Foto eines realen Körpers gesetzt wird. Die Diskussionen um sie sind kontrovers, vor allem in Bezug auf die Grenzen zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem sowie die Darstellung unrealistischer Schönheitsideale, die schon länger im Hinblick auf ein problematisches Vergleichsverhalten junger Follower*innen diskutiert werden, das oft in eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper mündet. Auch die Authentizität und Transparenz sind umstritten, denn nicht alle Accounts der virtuellen Influencer*innen weisen darauf hin, dass es sich um digital erstellte Figuren handelt. Ihre Wahrnehmung durch ihre Follower*innen scheint außerdem vom Uncanny-Valley-Effekt beeinflusst: Sehen künstliche Figuren zu menschenähnlich aus, kann das Misstrauen und Unheimlichkeit auslösen. Die Folge davon ist, dass sie als weniger authentisch wahrgenommen werden und ein Gefühl der Befremdung entsteht.

Auch wenn häufig nicht klar ist, wer hinter den virtuellen Influencer*innen steht, ziehen sie viele Follower*innen an und beeinflussen deren Vorlieben und Einstellungen, ja sogar deren Verhalten. Sie arbeiten ähnlich wie menschliche Influencer*innen mit Marken zusammen und verbreiten Werbung via Social Media. Ursprünglich wurden sie entwickelt, um Marken vor potenziellen Skandalen zu schützen und als kontrollierbare Werbefläche zu dienen. Die Meinungen über sie sind geteilt: Einige sind fasziniert, andere äußern ethische Bedenken, insbesondere was die mangelnde Transparenz hinsichtlich der Entwicklung sowie die Präsentation unerreichbarer Schönheitsideale betrifft.

Der Aufstieg der digitalen Charaktere: Entstehung und Erfolg

Abb. 1: Die virtuelle Influencerin Lil Miquela (2023) (© Instagram: @lilmiquela)

In den USA und Asien sind virtuelle Influencer*innen schon seit einigen Jahren fest etabliert, und auch in Europa wird dieses Phänomen immer beliebter. Im Jahr 2016 wurden sie erstmalig auf Instagram lanciert und durch ihre aktive Beteiligung an Marketingkampagnen schnell als „Influencer*innen“ identifiziert. Technologische Fortschritte, insbesondere in den Bereichen CGI (Computer Generated Imagery) und KI, haben es ermöglicht, virtuelle Influencer*innen mit realistischen Eigenschaften und Verhaltensweisen zu erschaffen. Als eines der bekanntesten Beispiele gilt Externer Link: Lil Miquela (Abb. 1), die im Jahr 2016 von einer amerikanischen Agentur auf Instagram eingeführt wurde und inzwischen 2,6 Mio. Follower*innen hat – den eigenen YouTube- und TikTok-Kanal nicht mitgezählt. Entwickelt von der amerikanischen Agentur Brud mit dem Ziel, neue Modelle für Storytelling zu kreieren, führt der computergenerierte Charakter durch den ‚eigenen‘ Alltag und unterstützt unter anderem die Bewegung Black Lives Matter.

Abb. 2: Das virtuelle Supermodel Shudu Gram (2021) (© Instagram: @shudu.gram)

Nach dem Erfolg tauchten immer mehr virtuelle Influencer*innen auf Instagram auf, so auch Externer Link: Shudu Gram (Abb. 2), das weltweit erste digitale Supermodel mit immerhin 240.000 Instagram-Follower*innen. Mittlerweile haben sich virtuelle Influencer*innen eine treue Fangemeinde aufgebaut und sind zu Markenbotschafter*innen für verschiedene Produkte und Unternehmen geworden. Ihr Erfolg basiert weniger auf ihrem (beinahe perfekten) menschenähnlichen Aussehen, sie werden vielmehr mit komplexen Persönlichkeiten und Geschichten ausgestattet, die eine emotionale Bindung zu ihren Follower*innen aufbauen. Sie treffen Freund*innen, machen Selfies, teilen ihre Playlists. Und sie verdienen Geld durch Product-Placement. Weiterentwickelt und lernfähig durch KI, wird die Grenze zwischen realem und digitalem Wesen zunehmend verschwimmen.

Virtuelle vs. reale Influencer*innen: Einfluss auf Jugendliche

Virtuelle Influencer*innen ähneln in vielerlei Hinsicht ihren menschlichen Pendants. Sie nutzen soziale Medien, um mit ihren Follower*innen zu interagieren und Beziehungen aufzubauen. Jugendliche sehen Influencer*innen generell als bedeutende Vorbilder und bringen ihnen Bewunderung entgegen. Gründe für die Zuwendung zu Influencer*innen sind das Wecken von Interessen, Unterhaltung und die Flucht aus dem Alltag. Die Heranwachsenden äußern aber auch Kritik, insbesondere hinsichtlich der Verbreitung von Unwahrheiten und möglicher Manipulation. Sie zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit und kritisieren unrealistische Schönheitsideale, wobei viele noch im jungen Erwachsenenalter das Vergleichsverhalten in den Zusammenhang mit einer Verschlechterung ihre Selbstbildes bringen.

Bisherige Studien konzentrieren sich auf Marketing und Expert*innen. Eine explorative Studie zeigt nun allerdings, wie Jugendliche virtuelle Influencer*innen wahrnehmen. Unabhängig vom Alter werden sie als menschenähnlich angesehen, vor dem Hintergrund persönlicher Interessen faszinieren sie oder werden als unheimlich beschrieben. Oft empfinden Jugendliche Gefühle der Täuschung und nehmen sie als weniger authentisch und vertrauenswürdig wahr. Inhalte, die die Interessen der Jugendlichen ansprechen, können ihre Aufmerksamkeit erregen, doch es bestehen Bedenken hinsichtlich des kommerziellen Hintergrunds und der Trennung zwischen Fiktion und Realität. Besonders ältere Jugendliche sorgen sich um die Vermittlung unerreichbarer Schönheitsideale. Jüngere Jugendliche haben Schwierigkeiten, virtuelle Influencer*innen vollständig zu begreifen. Daneben werden die virtuellen Influencer*innen oft als weniger glaubwürdig wahrgenommen, da ihnen sensorische Erfahrungen fehlen. Ihre Glaubwürdigkeit steigt jedoch bei der Verwendung objektiver, faktenbasierter Begriffe.

Chancen und Herausforderungen: Vom bloßen Marketing zu relevanten Botschaften

Durch die Erschließung neuer Wege für Marken erweitern virtuelle Influencer*innen die Grenzen der virtuellen Realität. Die Anpassung an die Interessen der Zielgruppe ist eine ihrer besonderen Stärken. Zudem sind sie rund um die Uhr aktiv und können im Marketing Zeit und Ressourcen sparen, ohne die Einschränkungen, die echte Menschen haben. Sie sind steuerbar, was das Risiko von Marken vor Skandalen minimiert. Darüber hinaus haben virtuelle Influencer*innen begonnen, relevante Botschaften zu verbreiten und sich für gesellschaftsrelevante Themen einzusetzen. Anstatt nur Produkte zu bewerben, nutzen sie (bzw. die Anwender*innen) ihre Reichweite, um auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen und für Veränderungen einzutreten. So wurde von einer virtuellen Vertreterin beispielsweise die Einsamkeit während der Covid-19-Pandemie beklagt, während Lil Miquela zur Black Lives Matter Bewegung Stellung bezieht, indem sie gegen Rassismus und Homophobie kämpft.

Davon ab können virtuelle Influencer*innen nicht nur unrealistische Schönheitsideale (z.B. makellose Haut) und unrealistische Erwartungen der Follower*innen befördern, sondern auch Falschdarstellungen propagieren sowie zur sozialen und wirtschaftlichen Ausbeutung marginalisierter Gruppen beitragen. Ein Beispiel dafür ist die Schwarze, südafrikanische virtuelle Influencerin Shudu Gram, hinter der eine weiße Person aus England steht. Kritisiert wird dabei vor allem, dass Shudus suggerierte Identität als Schwarze Frau nicht auf gelebter Erfahrung, sondern allein auf der Vorstellung eines weißen Mannes basiert, was als kulturelle Aneignung und Digital Blackfacing gesehen wird. Dadurch, dass oft unklar ist, wer hinter den virtuellen Influencer*innen steht, mangelt es an identifizierbaren Verantwortlichkeiten: Wer ist als juristisches Subjekt haftbar, wenn etwas passiert? Zu Marketingzwecken genutzt, geht mit virtuellen Influencer*innen das Risiko einher, die Adressat*innen der Botschaften auszunutzen oder irrezuführen.

Auch im politischen Diskurs spielen virtuelle Influencer*innen eine Rolle. Sie können politische Botschaften auch in Zielgruppen mit einem geringeren Interesse an politischen Themen verbreiten, und so politische Partizipation fördern. Die Möglichkeit, gezielt Desinformation oder extremistische Propaganda zu verbreiten, kann wiederum die Integrität demokratischer Prozesse gefährden. Darüber hinaus können virtuelle Influencer*innen für Wahlen mobilisieren und auf neue und ‚innovative‘ Weise politische Kampagnen unterstützen, ja sogar gezielt politische Parteien und Kandidat*innen fördern.

Und nun?

Das Phänomen virtueller Influencer*innen gewinnt durch den zunehmenden Einsatz computergenerierter und KI-basierter Inhalte an Bedeutung. Die Anwendung von Deepfake-Technologie ermöglicht nicht nur eine einfache und kostengünstige Erstellung virtueller Charaktere, sondern auch neue Möglichkeiten für personalisierte und immersive Interaktionen. Bereits Heranwachsende gehen allerdings unterschiedlich damit um. Abhängig von persönlichen Interessen, Erfahrungen und Entwicklungsstand sind sie etwa fasziniert oder aber beunruhigt von den virtuellen Charakteren. Regulatorische Maßnahmen sollten auf die Transparenz und Wahrung der persönlichen Integrität, insbesondere von jungen Follower*innen abzielen. Neben einer Kennzeichnung als virtuelle Charaktere sollte ein Schutz vor Manipulation, egal mit welchem Hintergrund im Fokus stehen. Erziehende und Fachkräfte sollten sich mit dem Thema vertraut machen, um die Umgangsweisen ihrer Zielgruppen mit den virtuellen Charakteren zu verstehen und einen kritisch-reflexiven Umgang mit ihnen zu stärken, insbesondere was die verfolgten Interessen und mögliche Gefahren anbetrifft. Auch das Potenzial virtueller Influencer*innen gilt es zu erkennen und gleichzeitig kritisch zu hinterfragen, wie sie genutzt werden, um demokratische Werte allgemein und den Schutz junger Follower*innen speziell zu wahren.

Weitere Inhalte

Daniel Hajok ist Honorarprofessor und Lehrbeauftragter im Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Er forscht mit besonderem Schwerpunkt auf das veränderte Heranwachsen junger Menschen mitsamt Chancen und Risiken für die Persönlichkeitsentwicklung in der digitalen Welt.

Paulina Roloff ist Absolventin des Masterstudiengangs Kinder- und Jugendmedien (M.A.) der Universität Erfurt. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin für den Seitenstark e. V. im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekts KUCOBINA.