Die Gestaltung der Interaktionen und Beziehungen
Die Zugehörigkeit zu einer Klassengemeinschaft kann die Schüler/innen in ihrer persönlichen Entwicklung grundsätzlich bereichern. Die Gestaltung der Beziehungen zwischen Lehrkraft und Schüler/innen und zwischen den Schülern und Schülerinnen untereinander wirkt sich auf die Atmosphäre in der Lerngruppe aus. Eine stabile Ebene der Beziehungen ist zudem eine wichtige Grundlage für eine ausgeglichene Lernatmosphäre.
Kinder und Jugendliche mit schwierigen Beziehungs- und Bindungserfahrungen sind sehr verunsichert und misstrauisch. Es ist Aufgabe der Pädagogen, in der Gruppe eine Atmosphäre des Vertrauens und der Verlässlichkeit herzustellen. Das ist ein langer, sensibler und durch viele Höhen und Tiefen gekennzeichneter Prozess. Oft überlagern emotionale und psychische Probleme das eigentliche Leistungspotenzial der Kinder und Jugendlichen. Es ist gut für sie, wenn sie dann im schulischen Rahmen eine zuverlässige, offene, tolerierende, akzeptierende, zugewandte, warmherzige, aber auch grenzsetzende Beziehungsstruktur vorfinden. Das erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich allmählich öffnen können. Leistungsdefizite oder auch Teilleistungsstörungen wie Lese- und Rechtschreibprobleme oder eine Mathematikschwäche rücken dann nach und nach in den Hintergrund.
Wenn die Schüler/innen die Lehrkraft als stabile und zuverlässige Bezugsperson erleben, können sie Vertrauen entwickeln. Sie lassen sich auf die an sie herangetragenen Anforderungen besser ein. Die Heranwachsenden akzeptieren in der Folge eher Konsequenzen und Grenzen. In diesem Rahmen sie dann auch bereit, an sich zu arbeiten und in dieser Beziehung ihr Verhalten zu verändern.
Die Schüler/innen haben durch ihren Platz in der Klasse die Möglichkeit, Kontakte zu Gleichaltrigen aufzubauen und dauerhafte Beziehungen zu entwickeln. Im Umgang mit den Mitschülern und Mitschülerinnen benötigen sie hierfür grundlegende soziale Kompetenzen. So können sie sich mit all ihren Stärken und Schwächen einbringen und werden zugleich von den anderen akzeptiert. Selbstvertrauen, Selbstsicherheit, ein gutes Selbstbild und eine gewisse Ich-Stärke sind Voraussetzungen für eine Gruppenfähigkeit des Kindes. Genauso wichtig ist es zu lernen, wie man sich angemessen mit den anderen Schüler/innen der Klassengemeinschaft auseinandersetzt: Es werden Strategien für geeignete Problemlösungen entwickelt.
Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche haben jedoch häufiger Schwierigkeiten bei der altersgerechten Gestaltung der Kommunikation und Kooperation in Gruppen. Dies liegt oftmals an ihren Milieuerfahrungen und der primären Sozialisation, d. h. der ersten Rollenerfahrungen mit den Eltern. Damit begründet sich die Notwendigkeit der bewussten Gestaltung sozialen Lernens mit all seinen Methoden und Möglichkeiten besonders auch für diese Schüler/innen.
Unter diesem Gesichtspunkt ist besonderes pädagogisches Geschick wichtig:
eine kleinschrittige und anschauliche Vermittlung von Inhalten,
eine differenziertere und detailliertere Aufarbeitung von Arbeitsmaterialien,
klare und überschaubare Arbeitsanweisungen,
klar strukturierte Arbeitsblätter,
eine grenzsetzende und haltgebende Umgebung,
Aufgaben und Übungen mit vielen Aktivitäten in den Bereichen "Aufbauen von Beziehungen" und "Erarbeiten und Einüben von notwendigen Grenzsetzungen und Regeln", die erfahrungs- und handlungsorientierte Zugänge ermöglichen.
Ziele von Modul 1
Die wichtigsten Ziele sind:
das Kennenlernen der Mitschüler/innen,
die Herstellung einer Lernatmosphäre, in der sich die Schüler/innen wohl fühlen,
Vertrauen fassen und
positive Beziehungen aufbauen.
Die Schüler/innen fühlen sich dann wohl, wenn sie sich der Gruppe, in der sie sich befinden, auch zugehörig fühlen. Alles, was Menschen Nähe zu anderen Menschen vermittelt, gibt Sicherheit. Es löst entsprechendes Wohlbefinden aus und bedeutet zudem Entspannung für die einzelnen Schüler/innen.
Zielgerichtet und akzeptierend in der Gruppe mit anderen Mitschülern und Mitschülerinnen zu arbeiten, stellt für die Schüler/innen zunächst eine hohe Herausforderung dar. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind das Bekanntsein untereinander und das nötige Vertrauen zu anderen Menschen. Auf dieser Basis ist es möglich, sich gegenseitig anzunehmen, zuzuhören und die Verhaltensweisen des anderen zu tolerieren. Schritt für Schritt werden die Schüler/innen dann ermutigt, eigene Standpunkte zu vertreten, andere zu kritisieren, ohne sie zu verletzen, oder Konflikte angemessen zu regeln. Durch ein solches Vorgehen werden wesentliche Bestandteile einer offenen, kreativen Lernatmosphäre geschaffen.
Die Altersgruppe, die mit diesem "Trainingsprogramm" des sozialen Lernens angesprochen wird, befindet sich in der pubertären Entwicklungsphase. Dies ist eine Phase der Ablösung, der Entwicklung der Selbständigkeit sowie der Geschlechtsidentität. Daraus ergeben sich besondere Anforderungen für die vermittelnden Lehrkräfte:
Für ein gutes Klassenklima ist die einfühlsame Beachtung der Unterschiedlichkeit von Mädchen und Jungen förderlich.
Von den Erwachsenen werden sowohl Sensibilität im Umgang mit den Heranwachsenden als auch Halt geben durch Setzen von Grenzen verlangt.
Wichtig ist aber auch Verständnis für ihr "Gefühlschaos“ und das "Sich-Ausprobieren“.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, innerhalb der Klassengemeinschaft an die Mädchen andere Anforderungen zu stellen als an die Jungen. Durch die vielfältigen Aktivitäten, die dieses Modul kennzeichnen, besteht die Chance, dass die Schüler/innen sich untereinander mit ihren Eigenarten, die sie einzigartig machen, kennenlernen und sich dadurch vertrauter werden.
Voraussetzungen und Bedingungen, die für die Umsetzung der Inhalte benötigt werden:
Die Sitzordnung (Stellung der Stühle und Tische im Klassenraum) sollte dem Bedürfnis des jeweiligen Themas angepasst werden: Gruppentische, wenn es um Kooperation geht; Sitzkreis, wenn für Aktivitäten Platz gebraucht wird oder das Gespräch untereinander gefördert werden soll; ein flexibles Hufeisen, wenn mehrere Arbeitsformen aufeinander folgen.
Die Zusammensetzung der Paare bzw. Gruppen sollte immer wieder wechseln, damit neue Kontakte entstehen oder Gruppen entlastet werden.
Die Lehrkraft kann, wenn es ihr angemessen erscheint, an den Aktivitäten selbst teilnehmen und dann von ihren Erfahrungen erzählen.
Es sollen Klarheit und Ordnung hergestellt werden, die Kinder und Jugendliche brauchen, aber oft noch nicht selbst schaffen können. In einem gut organisierten Rahmen mit klaren Erwartungen und Verhaltensregeln, können Schüler/innen produktiver arbeiten als in einem allzu freizügigen Klima. Dies ist verbunden mit der Möglichkeit, sich aktiv einzubringen.
Es sollte Gelegenheit dazu bestehen, dass jeder seine Gedanken zum Thema mitteilen kann. Zweifel und Nachfragen der Schüler/innen sollten als Bereicherung der Diskussion und zur Wertebildung genutzt werden ("Nur aus Fehlern kann man lernen.").
Die Lehrkraft sollte aber auch bereit sein, auf herabsetzende oder provozierende Äußerungen angemessen zu reagieren (z. B. humorvoll, klärend oder grenzsetzend). Jugendliche versuchen immer wieder, sich an Erwachsenen zu reiben, um deren Grenzen zu testen und ihre Werte kennen zu lernen. Die Schüler/innen werden in solchen Situationen das Verhalten der Lehrkraft genau beobachten und von ihr lernen.