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Im Praxistest: Was geht? (1/2020) Geht gar nicht! Das Heft gegen Rechtsextremismus | bpb.de

Im Praxistest: Was geht? (1/2020) Geht gar nicht! Das Heft gegen Rechtsextremismus

Dr. Sven Greinke

/ 7 Minuten zu lesen

Fachdidaktische Vorüberlegungen

Extremismus (sowohl in rechter wie auch in linker Spielart) ist seit einigen Jahren ein wichtiges Thema des öffentlichen Diskurses. In vielen (noch) demokratischen Staaten haben in den vergangenen Jahren rechtspopulistische oder rechtsextremen Parteien großen Zulauf erhalten. In Deutschland stehen in diesem Jahr mehrere Landtagswahlen an, bei denen die AfD in den aktuellen Umfragen seriöser Institute absehbar jeweils die stärkste Kraft stellen dürfte – oder zumindest signifikante Gewinne erzielen wird. Zur Einordnung: Bestätigt durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln aus dem März 2022 darf der Verfassungsschutz die gesamte AfD als rechtsextremen Verdachtsfall behandeln und beobachten. Dieses Phänomen des massiven Erstarkens rechtsextremer Parteien ist nicht auf Deutschland beschränkt, sondern findet sich in vielen europäischen Staaten – in verschiedensten Ausprägungen. In der Extremismusforschung gibt es nicht eine allgemeingültige Definition für den Terminus Rechtsextremismus, ein Eckpfeiler ist aber mit Sicherheit die Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und das Streben nach einem autoritären oder sogar totalitären System. Die Grundlage der Gesellschaft bilden in dieser Weltsicht nationalistische und mitunter rassistische Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger. Rechtsextremismus hat häufig bestimmte Strukturen, zum Beispiel die Ausgrenzung von Menschen aufgrund bestimmter Herkunft, Hautfarbe oder religiöser Zugehörigkeit. Das im Grundgesetz wie in der UN-Menschenrechtskonvention gleichermaßen festgelegte Gleichheitsgebot aller Menschen wird in diesen Denkstrukturen abgelehnt.

Die Erziehung der Schülerinnen und Schüler im Sinne des Grundgesetzes und der darin festgelegten Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist eine der wichtigsten – wenn nicht sogar die wichtigste – Aufgabe einer allgemeinbildenden Schule. Daher kommt einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema Demokratie – aber in diesen Zeiten auch mit den Feinden der Demokratie – eine entscheidende Bedeutung zu. Eine Schwierigkeit besteht darin, zu erkennen, wann solche rechtspopulistischen oder rechtsextremen Einstellungen vorliegen. Nicht immer müssen diese Einstellungen unmittelbar zu Handlungen führen, aber sie können sich gerade in dieser unterschwelligen, nicht allzu offen erkennbaren Variante festigen und verbreiten. Bestimmte Einstellungen, die dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind, sind eben keine Randerscheinung mehr, sondern haben die „Mitte der Gesellschaft“ erreicht. Die Ergebnisse zu den rechtsextremen oder autoritären Einstellungen in der deutschen Gesellschaft sind zuletzt in der Leipziger Autoritarismus-Studie der Heinrich Böll Stiftung im November 2022 äußerst fundiert dargelegt worden . Jugendliche haben grundsätzlich eine große Akzeptanz gegenüber Menschen unterschiedlicher Herkunft, sind aber in jungen Jahren auch alters- und entwicklungsbedingt noch nicht immer gefestigt in ihrer Persönlichkeitsstruktur und daher durchaus anfällig für die Strategien, mit denen rechtsextreme Gruppierungen versuchen (zum Beispiel durch gezielte Ansprache und die Einbindung in eine Gruppierung zur Schaffung einer besonderen Identität), gerade junge Menschen für sich und ihre Interessen zu gewinnen.

In der vorliegenden Ausgabe aus der Reihe Was geht? Geht gar nicht! Das Heft gegen Rechtsextremismus aus dem Jahre 2020 wird der Rechtsextremismus von der Autorin Katharina Reinhold thematisiert. Im Mittelpunkt des Materials stehen grundsätzlich zwei Aspekte, die für Schülerinnen und Schüler sehr wichtig sind: zum einen das Erkennen von rechtsextremen Mustern und Äußerungen, zum anderen das Kennenlernen von möglichen Reaktionen darauf. Die einzelnen Materialien zielen darauf ab, eine aktive und kritische Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit diesem Thema und auch eigenen Haltungen und Verhaltensweisen zu bewirken.

Aufbau und Struktur des Materials

Das vorliegende Material bietet Inhalte mit verschiedenen Formaten wie zum Beispiel ein Quiz zum Einstieg, einzelne Wissensmodule, O-Töne oder einen Comic. Für pädagogisches Personal steht ein Begleitheft zur Verfügung, das neben einer inhaltlichen Einführung in das Thema Rechtsextremismus auch eine kurze Darstellung zur Relevanz des Themas für Jugendliche und die pädagogische Arbeit an und mit diesem Thema enthält. Auch auf mögliche pädagogische Problemfelder bei der unterrichtlichen Einbindung des Themas Rechtsextremismus wird hier sinnvollerweise hingewiesen. Unter Übungen sind vier Ideen zu einem konkreten Einsatz des Materials im Heft und zu ergänzendem Material zusammengestellt. Diese Anregungen sind nicht als umfassende Sequenzplanung zu verstehen, sondern als Möglichkeit, die Materialien gemäß den eigenen inhaltlichen und didaktischen Ansprüchen und Schwerpunkten zu nutzen.

Das Heft ist überwiegend mit recht kurzen Texten und Bildern gestaltet, mit denen die jeweiligen Unterthemen vermittelt werden. Zu den meisten Inhalten finden sich QR-Codes, um den Inhalt zu vertiefen oder zur Originalquelle des Materials zu gelangen. In der Auswahl der Beispiele ist erkennbar, dass an die Lebenswelt der Jugendlichen angeknüpft werden soll, indem vor allem einzelne Menschen zur Sprache kommen, die den Schülerinnen und Schülern bekannt sein dürften (zum Beispiel Kevin Prince Boateng), persönliche Schicksale thematisiert werden (wie die des von der NSU ermordeten Enver Simsek) oder bekannte Medientypen Verwendung finden.

Das Heft beginnt auf Seite 2 mit einem Einstieg in die Begrifflichkeit Rechtsextremismus. Auf den Seiten 3 bis 7 findet sich ein Quiz mit insgesamt sieben Fragen, deren Auflösung mit jeweils einer kurzen Erklärung dann auf den Seiten 8 und 9 zu finden ist. Auf den Seiten 10 und 11 wird ausgehend von einem Zitat von Farah Bouamar der Alltagsrassismus in der Mitte der Gesellschaft thematisiert. Auf den Seiten 12 bis 18 wird anhand des Fallbeispiels der NSU die Gewaltbereitschaft von Rechtsextremen thematisiert. Hier kommt der Sohn des ermordeten Enver Simsek zu Wort, die Verbrechen der NSU werden dargestellt, die aktuelle Relevanz des Themas wird durch einen Bezug zur NSU 2.0 aufgezeigt. Auf den Seiten 19 bis 25 werden das Erleben, das Erkennen und der Umgang mit Rechtsextremismus thematisiert. Den Schwerpunkt bildet auf den Seiten 22 bis 24 der Comic treu & ehrlich mit einer kurzen Geschichte zu Alltagsrassismus.

Anregungen für den Unterricht

Das Thema Rechtsextremismus ist für Schülerinnen und Schüler aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz wahrscheinlich motivierend. Gleichermaßen ist zu berücksichtigen, dass hier eine gewisse Vorsicht bei der Durchführung einer Unterrichtsreiche herrschen sollte, da Schülerinnen und Schüler schon selbst negative Erfahrungen als Opfer erfahren haben oder selbst rechtsextreme Denkmuster haben und anwenden könnten. Eine konkrete Empfehlung für die Verwendung der Materialien im Unterricht bezogen auf eine bestimmte Jahrgangstufe oder Schulform ist nicht gegeben. Auch ein tabellarischer Verlaufsplan einzelner Abschnitte als Teile einer potentiellen Unterrichtseinheit findet sich nicht. Das Heft bietet aber fraglos eine fundierte Grundlage für den Einsatz im Schulunterricht und die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen, eine auf die jeweilige Gruppe angepasste didaktische Aufbereitung für den konkreten Einsatz im Unterricht ist aber notwendig. Unterrichtende Lehrkräfte sollten zudem im Blick haben, dass die technische Ausstattung der Schule (oder auch der einzelnen Schülerinnen und Schüler) geprüft werden muss, da auf große Teile des weiterführenden Materials noch digital zugegriffen werden muss.

Das Thema weist für alle Schulformen eine hohe Relevanz auf. Das Material kann mit einer jeweils an die Lerngruppe adaptierten didaktischen Herangehensweise in verschiedenen Jahrgängen behandelt werden. Abhängig vom jeweiligen Kompetenzstand, den Vorkenntnissen der Lerngruppe und möglichen persönlichen Erfahrungen sollte das Material für die Jahrgangsstufen 8 bis 10 (eventuell auch in der Kursphase) gut geeignet sein, da es eine fundierte Grundlage für die aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus bietet. Grundsätzlich ist dieses Thema ein zentraler Gegenstand des Unterrichts in Politik, kann aber auch in Geschichte oder Ethik verwendet werden. Gerade wenn fächerverbindende Module in den Lehrplänen angedacht sind, könnte man hier die Ausgrenzung von Menschen im Nationalsozialismus und die Strategien der Nationalsozialisten mit dem aktuellen Rechtsextremismus in Bezug setzen.

Eine mögliche Unterrichtssequenz müsste bezüglich des Umfangs und Ablaufs ausgehend von der Schwerpunktsetzung oder auch den curricularen Vorgaben angepasst werden. Je nach Jahrgangsstufe und Kompetenzstand der Lerngruppe kann man das Thema als kurze Unterrichtssequenz in einem Umfang von zwei oder drei Unterrichtsstunden behandeln lassen. Nach einem generellen Einstieg in das Thema könnten dann einzelne Aspekte arbeitsteilig erarbeitet und präsentiert werden (in analoger oder digitaler Form). Auch eine gemäß der Rahmenlehrpläne oder der schulinternen Curricula umfassendere Unterrichtsreihe von sechs bis acht Stunden ist gut vorstellbar. Nach dem Quiz, das als Einstieg und zur Festigung der Begrifflichkeit Rechtsextremismus dient, könnten hier die großen Bereiche Alltagsrassismus, rechtsextreme Gewalt am Beispiel der NSU, Erkennen von Rechtsextremismus (vor allem im Internet) und Handeln bei oder gegen Rechtsextremismus integriert werden.

Im Begleitheft für Pädagogen und Pädagoginnen sind unter Übungen vier konkrete didaktische Konzeptionen für Unterrichtssequenzen dargestellt, bei denen das Material des Heftes eingebunden wird. Es gibt didaktisch fundierte Anregungen inklusive möglicher Verlaufsplanungen, auf deren Basis die Inhalte in verschiedenen Formen und in unterschiedlichem Umfang unterrichtet werden können. Sowohl die Songtext-Analyse zum rechtsextremen Rap als auch das Modul zum Erkennen und Umgang mit Hate Speech oder die Analyse von Memes greifen wichtige Darstellungsmedien der Rechtsextremen und vor allem den kritischen und fachgerechten Umgang damit auf. Didaktisch sehr gelungen erscheint, dass nicht nur auf das Erkennen, sondern auch auf die potentielle Reaktion geachtet wird (wie auch im vierten Modul zu Zivilcourage). Die hier entwickelten Ideen sind gleichermaßen motivierend und umsetzbar für Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Kompetenzstufen. Hinsichtlich der konkreten Umsetzung ist die jeweils geplante Dauer in Abhängigkeit des Kompetenzstandes der eigenen Lerngruppe zu planen. Mit Sicherheit ist es möglich, die Projektideen miteinander zu kombinieren und ausgehend vom Interesse der Lerngruppe auch eigene Schwerpunkte zu setzen. Hier kann durch die Erstellung eigener Memes, fiktiver Antwortmails auf Hate Speech oder durch das Nachstellen von Situationen zum Thema Zivilcourage (möglicherweise als Rollenspiel) eine fundierte und individuelle Auseinandersetzung mit dem Stoff stattfinden.

Für einige thematische Bereiche ist eine inhaltliche Vertiefung notwendig, für die Material bereitgestellt oder die Recherche der Schülerinnen und Schüler methodisch begleitet werden muss.

Zugriff auf das Material und weitere Literatur

Das Material ist auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung im Shop bestellbar. Beide Hefte können dort auch kostenlos als PDF heruntergeladen werden.

Im Begleitheft befindet sich auf Seite 6 eine umfangreiche Literatur- und Linkliste, die insgesamt recht aktuell ist und gerade für das Erkennen von Rechtsextremismus sowie Hate Speech einerseits und den Umgang mit diesen Strukturen andererseits zu nutzen sind. Im Internet findet sich eine ausgehend von den hier genannten Themen und Seiten viel Material, das auch teilweise schon umfassend für den Einsatz in der pädagogischen Arbeit aufgearbeitet ist.

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