Verteilungskonflikte unter den Menschen sind unvermeidbar, doch können sie eingedämmt oder gar entschärft werden. In modernen Gesellschaften sind sie vor allem die Folge von menschengemachten Regelungen und Entscheidungen, z.B. auf der Ebene des Einkommens, Vermögens oder der Bildungschancen. Die dort vorherrschenden Ungleichheiten sind in solchen Gesellschaften jedoch begründungsbedürftig. Die politischen Diskussionen dahingehend erhalten gerade in Zeiten aktueller Krisen wie den Angriffskrieg auf die Ukraine, die vergangene Corona-Pandemie und die generelle Ressourcenknappheit besondere Aufmerksamkeit, da meist die sozial Schwächeren von den damit verbundenen Entwicklungen negativ betroffen sind.
Die Themenblätter im Unterricht „Soziale Gerechtigkeit“ ermöglichen es Lerngruppen, sich etappenweise und anhand einer gegenwartsnahen Deutschlandpolitik mit dem politischen Diskurs hinsichtlich der Herstellung und Verbesserung sozialer Ungleichheiten in modernen Gesellschaften auseinanderzusetzen. Dahingehend steht auch im Fokus, welche Rolle dem Sozialstaat angesichts des Sozialstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) zukommt.
Über die einzelnen Arbeitsblätter beschäftigen sich die Lerngruppen mit der Begrifflichkeit und dessen vier Grundprinzipien (z.B. Leistungsprinzip), analysieren individuelle Lebenssituationen von Menschen in Deutschland sowie das gesetzliche Sozial- und Steuersystem. Dies dient im weiteren Verlauf als Fundament für eine Beurteilung des (staatlichen) Umgangs mit und der Realisierung von sozialer Gerechtigkeit u.a. am Beispiel des deutschen Bildungssystems oder der Energiekrise. Eine Debatte zu den staatlichen Interventionsmaßnahmen oder die gezielte Reflektion von Handlungsalternativen befähigen die Schülerinnen und Schüler zu einer tiefergehenden politischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Das Material eignet sich für die Sekundarstufe I im 10. Jahrgang und kann auch in der Sekundarstufe II eingesetzt werden. Besonders im Abschluss der Unterrichtseihe muss jedoch auf eine Anpassung geachtet werden, die ein altersgerechtes Gesellschaftsverständnis der Lerngruppe berücksichtigt.
Konzeption des Materials
Das Material wurde in Kooperation zwischen Prof. Dr. Stefanie Liebig (Soziologie, FU Berlin) und Sabine Gans (Lehrkraft, Universität Trier) erstellt und umfasst vier Arbeitsblätter, die jahrgangsabhängig und je nach Rechercheaufwand für ca. 6 bis 8 Unterrichtsstunden eingesetzt werden können. Jedes Arbeitsblatt befasst sich mit einem Teilthemenkomplex, sodass sie als in sich geschlossene Unterrichtsstunde auch ergänzend zu individuellen Unterrichtsreihen funktionieren.
Zu den nachfolgenden Arbeitsmaterialien finden sich vorab ergänzende Hinweise, die das kompetenzorientierte Lernziel verdeutlichen und durch klare und strukturelle Lösungshinweise die Vorbereitung und Auswertung des Materials erleichtern:
01.: Was ist sozial gerecht?
02.: Deutschland als Sozialstaat
03.: Bildungsgerechtigkeit
04.: Soziale Gerechtigkeit in der Debatte
Die Themenblätter werden zusätzlich durch drei thematische Einführungsseiten ergänzt, die zur Entlastung der Recherchearbeit der Lehrkraft beitragen sollen. Zudem finden sich auf den letzten beiden Seiten noch weiterführende Literaturhinweise, Weblinks und Ergänzungsmaterialien zum Thema.
Einsatzmöglichkeiten und Anregungen für den Unterricht
Als Einstiegsstunde erfassen die Lernenden zunächst, was sie mit dem Begriff „Soziale Gerechtigkeit“ assoziieren und wie er definiert wird. Die anschließende Erarbeitung der vier Grundprinzipien unterstützt die theoretische Fundierung und zugleich hinterfragen sie kritisch deren Bedeutung für das gesellschaftliche Miteinander. Über den Vergleich zweier fiktiver Haushalte werden die Lernenden zu einer konkreten Anwendung der Prinzipien angeregt und ihre möglichen Entscheidungsunterschiede können zur Anregung einer Diskussion genutzt werden.
In der folgenden Unterrichtsstunde kann das Sozialstaatsgebots (Art. 20 Abs. 1 GG) für den Einstieg nützlich sein, um nahtlos an die vorhergehende Stunde anzuknüpfen. Die Lernenden untersuchen die staatlichen Maßnahmen zur Umsetzung des darin erklärten sozialen Ziels am Beispiel des Sozialversicherungs- und Steuersystems. Diese Stunde kann abhängig von der Leistungsstärke der Lerngruppe auf zwei Stunden aufgeteilt werden bzw. durch eine Methodenstunde hinsichtlich einer gezielten Recherchearbeit ergänzt werden, da ein Gruppenpuzzle mit einer individuellen Recherche zu den „fünf Säulen“ der gesetzlichen Sozialversicherungen angedacht ist. Auch hinsichtlich des Steuersystems ist eine Recherche zur Einkommenssteuer eingeplant. Hierbei ist zu beachten, dass ausgehend von den Vorerfahrungen der Lerngruppe ein Begriffsglossar unterstützend sein kann.
Über die abschließende Frage, ob der deutsche Sozialstaat gerecht ist, wird zu einer ersten resümierenden Zwischendiskussion angeregt, die als Ausgangspunkt für die folgende Stunde geeignet ist.
Die dritte Stunde sticht vor allem durch die sehr gelungene, materialgestützte Problematisierung hervor, die sich konkret am Beispiel der Bildungsgerechtigkeit orientiert. Hierbei kann die Textarbeit oder die Arbeit mit einer Karikatur geübt werden, während das Material gleichzeitig in den Aufgaben weiter aufgegriffen wird. In Verbindung zur vierten Stunde soll die Lerngruppe mittels eines Statements einmal selbst eine erste Argumentation aufbauen, wie die vorherrschende Ungleichheit im Bildungssystem verbessert werden kann und wer dahingehend in der Verantwortung steht.
Das vierte Arbeitsmaterial bildet zugleich das Anspruchsvollste, weshalb es speziell hinsichtlich einer vertiefenden Pro-Contra-Diskussion besonders in der Mittelstufe didaktisch angepasst oder unterstützt werden müsste.
Anhand einer Pressemitteilung von 2022 und den Maßnahmen in Form einer Energiepreispauschale und Energie-Solidaritätszuschlag nähern sich die Schülerinnen und Schüler zunächst der Frage, welche Maßnahme sozial gerecht ist und diskutieren abschließend, welche Verantwortung der Staat und Politik zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit tragen. Es ist lohnenswert, hier eine weitere Unterrichtsstunde einzuplanen, um die Lerngruppe eine tragfähige Diskussion aufbauen zu lassen.
Fazit
Alle Arbeitsblätter weisen eine übersichtliche Darstellung auf und bieten umfangreiches Quellenmaterial verschiedenster Art (z.B. Karikatur, Modell-Schema), das in schritthaften Aufgabenstellungen erarbeitet werden kann. Zudem wird mehrfach die Recherchearbeit in Einzel- und Gruppenformen aufgegriffen, die zu einer konkreten Methodenstunde bezüglich einer gezielten Recherchearbeit einlädt. Es muss jedoch beachtet werden, dass das Material inhaltlich z.T. ein solides Gegenwartswissen voraussetzt, was bei der Planung und Vorbereitung des Materials speziell in der Mittelstufe berücksichtigt werden sollte.
Zugriff
Die Themenblätter im Unterricht "Soziale Gerechtigkeit“ sind frei verfügbar unter dem Link