Einführung
Jugendliche und junge Erwachsene kommunizieren im Alltag viel auf social Media. Dort begegnen sie täglich Hate Speech in seinen verschiedensten Facetten. Die politischen Debatten über die Grenzen des Sagbaren und die rechtliche Überprüfung gipfelten in der Umsetzung des Netzwerksdurchsetzungsgesetzes (NetzDG), welches seit 2016 Plattformen verpflichtet, Äußerungen an geltendem Recht zu messen. Zwar ist Hassrede an sich kein juristischer Begriff, aber dafür in der medialen Öffentlichkeit und politischen Auseinandersetzung genutzter. Juristisch lassen sich die Tatbestände der Beleidigung, Volksverhetzung und übler Nachrede nicht mit Bezug auf die Meinungsfreiheit rechtfertigen. Die Themenhefte geben dem Begriff Hate Speech ein soziologisches Fundament mit Bezug auf den Begriff "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", der von den Soziologen der Universität Bielefeld rund um W. Heitmeier geprägt wurde. Dieses Fundament erlaubt es, sowohl die Diskriminierung mit rassistischem und sexistischem Hintergrund sowie die Abwertung von Obdachlosen und Menschen mit Behinderung mit Hate Speech zu thematisieren. Auffällig ist, dass die Mehrheit der Täter und Täterinnen rechtsextreme Einstellungen teilen. Die meisten Likes erhalten dabei die schlimmsten Kommentare.
Die Themenhefte bleiben nicht bei der Identifizierung von Hate Speech auf einem soliden theoretischen Fundament stehen, sondern zeigen Handlungsalternativen auf. Counter Speech wird als gesellschaftliche Verantwortung eingeführt, die über den juristischen Rahmen hinausgeht zu einer politischen Auseinandersetzung über die Grenzen des Sagbaren.
Konzeption des Materials
Die Themenblätter bieten eine fünfteilige Unterrichtsreihe, die mindestens 6 bis 8 Unterrichtsstunden umfassen. Sie richten sich an die 8 bis 10 Klassenstufe, eigenen sich aber auch für die 7 im Bereich "Leben in einer globalisierten Welt" oder mit Bezug auf Teil B im Rahmenlehrplan. Die fünf Einheiten sind auf einem doppelseitigem Arbeitsbogen mit Arbeitsaufträgen abgedruckt und drei von fünf sind mit Links versehen. Die Links sind allerdings sehr kurz und abtippbar und so auch in Präsenz praktikabel, oder die zusätzlichen Informationen werden auf ein separates Informationsblatt kopiert. Die Einheiten 1 und 3 bieten zusätzliche Arbeitsblätter, die mitgenutzt werden sollen und die leider nicht online ausfüllbar sind. Highlight der letzten Einheit ist ein online Spiel. Dafür sind mindestens Tablets / Laptops im Unterricht notwendig. So eignen sich die Materialien überwiegend für den Distanzunterricht und vollständig für den Präsenzunterricht.
Die Aufgabenstellungen weisen stets eine Kompetenzprogression in inhaltlicher Tiefe und Anforderungsniveau auf. Zusätzlich ist die Unterrichtsreihe klar kompetenzorientiert. Die Schüler:innen werden im Verlauf der Reihe befähigt, Hasskommentare zu erkennen und Umgangsformen reflektiert auszuwählen und zu nutzen. Durch die gute logische Konzeption der Reihe lassen sich zumindest die Sozialform und in vielen Fällen auch die Lernprodukte beliebig anpassen, ohne die Stimmigkeit der Reihe zu gefährden.
Leider steht nur zur dritten Unterrichtseinheit eine Musterlösung.
Zu Beginn führt ein ausreichender Infotext mit informativen Verweisen in das Thema ein, so dass keine weiteren Recherchen notwendig sind.
Auf zwei Seiten werden in kurzer Textform Hinweise für die fünf Einheiten angegeben, die nützliche Tipps zur Unterrichtsstruktur, Erklärungen zur didaktischen Reduktion und Links zu Methodeneinführungen beinhalten. Einsatzmöglichkeiten und Anregungen für den Unterricht Die erste Unterrichtseinheit ordnet Hate Speech dem Konzept der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF)" zu. Als Material wird eine Definition der GMF, eine Mindmap mit Aspekten der GMF nach Heitmeyer und zwei Zitate zu Hate Speech (Prof. Dr. Meibauer und Heiko Maas). In zwei Arbeitsschritten sollen die Schüler:innen zunächst ihr Verständnis von Hate Speech im Kontext von GMF erläutern, um ihre Vorstellung dann mit den beiden Zitaten zu vergleichen. In den Hinweisen zu dieser Einheit fehlt leider ein konkreter Erwartungshorizont. Es empfiehlt sich den Unterschied zwischen dem auf Einstellungen bezogenen Konzepts der GMF und auf die Sprechaktion "Hate Speech" zu benennen. Dabei kann GMF Grundlage für Hate Speech sein, muss aber nicht. Genauso kann sich GMF als Hate Speech äußern, muss es aber nicht. Hier bietet sich ein zusätzliches Arbeitsblatt an, indem grade für die unteren Klassenstufen eine Hilfe für den Darstellungswechsel angeboten wird. Ein Mensch, der in ein Megafon spricht, könnte sich als Bild eignen, um den Unterschied der Konzepte anzudeuten. Zur Differenzierung könnten manche Schüler:innen ein eigenes Bild zeichnen oder eine Zeichenvorlage nur beschriften lassen. So könnte auch die bis jetzt noch nicht zur Geltung kommende Mindmap mit einbezogen werden. Als Einstieg könnte sich der Impuls: "Was denkt der sich bei diesem Spruch" eignen, um einen Hate-Speech Kommentar zu besprechen. Eine Vertiefung könnten Indizien erarbeitet werden, die auf Hate Speech mit GMF Hintergrund oder ohne herausgearbeitet werden.
In Unterrichtseinheit zwei sollen die unterschiedlichen sprachlichen Muster von Hate Speech untersucht werden. Hier funktioniert ein Link (www.bpb.de/252396) leider nicht, ohne den die Aufgabe nicht zu erledigen ist. Unterrichtseinheit drei ist mit dem meisten Material ausgestattet. Wir sind hier im Analyseteil der Reihe. Es werden acht Hasskommentare vorgestellt und sollen von den Schüler:innen in einem ersten Schritt anhand der erarbeiteten Kriterien (GMF-Aspekt und Muster von Hate Speech) untersucht werden. In einem zweiten Schritt sollen die Folgen für die Betroffenen reflektiert werden.
Diese beiden Arbeitsschritte vermischen zwei Kompetenzschwerpunkte für diese Einheit: Die Analyse der Kommentare und das Einfühlen in die Opfer. Das Fazit, dass Sprachmuster sich ähneln und bestimmte GMF-Aspekte auch verschiedene Sprachmuster aufweisen, eignet sich hervorragend zur vertiefenden Analyse von GMF-Aspekten wie Antisemitismus oder Sexismus. Hier wäre ein Gruppenpuzzle zu den verschiedenen Aspekten ihrer Geschichte und weiteren Beispielen vorstellbar.
Um letzteren angemessen zu erledigen, wären Interviews oder O-Töne von Betroffenen wesentlich. Das angeführte Interview müsste ausführlicher besprochen werden, um eine Einfühlung erreichen zu können. Für die Klasse 7 und 8 wäre ein Methodenwechsel zwischen den beiden Arbeitsschritten angemessen. Für den zweiten Arbeitsschritt sind im Hinweiskasten erwartbare Antwortmöglichkeiten der Schüler:innen angegeben. Eine Planung eines Interviews könnte als Lernprodukt angestrebt werden, bei dem die Schüler:innen im Nachhinein die Fragen reflektieren und sich fragen, wie sich danach fühlen würden.
Einheit vier beschäftigt sich mit Handlungsstrategien bei Hate Speech. Hier sind die Schüler:innen schon dabei zu urteilen, indem sie eine von zwei Strategien (Melden und Löschen, Ignorieren) begründet auf die Kommentare anwenden sollen. Der Hintergrundartikel ist dabei nicht sehr lang und es fehlt auch noch die Strategie, Anzeige zu erstatten. Die ehemalige Kanzlerin Merkel hat in ihrer Reaktion auf die Löschung von Trumps Twitteraccount mit der Sorge um die Delegierung der Durchsetzung von Recht und Gesetz an private Konzerne reagiert, daher sollte diese Strategie nicht fehlen. Auch könnten Vor- und Nachteile ausführlicher dargelegt oder mit den Schüler:innen erörtert werden. Als Einstieg eignet sich eine Reflexion über die Grenzen von Zivilcourage, wie sie in den Hinweisen besprochen wird. Auch hier fehlt ein Erwartungshorizont für mögliche Argumente mit denen die Hasskommentare. Eine Einschätzungsskala zwischen Schwere der Beleidigung, Reichweite des Users, Eigengefährdung und Erfolgsaussichten könnte als Urteilsgrundlage dienen. Die Kommentare könnten zur Sicherung auf der Tafel in zwei Diagramme eingeordnet werden, um dann in Standpunktreden eine Strategie empfehlen zu lassen.
In Einheit Nummer fünf schlüpfen die Schüler:innen in die Rolle eines Social Media Moderators, dessen Aufgabe es ist, Hasskommentare zu löschen oder zu ignorieren. Dabei wenden sie die zuvor erprobten Strategien in Echtzeit einem Onlinespiel an (Moderate Cuddlefish). Hier läuft ein Chat, in dem man einfach Kommentare löschen kann und ständig über die Teilnehmendenzahl ein Feedback zu seiner Entscheidung generiert. Die Gründe für den Rückzug mancher User:innen erfahren die Schüler:innen nicht. Über diese Gründe können die Schüler:innen reflektieren, indem sie ihre Beobachtungen am Spielende notieren. Gerahmt ist dieses Spiel von der zusätzlichen Option der Gegenrede, die im Spiel nicht möglich ist. Die Schüler:innen sollen sich erst über diese informieren und anschließend im Think-Pair-Share mit der Option Löschen vergleichen.
Es besteht hier die Gefahr, dass das Spiel zu sehr von der Alternative "Löschen oder Gegenrede?" ablenkt. Gegenreden lässt sich im Spiel nicht und man steht unter so viel Stress, dass der Effizienzvorteil des Löschens intuitiv überzeugt. Es böte sich an, Gegenreden verfassen zu lassen, um die Vorteile beider Strategien plastisch zu machen. Auch die Reflexion des Spiels ist sehr offen formuliert (Notiere deine Beobachtungen). Hier würde sich der Impuls: "Beschreibe eine Strategie, mit der du die meisten User:innen im Chat hältst", besser eignen, um über den Erfolg der Schüler:innenentscheidungen zu reflektieren.
Fazit
Die Arbeitsblätter sind anschaulich strukturiert und bieten gute Anregungen für den Unterrichtseinsatz. Die Reihe lässt sich als Struktur verwenden und ist in sich stimmig. Das Online Spiel zum Schluss ist motivierend und macht den Stress bei der Verwaltung eines social Media Kanals anschaulich und auch die ausgewählten Materialien eignen sich von Umfang und Anspruch gut für Klasse 7 bis 10. Allerdings müssten an eigenen Stellen zusätzliche Materialien erstellt, Leitfragen abgeändert und die Erwartungen klarer formuliert werden, wie oben angedeutet.