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Im Praxistest: Filmheft zu "Sophie Scholl – Die letzten Tage." | bpb.de

Im Praxistest: Filmheft zu "Sophie Scholl – Die letzten Tage." Fachdidaktische Vorüberlegungen

Berlin 10.11.2021 Sven Greinke

/ 8 Minuten zu lesen

Der Umgang mit der Terrorherrschaft der Nationalsozialisten und deren kritische Aufarbeitung sind ein wesentlicher Bestandteil des Schulunterrichts im Allgemeinen und des Geschichts- und Politikunterrichts im Speziellen. Die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler zu mündigen und kritisch-reflektierten Bürgerinnen und Bürger im Sinne der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bildet dabei Grundlage und Zielsetzung zugleich. Ein wichtiger Teilbereich bei der Aufarbeitung des NS-Regimes ist das Thema Widerstand gegen die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten. In der Bundesrepublik hat neben dem Akt des Widerstands in Form des Attentats auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 vor allem die Gruppe der Weißen Rose Beachtung wie auch Bewunderung gefunden. Regisseur Marc Rothemund und Drehbuchautor Fred Breinersdorfer nehmen in ihrem preisgekrönten Film Sophie Scholl – Die letzten Tage vor allem die Widerstandskämpferin Sophie Scholl in den Blick, wenngleich sie nicht die wichtigste Protagonistin der Widerstandgruppe gewesen ist, in dem Film aber als Sinnbild für Zivilcourage und Widerstand gegen die NS-Herrschaft fungiert.

Nach der deutschen Wiedervereinigung war der Zugang zu wichtigen Dokumenten aus den Beständen des Ministeriums für Staatssicherheit und des Zentralen Parteiarchivs der SED erleichtert. Die Verwendung der historischen Dokumente zu Scholl und der Weißen Rose als Grundlage der filmischen Umsetzung ermöglicht ein eindrucksvolles Bild der Verhaftung und der Verhöre Sophie Scholls durch die Gestapo (auf Seite 16 des Filmheftes wird als Stärke des Filmes beschrieben, der "Visualisierung und Emotionalisierung" vergangener Ereignisse zu dienen und eben dadurch historisches Interesse zu wecken). Sophie Scholl selbst, die einzige weibliche Figur in der Weißen Rose, wird ausgehend von den Beständen der historischen Überlieferung als eigenständig denkende und handelnde Person inszeniert, die bereit ist für ihre Überzeugungen bis zum Äußersten zu gehen. Sie bildet damit für die Schülerinnen und Schüler auch heute ein positives Rollenmodell, das vor allem vor dem Hintergrund der Epoche des Nationalsozialismus, in dem Frauen und Mädchen in das traditionelle Rollenbild der Hausfrau und Mutter gepresst worden sind, besonders beeindruckt.

Die Vermittlung historischer Inhalte über Medien ist gerade für die derzeitigen Generationen von Schülerinnen und Schüler häufig motivierender als die Arbeit mit vor allem schriftlichen Quellen. Die weite Verbreitung von Bildern und Videosequenzen durch soziale Medien führen (überspitzt formuliert) zu einer medialen Allgegenwart an Informationen. Aufgabe von Schule ist daher, Medienbildung, also den kritischen Umgang mit und die reflektierte Nutzung von Medien, als eine Kernkompetenz schulischer Bildung zu vermitteln, damit Medien unterschiedlichster Form hinterfragt und sach- und fachgerecht genutzt werden können. Die Ergebnisse der Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2019 unterstreichen diese Relevanz durch die Resultate zum Umgang mit populistischen Parolen, die medial verbreitet werden. Auch die mediale Darstellung verschiedener Aspekte der Corona-Pandemie unter unterschiedlichen Zielsetzungen der jeweiligen Akteure kann hier als Gegenwartsbezug herangezogen werden. Die Einbeziehung von Filmen in den Unterricht als Grundlage für die Vermittlung von Medienkompetenz (so formulierte es auch die Bundeszentrale für politische Bildung schon im Jahr 2005 auf Seite 2 des hier besprochenen Filmheftes) ist also auch gegenwärtig angesichts der Coronasituation und des vermehrt praktizierten digitalen Unterrichts aktueller denn je – der Film Sophie Scholl – Die letzten Tage bietet als historischer Spielfilm ein motivierendes Beispiel für einen solchen Ansatz.

Aufbau und Struktur des Materials

Das angebotene Material ist keine Handreichung für den Unterricht im eigentlichen Sinn, wenngleich es viele gute und praktikable Ansatzpunkte beinhaltet. Das Filmheft bietet auf den Seiten 4 bis 5 einen kurzen Überblick zum Inhalt des Films und zu dessen wichtigsten Figuren. Der dann folgende Abschnitt zur Problemstellung kontextualisiert den Widerstand der Weißen Rose und den Inhalt des Films mit den historischen Gegebenheiten. Hier werden auch schon einzelne Darstellungsformen des Filmes zumindest in Ansätzen thematisiert, die man in die eigene didaktische Konzeption einfließen lassen könnte, zum Beispiel wenn man die filmische Umsetzung des Stoffes mit den historischen Gegebenheiten abgliche. Fachliche Grundlage für die Auseinandersetzung mit der medialen Umsetzung könnte der kurze Abschnitt zur Filmsprache auf den Seiten 10 bis 11 des Hefts sein, der sowohl die Ausstattung wie auch die Kamera, die Musik und den Ton in den Blick nimmt. Anwendung finden könnten die theoretischen Kenntnisse zur Analyse der Filmsprache dann anhand der auf den Seiten 12 bis 13 exemplarisch vorgestellten Sequenzanalyse, die auch weitere Kriterien für die kritische Analyse des Mediums Film darbietet.

Recht allgemein gehalten sind dann die auf Seite 14 angeführten Fragen zum Inhalt, zur Filmsprache und zum Quellenmaterial, das am Ende des Filmheftes angeboten wird. Die hier dargebotene Form hat sowohl Vor- als auch Nachteile: Die einzelnen Fragen scheinen durchaus geeignet sowohl den Inhalt wie auch die filmische Umsetzung zu analysieren und kritisch zu diskutieren. Allerdings obliegt es hier den Lehrkräften selbst, den Fundus an Möglichkeiten zu strukturieren. Eine konkrete Praxishilfe, an der man sich als Lehrkraft orientieren kann, ist dieses Material nicht – es ist aber wohl auch nicht so gedacht. Als eine mögliche praktische Handreichung für den Unterricht könnten die beiden Arbeitsbögen auf Seite 15 dienen. Vor allem die auf dem zweiten Arbeitsbogen formulierten Arbeitsaufträge sind auf den schulischen Kontext anwendbar. Die Erstellung eines auf historischen Quellen beruhenden Porträts als Grundlage wird weitergeführt in einer eigenen szenischen Darstellung in Aufgabe 2. Urteilskompetenz wird in Aufgabe 3 gefördert, in der auf Grundlage des fiktionalisierten Charakters aus der zweiten Aufgabe ein nun filmisch fundiertes Bild Sophie Scholls geschrieben und mit dem Porträt aus Aufgabe 1 verglichen werden soll.

Abgerundet wird das Filmheft durch ein Sequenzprotokoll (Seiten 16 bis 19), eine sachgerechte und fundierte Quellenauswahl (Seiten 20 bis 21) und Hinweise zu wichtiger Literatur zur Weißen Rose und zum Medium Film (Seite 22).

Anregungen für den Unterricht

Eine konkrete Empfehlung für den Einsatz des Films im Unterricht gibt es ebenso wenig wie einen möglichen tabellarischen Verlaufsplan einzelner möglicher Bausteine einer potentiellen Unterrichtseinheit. Das Filmheft ist also nicht für den unmittelbaren Einsatz im Schulunterricht konzipiert, bietet aber sehr wertvolle Grundlagen, Hinweise und in Form der beiden Arbeitsbögen und der Fragen auch konkrete Anwendungsmöglichkeiten. Der Spielfilm hat eine Laufzeit von 116 Minuten, eine Unterrichtsreihe zur Weißen Rose oder zu Sophie Scholl sollte mit einer fundierten historischen Einführung, einer exemplarischen Analyse einer Filmsequenz und einer kritisch-reflektierten Urteilsbildung zur medialen Umsetzung des historischen Inhalts mindestens fünf, wenn nicht sogar sechs Unterrichtsstunden umfassen, wenn man davon ausgeht, dass der gesamte Film angeschaut werden soll. Möglich ist es aber prinzipiell auch (gerade wenn man von einer begrenzten Verfügbarkeit von Unterrichtsstunden ausgeht), einzelne Sequenzen des Films zu schauen und zu analysieren.

Das Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus eignet sich grundsätzlich für den Einsatz im Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I ungefähr von der zweiten Hälfte der 9. Jahrgangsstufe an (rechtlich bietet hier die FSK des Films mit 12 Jahren eine Grenze), um einen exemplarischen Eindruck zu diesem Themenkomplex zu vermitteln. Hier müsste aber eine enge didaktische Führung und Kontextualisierung vorgenommen werden, vor allem hinsichtlich der auch im Film thematisierten Hinrichtung der Protagonisten der Weißen Rose. Die auf dem Arbeitsbogen 2 angedachte Differenzierung zwischen historischer Persönlichkeit und filmisch dargestellter Sophie Scholl kann zumindest angebahnt werden, um auch bei Schülerinnen und Schüler dieser Altersstufe das Problembewusstsein für einen kritisch-reflektierten Umgang mit Medien (in diesem Fall der Darstellung im Film) anzusprechen und zu fördern. Wahrscheinlich wäre vor allem die Analyse einzelner Sequenzen nach dem im Filmheft besprochenen Schema ein geeigneter Zugang für Schülerinnen und Schüler dieser Altersklasse.

Didaktisch zielführender dürfte meines Erachtens der Einsatz des Materials in der Sekundarstufe II sein. Zumindest die didaktische Idee von Arbeitsbogen 2 lässt sich mit einem Kurs in der Oberstufe mit Sicherheit gut umsetzen, diese Differenzierung müsste von den Schülerinnen und Schüler geleistet werden können. Auch die Analyse einzelner Sequenzen ist mit Sicherheit möglich, anzuregen wäre hier (wie auch im Filmheft angedeutet) ein Vergleich einzelner Sequenzen, um die im Film inszenierte Entwicklung der Figur Sophie Scholl thematisieren und beurteilen zu können. Durch eine gezielte Analyse einzelner Ausschnitte und der darin jeweils dargestellten "Momente" scheint eine Übernahme der Perspektive Sophie Scholls gut möglich zu sein. Der Film bietet hier mit einer eindrucksvollen schauspielerischen Leistung Julia Jentschs einen auch und vor allem emotional basierten Zugang zum Thema.

Bei der Konzeption einer Unterrichtseinheit zum Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus kann das Thema Weiße Rose als Fallanalyse unterrichtet werden. Es wäre aber ebenfalls möglich (abhängig von den Schwerpunkten der jeweiligen Curricula), dieses Thema in einen Überblick zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu integrieren und mit anderen Formen des Widerstands zu vergleichen. Einen guten Überblick dazu bietet die Homepage der Gedenkstätte Deutscher Widerstand (siehe unten für den Link), die auch als außerschulischer Lernort ein umfangreiches und attraktives Angebot für Gruppen von Schülerinnen und Schüler bereithält. Im Sinne eines fächerverbindenden Unterrichts könnten – auch hier wieder abhängig von den Curricula in den einzelnen Bundesländern – Verbindungen zum Unterricht in Politik oder Deutsch geprüft werden, um eine gemeinsame Unterrichtsreihe zu konzipieren.

Denkbar wäre gerade für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II auch im Sinne der Vermittlung eines Bewusstseins für Geschichtskultur, ein Unterrichts-Projekt zum Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus durchzuführen. Ein möglicher Ansatzpunkt wäre hier zum Beispiel die Darstellung der Protagonisten im historischen Diskurs (zumindest angedeutet in der Rede von Heuss zur Bedeutung der Weißen Rose in der Materialsammlung). Ebenso könnte man untersuchen (der im Februar 2023 bevorstehende 80. Todestages von Sophie Scholl könnte hier ein Orientierungspunkt sein), wie an die Protagonisten im Sinne der Erinnerungskultur im öffentlichen Raum oder zumindest im wissenschaftlichen Diskurs erinnert und ihr Andenken – und das Andenken an ihre Taten – lebendig gehalten wird.

Für alle Altersklassen zentral ist die Anbindung des Films an eine Unterrichtseinheit zur Herrschaft der Nationalsozialisten. Ohne historischen Hintergrund ist ein Zugang weder hinsichtlich der angestrebten Kompetenzentwicklung empfehlenswert noch bezüglich der möglichen emotionalen Überforderung der Schülerinnen und Schüler ratsam. Für den Themenkomplex Weiße Rose stehen im Filmheft Quellenmaterialien bereit, die vor allem das Wirken dieser Widerstandsgruppe gut aufzeigen. Der historische Hintergrund aber sollte unbedingt vorher vermittelt worden sein, um einen sach- und fachgerechten Umgang mit dem Thema sicherstellen zu können.

Zugriff und weitere Literatur

Die Materialien sind abrufbar unter Externer Link: https://www.kinofenster.de/download/sophie_scholl_die_letzten_tage_fh_1.pdf. Das Material ist auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung unter https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/weisse-rose/61072/sophie-scholl-als-filmheldin eingebettet. Dort findet sich auch ein kurzer Überblick zur Biographie Sophie Scholls und zur Weißen Rose (abrufbar unter Interner Link: www.bpb.de/sophiescholl). Im Filmheft ist auf Seite 22 eine umfangreiche Literatur- und Linkliste abgedruckt, die allerdings mit dem Veröffentlichungsjahr des Filmes (2005) endet. Unter Externer Link: www.sophiescholl-derfilm.de gelangt man zur Website des besprochenen Films. Eine Orientierung zum Thema Widerstand gegen den Nationalsozialismus findet sich auf der Website der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, hier exemplarisch zu Sophie Scholl: Externer Link: https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/sophie-scholl/, hier steht auch ein Online-Angebot zur Verfügung.

Die fachwissenschaftliche Literatur zu Sophie Scholl und der Weißen Rose ist äußerst umfangreich. Aus didaktischer Perspektive bietet sich ein Blick in die beiden folgenden Artikel an, die weitere Ideen zum Einsatz des Filmes im Unterricht bieten:

  • Martin, Ellen: "Sophie Scholl – die letzten Tage" und "Der Untergang". Spielfilme und ihre perspektivische Vermittlung der NS-Zeit, in: PÄD Forum: Unterrichten-Erziehen 1 (2006), S. 29–33.

  • Tondera, Benedikt: Die Konstruktion historischer Biographien im Film. "Sophie Scholl – Die letzten Tage", in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 59 (2008), Heft 10, S. 551–564.

Fussnoten

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