Mädchen und Jungen sind gleichberechtigt und müssen gleichbehandelt werden. Dies ist für viele Schülerinnen und Schüler, die aus Krisengebieten geflüchtet sind, in ihren Heimatländern keinesfalls selbstverständlich gewesen. Und zwar nicht, weil ihre Familien an einem "veralteten" Rollenbild festhielten, sondern weil bestimmte politische oder religiöse Gruppierungen in ihren Heimatländern diese Selbstverständlichkeit nicht akzeptieren. Die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern in Willkommensklassen beinhaltet, sich mit anderen Kulturen und Rollenbildern auseinanderzusetzen. Unterschiedliche Wertvorstellungen – z.B. die Rollenbilder von Mann und Frau betreffend – können und sollten im Raum der Willkommensklasse unbedingt diskutiert werden.
Konzeption der Materialien
Die Themenblätter für die Grundschule "Grundrechte – Mädchen und Jungen sind gleichberechtigt" sind für die Jahrgänge 1-6 konzipiert und legen den Schwerpunkt auf Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes, wonach Männer und Frauen gleichberechtigt sind. Die Themenblätter enthalten jeweils auf Doppelseiten gezeichnete Szenen. Es handelt sich zum einen um eine Szene auf einem Spielplatz, auf dem Mädchen und Jungen spielen. In dieser Szene sind einige Rollenstereotype verkehrt: So spielen etwa Jungen mit Puppen und es klettern Mädchen auf Bäume. In der anderen Szene ist eine Familie dargestellt, die sich in der Küche aufhält. Von dieser Szene gibt es zwei Versionen: In der ersten Version wird der Mann von der Arbeit heimkehrend gezeigt, während die Frau die Kinder betreut. In der anderen Version wird diese Rollenaufteilung umgekehrt. Das Material ist also so konzipiert, dass Stereotype und davon abweichende Bilder von Frau und Mann besprochen werden können. Das Besondere ist, dass es keinen erklärenden Text gibt, sondern ausschließlich mit Bildern gearbeitet wird.
Einsatzmöglichkeiten im Unterricht
Zur Vorbereitung auf die Arbeit mit dem Material empfiehlt es sich, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu geben, ihre ganz persönliche Sichtweise auf Jungen und Mädchen darzustellen. So können z.B. in Kleingruppen Collagen zu Eigenschaften und Vorlieben von Mädchen und Jungen angefertigt werden. Dies ist vor allem deshalb wichtig, damit bei den Schülerinnen und Schülern der Willkommensklassen nicht der Eindruck entsteht, man wolle ihnen nun endlich die richtige Sichtweise auf Männer und Frauen nahebringen. Anschließend können die Collagen z.B. in einem stillen "Museumsrundgang" angeschaut werden, wobei es nicht erforderlich ist über die Ergebnisse zu diskutieren.
Mithilfe der Spielplatzszene, bei welcher der Fokus der Betrachtung auf dem Verhalten gleichaltriger Mädchen und Jungen liegt, können die Schülerinnen und Schüler zunächst ihre eigenen Vorstellungen vergleichen. Es bietet sich an, das Bild detailliert beschreiben zu lassen. Je nach sprachlicher Kompetenz kann dies durch einzelne Vokabeln oder ganze Sätze geschehen. Empfehlenswert ist die Arbeit in Kleingruppen, in denen die Schülerinnen und Schüler konzentriert arbeiten und sich gegenseitig unterstützen können. Schwächeren Schülern können geeignete Vokabelkarten (Wort-Bild) an die Hand gegeben werden.
Bei der Sicherung der Ergebnisse sollten vor allem die Sätze an der Tafel festgehalten werden, die Sachverhalte beschreiben, die nicht mit Rollenstereotypen übereinstimmen. Anschließend kann diskutiert werden, inwiefern die Darstellung von Jungen und Mädchen den eigenen Erfahrungen und Vorstellungen entspricht. Es wird einige Kritikpunkte geben – die Schülerinnen meiner Klasse waren z.B. nicht damit einverstanden, dass in einer Szene Jungen von Mädchen verprügelt werden.
Es sollte in jedem Fall ein abschließendes Fazit an der Tafel erfolgen, das in etwa dem grundgesetzlichen Gleichheitssatz entspricht. Dieses kann von den Schülerinnen und Schülern selbst formuliert und ganz einfach gehalten sein.
Das Betrachten des zweiten Bildes – der Szene in der Küche – erfolgt als Vertiefung. Hierbei sollte der Fokus auf die Erwachsenen gelegt werden, zunächst auf die eher konventionelle Rollenverteilung und dann auf die Umkehrung. Durch die Darstellung der Unterschiede kann ein anschaulicher "Aha-Effekt" bei den Schülerinnen und Schülern erzielt werden.
Fazit und Anregungen
Das Material eignet sich zum Einstieg in die Thematik der Gleichberechtigung von Jungen und Mädchen für Willkommensklassen sehr gut, da zunächst mit Bildern gearbeitet wird. Da das Material für Kinder der Grundschule konzipiert ist, muss man in einer Willkommensklasse allerdings die sinnvolle Rahmung der Erarbeitung selbst gestalten. Die Diskussionsanregungen, die im Material vorgeschlagen werden, können von Schülern der Willkommensklasse sprachlich meist noch nicht geleistet werden.
Das Material kann in Lerngruppen eingesetzt werden, in denen die Schülerinnen und Schüler bereits seit einigen Monaten in Deutschland sind und zumindest ein Grundvokabular des Deutschen beherrschen. Da über Bilder gearbeitet wird, können auch wenig alphabetisierte Schülerinnen und Schüler mündlich eingebunden werden. In Willkommensklassen eignet sich das Material für alle Altersstufen (Jg. 5-10), da einzelne altersangemessene Aspekte herausgegriffen werden können.
Vor dem Einsatz des Materials sollten sich die Schülerinnen und Schüler zunächst ihrer eigenen Rollenbilder bewusst werden und diese festhalten können. Statt einer Collage, kann auch ein einfaches Sammeln von Begriffen zu "Mädchen und Jungen" erfolgen (wie z.B. im Material Logbuch auf S.38f. vorgeschlagen), falls man nicht mehr als eine Doppelstunde für die gesamte Thematik aufwenden möchte. Mit Vorarbeit und anknüpfendem Vokabeltraining kann man in jedem Fall zwei Doppelstunden mit dem Material arbeiten.
Im Praxistest waren beide Bilder geeignet, um Gesprächsanlässe zu schaffen. Besonders das Bild, welches eine Familie in der Küche darstellt, wurde von den Schülerinnen und Schülern eingehend diskutiert. Die Tatsache, dass in der zweiten Version des Bildes der Mann die Kinder betreut und die Frau mit Aktentasche von der Arbeit kommt, war für viele Schülerinnen und Schüler bemerkenswert. Vor allem die Schülerinnen, die in ihren Heimatländern teilweise am Schulbesuch gehindert wurden, entdecken nach und nach die sich für sie neu ergebenen Möglichkeiten und setzen sich intensiv mit dem Thema der Gleichberechtigung auseinander. Das Material bietet ergänzend eine wunderbare Möglichkeit, über die Themen Familie, Berufe und Zukunftswünsche zu sprechen.