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Im Praxistest: Forschen mit GrafStat – Jugendliche zwischen Ausgrenzung und Integration | bpb.de

Im Praxistest: Forschen mit GrafStat – Jugendliche zwischen Ausgrenzung und Integration

Josefine Wagner

/ 4 Minuten zu lesen

Die deutsche Gesellschaft ist mit steigender Tendenz divers. Interkulturelle Kommunikationsstrategien sind daher für Jugendliche wichtige Werkzeuge, um sich in der Welt orientieren und in ihr agieren zu können. Perspektivübernahme mit dem vermeintlich anderen gehört genauso zu den Kompetenzen, die im Unterricht Förderung erfahren sollten, wie das kriteriengeleitete Urteilen und politische Probehandeln. In Zeiten des rechtsradikalen Populismus, der in Anbetracht der Flüchtlingsbewegungen nach Europa bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden fällt, sind Unterrichtsformate gefragt, die Denkanstöße für ein friedliches, produktives und faires Zusammenleben bieten. Der Blick auf die eigenen Chancen und Bedürfnisse, sowie die anderer ermöglicht es gesellschaftliche und politische Ausgrenzung zu benennen und gegen diese vorzugehen.

Konzeption des Materials


Das Material ist darauf ausgerichtet, den Schülerinnen und Schülern die Perspektivübernahme mit gesellschaftlich benachteiligten Gruppen zu ermöglichen. So erfahren die Jugendlichen beispielsweise in der Einstiegssequenz, wie sich Benachteiligung anfühlt, in dem sie in Rollen, die sich durch Ungleichheitskategorien wie Race, Class, Gender voneinander unterscheiden, Momente der Bervorzugung/ Benachteiligung durch Privileg erleben. Indem die Jugendlichen des Doppeljahrgangs 9/10 in Entscheidungsspielen (Baustein 1) Standpunkte einnehmen, die sie unter einander und vor der Klasse verhandeln, lernen sie frühzeitig Verantwortung für Haltungen und Entscheidungen zu übernehmen. Des Weiteren lädt das Material zur Befragung der näheren Umgebung ein hinsichtlich erlebter oder beobachteter Ungerechtigkeitsmomente (Baustein 2).

Baustein 3 und 4 bieten unterschiedliche Herangehensweisen an, die Auseinandersetzung mit Nationalität und interkulturellem Zusammenleben zu befördern. Die Idee einer lyrisch-emotionalen Zugangsweise zur Thematik mittels eines Songs und einer Songtextanalyse als auch die spielerische Regelkonzeption für das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen in einem imaginären Haus sind Unterrichtsanregungen, die schülernah und motivierend sind.

Die Betrachtung der policy- Ebene findet ebenfalls Berücksichtigung im Material, denn in Baustein 5 können die Lernenden die Integrationspolitik der Bundesregierung analysieren. Hier lassen sich Zuwanderungs- und Aufenthaltsgesetze und kritische Darstellungen der Gesetzestexte für den Unterricht entnehmen und unter die Lupe nehmen. Der letzte Baustein zeigt den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten auf, sich aktiv an der Aufweichung gesellschaftlicher Ausgrenzungsmechanismen zu beteiligen (z.B.: Ausstellung, Radiobeitrag, Aktionstag organisieren; Anregungen für Initiativen, etc.)

Einsatzmöglichkeiten im Unterricht und Anregungen


Das Material ist für die vorangeschrittene Sekundarstufe I konzipiert. Zu bedenken ist hier, dass Ungerechtigkeitserfahrungen im Unterricht unbedingt mit den Schülerinnen und Schüler der Lerngruppe reflektiert werden müssen. Ziel ist das Sichtbarmachen von Praktiken der Ausgrenzung und Benachteiligung und nicht die persönliche Schuldzuweisung aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten. Das Material bedient Lernkanäle, die weniger auf dem klassischen Konzept der Textanalyse basieren, sondern viel mehr auf Interaktion und Kreativität setzen. Die Lehrkraft sollte passend dazu, Evaluationsinstrumente anbieten, wie beispielsweise das gegenseitige Feedback geben oder die kriteriengeleitete Auswertung von Arbeitsergebnissen, um den dialogischen Charakter des Materials aufrechtzuhalten. Überdies lässt sich das Material sehr kompetenzorientiert einsetzen hinsichtlich der Text- oder auch Darstellungsanalyse. Baustein 1 und 5 bieten hierfür die Materialgrundlage. Dabei sollten die Lehrkräfte Differenzierungsangebote machen, wie beispielsweise Schreibrahmen vorbereiten, die sowohl die Schritte einer Analysetätigkeit aufschlüsseln als auch das entsprechende Vokabular bereitstellen. Baustein 2 sticht aus dem Material hervor und ließe sich in den Vordergrund rücken bei der Erarbeitung einer Reihenplanung für den Unterricht. In Ermangelung von Zeitressourcen könnte die Lehrkraft eine Entscheidung zwischen Baustein 1 und 3 treffen, wobei Baustein 3 die zeitsparendere Variante wäre, Baustein 1 allerdings das Ziel der Perspektivübernahme wesentlich erfolgreicher anstrebt. Baustein 5 müsste für die Sekundarstufe differenziert aufbereitet und mit einem Glossar versehen werden, da das Vokabular den Wortschatz machen Lerngruppen überfordern könnte. Baustein 6 könnte in eine Schlussdiskussion am Ende der Unterrichtsreihe umgewandelt werden oder in ein eigenes kleines Projekt münden. Schülerinnen und Schüler könnten gebeten werden, die verschiedenen Initiativen zu besuchen und dann im Rahmen der Methode World Café ihren Klassenkameraden vorzustellen.

Auch die Sekundarstufe II könnte von diesem Material profitieren. Im Hinblick auf das bevorstehende Abitur muss hier jedoch Baustein 5 einen etwas größeren Platz einnehmen als in der Sekundarstufe I. Die Textanalyse kann vorentlastet werden durch Baustein 1, 2 oder 3, so dass die dabei entstandenen Fragen die Grundlage für die folgende Textanalyse bilden. Hier fungieren dann die eigenen Fragen der Lerngruppe als Legitimation für die Auseinandersetzung mit Text und die Produktion von beispielsweise einer Empfehlung, die die Lerngruppe an die Bundesregierung richtet. Die Lehrkraft müsste für einen solchen Empfehlungstext einen Schreibrahmen vorbereiten, der die Schülerinnen und Schüler darin anleitet welche Schritte bei einer Empfehlung durchgeführt werden müssen und welches Vokabular dafür zu verwenden ist. Ein solcher Schreibrahmen ermöglicht die Vergleichbarkeit der Textarbeiten untereinander und bietet einen geeigneten Erwartungshorizont, an dem das Arbeitsergebnis der Schülerinnen und Schüler gemessen werden kann.

Fussnoten

Josefine Wagner ist Lehrerin für Politik, Geschichte und Englisch und promoviert zurzeit in Breslau, Polen zum Thema Inklusion.