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Zielsetzung und Methodik

Prof. Dr. Stefan Rappenglück

/ 6 Minuten zu lesen

Die Planspiel-Methode ist sehr alt. Das Schach-Spiel als strategisches Brettspiel zwischen zwei Spielenden gilt als Urform des Planspiels. Ursprünglich wurde sie vor allem im militärischen Bereich und anschließend in der betriebswirtschaftlichen Aus- bzw. Fortbildung angewendet, schließlich auch in der außerschulischen Bildung.

Als "Mutter" des Planspiels gelten Kampfspiele in Indien (ca. 1000 v. Christus), aber vor allem das Schachspiel (um 800 v. Christus). Im Wort "Planspiel" kommen bereits zwei wichtige Strukturmerkmale der Lehr- und Lernmethode zum Ausdruck: Spielen und Handeln nach einem "Plan", d.h. auf der Grundlage einer bewussten (oder unbewussten Strategie) und vereinbarter Spielregeln, wie eben im Schachspiel.

Das Wort "Plan" spiegelt das Modellhafte im Prozess wider und beschreibt, wie und nach welchen Regeln etwas durchgeführt werden soll – häufig ein simulierter Konflikt oder ein simuliertes Problem aus der Realität. Die Aktivitäten werden auf ein bestimmtes Ziel und einen Zweck hin ausgerichtet, die oftmals vorgegeben werden.

Die zweite Komponente im Begriff – "Spiel" – verweist auf die Bedeutung des Spielens für die Entwicklung persönlicher Fähigkeiten (homo ludens). Spielen ist eine der ältesten Betätigungsformen menschlichen Handelns und stellt eine besondere Form aktiver, schöpferischer Entfaltung dar. Es ermöglicht den Erwerb einer Vielzahl von Kompetenzen und Lernerfahrungen und die Aneignung spezieller Fähigkeiten. "Spielen" im Planspiel soll als eine Freude bringende Tätigkeit verstanden werden, die aber nach bestimmten Regeln von einer Gruppe von Spielerinnen und Spielern durchgeführt werden soll. Im Plan-Spiel findet Kommunikation, Teamwork, Kooperation aber auch Wettbewerb zwischen den einzelnen Teilnehmenden statt. Dieser Spielcharakter bietet die Möglichkeit, dass junge Menschen und Erwachsene in ihrem unterschiedlichen Lernverhalten und ihren Interessen erreicht und dabei sowohl kognitive als auch affektive Lernziele aufgegriffen werden können.

Wie die Empirie und auch die Praxis zeigen, fördert spielerisches Lernen die Lernbereitschaft. Im Gegensatz zum Frontalunterricht werden durch handelndes Lernen zirka 80 Prozent des Lernstoffes behalten. Handelndes Lernen wird deswegen durch die Didaktik immer mehr als die sinnvollere und nachhaltigere Lernmethode eingestuft.

In Deutschland werden die Begriffe "Simulation", "Planspiel“ und "Rollenspiel" meist nicht sehr trennscharf verwendet (z.B. Derwing/ Keuche/ Lorenz 2014, 213 oder Scholz 2022, 505). Zunehmend bürgert sich der Begriff "Politiksimulation" speziell für den Bereich der Politikwissenschaft bzw. der politischen Bildung ein. Im Dossier wird daher dieser Begriff verwendet. Die Methode knüpft u.a. an der Spiel- und Systemtheorie aus der Politikwissenschaft und der Handlungstheorie aus der Pädagogik an. In Politiksimulationen werden komplexe Planungs-, Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse in mehrstufigen Verfahren durch die Teilnehmenden möglichst realitätsnah durchgespielt. Die Teilnehmenden agieren in Rollen, die von eindeutigen Interessengegensätzen und Entscheidungszwängen geprägt sind. In Politiksimulationen können prinzipiell alle Themen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, speziell gesellschaftliche Probleme, aufgegriffen werden. Die Methode stellt eine besonders anspruchsvolle, aber auch erfahrungsreiche Form der Politikanalyse dar.

In Politiksimulationen treten die Spielenden aus der passiven Rolle eines Spielers/einer Spielerin bzw. Bürgers/Bürgerin aus und übernehmen auf der Basis einer Ausgangslage – dem "Szenario" – eine aktive Rolle. Auf der Basis vielseitiger und teilweise divergierender Interessen handeln sie politische Entscheidungen aus. In der Regel werden politische Gremien auf unterschiedlichen Ebenen (Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europaebene, UNO) und die Arbeit der Medien durch ein Presseteam nachgebildet bzw. "gespielt". Je nach Anlage des Spieles kommen weitere Rollen hinzu. Das Szenario kann entweder real oder fiktiv sein. Zunehmend werden reale politische Konflikte und Lagen als Ausgangssituationen verwendet.

Die Spielregeln orientieren sich am Ablaufschema des Entscheidungsprozesses des jeweiligen politischen Systems. Eine Politiksimulation kann die Komplexität der politischen Realität selbstverständlich nicht hundertprozentig abbilden und wiedergeben. Eine Herausforderung bei der Entwicklung und Reflexion stellt daher die sog. didaktische Reduktion dar. Das bedeutet, dass trotz notwendiger Vereinfachung des Spielverlaufs im Hinblick auf die tatsächlich zur Verfügung stehenden Zeit (beispielsweise dauert in der Realität die Gesetzgebung monatelang) und der Anzahl der Akteure (der Bundestag mit seinen Abgeordneten kann beispielsweise nur in Ausnahmesituationen auch tatsächlich annähernd simuliert werden!) dennoch Ablauf, Struktur und Akteure so weit wie möglich realistisch konstruiert sein müssen. Der handlungsorientierte Ansatz der Politiksimulation – das direkte Erleben von politischen Entscheidungsprozessen und Institutionalisierungsvorgängen – soll zu einem besseren Verständnis von Politikprozessen und Strukturen führen. Die Teilnehmenden lernen Entscheidungsabläufe und Politikfelder kennen; "Politik" wird dadurch für die beteiligten Personen greifbarer und ein wenig durchschaubarer – sinnvollerweise gar für den Alltag (vgl. Deichmann 1996, 40-42). Die besondere Stärke der Methode besteht in dem damit verbundenen Kompetenzerwerb, der nachfolgende Bereiche umfasst:

  • Analyse- und Wissenskompetenz

  • Politische Handlungs- und Urteilskompetenz

  • Methoden- und Sozialkompetenz (Rappenglück 2015, 273)

Politiksimulationen ermöglichen komplexe Lernerfahrungen, wie inhaltlich-fachliches Lernen (Wissen, Verstehen, Erkennen, Urteilen), methodisch-strategisches Lernen (z.B. Strukturieren, Organisieren, Entscheiden), sozial-kommunikatives Lernen (z.B. Zuhören, Argumentieren, Diskutieren, Moderieren) und affektives Lernen (z.B. Selbstvertrauen, Identifikation und Engagement entwickeln) (Klippert 1996, 36).

Die Lernerfahrungen erstrecken sich u.a. auf mehrere Ebenen im Lernprozess:

  • Politiksimulationen motivieren die Teilnehmenden sehr stark und eröffnen einen erlebbaren Zugang zu Themen, die oft als abstrakt, komplex und zu weit von der eigenen Lebenssituation wahrgenommen werden. Die Methode fördert soziale und kommunikative Kompetenzen, den Umgang mit Regeln und Konfliktlösungsstrategien sowie die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel.

  • Verschiedene Arbeitstechniken (wie z. B. Textarbeit) aber auch Kooperations- und Interaktionsfähigkeit werden geschult.

  • Politiksimulationen sind erfahrungs- und prozessorientiert angelegt, d.h. die Teilnehmenden haben nach Spielende einen Zugewinn an Lernerfahrungen in Politik bezogener Kompetenz (im Sinne kognitiven Wissens und entsprechender Einstellung). Zudem entwickeln sich Schlüsselqualifikationen wie Flexibilität, Kompromissfähigkeit und Toleranz.

  • Verhandlungssituationen werden erkannt und eine eigene Verhandlungsführung aktiv trainiert. So werden beispielsweise in europabezogenen Planspielen einerseits die Vorbereitung von Verhandlungen und Klärung der eigenen Interessenslage genauso "trainiert" wie die Bedeutung von Koalitionen im Rahmen von multilateralen Verhandlungen und die Bedeutung möglicher Verhandlungspakete.

  • Die Methodenkompetenz sowie das Selbstbewusstsein der Teilnehmenden werden gestärkt; sie lernen mit einer komplexen politischen Thematik umzugehen und ihre eigenen Interessen angemessen zu vertreten.

  • Inhaltlich weckt eine Politiksimulation das Verständnis für komplexe politische Verhandlungen, Entscheidungsprozesse und Lösungsstrategien.

  • Politiksimulationen entfalten ihre eigene Dynamik durch fiktive Rollenprofile, die nicht unbedingt die politische Realität widerspiegeln, jedoch wesentliche Interessen der beteiligten Akteure aufnehmen. Dadurch gewinnt das Spiel an Spannung.

Wesentliche politikdidaktische Zielsetzungen der Planspielmethode sind die Analyse von Macht- und Herrschaftsaspekten sowie der Interessensrealisierung in Institutionen. Der Lernprozess ist sehr intensiv. Rollenbilder, Politikinteressen, fremde Identitäten, Interessengegensätze und gegebenenfalls interkulturelle Konfliktlinien müssen in kürzester Zeit wahrgenommen und reflektiert, Entscheidungen und Einschätzungen unter zeitlichem Druck gefällt werden. Die Teilnehmenden spüren sehr schnell, dass der Weg zu Kompromissen oft langwierig sein kann. Eine leichtfertige Einordnung des erreichten Spielergebnisses in Gewinner/-innen und Verlierer/-innen wird den oft komplizierten Entscheidungsstrukturen und Interessen jedoch nicht gerecht.

Politiksimulationen bieten die Möglichkeit, die beteiligten Akteure, ihre Interessen und Strategien sowie übergeordnete politische und rechtliche Rahmenbedingungen insbesondere für Jugendliche transparenter zu machen. Zugleich kann bei Jugendlichen politisches Interesse geweckt beziehungsweise vertieft werden, um angemessene Urteile im Hinblick auf politische Verhandlungen und Entscheidungen fällen zu können. Durch die Lehr- und Lernmethode wird ein Verständnis von unterschiedlichem Verhalten in Verhandlungssituationen ermöglicht. Politiksimulationen fördern Toleranz, kommunikative Prozesse in Lerngruppen und die Einsichten in soziale, ökonomische und politische Zusammenhänge. Damit kommt es insgesamt zu einer Erweiterung des gedanklichen und persönlichen Horizonts. Simulationen fördern selbstorganisiertes und kooperatives Lernen und entsprechen vorrangigen didaktischen Prinzipien (u. a. Handlungsorientierung und Teilnehmendenorientierung). Die im Rahmen der Simulation gewonnenen und nicht mehr abstrakten Verhandlungsfertigkeiten können von den Teilnehmenden später im Alltag unterschiedlich verwendet werden, beispielsweise von jungen Erwachsenen bei der Vertretung eigener Interessen oder Konfliktlösungen in der Schule.

Es lässt sich bilanzieren, dass die "Integration von fachlichem, methodischem, sozialem, kommunikativem und affektivem Lernen Planspiele zu einem geradezu idealen Instrument moderner Bildungsarbeit (macht). Denn gefordert werden heute seitens der Wirtschaft immer stärker offene, handlungsorientierte Lehr-/Lernverfahren, die Fach-, Methoden-, Sozial- und Kommunikationskompetenz möglichst gleichzeitig und gleichrangig fördern" (Klippert 1996, 7).

Fussnoten

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Stefan Rappenglück war bis März 2021 Professor für Europäische Studien/Politikwissenschaft an der Hochschule für angewandte Wissenschaften München, Geschäftsführender Gesellschafter von Rappenglueck Simulations. Berlin-München und Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und an der Hochschule München; Schwerpunkte: Europa, Europavermittlung, Planspiele, Mitglied der Jury des deutschen Planspielpreises, langjährige Erfahrung in Entwicklung, Durchführung und Evaluation von Politiksimulationen, Ausbildung von Trainerinnen und Trainern.