Umweltgerechtigkeit zu erreichen ist allerdings nicht nur eine Angelegenheit des Staates und der Institutionen, denn Macht und Reichweite des Staates sind in der heutigen Gesellschaft durchaus begrenzt. Auch die Einzelnen müssen mitmachen - ohne ein solches Mittun geht es nicht. Aber was heißt das: "mitmachen"? Den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern wird von einer Wende zur Nachhaltigkeit viel abverlangt: Sie müssen ihre Konsumgewohnheiten umstellen, ihre Freizeitgewohnheiten verändern, ihre Reisegewohnheiten, ja sogar ihre Ernährung. Das bedeutet nicht unbedingt Opfer und Verzicht, sondern kann durchaus mit Gewinn und Genuss verbunden sein: "slow food" beispielsweise schmeckt nicht nur besser als "fast food" (selbstverständlich nicht jedem), sondern ist - glaubt man der Ernährungswissenschaft - auch gesünder und eröffnet, zumindest durchschnittlich betrachtet, auch die Chance länger zu leben.
Die in der Nachhaltigkeitskommunikation diskutierten Änderungen reichen tief in die Persönlichkeit hinein. Sie lassen sich in einem freiheitlichen Staat nicht von oben dekretieren und in Gesetze und Verordnungen packen und selbst dann, wenn man den Weg über den Preismechanismus wählt, stellt sich der intendierte Erfolg nicht unbedingt ein. Reformen wie die Erhöhung der Energiepreise im Rahmen des Konzepts der Ökosteuer beinhalten für ihre Protagonisten immer auch die Gefahr, nicht wiedergewählt zu werden. Zudem scheinen sie, das legt jedenfalls die Empirie der Ökosteuer nahe, an den bestehenden Trends und Megatrends - wie etwa den Trends zu größeren und schwereren Autos, zu mehr Motorleistung, zu mehr gefahrenen Kilometern und zu mehr Freizeitmobilität - offenbar nichts ändern zu können.
Bei verhaltenssteuernder Politik geht es - und das wurde in der häufig ökonomisch verkürzten Diskussion um die Ökosteuer leicht übersehen - nicht um Geld, sondern um Kultur, um Lebenskultur, d.h. um das, was Einzelne unter Lebensqualität verstehen. Dabei sind diese Vorstellungen von individueller Lebensqualität tief in der Person verwurzelt, auch im Unterbewussten und Unbewussten. Da sind etwa die Träume vom Haus im Grünen, vom neuen 5er BMW, von der Reise in die Südsee oder von der Kreuzfahrt auf dem Traumschiff. Diese individuellen Vorstellungen von Lebensqualität sind möglicherweise noch veränderungsresistenter als die gesellschaftlichen Strukturen, die permanent aufs neue Umwelt(un)gerechtigkeit produzieren. Über Emissionen von klimaschädlichen Gasen oder über Biodiversität lassen sich mittels internationaler Verhandlungen vielleicht sogar umweltgerechtere Ergebnisse erzielen, die über den bisher in Verhandlungen erzielten Umfang noch erheblich hinausgehen. Aber welche Regierungen könnten sich über die Vorstellungen von Lebensqualität ihrer Bevölkerung vertragsmäßig verständigen? Darüber beispielsweise, dass diese jetzt flächensparend bauen solle, ihre Mobilität zurückschrauben und sich sorgfältig und gut mit verantwortlich erzeugten Lebensmitteln zu ernähren habe, am besten noch vegetarisch?
Nachhaltigkeit lässt sich aber ohne Lebensqualität, bzw. ohne Kompatibilität mit den individuellen Vorstellungen von Lebensqualität, ebenso wenig erreichen wie ohne Umweltgerechtigkeit. Das ist quasi das Spannungsfeld, in dem sich nachhaltige Entwicklung zu vollziehen hat und das ist auch der thematische Bogen, der in diesem Buch gespannt wird. Wir wollen hiermit eine neue Perspektive in die Forschung über Umweltbewusstsein und -verhalten bringen, denn heute geht es nicht mehr nur um Umweltbewusstsein und die Wahrnehmung von Umweltkrisen, sondern um die positive Gestaltung der Welt von morgen.
Aus: Udo Kuckartz, Anke Rheinganz-Heintze: Trends im Umweltbewusstsein. Umweltgerechtigkeit, Lebensqualität und persönliches Engagement, Wiesbaden 2006, S. 12f.