Manchmal funktioniert die Koordination über den Markt nicht. Sie scheitert, wenn die wirtschaftlichen Handlungen der einzelnen Akteure andere Akteure schädigen, ohne dass diese sich dem entziehen können. Hier wird die ordnende und eingreifende Hand des Staates benötigt. Ein Beispiel sind Schädigungen der natürlichen Umwelt. Zudem gibt es "öffentliche Güter", für deren Bereitstellung der Staat auch in einer Marktwirtschaft verantwortlich ist.
Externe Effekte
Individualismus als Norm fordert, dass jeder alle Folgen seiner Handlungen tragen muss, die er durch seine eigenen Entscheidungen hervorgerufen hat. Nur so können die Handlungen der Einzelnen über Märkte erfolgreich koordiniert werden. Es gibt jedoch Fälle, in denen die Folgen von Entscheidungen nicht den Verursacher, sondern Unbeteiligte treffen. Ein Beispiel hierfür ist ein Industriebetrieb, der giftige Abwässer in einen Fluss leitet, dadurch die Fischbestände ausrottet und in der Folge einen benachbarten Fischer um seine wirtschaftliche Existenzgrundlage bringt. Die Vergiftung der Fische taucht in der Rechnung des Industriebetriebes nicht als Kostenfaktor auf. Die Kosten fallen schließlich außerhalb des Industriebetriebes an, beim Fischer.
Solche außerhalb anfallenden Kosten werden "externe Kosten" oder allgemeiner: "negative externe Effekte" genannt. Bei negativen externen Effekten wird derjenige, der Kosten hervorruft, nicht mit diesen Kosten belastet. Jemand anderes muss dafür aufkommen. Das wirtschaftspolitische Problem, das staatliches Handeln erfordert, besteht in diesem Fall darin, dass die Umwelt geschädigt und die Norm der Selbstverantwortlichkeit des Individuums verletzt wird. Externe Kosten bedeuten, dass der Stärkere - hier der Industriebetrieb - den Schwächeren - hier den Fischer - schädigt.
Es gibt auch "positive externe Effekte", die aber in der Regel kein vordringliches Problem für die Wirtschaftspolitik darstellen. Positive externe Effekte bedeuten, dass jemand, der seinen eigenen Interessen nachgeht, dabei gleichzeitig und unbeabsichtigt einem anderen nützt. Hier ist es also so, dass ein Akteur einen Nutzen erzeugt, der nicht in seine eigene Kalkulation eingeht. Deshalb wird auch vom "externen Nutzen" gesprochen. Zum Beispiel betreibt ein Imker sein Gewerbe in der Nähe eines Gartenbaubetriebes. Die Pflanzen des Gartenbaubetriebes erhöhen die Produktivität der Imkerei. In diesem Fall gibt es für die Wirtschaftspolitik keinen Grund einzugreifen, denn es wird niemand benachteiligt. Der Imker genießt lediglich einen unentgeltlichen Vorteil. Aus der Sicht des Imkers wäre es vielleicht wünschenswert, wenn der Gartenbaubetrieb noch mehr Blumen pflanzen würde. Das tut er aber nicht, weil er die positiven Effekte auf die Imkerei nicht einkalkuliert, sie sind eben "extern". Sollte hier jemand wirtschaftspolitischen Handlungsbedarf sehen, so ist dieser gewiss nicht dringend.
Negative externe Effekte stellen dagegen ein schwerwiegendes Problem marktwirtschaftlicher Volkswirtschaften dar. Eine Möglichkeit sie zu lösen besteht darin, die Erzeugung negativer externer Effekte zu verbieten. Solche Verbote sind in Marktwirtschaften aber selten, sie gelten beispielsweise für die Verbreitung giftige Stoffe. Außerdem gibt es kaum Aktivitäten ohne negative externe Effekte. Auch der Krankenwagen, der einen Verletzten ins Hospital bringt, belastet die Umwelt. Dennoch wollen wir, dass er fährt.
Eine andere Lösung besteht darin, den Verursacher der der negativen externen Effekte mit den Kosten seines Verhaltens zu belasten. Man holt also die Kosten von außen wieder in die Kalkulation des Verursachers zurück, man "internalisiert" sie. Der Staat könnte den Verursacher beispielsweise mit eine Steuer belegen oder ihn zwingen, den Geschädigten mit einer Zahlung zu kompensieren, um den Verursacher von seinem schädigenden Verhalten abzubringen oder ihn zumindest dazu zu veranlassen, es einzuschränken.
In jedem Fall gibt es allerdings schwierige Probleme zu klären: Selbst wenn der Verursacher bekannt ist, was keineswegs immer der Fall ist, muss die Höhe des Schadens, den er angerichtet hat, festgestellt werden. Im Beispiel ist die Beeinträchtigung gewiss höher zu veranschlagen, als lediglich die entgangenen Einkünfte des Fischers, denn es sind auch die Belange des Naturschutzes und des Tierschutzes zu berücksichtigen. Dies alles lässt sich aber nicht zweifelsfrei berechnen. Daher muss der Staat in Falle negativer externer Effekte eine wertende Entscheidung treffen und die folgenden Fragen beantworten: Ist der externe Effekt so erheblich, dass die Regierung eingreifen sollte? Wie hoch sind die externen Kosten insgesamt zu veranschlagen? Nach welcher Methode soll die "Internalisierung" der externen Effekte erfolgen?
Letztere kann durch eine Reihe von Maßnahmen herbeigeführt werden. In manchen Fällen löst Besteuerung das Problem. Stehen die notwendigen Informationen zur Verfügung, so ist die Regierung in der Lage, die Verursacher von negativen externen Effekten in genau dem Maße zu besteuern, das nötig ist, um sie zur Verringerung von Aktivitäten zu veranlassen, welche die negativen externen Effekte verursachen. In diese Kategorie fallen die so genannten Emissionssteuern. Diese Herangehensweise ist jedoch aus zwei Gründen problematisch: In der Regel stehen der Regierung die für die Besteuerung nötigen Informationen nicht zur Verfügung, sondern sie müssen erst unter Aufwand beschafft werden. Hinzu kommt, dass die Besteuerung auch nicht kostenlos ist, denn die staatliche Verwaltung, welche die Besteuerung organisiert, muss ebenfalls finanziert werden.
Ein interessanter Lösungsvorschlag für das Problem der negativen externen Effekte besteht in deren Internalisierung durch private Verhandlungen. Ist die Anzahl der Beteiligten klein genug, sodass solche Verhandlungen keine zu hohen Kosten verursachen, so kann eine Einigung durch so genannte Seitenzahlungen herbeigeführt werden. Die Rechtsordnung legt dabei nur fest, welche Seite Zahlungen zu leisten hat. Hat der Fischer ein Recht auf sauberes Wasser und erleidet er einen negativen externen Effekt durch die Abwassereinleitung des Industriebetriebes, so kann dieser den Fischer für dessen Verluste durch eine Seitenzahlung kompensieren, wenn die eigenen Gewinne ausreichend groß sind. Hat umgekehrt der Industriebe trieb das Recht, seine Abwässer in den Fluss einzuleiten, so könnte der Fischer theoretisch dem Industriebetrieb eine Seitenzahlung anbieten, um ihn zur Verringerung der Abwassereinleitung zu veranlassen. Auch hier gilt, dass diese Lösung nur dann möglich ist, wenn die Gewinne des Fischers ausreichend groß sind, um die Verluste des Industriebetriebes aufzuwiegen. Kann grundsätzlich durch die Umverteilung von Gewinnen und Verlusten die Gesellschaft als Ganzes besser gestellt werden, ist eine Verhandlungslösung prinzipiell möglich, so lange nur die Anzahl der Beteiligten nicht allzu groß ist.
Eine aktuelle Methode der Internalisierung externer Effekte stellt der Klimaschutz nach dem Kyoto-Protokoll dar. Dabei geht es ausschließlich um Kohlendioxyd, dessen Ausstoß in die Atmosphäre gesenkt werden soll. Die Regierungen legen in einer normativen, also wertenden Entscheidung, die verhandelt wird, fest, wie hoch in einem bestimmten Zeitraum der Kohlendioxydausstoß auf ihrem Territorium sein darf. Die Unternehmen erhalten dann Zertifikate, die sie berechtigen, im Rahmen der Regierungsvorgaben Kohlendioxyd in die Atmosphäre abzugeben. Die Marktkoordination erfolgt dadurch, dass diese Zertifikate gehandelt werden können. Wenn also eine Firma ihren Kohlendioxydausstoß erhöhen will, muss sie zusätzliche Zertifikate von anderen Betrieben kaufen. Das führt bei der ersten Firma zu einer Internalisierung der externen Kosten. Andererseits haben Unternehmen große Anreize, ihre Kohlendioxydabgaben zu mindern, weil dann Zertifikate "frei" werden, die sie verkaufen können. In der Theorie stellt dieses Konzept eine elegante wirtschaftspolitische Lösung dar. Zum einen ist gesichert, dass der Kohlendioxydausstoß das einmal vorgegebene Niveau, das zudem in der Zukunft gesenkt werden kann, nicht überschreitet. Zum anderen braucht die staatliche Wirtschaftspolitik nicht mehr einzugreifen, sobald das System einmal angelaufen ist. Allerdings lässt sich eine solche Lösung nur bei wenigen Schadstoffen verwirklichen, und es bleibt abzuwarten, wie hoch der bürokratische Aufwand wird.
Aus: Hans-Jürgen Schlosser: Aufgaben und Grenzen von Markt und Staat, in: Externer Link: Informationen zur politischen Bildung, Heft "Staat und Wirtschaft", 1. Quartal 2007, S. 15ff.