1. Auffassungen, was unter Rechtsextremismus verstanden wird
Für jeden Demokraten – zumal in Deutschland - dürfte es feststehen, dass Rechtsextremismus eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Aber schwierig ist es, einfach und überzeugend zu benennen, worin diese Gefahr besteht. Lässt sich diese - vor einer genauen begrifflichen Erörterung - in einem Bild, in einer Metapher oder Analogie zum Ausdruck bringen? Stellen wir uns Rechtsextremisten wie Straßenräuber vor, die eine Bedrohung für Leib und Leben darstellen, vor denen man sich schützen muss, indem man die potentiellen Täter erfasst und wegschließt? Oder trifft das Bild vom bedrohlichen Netzwerk zu, das sich mehr und mehr ausdehnt, wichtige Schaltstellen der Gesellschaft besetzt, so dass mit einer Unterwanderung zu rechnen ist und man sich nur wehren kann, wenn „Radikale“ identifiziert und aus dem öffentlichen Dienst ferngehalten werden? Oder ist Rechtsextremismus wie schleichendes Umweltgift, das den Organismus durchdringt und schädigt, vor dem niemand sicher ist, wenn die Entwicklungen bei allen nicht genau und sorgfältig beobachtet werde, um geeignete Vorsichts- und Gegenmaßnahmen ergreifen zu können? Oder wird Rechtsextremismus eher als eine gefährliche Seuche/Epidemie angesehen, die wie die Grippe über die Gesellschaft kommt, vor der man sich durch „Impfungen“ immunisieren und bei der man Hauptinfektionsherde eindämmen bzw. reduzieren kann? Hier wird deutlich, dass unsere Vorstellungen von Rechtsextremismus, so vage sie auch sein mögen, unsere Einstellungen zum Rechtsextremismus insbesondere zu dem, was man dagegen tun kann, sehr deutlich beeinflussen. Daher soll hier nicht bedauert werden, dass es in der Wissenschaft eine fast nicht zu überschauende Vielzahl von Definitionen des Rechtsextremismus gibt (vgl. Fenske 2013 S.24), sondern es wird versucht, die Vorstellungen einiger wichtiger Akteure zum Rechtsextremismus näher zu kennzeichnen, um so einerseits die Bandbreite der Anschauungen und typischen Unterschiede in den begrifflichen Präzisierungen genauer kennen zu lernen. Andererseits wird so an Hand ausgesuchter Fälle deutlich, wie unsere Vorstellung (unser Bild) vom Rechtsextremismus die Aktions- bzw. Interventionsmöglichkeiten beeinflusst und umgekehrt. Für Sie als Pädagoginnen und Pädagogen dürfte diese exemplarische Analyse der Wechselbeziehung zwischen begrifflicher Vorstellung der Bedrohung und den möglichen Gegenmaßnahmen anhand von vier ausgesuchten Handlungsfeldern (Gericht, Verfassungsschutz, empirische Wissenschaft, Jugendarbeit) für die eigene Urteilsbildung, Positionierung und die Wahl von geeigneten pädagogischen Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus nützlich und hilfreich sein.
1.1 Rechtsextremismus vor Gericht
Die züchtende Hand des Staates wird durch das Strafgesetzbuch gesteuert. Nur was dort als Straftat oder Vergehen genau benannt ist, darf bestraft werden. Diese Bindung der Rechtsprechung an den genauen Wortlaut des Gesetzes ist ein hohes Gut und schützt die Bürger vor der Willkür der Strafjustiz. Aber der Tatbestand des Rechtsextremismus ist im Strafgesetzbuch nicht aufgeführt, daher können die Justiz (inkl. Polizei) und die Richter nicht direkt gegen Rechtsextreme tätig werden, wohl aber dann, wenn sie sich strafbarer Handlungen wie Gewaltanwendung, Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigung, Volksverhetzung, Zeigen von verbotenen NS-Zeichen, Leugnung des Holocaust u.a. schuldig machen. Es wäre nun mehr als fahrlässig, wenn der Staat die Bedrohung durch den Rechtsextremismus und die damit verbundene potentielle Beeinträchtigung der Sicherheit der Bürger nicht frühzeitig wahrnehmen und im Vorfeld schon, also nicht erst wenn Straftaten begangen werden, Schutzmaßnahmen ergreifen würde. Die Demokratie sollte sich wehren können, wie wir aus dem Untergang der Weimarer Republik gelernt haben dürften. Damals war die Rechtslastigkeit der Justiz ein beklagenswerter Zustand: Gleiche Straftaten wie Mord und Totschlag von Rechtsextremen begangen, wurden deutlich milder bestraft als solche von Linksextremen. (vgl. die empirischen Befunde von J.E. Gumbel, Privatdozent für Statistik an der Universität Heidelberg: Vier Jahre politischer Mord, 1922 S. 81; Tucholsky: Die Tabelle, Deutsche Richter 1927 vgl. Sander u.a. 1985, S. 82ff). Für die bundesdeutsche Rechtsprechung sind diese Tendenzen nicht mehr gegeben. Aber alarmierend sind die offensichtlichen Ermittlungspannen bei der Verfolgung der NSU-Gewalttaten schon.
1.2 Die wehrhafte Demokratie und die Aufgabe des Verfassungsschutzes
Die begrenzten Handlungsmöglichkeiten der Dritten Gewalt im Staat haben dazu geführt, dass im Jahre 1950 in der Bundesrepublik ein neues Amt eingerichtet wurde, das extremistische Entwicklungen insgesamt und also auch Rechtsextremismus insbesondere frühzeitig entdecken soll – das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Er verfügt über keinerlei polizeiliche Befugnisse und kann daher nicht eingreifen, wohl aber genau beobachten und frühzeitig Alarm schlagen, wenn etwa rechtsextreme Gruppen zunehmen und Straftaten vorbereiten. So heißt es im Verfassungsschutzbericht: „Die leidvollen Erfahrungen mit dem Ende der Weimarer Republik haben dazu geführt, dass im Grundgesetz das Prinzip der wehrhaften oder streitbaren Demokratie verankert ist. Dies Prinzip ist durch drei Wesensmerkmale gekennzeichnet: Wertgebundenheit, d.h. der Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, Abwehrbereitschaft, d.h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen,Verlagerung des Verfassungsschutzes in den Bereich der Vorfeldaufklärung, d.h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Der Verfassungsschutz ist somit ein Frühwarnsystem der Demokratie.“ (Verfassungsschutzbericht 2012, S. 16).
Verfassungsschutz, Polizei und Gerichte müssen also eng zusammenarbeiten, wenn Rechtsextremismus wirksam bekämpft werden soll, was aber offensichtlich nicht immer gut gelingt, wie das Jahre lange unentdeckte Wirken der NSU und der Münchener NSU-Prozess zeigen. So heißt es selbstkritisch im aktuellen Verfassungsschutzbericht: „Im Zuge der Aufarbeitung der Mordtaten der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) wurden gravierende – auch strukturelle Mängel in der Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden ebenso wie zwischen Polizei und Nachrichtendiensten deutlich.“ (ebd. S. 21).
Um bedrohliche Phänomene des Rechtsextremismus identifizieren und fortlaufend beobachten zu können, muss die begriffliche Lücke, die das Strafgesetz lässt, geschlossen und eine brauchbare Definition von Rechtsextremismus entwickelt werden, an der sich die Mitarbeiter des BfV orientieren können, damit sie wissen, worauf sie zu achten haben und zugleich kein Generalverdacht gegenüber jedem Bürger entsteht. Die Rechtsextremismusdefinition des BfV lautet in der aktuellen Fassung:
„Der Rechtsextremismus stellt in Deutschland kein ideologisch einheitliches Gefüge dar, sondern tritt in verschiedenen Ausprägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologieelemente sowie unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Wertverständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz, welche die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt“. (Verfassungsschutz Bericht 2012, S. 52)
Neben diesen Ideologiefragmenten verbinden Rechtsextremisten in aller Regel ihr autoritäres Staatsverständnis, wonach der Staat und das – nach ihrer Vorstellung ethnisch homogene – Volk als angeblich natürliche Ordnung zu einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der ‚Volksgemeinschaft‘ sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fehlen, z.B. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt durch Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition.“ (S. 52)
Neben diesen ideologischen Momenten kommt es dem BfV darauf an,
die Entwicklung rechtsextremistisch motivierter Straf- und Gewalttaten zu erfassen,
Organisationen, Personen und Kundgebungen mit rechtsextremen Umfeld zu beobachten und
dabei besonders Gewaltpotentiale zu berücksichtigen.
„Der Aufklärungsschwerpunkt bei der Arbeit der Sicherheitsbehörden – und in besonderem Maße der Verfassungsschutzbehörden als Frühwarnsystem einer wehrhaften Demokratie – liegt somit auf dem gewaltbereiten Rechtsextremismus, der ein rechtsterroristisches Handeln zum Erreichen der eigenen politischen Ziele nicht ausschließt. Durch eine personenorientierte Arbeitsweise, verbunden mit dem zielgerichteten Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, gilt es, eine mögliche oder weitere Radikalisierung – sowohl von Klein- und Kleinstgruppen als auch von Einzelpersonen frühzeitig zu erkennen, um terroristische Strukturen bereits im Anfangsstadium zu zerschlagen.“ (S. 64) Besonderes Augenmerk legt der Verfassungsschutz neuerdings auf die Internetaktivitäten des Rechtsextremismus, zu einen sind die Rechtsextremismus in diesem Medium enorm aktiv, zum anderen lassen sich hier viele brauchbare Hinweise und Spuren (Personen, Organisationen, Aktionen etc.) finden. Das hat das BfV vor Augen, wenn es im Bericht heißt:
„In dem Maße, in dem das Internet an Bedeutung für nahezu alle Lebensbereiche gewinnt, nimmt auch die Nutzung dieses Mediums durch Rechtsextremismus zu. Es ermöglicht Rechtsextremisten, ihr verfassungsfeindliches Gedankengut breit zu streuen und ist wirkungsvolles Mobilisierungsinstrument und attraktiver Werbeträger zugleich. Über das Internet können neue Interessentenkreise, insbesondere unter Jugendlichen, angesprochen werden.“ (ebd. S. 124)
Zusammenfassend lässt sich feststellen: Der Bundesverfassungsschutz benutzt zwar einen elaborierten Rechtsextremismus-Begriff, richtet seine Aufmerksamkeit aber wegen des latenten Gefahrenpotentials besonders auf den gewaltbereiten Rechtsextremismus und nutzt neuerdings die Möglichkeiten der Neuen Medien, Erkenntnisse über Entwicklungen in diesem Feld frühzeitig zu gewinnen.
Der Zusammenhang, was das BfV unter Rechtsextremismus versteht und welche Arbeitsschwerpunkte das Amt wählt, bilden eine in sich stimmige Einheit. Demnach gehören Prävention oder Intervention nicht zu den Aufgaben des BfV. Phänomene des Übergangs, wie junge Menschen zum Rechtsextremismus wechseln oder wie sie wieder aussteigen oder ob es in der Gesellschaft eine Zunahme an rechtspopulistischem Einstellungen und Vorstellungen gibt, interessieren hier nicht sonderlich.
1.3 Rechtsextremismus aus der Sicht der empirischen Wissenschaften
Entsprechend dem Erkenntnisinteresse der empirisch arbeitenden Wissenschaft, genaue und empirisch gehaltvolle Aussagen über den Untersuchungsgegenstand (hier: Rechtsextremismus) machen zu können, differenzieren sich hier die Vorstellungen über das, was typische Merkmale des Rechtsextremismus sind, und wie man ihn erklären kann, immer weiter aus. Es verwundert daher nicht, dass eine einheitliche Definition des Begriffes Rechtsextremismus sowie eine verallgemeinerbare Rechtsextremismustheorie nicht existieren. (Vgl. u.a. Fenske, 2013, S.24; Stöss, 2007 S.14) Vielmehr bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Phänomene und Dimensionen im Rechtsextremismusbegriff zusammengefasst werden. Daher wird die im Kapitel 1.2 dargestellte Definition des Rechtsextremismus seitens des Verfassungsschutzes in der wissenschaftlichen Debatte auf Grund seiner Eindimensionalität und seinen „blinden Stellen“ bezüglich der Vorstellungen der Gesellschaft („gesellschaftlichen Mitte“) kritisiert (Vgl. Fenske, 2013 S. 24) „Behörden wie der Verfassungsschutz sprechen vom „politischen Extremismus“ als Sammelbegriff für diejenigen politischen Gesinnungen und Bestrebungen, die den demokratischen Verfassungsstaat bzw. seine fundamentalen Werte und Regeln bekämpfen“ (Grumke 2013, S.24) Aus dieser Gegenüberstellung mit dem „freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassungsstaat“ resultiert die operationale Enge des institutionellen Extremismusbegriffes. Als Extremisten gelten laut dieser Definition alle Personen, Organisationen, Parteien, die die Verfassung und ihre zentralen Elemente (u.a. Menschenrechte, Volkssouveränität und Gewaltenteilung) in Frage stellen. Weitere Kritikpunkte an diesem Extremismusbegriff sind die Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus, sowie die Verortung des Rechtsextremismus als gesellschaftliches Randphänomen, was rechtspopulistische Einstellungen in der „Mitte der Gesellschaft“ außer Acht lässt. Die Extremismusdefinition der staatlichen Behörden bietet eine handhabbare Orientierung, um die Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes des Bundes und der Länder abzudecken. Eine differenzierte wissenschaftliche Analyse des Phänomens, z. B. nach Alter, Geschlecht, Region, Bezugsgruppe, Entstehungszeit und –kontext, ist hier nicht intendiert (vgl. Stöss 2007, S.21).
1.3.1 Rechtsextremismus und „Die Mitte der Gesellschaft“ (die Leipziger Forschungsgruppe)
Zu Beginn des umfangreichen Dossiers der Bundeszentrale für politische Bildung zum Thema Rechtsextremismus schreiben die Autoren: „Rechtsextremismus ist längst keine Randerscheinung mehr. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet sind Strukturen entstanden, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage stellen. Der Rechtsextremismus beginnt langsam, die Alltagskultur zu durchdringen. Es ist eine Graswurzelrevolution, die die Zivilgesellschaft bedroht.“ (bpb Dossier vgl. auch Grußwort des Präsidenten der bpb zur Fachtagung Rechtsextremismus in Europa vom 29.4.2010,
Rechtsextremistischer Einstellungen und Verhaltensweisen, die eine besondere Bedrohung einer humanen Gesellschaft darstellen, sind dann und dadurch besonders gefährlich, wenn sie nicht nur von einer kleinen Randgruppe vertreten werden, sondern wenn entsprechende Einstellungen und Vorstellungen auch in der „Mitte der Gesellschaft“ Unterstützung und Sympathieträger finden. Diesen Zusammenhang zur Mitte der Gesellschaft haben besonders namhafte Politikwissenschaftler der Universität Leipzig in ihrer Studie „Die Mitte in der Krise. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ (Decker u.a. 2010), die sie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt haben, herausgestellt, indem sie das Phänomen des Rechtsextremismus nicht nur von seiner verfassungsrechtlichen Problematik her (Verfassungsfeinde) begreifen, sondern auch mit der Krise in der Mitte der Gesellschaft in einen Zusammenhang bringen. Fragt man wie diese Forscher nach empirischen Befunden, rücken die für den Rechtsextremismus typischen Einstellungen in den Vordergrund und bestimmen die Definitionsmerkmale, die im Rahmen eines Umfrageprojektes dann operationalisiert werden können: „Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindliches Kennzeichen Ungleichheitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen.“ (Decker u.a. S. 18)
Die Mitte der Gesellschaft, zu der – im Selbstbild der Mittelschicht - weder die Unterschichten noch die Eliten der Gesellschaft gehören, ist für die Integrationsfähigkeit und den Zusammenhalt einer Gesellschaft insgesamt von großer Bedeutung. „Sie ist der Nachweis individueller sozialer Mobilität, also der Möglichkeit, in der Gesellschaft aufzusteigen. Gleichzeitig ist sie aber auch – mit den Worten des Soziologen Theodor Geigers – als Hort der ‚Panik‘ und ‚Verwirrung‘ bezeichnet worden, wenn nicht der Aufstieg, sondern der wirtschaftliche Abstieg die vorgegebene Richtung vieler ist. Der Zusammenhang dieser Panik mit der Freisetzung antidemokratischer Einstellung ist gut belegt. Vor dem Hintergrund einer Polarisierung der deutschen Gesellschaft, wie sie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) dokumentiert und beschrieben worden ist“, stellen Decker u.a. diesen Zusammenhang mit den Daten ihrer Untersuchung dar. (Decker u.a., S. 106) Die Autoren untersuchen die vielfältigen Dimensionen des rechtsextremen Einstellungssyndroms und bringen sie mit der sozialen Lage der befragten Menschen in Verbindung. Sie können hier einen deutlichen Zusammenhang feststellen und kommen zu dem Schluss: „Wir müssen in 2010 einen Anstieg von dezidiert antidemokratischen und rassistischen Einstellungen feststellen, beobachten zudem eine leichte Zunahme der sozialdarwinistischen Ungleichheitsvorstellung."
Während bis 2008 die Erhebungen in einer Schönwetterperiode stattgefunden haben und der – immer noch hohe – Sockel an rechtsextremer Einstellung langsam abgenommen hat, ist nun möglicherweise eine Trendwende auszumachen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist diese Entwicklung insbesondere auf die Auswirkungen der ökonomischen Krise zurückzuführen. Diese Wirkung betrifft nicht nur die Zustimmung zu rechtsextremen Ideologien, deren weiteres Anwachsen in den nächsten Jahren nicht unwahrscheinlich ist, sondern auch die bereits jetzt messbaren Veränderungen im Verhältnis zur Ökonomie – insbesondere den Zusammenhang von antidemokratischer Kapitalismuskritik und rechtsextreme Einstellung: Vorstellungen von einer Volksgemeinschaft als Schicksalsgemeinschaft machen sich schon jetzt bemerkbar, etwa in der Unterscheidung von ‚Ausländer/innen‘, die ‚uns‘ etwas bringen, und jenen, die eine Belastung für das ‚Gemeinwohl‘ darstellen.“ (ebd., S. 139)
Die Autoren kommen in ihrer Zusammenfassung der empirisch abgesicherten Ergebnisse zu einer alarmierenden Diagnose: „Keine Entwarnung: der Wunsch nach Diktatur und die Zunahme von Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Sozialdarwinismus gefährden die Demokratie. Während wir im Jahr 2006 einen Rückgang der rechtsextremen Einstellungen verzeichnen konnten, müssen wir 2010 feststellen, dass die Zustimmung in den meisten Dimensionen angestiegen ist. So hat sich der Trend, dass seit 2002 immer weniger Deutsche eine Diktatur befürworten, umgekehrt: 2010 wünscht sich in Deutschland gut jede/r Vierte eine ‚starke Partei‘, die die ‚Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert‘, mehr als jede/r Zehnte einen ‚Führer‘, der ‚Deutschland zum Wohle aller mit harter Hand regiert‘.“ (ebd. , S. 140)
Für unterrichtliche Zwecke sind diese Ergebnisse durchaus relevant. Direkt berühren diese Befunde die Schülerinnen und Schüler nur am Rande, da die untersuchten „Deutschen Zustände“ für sie zu allgemein und daher zu weit weg sind. Bedeutsamer ist es, wenn die Jugendlichen selbst, die ja der Mitte der Gesellschaft angehören, mit recht einfachen Mitteln der empirischen Sozialforschung und des Einsatzes Neuer Medien (inkl. der benutzerfreundlichen Software GrafStat) nach diesem Muster eine recht genaue Momentaufnahme dieser Zustände in ihrer Lebenswelt, in ihrem Stadtteil oder auch an ihrer Schule machen können. Dabei kann es sich für das Selbstbild und das Selbstbewusstsein einer Schulgemeinschaft durchaus positiv auswirken, wenn das so diagnostizierte Ausmaß rechtsextremer Einstellungen beruhigend gering ausfällt (oder auch nicht). Eine Reihe der in diesen Leipziger Studien entwickelten Dimensionen zur Untersuchung des Rechtsextremismus kann durch die Auswahl entsprechender Items auch in einen Schülerfragebogen übernommen und entsprechend untersucht werden. Bei der Auswahl der Items ist darauf zu achten, dass der Bezug zur Lebenswelt, zum Schüleralltag vielleicht auch zum Schulalltag gegeben ist. Auf diese Weise fällt den Jugendlichen die Interpretation der Daten leichter und die Relevanz der Ergebnisse für die Bearbeitung der Vor-Urteilsstrukturen lässt sich schneller herauszustellen. Zeitreihenuntersuchungen sind zu Beginn dieses Unterrichtsprojektes nicht möglich und auch nicht nötig, da keine Vergleichswerte vorliegen. Die gewonnenen Schülerdaten können jedoch mit anderen bekannten Daten verglichen werden. Auf diese Weise können Unterschiede und Übereinstimmungen leicht festgestellt werden. So gelingt es auch, in einem Schülerprojekt nicht nur das Ausmaß rechtsextremer Einstellungsmuster zu bestimmen (hoch oder gering), sondern auch das Umfeld an rechten Einstellungen, die soziale Ungleichheit, Diskriminierung, Intoleranz und Antisemitismus schon im Ansatz beinhalten, auszumachen. Denn die meisten Schülerinnen und Schüler sind in der Mitte der Gesellschaft zu Hause, sie erleben hier die Krisen der Gesellschaft und nehmen wahr, was ihre wichtigen Bezugspersonen dazu sagen und wie sie diese Krisen verarbeiten. In dieser ihrer Alltagswelt mit all ihren Vorstellungen und Vorurteilen gilt es, die Jugendlichen abzuholen, auch und gerade, wenn es um Fragen des Rechtsextremismus geht. Dem geplanten Forschen-mit-GrafStat-Projekt gelingt dieses Vorhaben mit vertretbarem Aufwand, da Jugendliche in diesem Projekt selbst zu Sozialforschern werden und die gewonnenen Ergebnisse kommentieren sowie unter Anleitung der Lehrperson kritisch reflektieren und in der Schule präsentieren.
Seit 2006 versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den sogenannten „Mitte Studien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) das Themenfeld Rechtsextremismus und seine Resonanz in der Bevölkerung empirisch aufzuarbeiten. Im Zentrum ihrer Untersuchungen stehen folglich Vorstellungen und Einstellung der gesamten Gesellschaft und nicht nur die „extremistischen Ränder“. Im Gegensatz zur institutionellen Rechtsextremismusdefinition haben die Autoren der Studie „Die Mitte im Umbruch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung nicht eine Zweiteilung vor Augen – hier die gewaltbereite Rechte, dort die demokratische Gesellschaft. Ihre Zugangsweise basiert allgemeiner auf der Gegenüberstellung von rechtsextrem (=antidemokratisch) und demokratisch. (Decker/Kiess/Brähler 2012, S. 18) Rechtsextremismus ist demnach durch eine Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und bestimmte Einstellungen wie beispielsweise Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Sozialdarwinismus gekennzeichnet. (vgl. ebd.)
Aus dieser Kombination von Antidemokratie und menschenfeindlichen Einstellungen ergibt sich die Rechtsextremismusdefinition dieser Studie:
„Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozial-darwinistische Einstellungen.“ (Decker/Kiess/Brähler 2012, S. 18)
Sechs Dimensionen sind charakteristisch für diese Definition von Rechtsextremismus:
„Befürwortung einer rechtsgerichteten Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus sowie Verharmlosung des Nationalsozialismus.“ (Decker/Kiess/Brähler 2012, S. 31) In der aktuellen empirischen Untersuchung werden diese Dimensionen jeweils durch drei Items im Fragebogen operationalisiert. Seit 2006 werden repräsentative Befragungen in Deutschland durchgeführt. Die Ergebnisse der „Mittestudien“ zeigen deutlich, dass und in welchem Ausmaß in der gesamten Gesellschaft rechtsextreme Einstellungen existieren. Im Jahr 2010 hatten demnach 24,7% der Befragten ausländerfeindliche, 19,7% teilten chauvinistische und 8,7% antisemitische Einstellungen. (vgl. ebd. S. 19) Im Jahr 2012 gab es bei den Ergebnissen kaum Abweichungen. (s. Tabelle 1)
Zusammenfassend kommen die Autoren zu der Einschätzung: „Der Sockel rechtsextremer Einstellungen ist in Deutschland nach wie vor hoch.“ (ebd. S. 40) Bei der Ursachenanalyse spielt der Einfluss der Bildung eine besondere Rolle: Je geringer der Grad der Bildung, desto höher ist tendenziell die Zustimmung zu rechtsextremen Einstellungen. (ebd. S. 119) In diesem Zusammenhang wird stärkeres soziales und demokratisches Lernen im Schulalltag gefordert verbunden mit der Hoffnung, so Schülerinnen und Schüler Demokratie im Schulalltag mit positiven Erlebnissen zu verbinden und eine Ablehnung menschenverachtender und rechtsextremistischer Einstellungen schon früh zu fördern. Rätselhaft ist, dass rechtsextreme Einstellungen mit dem Alter zunehmen, zum einen ist der Befund schwer zu erklären und zum anderen sind wirksame Gegenmaßnahmen kaum erkennbar oder schwer durchführbar. (ebd. S. 42)
Kritik an der "Mitte-Studie"
Im Gegensatz zu den „Mitte-Studien“ negiert Klaus Schroeder einen Extremismus in der Mitte der Gesellschaft. (vgl. Schroeder 2005, S.240 ff.) Er kritisiert vor allem die Auswahl und Formulierung der Items, mit denen die rechtsextremen Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft in diesem Umfang nachweisen würden. (ebd.) Rechtsextremistische Positionen sind seiner Auffassung nach kein Problem der Mitte der Gesellschaft, sondern ein Randphänomen (ebd.). Schroeder wirft den Autoren der Studien, die einen Extremismus der Mitte empirisch feststellen, pauschal vor, eine generelle antikapitalistische Gesellschaftskritik ausüben zu wollen (vgl. ebd. S. 110 ff.). Schlussendlich werde die Thematik des Rechtsextremismus überbewertet und dramatisiert. (vgl. ebd. S. 467 ff.) Des Weiteren etikettiert er die „Mitte-Studie“ des Jahres 2010 als „nicht seriös, sondern eine offen ausgesprochene linke Kampfschrift gegen liberale und konservative Auffassungen und die hiesige Gesellschaftsordnung.“ (Schroeder 2010).
Angesichts der Aufdeckung des NSU und seiner Gräueltaten, und dem offensichtlichem Versagen staatlicher Institutionen (Verfassungsschutz und Polizei), erscheint Schroeders Kritik den Ernst der Situation zu verkennen und setzt sich selbst dem Vorwurf aus, statt einer fundierten empirischen Analyse mit Schlagwörtern zu arbeiten. Die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit sowie die extremen, teils gewalttätigen Proteste gegen die Errichtung von Asylantenheimen machen deutlich, dass Rechtsextremismus ein Problem für die gesamte demokratische Gesellschaft darstellt und nicht als Randphänomen abgetan werden darf. (Zu weiteren Kritikpunkten am Heitmeyer-Ansatz, z. B. von Butterwege und Huisken, die hier nur angedeutet werden können, wie bspw. er präferiere als positiven Gegenentwurf zum Rechtsextremismus konservative Werte wie Kleinfamilie und enge Nachbarschaftsbeziehungen oder er habe einen zu engen Gewaltbegriff, vgl. Fenske 2013, S. 97).
1.3.2 Krisen in der Gesellschaft und „Deutsche Zustände“ (die Sichtweise der Bielefelder Forschungsgruppe)
Seit mehr als zehn Jahren untersucht das Forscherteam unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer an der Universität Bielefeld „Deutsche Zustände“ und dokumentiert seismographisch, mit welchen Ängsten die Menschen auf die Krisen der Gesellschaft und Wirtschaft reagieren und wie sich ihre Einstellungen gegenüber Randgruppen sowie Schwachen verändern. In diesem Langzeitprojekt orientieren sich die Forscher an einer der zentrale Maximen für eine demokratische Gesellschaft, “dass die Gleichwertigkeit aller Menschen und die Sicherung ihrer physischen und psychischen Unversehrtheit zu den zentralen Werten einer modernen und humanen Gesellschaft gehören“. (Heitmeyer 2011, S. 15) Eine Gefahr für das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft droht folglich immer dann, wenn in latenten oder manifesten Aussagen oder Handlungen die Ungleichwertigkeit der Menschen herausgestellt wird. “Eine auf längere Sicht zerstörende Entwicklung sowohl für Individuen als auch für eine liberale und humane Gesellschaft ist dann gegeben, wenn sich menschenfeindliche Einstellungen und Verhaltensweisen zeigen oder gar ausweiten. Menschenfreundlichkeit wird erkennbar in der Betonung von Ungleichwertigkeit und der Verletzung von Integrität, wie sie in öffentlichen Aussagen von Repräsentanten sozialer Eliten, die vornehmlich über die Medien vermittelt werden, formuliert, in Institutionen oder öffentlichen Räumen artikuliert bzw. in privaten Kreisen durch Angehörige ganz unterschiedlicher Altersgruppen reproduziert werden, so dass sie auch von bestimmten politischen Gruppen – vornehmlich rechtsextremistischer Couleur zur Legitimation manifester Diskriminierungen oder gar Gewalttaten genutzt werden können.“ (ebd. , S. 15f)
Drei Fragestellungen standen in dem Bielefelder Untersuchungsprojekt zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) im Zentrum, die mit entsprechenden Abstrichen (hinsichtlich Umfang, Laufzeit, Methodenvielfalt etc.) auch für ein didaktisch ausgerichtetes Befragungsprojekt in der Schule von Bedeutung sein könnten:
„In welchen Formen werden Gruppen von Menschen in dieser Gesellschaft durch Abwertungen, Diskriminierungen und Gewalt gefährdet?
In welchen Ausmaßen geschieht dies …?
Welche Erklärungen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen lassen sich heranziehen?“ (ebd., S. 16f)
Diese drei Punkte (Formen, Ausmaß und Erklärungen) können in einem schulischen Befragungsprojekt im Format „Forschen mit GrafStat“ in modifizierter Form aufgegriffen und durch einen vierten Punkt, der für die Bewusstseinsbildung und die Handlungsorientierung der Jugendlichen relevant ist, ergänzt werden: Was können wir in unserem Alltag gegen rechtsextremistische Vorurteile (Einstellungen, Vorstellungen) tun?
Diese für die politische Bildung wichtige Verbindung von sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen über rechtsextremistische bzw. rechtspopulistische Einstellungen und eigenem Handeln vor Ort (im Unterricht, in der Schule, außerhalb der Schule) gelingt Jugendlichen besonders dann, wenn sie ihre Untersuchungsergebnisse als diagnostische Befunde z.B. unter der Überschrift „Ungleichheit und Diskriminierung in den Vorstellungen von Jugendlichen“ einer schulischen Öffentlichkeit präsentieren können, auf diese Weise selbst thematisch orientierte Gesprächsanlässe in der Schule schaffen, Diskussionen mit anderen Schülerinnen und Schülern oder auch Lehrpersonen (vielleicht auch unter Berücksichtigung historischer Vergleiche) initiieren und in überschaubarem Rahmen Handlungskonsequenzen anregen.
Als Herausgeber der Reihe „Deutsche Zustände“ widmet sich die Bielefelder Arbeitsgruppe in ihrem empirischen Langzeitprojekt der Problematik der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ innerhalb der Gesellschaft. In diesem Konzept wird nicht nur vom Rassismus als Problem für die Gesellschaft ausgegangen, sondern allgemein menschenfeindliche Einstellungen erfasst. Zu diesen zählen Rassismus, Etabliertenvorrechte, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus , Heterophobie und Sexismus. (Heitmeyer 2012 S. 10) Ausgangspunkt der Reihe „Deutsche Zustände“ ist die „Bielefelder Rechtsextremismusstudie“ die den Begriff eines „soziologischen Rechtsextremismus“ entwickelt hat. Demnach entstehen rechtsextremistische Einstellungen durch eine Kombination der „Ideologie der Ungleichheit“, welche auf der Abwertung von Personen und Gruppen sowie lebenslagenbezogenen Ausgrenzungsforderungen basiert, und von Gewaltakzeptanz. (Heitmeyer 1993, S.14) Demnach ist von Rechtsextremismus zu sprechen “wenn also die strukturell gewaltorientierte Ideologie der Ungleichheit verbunden wird mit Varianten der Gewaltakzeptanz als Handlungsform.“ (Heitmeyer 1993, S.14)
Ausgehend vom Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wird von Heitmeyer konstatiert, dass menschenfeindliche Entstellungen in den letzten Jahren in Deutschland zugenommen haben (vgl. Heitmeyer 2012, S. 38 ff.) Entscheidende Faktoren für die Abwertungen andere Personen sind nach Heitmeyer die Gruppenzugehörigkeit des Individuums (z.B. Alter, Geschlecht, materielle und immaterielle Ressourcen etc.) sowie Motive die sich durch Orientierungen (Nationale Identität, Autoritarismus etc.) erfassen lassen. Rechtsextremismus manifestiert sich also durch bestimmte Einstellungen und ein bestimmtes Verhalten. Aus politikwissenschaftlicher Perspektive besteht Rechtsextremismus ebenfalls aus den Dimensionen der Einstellungen und des Verhaltens (Vgl. Grumke 2013, S. 26). Rechtsextremes Verhalten kennzeichnet sich durch das Wahlverhalten, die Mitgliedschaft in rechten Organisationen, durch die Anwendung von Gewalt und Terror und die Ausübung von Protest und Provokationen. Allerdings setzt rechtsextremes Verhalten rechtsextreme Einstellungen voraus. Diese sind innerhalb der wissenschaftlichen und verfassungsrechtlichen Debatte in ihren Ausprägungen sehr ähnlich aber nicht deckungsgleich. Zu ihnen zählt der Rassismus welcher die Gleichheit und den Anspruch aller Menschen auf gleiche Rechte negiert; das Leitbild der Volksgemeinschaft in dem Staat und die ethnisch einheitliche Bevölkerung zueinander verschmelzen; der Kollektivismus, der Nationalismus sowie die Verharmlosung des Nationalsozialismus. Beide Dimensionen sind im Einzelnen getrennt voneinander zu betrachten. Aber das Phänomen des Rechtsextremismus kann nur durch die Berücksichtigung des von Einstellungen und Verhalten in Gänze abgebildet werden. Aus diesen Überlegungen erscheint die Definition von Hans Gerd Jaschke am besten geeignet um das Phänomen Rechtsextremismus adäquat abzubilden und wird deshalb auch in diesem Unterrichtsprojekt verwendet (vgl.
''Unter 'Rechtsextremismus' verstehen wir die Gesamtheit von Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, organisiert oder nicht, die von der rassisch oder ethnisch bedingten sozialen Ungleichheit der Menschen ausgehen, nach ethnischer Homogenität von Völkern verlangen und das Gleichheitsgebot der Menschenrechts-Deklaration ablehnen, die den Vorrang der Gemeinschaft vor dem Individuum betonen, von der Unterordnung des Bürgers unter die Staatsräson ausgehen und die den Wertepluralismus einer liberalen Demokratie ablehnen und Demokratisierung rückgängig machen wollen." (Jaschke 2001, S. 30)
In der neuesten Veröffentlichung ist Heitmeyer der Frage nachgegangen, inwiefern die Erkenntnisse der empirisch-analytischen Wissenschaft über den Rechtsextremismus in die öffentliche Diskussion von Städten und Gemeinden eingebracht werden, identifikationsrelevante Informationen über das Wohnquartier den Menschen verständlich mitgeteilt und z.B. im Unterricht der Schulen nutzbar gemacht werden können. „Wie erreicht man ‚produktive Unruhe‘, um der Abwertung schwacher Gruppen entgegenzuarbeiten und stattdessen eine Kultur der Anerkennung in der Nachbarschaft, im Wohnviertel und in der Stadtgesellschaft hinzuwirken.“ (Grau /Heitmeyer 2013, S.14) Mit Hilfe einer aktivierenden Sozialforschung soll der Selbstreflexionsprozess in der Stadtgesellschaft initiiert und unterstützt werden. Dabei steht auch die Wissenschaft noch am Anfang, denn bisher sind die hoch aggregierten Daten der Längsschnittuntersuchungen nicht auf Entwicklungen einer bestimmten (meiner) Nachbarschaft, des Wohnquartiers oder der Stadtgesellschaft heruntergebrochen worden. Daher fragt der Wissenschaftler zu recht: „Wie können präventiv die subjektiven Empfindungen, Ängste etc. im jeweiligen Sozialraum sensibel zum ‚Thema‘ gemacht werden, so dass nicht erst im Nachhinein, also nach Konflikten oder gar ordnungspolitisch durch Polizei und Justiz? Wie initiiert man eine ‚reflexive Stadtgesellschaft‘ bzw. ein ‚reflexives Wohnquartier‘, die bzw. ds über die gewohnten kommunalpolitisch eingeengten Pfade hinausreicht, andere Eliten erreicht und bewegende Themen sichtbar und diskutierbar macht, und damit auch gegen beliebte Imagepolitik gerichtet ist, die latente Probleme verdeckt?“ (ebd. S. 31)
Das in diesem Unterrichtsprojekt genutzte Format „Forschen-mit-GrafStat“, das in mehreren Schulprojekten sich bereits bewährt hat, verfolgt seit Jahren diese Zielsetzung, nämlich empirisch-analytische Methoden und Neue Medien gezielt zu nutzen, um selbsterhobene Daten zur Reflexion der eigenen Situation und zur politischen Analyse einsetzen zu können und um auf dieser Basis Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten zu generieren.
Bereits in den siebziger Jahren wurde die Bundesrepublik von einer regelrechten "Neonazi- und Hitlerwelle" heimgesucht. Eine vorzügliche Aufarbeitung der Periode von 1971 bis 1977 bietet der Sammelband "Hitlerwelle und historische Fakten". Für die historisch-politische Bildungsarbeit ist besonders der Aufsatz von Bernd Weber zu erwähnen, in dem eine präzise Sachanalyse zur Thematik "Neonazismus" zu finden ist, verbunden mit einer umfangreichen, didaktisch gut strukturierten Materialsammlung, die für die historisch-politische Bildung besonders geeignet ist (vgl. Weber 1979).
1.4 Rechtsextremismus aus der Sicht der Jugendarbeit und Sozialpädagogik (eine exemplarische Analyse)
Die Sozialpädagogik hat keinen eigenen Rechtsextremismusbegriff entwickelt. Sie hat eine pragmatische Lösung zur Identifizierung der Zielgruppe gefunden, um handlungsfähig zu sein: Rechtsextremist ist, wer in rechtsextremen Gruppen mitmacht. Dabei ist für die pädagogische Analyse und Intervention die Tatsache, dass ein Jugendlicher rechtsextrem ist, als solches gar nicht so relevant, sondern dass jeder Rechtsextreme ein Mensch ist, der Probleme macht, weil er Probleme hat. Daher interessieren hier Prozesse des Einstiegs, der Identifikation, der Radikalisierung und natürlich die Ansatzpunkte für den Ausstieg und der Reintegration in besonderer Weise. Wenn der Prozesscharakter nicht im Vordergrund steht, entstehen häufig einseitige Deutungen des Problems Rechtsextremismus bei Jugendlichen, was häufig auch die Lösungsmöglichkeiten verstellt.
1.4.1 Populäre pädagogische Vorstellungen und ihre Folgen
Einige typische Fehldeutungen in der Situationsanalyse und Missverständnisse bei der Beschreibung von pädagogischen Maßnahmen, die eine „Bearbeitung“ des Rechtsextremismusproblems verhindern, hat der Sozialpädagoge K. Möller schon 1993 an Hand einiger Beispiele aufgezeigt, die hier in Form von fünf populären Thesen und vier missverständlichen Maßnahmenvorschlägen kurz skizziert seien. Anschließend wird als relevante pädagogische Alternative das Konzept der akzeptierenden bzw. gerechtigkeitsorientierten Jugendarbeit von F.J. Krafeld exemplarisch vorgestellt, nicht weil hier alles perfekt gelöst ist, sondern weil er einer der ersten war, der auf Grund seiner praktischen Erfahrungen diese typischen „Etikettierungsfehler“ zu vermeiden versuchte. (Heute wird dieser Ansatz vielfach rezipiert, modifiziert und in umfassendere Konzepte wie der Mobilen Beratung integriert.)
Populäre These: Die Hauptgefahr des Rechtsextremismus ginge von den organisatorischen Verfestigungen wie den rechtspopulistischen oder rechtsextremen Parteien aus. Fatale Folge dieser These: Wenn demnach etwa die NPD keine Wahlerfolge mehr verbuchen, scheint das Problem „gelöst“. Übersehen wird dabei, dass rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen in der Bevölkerung („Mitte der Gesellschaft“), so auch bei vielen Jugendlichen Zustimmung gefunden haben. (vgl. FES-Studien).
Populäre These: „Das Hauptproblem des aktuellen Rechtsextremismus stellen die jugendlichen Randalierer und Gewalttäter dar.“ (Möller 1993, S. 14) Fatale Folge dieser These: Es wird übersehen, dass Jugendliche das tun, was ein Großteil der Erwachsenen denkt. Sie erhalten hier Rückendeckung und Stimulation. (s. Ereignisse in Mölln 1992 und Hoyerswerda 1991; rechte Demonstrationen gegen den Moscheebau in Köln-Ehrenfeld von 2007 bis 2013). Populäre These: „Die Motive, sich rechtsextrem zu orientieren, sind bei den Anfälligen im Wesentlichen dieselben.“ (ebd. S 16) Fatale Folgen dieser These: Es wird zu wenig auf die unterschiedlichen subjektiven Motive der rechtsextremistischen Akteure geachtet. Gerade diese böten für Interventionsmöglichkeiten gute Ansatzpunkte. Populäre These: „Hätten wir die Ausländer nicht in Deutschland, würde sich das Unbehagen Jugendlicher in gleicher Weise gegenüber anderen Zielgruppen gewaltsam Luft verschaffen. Dann wären es vielleicht die Alten, die angegriffen würden oder sonst irgendeine gesellschaftliche Gruppierung.“ Fatale Folge dieser These, der im Kern eine Sündenbocktheorie zugrundliegt, wonach Unheil in der Gesellschaft Schwächere angelastet wird. Sie „leugnet die real existierende Problematik und objektiven Schwierigkeiten zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und erklärt sie mehr oder weniger zu Phantasmen.“ (ebd. S. 19)
Populäre These: „Die kapitalistische Modernisierung habe mit dem politischen Schwenk nach extremrechts nichts zu tun.“ Konsequenz dieser Sichtweise: Es wird übersehen, dass Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit auch mit den Folgekosten der ökonomischen Modernisierung aller Lebensbereiche und den Strukturproblemen unserer Gesellschaft zusammenhängen. K. Möller zitiert hier, um eine Perspektivenerweiterung hin zur kritischen Theorie anzudeuten, das historische Diktum von Max Horkheimer: „Wer über den Faschismus redet, darf über den Kapitalismus nicht schweigen.“ (vgl. ebd. S. 22)
Nach diesen typischen Fehldeutungen der Situation nun einige typische Missverständnisse, was pädagogisch gegen Rechtsextremismus getan werden kann:
Auffassung 1: Da die Rechtsextremismusproblematik weder juristisch noch polizeilich in den Griff zu bekommen ist, seien jetzt die Sozialpädagogen gefragt. Fatale Konsequenz: Der „Schwarze Peter“ wird der Sozialen Arbeit zugeschoben. Strukturprobleme der Gesellschaft (u.a. Zunahme der sozialen Ungleichheit) lassen sich nicht durch Pädagogisierung lösen. Die überzogenen Erfolgserwartungen an die Pädagogik sind kaum zu realisieren.
Auffassung 2: Sozialpädagogik müsse sich der rechten Szene zuwenden, weil rechte Gruppen mit ihrer potentielle Gewaltbereitschaft Probleme machen, müsse nun die Sozialpädagogik zum Einsatz kommen („Feuerwehrfunktion“; Problemgruppenarbeit). Konsequenz dieser Sichtweise: Wenn rechtsextreme Parolen identitätsstiftende Selbstzuweisungen für die Jugendliche bieten („Lieber ein Nazi sein als sonst nichts!“), dürfen Pädagogen nicht nur das abweichende Verhalten „behandeln“ und bessere Einsichten vermitteln wollen, sondern sie müssen tiefer an den Bedürfnissen und Interessen der Jugendlichen ansetzen.
Auffassung 3: Rechtsextreme Gruppen müssten als Randgruppen behandelt und durch Streetworker vor Ort betreut werden. Irrtum dieser Sichtweise: Rechtsextreme finden sich nicht nur unter den Verlierern der Gesellschaft, sondern ebenso unter „Normalos“ und Modernisierungsgewinnlern („Mich kotzt deine Armut an!“) Streetworker mögen mit Drogensüchtigen klar kommen, bei Rechtsradikalen führt das aber eher zu Frust und blauen Flecken. Hier ist das anspruchsvollere Konzept der Mobilen Jugendarbeit (s. Klare/Sturm 2012 vgl. auch Baustein 4)) gefragt mit sorgfältiger Abstimmung der einzelnen Strategien wie genauer Erforschung des sozialen Feldes, Einzelfallhilfe, sozialer Gruppenarbeit, Streetwork, Öffentlichkeitsarbeit und Gemeinwesenarbeit. Selbst gut organisierte Jugendarbeit allein kann das Problem von Rechtsextremismus in einem Stadtteil nicht lösen, denn Erwachsene spielen hier eine bedeutende Rolle.
Auffassung 4: Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus seien vorrangig über die Strategie des Vorurteilsabbaus zu bekämpfen. So einfach ist das nicht: Denn Vorurteilsabbau setzt u.a. voraus, dass das Vorurteil auf falschen Informationen beruht, die sich korrigieren lassen. (Ausländer plündern die Sozialkassen, nehmen uns die Arbeitsplätze weg etc.) Vorurteile hingegen wie „Ich fühle mich nachts nicht mehr sicher auf der Straße.“ „Ich fühle mich fremd im eigenen Land.“ geben Befindlichkeiten wieder, die sich durch Informationen nicht beseitigen oder durch Gegenbeispiele aus der Welt schaffen lassen. Die Migrationsproblematik ist nicht nur eine Sache der persönlichen Disposition, sondern hat mit strukturellen Problemen der Gesellschaft zu tun.
1.4.2 Beispiel 1: Akzeptierende bzw. gerechtigkeitsorientierte Jugendarbeit
Pädagogen, die die Grenzen bisheriger sozialpädagogischer Ansätze und Sichtweisen gesehen haben, und sich trotzdem gezielt der Jugendlichen annehmen wollen, die in rechten Cliquen leben, haben dazu das Konzept der Akzeptierenden Jugendarbeit entwickelt, so der "Verein zur Förderung Akzeptierender Jugendarbeit" (VAJA) im Jahre 1992. „Zielgruppe sind Jugendliche, die als rechtsextrem orientiert bzw. rechtsradikal bezeichnet werden und/oder durch extrem intolerante Verhaltensweisen im Sinne von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auffallen.“ (VAJA: Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Cliquen, online unter: Externer Link: http://www.vaja-bremen.de/_pdf/teaminfo/team-info_rechte-cliquen.pdf)
Besonderheiten dieses Konzeptes sind, dass auf rechtsextreme Jugendliche in ihren Lebenswelten gezielt und bewusst zugegangen wird und mit ihnen gearbeitet wird, wozu es auch gehört, Grenzen zu setzen, was aber schwierig ist, da man ihr Vertrauen gewinnen und mit ihnen ins Gespräch kommen will. Ein fast nicht zu lösender Widerspruch: „Den Jugendlichen Grenzen zu setzen bedeutet nicht, sie auszugrenzen oder ihnen mit Verboten zu begegnen. Im Mittelpunkt der Arbeit mit rechtsextremen Jugendcliquen steht eine offensive Konfrontation der Jugendlichen mit anderen Konfliktlösungsstrategien, Denkweisen und Lebensmustern durch die PädagogInnen. Die Akzeptanz des Gegensätzlichen ist Ausgangspunkt von Einmischungs- und Veränderungsprozessen. Geeignete Methoden sind z.B. Diskussionen zu führen, verbale Auseinandersetzungen einzugehen, Widersprüche aufzuzeigen, Schwerpunktthemen aufzugreifen und den Jugendlichen ihre Verhaltensweisen zu spiegeln. Akzeptierende Jugendarbeit begleitet in der praktischen Arbeit ausschließlich Jugendliche, weil sie in dieser Lebensphase nach Orientierungen suchen und in der Regel noch kein festgefügtes rechtsextremes Weltbild haben. Durch das Erweitern von Handlungs- und Erfahrungsspielräumen sowie das Initiieren und Aufrechterhalten des Dialoges mit den Jugendlichen werden Veränderungsprozesse möglich. Grundlage ist dabei eine vertrauensbildende Beziehungsarbeit. Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus und andere Elemente von Rechtsextremismus bzw. gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit können in diesem langfristigen Prozess wirkungsvoll reduziert werden. Häufig werden rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen dadurch gefördert, dass sich Jugendliche von ihren Familien, den Gleichaltrigen, ihrem Stadtteil oder der Gesellschaft insgesamt wenig anerkannt oder sogar ausgegrenzt fühlen. Akzeptierende Jugendarbeit mit rechtsextremen Cliquen hat deshalb insbesondere zum Ziel, eine (Re-)Integration der Jugendlichen zu erreichen. Der Erfolg demokratischer Partizipationsformen ist Voraussetzung für eine Distanzierung zum rechtsextremen Spektrum.“ (VAJA-Bremen ebd.) Krafeld hat die pädagogischen Leitideen der akzeptierenden Jugendarbeit wie folgt in einigen „Merksätzen“ skizziert:
„Ansetzen an den Problemen, die die Jugendlichen haben, nicht an den Problemen, die die Jugendlichen machen, damit sie andere Problembewältigungsstrategien entwickeln, die sozial verträglicher und gleichzeitig auch für sie selbst effektiver sind, irgendwann auch Interesse daran zeigen, welche Probleme andere mit ihnen haben.
Rechtsextremistische Muster bieten vielen Menschen subjektiv
überzeugendere Orientierungen,
größere Zugehörigkeitsgefühle,
mehr Beachtung und Anerkennung usw.
als andere.
Und Menschen ändern sich meist nur dann, wenn es subjektiv für sie sinnvoll ist, das heißt: wenn sie selbst sich was davon versprechen. Dagegen kommen Aufklärung, Information oder Belehrung nicht an!
Grundlegende Handlungsmuster akzeptierender Jugendarbeit:
über Interesse an den Jugendlichen und über Zuhören-Können einen Zugang finden,
über gegenseitiges Interesse und gegenseitige Akzeptanz mit anderen Wertorientierungen und Verhaltensweisen konfrontieren,
die subjektive Funktion von extremen Auffassungen und Gewaltverhalten erkennen und zu ersetzen suchen,
sich einmischen in die Versuche und Bemühungen der Jugendlichen, gesellschaftlich integriert zu werden,
das Bedürfnis aller Jugendlichen nach konfliktarmen eigenen Treffmöglichkeiten mit Gleichaltrigen wichtig nehmen und unterstützen
.“ (so Krafeld 2012: Für die Zivilgesellschaft begeistern) Zwei Kritikpunkte werden an diesem Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit genannt:
Der Ansatz generiert zwar brauchbare und wichtige methodische Hinweise, worauf bei der Jugendarbeit mit rechtsextremen Jugendlichen (einer schwierigen Adressatengruppe) zu achten ist, damit eine Zusammenarbeit zwischen Pädagogen und Jugendlichen überhaupt zustande kommt. Aber die Ziele und Inhalte der Arbeit bleiben weitgehend unklar. So könnte es sein, dass der Sozialpädagoge sich um des Aufbaus von Vertrauen und um des Erfolges willen den Vorstellungen der Jugendlichen weitgehend anpasst. Der Ansatz könnte aber auch missverstanden werden, als sollten abweichende Einstellungen und Verhaltensweisen der Jugendlichen ausnahmslos und kompromisslos auf ein Normalmaß reduziert werden. Es ist folglich unklar, woraufhin Pädagogen Jugendliche „anpassen“ oder - vornehmer ausgedrückt – erziehen sollen.
>li>Wenn die Interessen, Einstellungen und Wertungen der einzelnen zum Tragen kommen, ist das eine gut Basis, um auch die Emotionen anzusprechen und die Verkopfung der kognitiven Orientierung zu überwinden. Aber es besteht die Gefahr, dass die soziale Orientierung zu kurz kommt. Denn rechtsextreme Einstellungen und Verhaltensweisen mögen für den einzelnen oder die Gruppe eine emotionale Stabilisierung und kurzfristig auch eine identitätsstifende Funktion haben, aber die Sozialschädlichkeit dieser Orientierung wird erst deutlich, wenn die Enge der eigenen Bezugsgruppe überwunden wird und die Folgen des Handelns für die Gesellschaft in den Blick kommt. Die sozial-moralische Orientierung setzt zwar bei der eigenen Gruppe an, geht dann aber über diese hinaus und fragt nach den Folgen für die Gesellschaft und nach der Verallgemeinerbarkeit der Regeln des eigenen Handelns. Die Maxime „Was Du nicht willst, das man Dir tut, das fügt auch keinem Anderen zu!“ kann auch in rechtsextremem Milieu zur Prüfung herangezogen werden. Man muss diesen Perspektivenwechsel nur regelmäßig vornehmen und in der Gruppe einüben. (vgl.
1.4.3 Beispiel 2: Gerechtigkeitsorientierte Jugendarbeit
Krafeld hat den Ansatz der Akzeptierenden Jugendarbeit weiterentwickelt und die Gerechtigkeitsorientierung in den Vordergrund gestellt. Folgende Punkte waren ausschlaggebend:
„Im Mittelpunkt sollte endlich eine positive Zielsetzung stehen, nicht der Kampf gegen etwas.
Im Mittelpunkt sollte zweitens etwas stehen, mit dem im Prinzip jede Zielgruppe von Jugendarbeit ansprechbar und erreichbar ist. Denn jedes Konzept, das nur einfache nicht aber schwierige Zielgruppen erreicht, ist ein dürftiges Konzept.
Im Mittelpunkt sollte letztlich immer die Förderung der Lebensentfaltung und Lebensbewältigung der Adressaten stehen - und nicht nur bei der Arbeit mit jenen, die anders nicht zu erreichen sind.
Und viertens: Konzeptionelle Kristallisationspunkte sollten so definiert werden, dass sie tatsächlich das Zentrale optimal bündeln. Und das leistet der Akzeptanzbegriff aus mehreren Gründen offenbar nicht (oder nicht mehr) in ausreichendem Maße, denn: - Akzeptanz gegen scheinbar selbstverständliche Ausgrenzung von rechten Jugendlichen zu betonen – das war fast nur in Westdeutschland zentral.“
(Krafeld 2012)
Für die politische Bildung in der Schule, insbesondere für die hier tätigen Lehrpersonen dürfte es wichtig sein, diesen und andere sozialpädagogische Ansätze sowie die Konzepte der Mobilen Jugendarbeit frühzeitig kennenzulernen, weil durch die wechselseitige Kenntnis der Arbeitskonzepte stadtteilbezogene Kooperationsprojektes gegen rechtsextreme Tendenzen leichter als Kooperationsprojekte möglich werden. (s.
1.5 Zusammenfassung: Typisierenden Analyse, wie in unserer Gesellschaft mit Rechtsextremismus umgegangen wird
Für den Politiklehrer oder die Politiklehrerin sollte deutlich geworden sein, dass Gerichte nur dann Rechtsextremismus „wahrnehmen“ und gegen Rechtsextreme vorgehen können, wenn Straftaten von ihnen vorliegen, dass sie aber kaum etwas gegen die Entstehung und Verbreitung von Rechtsextremismus tun können. Gerichte verfügen über keinen Begriff (Straftatbestand) von Rechtsextremismus. Für den Unterricht ist es wichtig zu wissen, auf Grund welcher Bestimmungen im Strafgesetzt Gerichte gegen Rechtsextremismus vorgehen können.
Der Verfassungsschutz hat zwar einen elaborierten Begriff von Rechtsextremismus entwickelt, verfügt über immer genauere und umfassendere Beobachtungsmöglichkeiten im Vorfeld und untersucht das Umfeld von Rechtsextremismus, er versteht sich generell als Frühwarnsystem. Aber das Interesse an Intervention (bis hin zu polizeilichen Aktivitäten) oder gar Prävention verbunden mit einer genauen Ursachenanalyse ist äußerst gering. Im Unterricht sollte der Gedanke der Streitbaren Demokratie, seine rechtlichen Grundlagen und die besondere Aufgabe des Verfassungsschutzes entfaltet werden. Zugleich kann auch deutlich gemacht werden, wie begrenzt diese Einwirkungsmöglichkeiten doch letztlich sind und wie eine extensive Auslegung des Beobachtungsauftrages dieser Staatsschutzorgane zu einer Bespitzelung der Bevölkerung führen kann, was mit dem Gedanken der Volkssouveränität und der Würde des Menschen unvereinbar ist (s. NSA-Problem in den USA und Europa).
Die empirisch-analytischen Wissenschaften haben ihre Begriffe von Rechtsextremismus weiter ausdifferenziert, Skalen zur Messung der Einstellungen und Verhaltensweisen bereitgestellt, umfangreiche Daten zur Kennzeichnung der Rechtsextremismus-Situation in Deutschland erhoben und ausgewertet sowie durch Längsschnittuntersuchungen Veränderungen bzw. Kontinuitäten aufgezeigt. Diese wichtigen Hinweise zur Selbstreflexion der Gesellschaft haben zu einer regen Diskussion über die Verortung des Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft geführt und damit zugleich auch das latente Gefahrenpotential deutlich gemacht. Eine präzise Analyse der Situation kann vor allem dann für politische Bildungsarbeit genutzt werden, wenn der Bezug zur Lebenssituation der Menschen und stadtteilorientierte Auswertung der Daten vorgenommen wird. Mit diesen Daten und Information mit regionalem Bezug können die Menschen etwas anfangen. Diesen Gedanken hat Heitmeyer in seinen neuesten Untersuchungen aufgegriffen. Genau dieses Konzept die Selbstreflexion mit Hilfe eigener Erhebungen und Daten zu initiieren und zu unterstützen wird seit Jahren mit dem Format „Forschen-mit-GrafStat“ in der politischen Bildung vertreten und wurde in mehreren Projekten der bpb realisiert. Dies Format wird hier auch für die Aufarbeitung und Bearbeitung der Rechtsextremismus-Problematik für die politische Bildungsarbeit fruchtbar gemacht. (s. Baustein 1 der Unterrichtsreihe)
Das pädagogische Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit war ein früher Ansatz, den einzelnen Jugendlichen, der anfällig ist für Rechtsextremismus, näher zu betrachten, als Mensch und Person ernst zunehmen, auf ihn zuzugehen und mit ihm pädagogische zu arbeiten. Er ist, da er Missverständnisse ausgelöst hat, von Krafeld u.a. umgeformt worden in den gerechtigkeitsorientierten Ansatz, und wird in der außerschulischen Jugendarbeit vielfach eingesetzt. Für die schulische politische Bildungsarbeit ist dieser Ansatz nicht gedacht und nicht geeignet. Weder hat eine Lehrperson die hierfür erforderliche Zeit, noch bietet die Schule den Raum für pädagogische Arbeit dieser Art, noch würden die anderen Jugendlichen Verständnis für die intensive Betreuung („Bevorzugung“) der Rechtsextremen haben – ist also für die Schule systemfremd und inkompatibel. Aber die Schule sollte wissen, welche pädagogischen Konzepte in der außerschulischen Jugendarbeit in Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus eingesetzt werden (zur Prävention oder Intervention). Hier finden sich wichtige Kooperationspartner für schulische Projekte.
Der Vergleich der typischen Vorstellungen über Rechtsextremismus und deren Interventionsstrategien macht deutlich, dass die Bedrohung der Demokratie durch den Rechtsextremismus auf allen vier Ebenen stattfindet: durch kriminelle Gewalttaten und Gewaltandrohung, durch den Aufbau von Netzwerken (begünstigt durch den Einsatz Neuer Medien), durch Unterstützung und Sympathien für rechtspopulistisches und rechtsextremes Gedankengut in der „Mitte der Gesellschaft“ und durch rechtsextreme Aktionsgruppen. Nur durch eine wirksame Zusammenarbeit aller vier Bereiche kann letztliche eine erfolgversprechende Eindämmung dieser Gefahrenquellen erreicht werden.
2. Rechtsextremismus in Europa (aktuelle Befunde aus einigen europäischen Mitgliedsländern)
Rechtsextremismus ist kein ausschließlich deutsches Phänomen. In fast allen Mitgliedsstaaten der EU gibt es sowohl rechtsextreme Gruppierungen und Parteien als auch rechtsextreme Einstellungen innerhalb der Bevölkerung. Wie auch in Deutschland besitzt der Rechtsextremismus in anderen europäischen Ländern viele Facetten und Ausdrucksformen. Diese reichen von Freien Kameradschaften, über lose Organisationen bis hin zu rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Parteien die bereits den Einzug in Kommunal- und Landesparlamente erzielen konnten. Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise in der EU ist im Vorfeld der Europawahl in fast allen europäischen Ländern ein starker Zuspruch der Bevölkerung zu den Positionen rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien zu verzeichnen (vgl. Robertson-von Trotha 2012, S. 15 ff.).
Umbruch und Krisen in Europa bieten seit einiger Zeit schon einen Nährboden für rechtsextreme Entwicklungen: „Die politisch organisierte Rechte findet so ein beachtliches Potential und politische Rahmenbedingungen, die ihre Entfaltung begünstigen.“ (Jaschke 2001, S. 10) Manche betrachten die Entwicklung voller Sorge und fragen schon: Steht „Europa auf der Kippe?“ (Rechtspopulismus und Rechtsextremismus im Vorfeld der Europawahlen/ Fachtagung am 17. - 18.03.2014 in Köln / Abschlusspodium mit Günther Beckstein (CSU), Bernd Lucke (AfD), Annelie Buntenbach (DGB ) u.a.). Für die Anschlussfähigkeit der deutschen Situationsanalyse bietet sich an, einen Vergleich mit anderen europäischen Ländern hinzuziehen, der nach einem ähnlichen Muster erstellt worden ist. In einer vergleichenden Studie der Friedrich Ebert Stiftung wurde die Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in europäischen Ländern untersucht. Es konnten in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Polen, Ungarn, Portugal, Frankreich und Italien unterschiedliche Ausprägungen der Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit festgestellt werden (vgl. Zick/Küpper/Hövermann 2011, S.60 ff.). So ist besonders beunruhigend, dass 50,4 % aller Befragten in den acht Ländern der Aussage „dass es in ihrem Land zu viele Ausländer gibt“ eher oder voll und ganz zustimmen (Vgl. Zick/Küpper/Wolf 2009, S. 6 ff.).
Im Folgenden werden in kurzen Portraits die Zustände in einigen ausgewählten europäischen Ländern dargestellt:
2.1 Rechtsextremismus in Frankreich
Seit 1973 existiert in Frankreich die rechtsextremistische Partei „Front National“. Gründungsvater der Partei ist Jean Marie Le Pen der im Jahr 2013 durch seine Tochter Marine Le Pen als Parteivorsitzender abgelöst wurde. Der Front National kann als etablierte Partei bezeichnet werden, da er seit seiner Gründung beachtliche Wahlerfolge erzielen konnte und Themen wie Einwanderung und Nationale Identität auf die politische Agenda setzte. Seit diesem Führungswechsel versucht sich die Partei von antisemitischen und offen rassistischen Positionen zu entfernen und sich mehr als Partei der rechten Mitte zu etablieren. Trotz dieser Entwicklung bildet der Front National ein Sammelbecken aller rechts-konservativen und rechtsextremen Strömungen innerhalb Frankreichs zu denen zum Teil auch ein stark gewaltbereites Klientel zählt und muss daher auch als rechtsextreme Partei deklariert werden (Vgl. Camus 2012, S.103). Hinsichtlich der Einstellungen der Franzosen sind Elemente Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit identifizierbar. Beispielweise stimmten 40,3% der Aussage „Es gibt zu viele Zuwanderer in unserem Land“ voll und ganz bzw. teilweise zu (vgl. Zick/Küpper/Hövermann 2011, S.56 ff.). Alle Ebenen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind in Frankreich auf relativ hohem Maße anzutreffen liegen aber im Vergleich mit anderen europäischen Ländern eher niedrig (vgl. ebd. 56 ff.) Bei den Europawahlen 2014 erlangte die FN mit 24,86% der Stimmen das beste Wahlergebnis aller französischen Parteien und konnte mit 23 Parlamentssitzen einen massiven Zugewinn verzeichnen. Einen Erklärungsansatz bietet der Geograf Christophe Guilluy in seinem Buch "Französische Brüche", auf das sich Georg Blume in einem ZEIT-Artikel vom 28. Mai 2014 bezieht: "Der Ausgang der französischen Kommunalwahlen vor zwei Monaten und der Europawahlen bestätigt, dass der FN eine Partei des Umlandes ist, nicht der Zentren. Sie vertritt die Wähler in Dörfern und Kleinstädten, die früher stolz auf ihre Region, ihre Wein- oder Käsesorten waren. Wo ihre Welt war, erstrecken sich nun Einkaufszentren oder leer stehende Ladenzeilen. Globalisierung, das ist für viele Franzosen nicht nur die Deindustrialisierung ganzer Landstriche, sondern auch der Verlust ihrer gewohnten Alltagskultur. In der Provinz schließen die Cafés und Restaurants, in vielen Orten bleibt als Begegnungsstätte das Vereinslokal des Rathauses. Und nur eine Partei verspricht den Schutzzaun: der FN." (Externer Link: http://www.zeit.de/2014/23/europawahl-frankreich-marine-le-pen, Abruf vom 21. August 2014)
2.2 Rechtsextremismus in Ungarn
In Ungarn sind Syndrome der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit besonders ausgeprägt und liegen weit über dem europäischen Durchschnitt. Vor allem Antisemitismus, Homophobie und Sexismus sind besonders stark ausgeprägt (vgl. Zick/Küpper/Hövermann 2011, S.56 ff.). Rechtsextremistische Bewegungen (als Partei wie auch als lose Zusammenschlüsse) erfreuen sich in Ungarn vor allem unter jungen Menschen großer Beleibtheit (Vgl. Bayer 2009, S. 285 ff.). Nationalistische und rechtsextreme Strömungen habe eine lange historische Tradition in Ungarn. Dieser Sachverhalt resultiert vor allem aus der Aufteilung des ungarischen Staatsgebietes nach dem ersten Weltkrieg (ebd.). Während der kommunistischen Herrschaft wurde hingegen der Nationalstolz durch die Regierung stark eingeschränkt. Nach dem Ende des Kalten Krieges begannen rechtsextreme Strömungen stark zu steigen. Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten besitzt der Rechtsextremismus in Ungarn eine intellektuelle Basis auf die er sich stützen kann. Im Jahr 2003 wurde die Partei „Besseres Ungarn“ unter dem Kurznamen Jobbik gegründet. Diese rechtsextreme Partei erreichte ihren Durchbruch bei der Parlamentswahl im Jahr 2010, bei der sie 16,7% der Stimmen und somit 17 Sitze im nationalen Parlament erringen konnte. Jobbik positioniert sich dabei öffentlich nicht nach dem klassischen Rechts-Links-Schema, sondern nach den Spannungslinien Global und National. Die Globalisierungskritik der Jobbik Partei verwendet dabei sehr häufig antisemitische Rhetorik von der zionistisch-gelenkten Globalisierung bzw. Weltverschwörung (vgl. Kovacs 2013, S.226) Ein weiteres Feindbild der Jobbik Partei ist die Minderheit der Roma und Sinti, von denen nach Schätzungen zwischen 300.000 und eine Million Menschen in Ungarn leben. Des Weiteren gehört der Jobbik Partei „Die Neue Ungarische Garde“ an, eine paramilitärische Einheit die Demonstrationen und Kundgebungen der Partei beschützt sowie selber Aufmärsche organisiert und auch für Gewalttaten gegen Minderheiten bekannt ist. Bei den Europawahlen 2014 erreichte die Jobbik-Partei mit 14,67 % das zweibeste Ergebnis, allerdings mit deutlichem Abstand hinter der nationalkonservativen Fidesz-Partei (51,48 %), der Partei des Regierungspräsidenten Viktor Orban. Ein anti-europäischer Kurs wird auch von der regierenden Partei getragen. (vgl.
2.3 Rechtsextremismus in den Niederlanden
Die Niederlande gelten als das toleranteste und liberalste Land Europas. Dies manifestiert sich auch in den Untersuchungen von Zick, Küpper und Hövermann die eine vergleichsweise niedrige Ausprägung rechtsextremer Einstellungen in den Niederlanden ausmachen konnten (Vgl. Zick/Küpper/Hövermann 2011, S.56 ff.). Vor allem die Ausprägungen von Homophobie, Rassismus und Antisemitismus liegen niedriger als in anderen europäischen Staaten (vgl. ebd.) Jedoch hat seit den 90’er Jahren ein enormer Rechtsruck in der niederländischen Gesellschaft eingesetzt und nationalistische und ausländerfeindliche Einstellungen haben stark zugenommen (Vgl. Oudenampsen 2013, S. 191) Vor allem die muslimische Minderheit ist seit den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 immer wieder Ziel von Anfeindungen verschiedener rechtsextremer und rechtspopulistischen Parteien (Vgl. Donselaar/ Wagenaar 2009, S. 380ff.). Diese Entwicklung gipfelte mit dem Wahlerfolg Geert Wilders Partei für die Freiheit, die 16% der Stimmen erreichte und somit 24 Sitze im niederländischen Parlament erlangen konnte. Es herrscht Uneinigkeit ob die Partei dem rechtsextremen oder dem rechtspopulistischen Spektrum zugehörig ist. Verglichen mit anderen europäischen Staaten ist die Anzahl der Personen die rechtsextremistischen Bewegungen außerhalb des Parteienspektrums zugerechnet werden eher gering. Ebenso verhält es sich mit der Anzahl rechtsmotivierter Gewalttaten in den Niederlanden (ebd. 384 ff.). Anders als es im Vorfeld der Europawahlen vermutet wurde, erreichte die Partei von Geert Wilders mit 13,32% und 4 Sitzen zwar das drittbeste Ergebnis in den Niederlanden, konnte aber nicht den Trend bestätigen und stärkste Kraft werden. (vgl. http://www.zeit.de/politik/ausland/2014-05/europawahl-geert-wilders-niederlande, Abruf vom 21. August 2014)
2.4 Rechtsextremismus in Großbritannien
In Großbritannien ist die Fremdenfeindlichkeit im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern wie Deutschland, Frankreich und den Niederlanden höher (Vgl. Zick/Küpper/Hövermann 2011, S.56 ff.). Nach den Anschlägen des 11. Septembers und den Anschlägen in London konnten britische Rechtsextremisten immer mehr Menschen über die Themen Religion, Ethnische Vielfalt und Nationale Identität mobilisieren (Vgl. Solomos 2013, S. 122). Die einflussreichste rechtsextreme Partei Großbritannien ist die British National Party (BNP). Dieser Partei zeichnet sich besonders durch ihr hohes Maß an Antisemitismus aus. Sie vertritt beispielsweise die Ansicht, dass die Juden für Kommunismus und Kapitalismus verantwortlich sind und die Massenimmigration nach Großbritannien fördern würden um die sog. weiße Rasse zu schwächen (Vgl. Richardson 2013, S. 112). Die Partei konnte bei der Europawahl 2009 zwei Sitze für das europäische Parlament erringen und auch auf kommunaler Ebene Erfolge für sich verbuchen. Bei Parlamentswahlen spielt sie hingegen, ähnlich wie die deutsche NPD, keine Rolle, was auch am englischen Wahlsystem (Mehrheitswahl) liegt. Die Europawahlen 2014 haben jedoch gezeigt, dass 2009 für die Partei nur ein kurzes Hoch darstellte. Bei den vergangenen Wahlen für Europa konnte die BNP nur 1,11% erreichen und somit keinen Sitz verzeichnen. Im Jahr 2009 gründete sich eine weitere rechtsextreme Gruppe die in wenigen Jahren einen enormen Zuwachs erhielt, die English Defense League (EDL). Diese Gruppe besitzt allerdings keinen Parteiencharakter sondern kann eher als loser Zusammenschluss angesehen werden, zu dessen Personenkreis zwischen 25.000 und 35.000 Menschen gerechnet werden können. Die Gruppe zeichnet sich durch ein hohe Gewaltbereitschaft aus (vgl. ebd S. 114 ff.). 2014 waren diese beiden Parteien nicht mehr so präsent. Stattdessen trat die rechtspopulistische Partei United Kingdom Independence Party hervor. Mit 26,77% und 24 Sitzen erreichte sie, ebenso wie die Front National in Frankreich, das beste Ergebnis in Großbritannien. (vgl. Externer Link: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukip-gewinnt-europawahl-in-grossbritannien-cameron-unter-druck-a-971673.html, Abruf vom 21. August 2014)
2.5 Rechtsextremismus in Italien
In Italien sind im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern hohe Werte von Fremden- und Islamfeindlichkeit sowie von Homophobie zu konstatieren, wohingegen offener Rassismus eine vergleichsweise geringe Ausprägung erfährt (Zick/Küpper/ Hövermann 2011, S.75 ff.). Der italienische Rechtsextremismus ist durch eine enorme Heterogenität gekennzeichnet, welche lediglich die Gemeinsamkeit der Anderswertigkeit der Anderen besitzen. Darüber hinaus sind die Ziele der einzelnen Organisationen und ihre Agitationsformen sehr verschieden. Die Zahlreichen rechtsextremen Gruppierungen versuchen gerade Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen für ihre Positionen und Parteien zu gewinnen (vgl. Dechezelles/ Dragone 2012, S.82). Eine weitere Besonderheit des italienischen Rechtsextremismus ist die gehäufte Gegenwart von Personen aus dem rechtsextremen Spektrum politischen Instanzen du und Institutionen des Landes und von Kommunalparlamenten seit den 90er Jahren (vgl. ebd.). Diese Entwicklung ist auf die Korruptions- Bestechungsskandale und Verbindungen der italienischen Politik zur Mafia, die zu Beginn der 90er Jahre immer wieder an die Öffentlichkeit gelangten zurückzuführen (vgl. Wetzel 2009, S. 327 ff.). Seit dem ist die Lega Nord, welche teilweise rechtsextreme Positionen vertritt, fest in der politischen Landschaft Italiens etabliert. Die Lega Nord ist eine europäische Besonderheit, da sie trotz ihrer teilweise extremistischen Positionen, weit über die Rolle der Splitterpartei hinauskommt und an zahlreichen Regierungen unter Ex-Präsident Silvio Berlusconi beteiligt war (vgl. Ruzza/ Balbo 2013, S. 169) Eine weitere Besonderheit des italienischen Rechtsextremismus ist seine starke Präsenz in Fußballstadien. Die italienischen Ultras die zum größten Teil in ihrer Gründungszeit linke Gesinnungen hatten, haben sich in den meisten Städte zu stramm rechten Organisationen transformiert die die Deutungshoheit sowie das Machtmonopol in den Stadien besitzen. In den letzten Jahren gab es zahlreiche rassistische Beleidigungen, fremdenfeindliche Übergriffe und Spielabbrüche die durch rechtsextreme Hooligans und Ultras verursacht wurden. Aufgrund dieser Bemühungen um Wähler erreichte die Lega Nord 6,16% und 5 Sitze im Europaparlament. Dieses Ergebnis geht bei der Wahl in Italien jedoch weitgehend unter. Die Lega Nord war nur viertstärkste Partei in Italien und fällt weit hinter der Partito Democratico, der Partei des Regierungspräsidenten Matteo Renzi, die 40,81 % erreichte, zurück.
3. Verwendete Literatur
Ahlheim, Klaus (Hrsg.) (2007): Die Gewalt des Voruteils. Eine Textsammlung, Schwalbach/Ts: Wochenschau.
Arbeitskreis gegen den Kärntner Konsens (Hrsg.) (2011): Friede, Freude, Deutscher Eintopf. Rechte Mythen, NS-Verharmlosung und antifaschistischer Protest, Wien: Verlag mandelbaum kritik & utopie.
Asch, S. E. (1951). Effects of group pressure upon the modification and distortion of judgment. In H. Guetzkow (ed.): Groups, leadership and men. Pittsburgh, PA: Carnegie Press.
Bayer, Jozsef: Country Report Hungary. Bertelsmann Stiftung (Hg.): Strategies for Combating Right Wing Extremism in Europe. Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung, 2009. S. 285-327.
Bergmann, Werner (2005): Vorurteile. Informationen zur politischen Bildung Heft 271, Bonn: bpb .
Bundesministerium des Inneren (Hrsg.) (2013): Verfassungsschutzbericht 2012, Berlin: BMI 13006.
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