Das Ende des Zusammenlebens
Kommentar von Daniel Bax
Ist die Integration gescheitert? Für eine Wohnungsbaugesellschaft in Hessen offenbar schon. Sie will ganze Wohnblocks in Zukunft nach ethnischen Kriterien vergeben: Türkische Mieter sollen künftig zu Türken ziehen, Russlanddeutsche zu Russlanddeutschen. Die ethnische Entmischung der Wohnbevölkerung, oft mit Schreckworten wie "Ghettoisierung" und "Rückzug in die Parallelgesellschaft" umschrieben, wird damit nicht nur akzeptiert. Sie wird damit bewusst gefördert. [...]
Keine Frage, die Nassauische Heimstätte Wohnstadt bricht ein Tabu. Dabei vollzieht sie nur nach, was sich bundesweit in vielen "Problembezirken" beobachten lässt: Die Mittelschicht wandert ab; zurück bleibt eine ethnisch segregierte Unterschicht. Schon jetzt gibt es gar nicht so wenige Vermieter, die ihre Wohnungen nicht an Mieter mit ausländisch klingenden Namen vergeben; da hilft auch kein Antidiskriminierungsgesetz. Doch wenn eine öffentliche Wohnungsbaugesellschaft die ethnische Entmischung ihrer Wohnblöcke zum offiziellen Programm erhebt, wird daraus ein Politikum. Denn damit stellt sie die Idee der Integration von Zuwanderern in Frage.
Natürlich kann man niemanden zwingen, zusammenzuleben. Wenn sich Mieter partout nicht vertragen, sollten sie besser nicht zusammenwohnen - egal, ob sie nun einen vietnamesischen, russischen oder gar keinen Migrationshintergrund besitzen. Und klar ist auch, dass Wohnungsbaugesellschaften damit überfordert sind, den Rückzug in kulturelle Enklaven zu stoppen, wo sich das Hartz-IV-Prekariat sammelt. Kapitulieren dürfen sie vor dieser Entwicklung aber nicht.
Umgekehrt gilt: Wenn 15 Nationalitäten in einem Haus leben, ist die Integration noch längst nicht gelungen. Wichtiger ist, wie es im Viertel, an Schulen und am Arbeitsplatz aussieht: Das sind die wahren Orte der Integration. Parallelgesellschaften entstehen überall dort, wo es an Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe fehlt. Wo dagegen Bildungserfolg und gesellschaftlicher Aufstieg winken, da klappt´s meist auch mit den Nachbarn.
Aus: Daniel Bax: Das Ende des Zusammenlebens, Kommentar in: taz vom 21.11.2007: Externer Link: http://www.taz.de (06.06.2011)
Worterklärungen:
Ghettoisierung => Isolation, Absonderung, Fernhalten (von sich)
Integration =>
ethnisch => "Ethnie" ist ein griechisches Wort und bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die die gleiche Kultur verbindet, "ethnisch" ist das passende Adjektiv dazu
Parallelgesellschaft =>
Tabu => vom aus Polynesien herrührenden Wort "tapu", bedeutet in etwa so viel wie unverletzlich. Das Wort hat im 20. Jahrhundert Eingang in die deutsche Sprache gefunden und bezeichnet eine Handlung oder Verhaltensweise, die durch Sitte oder Gesetz verboten ist
segregiert =>
Politikum => Vorgang, Ereignis, Gegenstand o.ä. von politischer Bedeutung
partout => frz. für ganz und gar, durchaus, absolut, unbedingt
Migrationshintergrund =>
Enklave => Gebietsteil eines anderen Staates, das vom eigenen Staat völlig umschlossen ist oder aufgrund natürlicher Gegebenheiten nur über das eigene Territorium erreicht werden kann
Prekariat => Begriff aus der Soziologie, definiert "ungeschützte Arbeitende und Arbeitslose" als eine neue soziale Gruppierung
Aufgaben:
Mache dich mit den unbekannten Wörtern vertraut und kläre die Bedeutungen der noch offenen Begriffe mit Hilfe von
Interner Link: M 04.04 und/oder eines (Fremd-)Wörterbuchs bzw. Lexikons (s. auch im Internet unter Externer Link: http://www.hanisauland.de/lexikon und pocket politik unter Externer Link: http://www.bpb.de/lexika).Welche Probleme beschreibt Daniel Bax in seinem Kommentar hinsichtlich des Vorhabens der Nassauischen Wohnungsbaugesellschaft? Wie beschreibt er die Situation des Zusammenlebens von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund?
Welche Position bezieht Daniel Bax in seinem Kommentar? Ist er für oder gegen segregierte Wohnblocks?
Bax behauptet, dass "wenn 15 Nationalitäten in einem Haus leben, ist die Integration noch längst nicht gelungen." Womit begründet er das? Welche Faktoren sind für ihn außerdem wenn nicht sogar noch wichtiger, damit Integration gelingen kann?