Vor dem [ersten bundesdeutschen] Integrationsgipfel [im Juli 2006] zielen aktuelle Konzepte der Koalitionspartner darauf ab, von Zuwanderern eine aktivere Teilnahme an Integrationsmaßnahmen einzufordern. Die deutsche Sprache, Bildung und die Beteiligung am gesellschaftlichen Alltagsleben rücken dabei als Themen in den Mittelpunkt.
Die zum Islam übergetretene Lehrerin Doris Graber darf laut aktuellem Gerichtsurteil weiter mit Kopftuch in Baden-Württemberg unterrichten - ddp Das Kopftuch ist kein "religiöses Kleidungsstück", sondern ein "Zeichen für eine kulturelle Abgrenzung und politischen Islamismus". Mit diesen Worten reagierte Bundesbildungsministerin Annette Schavan kürzlich auf den Beschluss des Stuttgarter Verwaltungsgerichts, dass eine muslimische Lehrerin weiter mit Kopftuch an einer baden-württembergischen Schule unterrichten darf.
Die Äußerungen der CDU-Politikerin zeigen den schärferen Ton in der Integrationsdebatte. Forderungen nach mehr Anpassung von Zuwanderern werden laut. Während vor einigen Jahren noch die Idee des Multikulturalismus die Debatte prägte, grenzt sich neben der CDU nun auch die SPD deutlich von diesem Konzept ab. Mit ihren Leitlinien zur Integrationspolitik "Faire Chancen, klare Regeln" nähern sich die Sozialdemokraten der Position der Union an.
Bekenntnis zu Grundwerten
Mit Blick auf den am 14. Juli stattfindenden Integrationsgipfel der Bundesregierung legten die Partner der Großen Koalition Positionspapiere zur künftigen Integrationspolitik vor. So fordert die SPD von den in Deutschland lebenden Ausländern ein Bekenntnis zu den in der Verfassung verankerten Grundwerten und deren aktive Umsetzung im tatsächlichen Handeln. Sie plädiert für eine Mitwirkung von Einwanderern in Vereinen und Organisationen, wodurch die Übernahme zivilgesellschaftlicher Verantwortung gefördert werde.
Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) fordert: "Wer bei uns in Deutschland leben will, muss sich auch in unsere Alltagskultur integrieren." Die Koalitionsparteien sprechen sich des Weiteren übereinstimmend für die uneingeschränkte Teilnahmepflicht am Schulunterricht aus. Eltern dürften kein Recht haben, ihre Kinder von Sport- und Biologiestunden oder von Klassenfahrten auszuschließen. Sie SPD will sich außerdem zur Bekämpfung der Zwangsheirat für die Schaffung eines eigenen Straftatbestands im Gesetzbuch einsetzen. Beide Parteien fordern außerdem eine verbesserte Ansprechbarkeit der Vertreter des Islams.
Sprache als Schlüssel
Einigkeit herrscht auch darüber, dass die Sprache der Schlüssel zur Integration ist. Mangelhafte Deutschkenntnisse führen zu schlechten Schulleistungen und erschweren Schulabschlüsse. In der Folge erwachsen daraus Probleme bei der Suche nach Ausbildungs- und Arbeitsplätzen. Daher will die SPD in Zukunft verstärkt verpflichtende Sprach- und Integrationskurse einrichten und Kinder, die vor der Einschulung Sprachdefizite besitzen, sollen Intensiv-Deutschkurse absolvieren. Damit die Sprachvermittlung möglichst früh beginnen kann, fordern die Sozialdemokraten außerdem, dass alle Kinder in den Kindergarten gehen. Auch die Union ist der Meinung, dass jedes Kind, das in die Grundschule kommt, die deutsche Sprache so beherrschen muss, dass es dem Unterricht problemlos folgen kann.
Personen, die sich den verpflichtenden Integrations- und Sprachkursen verweigern, haben laut den Koalitionsparteien mit Sanktionen zu rechnen. In der Union wurden dabei Forderungen nach Kürzungen von Sozialleistungen bis hin zur Verhängung Bußgeldern laut.
Integration als Bringschuld der Migranten?
Das künftige Motto der deutschen Integrationspolitik lautet "Fördern und Fordern". Dabei steht zunehmend die Eigenleistung der hier lebenden Migranten im Vordergrund. "Deutschland setzt die Rahmenbedingungen und die Einbürgerungswilligen bemühen sich um die Integration", sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Werner Kammer in der parlamentarischen Debatte. Diese Einstellung kritisiert besonders die Linkspartei.PDS: "Insbesondere Unionspolitiker definieren Integration noch immer als Bringschuld für Migrantinnen und Migranten."
Doch nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in den Ländern sind die hier lebenden Ausländer mit neuen Maßnahmen konfrontiert. Wer in Baden-Württemberg die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen möchte, muss seit Anfang des Jahres in einer anhand eines Gesprächsleitfadens durchgeführten Befragung sein Bekenntnis zu der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland beweisen. Und auch in Hessen müssen Ausländer vor einer möglichen Einbürgerung einen Test mit Fragen über die kulturellen, historischen und politischen Tatbestände Deutschlands bestehen. Gefragt wird dabei zum Beispiel nach dem Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" von Caspar David Friedrich. Kritiker bemängeln die Stigmatisierung und Diskriminierung von Ausländern, die mit den Einbürgerungstests einhergehe, und den generellen Zweifel an der Vereinbarkeit von Islam und Grundgesetz. Des Weiteren seien viele Fragen nur subjektiv interpretierbar oder nicht eindeutig gestellt.
20 Punkte aus Nordrhein-Westfalen
Einen anderen Weg schlägt das Land Nordrhein-Westfalen ein. Dessen Integrationsminister Armin Laschet gab den Anstoß zu einem "20-Punkte-Aktionsplan", den die Düsseldorfer Landesregierung am 27. Juni verabschiedete, zwei Wochen bevor sich die Bundesregierung auf dem Integrationsgipfel mit dem Thema beschäftigt. Zentrale Punkte sind Bildung und Erziehung. Daher soll die Sprachförderung von Kindern aus Einwandererfamilien schon im Vorschulalter beginnen und Ganztagsschulangebote gefördert werden. Geplant ist darüber hinaus ein stärkerer Einsatz von Lehrern mit ausländischer Herkunft und Projekte, die die Zugangsbarrieren zum Ausbildungsmarkt für Jugendliche mit Migrationshintergrund abbauen. Auch die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts ist in Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen von der Landesregierung vorgesehen.
Mehr noch als auf politischer Ebene haben sich die Ansichten gegenüber Migranten in der deutschen Bevölkerung verschärft. Laut einer im Jahr 2005 durchgeführten Studie des Soziologen Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld stimmten 61,1 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass zu viele Ausländer in Deutschland leben. 36,1 Prozent waren der Meinung, dass bei knappen Arbeitsplätzen die in Deutschland lebenden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückgeschickt werden sollen. Weitere 33,7 Prozent fühlen sich durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine kürzlich von der Forschungsgruppe Wahlen durchgeführte Untersuchung. Sie besagt, dass 54 Prozent der Deutschen in den hier lebenden Ausländern eine "Gefahr der Überfremdung" sehen. Vor fünf Jahren waren es nur 33 Prozent.
Als Grund für diese Tendenzen nennt Heitmeyer eine wachsende Macht- und Orientierungslosigkeit sowie negative Zukunftserwartungen und Ängste vor dem sozialen Abstieg. Besonders groß ist die Angst vor dem Fremden, weswegen speziell die Ablehnung der islamischen Kultur zunimmt. Die Antwort auf die Frage, was gegen die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in Deutschland getan werden kann, muss laut Heitmeyer von der Gesellschaft und vor allem von der Politik kommen.
Aus: Polixea Portal: Blickpunkt Integrationspolitik. 12.07.2006.