Dem Statistischen Bundesamt zufolge hat fast jeder Fünfte in Deutschland inzwischen einen Migrationshintergrund. Ehemalige Gastarbeiter und ihre Familien gehören ebenso dazu wie Millionen von Spätaussiedlern und die mittlerweile verschwindend geringe Gruppe von Asylsuchenden.
Zwei Millionen Studierende in Deutschland spüren die Folgen der Hochschulpolitik, 4,4 Millionen Arbeitslose sind direkt von der Arbeitsmarktpolitik betroffen. Weitaus weniger im Fokus der Politik steht eine viel größere Gruppe - die der Migranten. 7,3 Millionen Ausländer, das entspricht neun Prozent der Bevölkerung, und weitere acht Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund lebten laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr in Deutschland. Nun steht das Thema Integration ganz oben auf der politischen Agenda. Am 14. Juli veranstaltet die Bundesregierung einen Integrationsgipfel, bei dem sie mit Vertretern von NGOs und in Deutschland lebenden Migranten einen "Nationalen Aktionsplan Integration" anstoßen will. 50 Jahre nach Ankunft der ersten Gastarbeiter hat die Politik Zuwanderung als gesellschaftliches Schlüsselthema entdeckt.
Anwerbung ohne Integrationspläne
Es war die Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland, doch im Inland waren die Arbeitskräfte knapp. Daher schloss die Bundesregierung mit verschiedenen Mittelmeerländern Anwerbeabkommen zur Rekrutierung von so genannten "Gastarbeitern" ab, 1955 zunächst mit Italien, im Verlauf der 1960er Jahre unter anderem auch mit Spanien, Griechenland, der Türkei und Jugoslawien. Bereits 1964 traf der millionste Gastarbeiter auf dem Bahnhof Köln-Deutz ein. Der Portugiese Amando Rodrigues de Sa wurde noch herzlich mit einem Moped als Willkommensgeschenk empfangen. Knapp zehn Jahre später, 1973, war der deutsche Arbeitsmarkt gesättigt und ein Anwerbestopp trat in Kraft. Geplant war, dass die Arbeitskräfte nach einem begrenzten Aufenthalt wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Über Integrationskonzepte dachte daher damals niemand nach. Doch ein Großteil der Gastarbeiter blieb dauerhaft in Deutschland und die Familienangehörigen zogen nach. Allerdings gab es weder Angebote noch Anforderungen des Staates an die ausländischen Arbeitnehmer und so schaffte es nur ein Teil, sich zu integrieren.
Noch heute macht sich die Anwerbung der Gastarbeiter in der Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung bemerkbar. Laut Ausländerzentralregister, das aufgrund eines anderen Erhebungsverfahren leicht vom Statistischen Bundesamt abweichende Zahlen veröffentlichte, sind von 6,7 Millionen im Jahr 2005 in Deutschland lebenden Ausländern etwa 58 Prozent Staatsangehörige der ehemaligen Anwerbestaaten. Die größte Gruppe bilden dabei die Türken mit einem Anteil von 26 Prozent, gefolgt von Personen aus dem ehemaligen Jugoslawien mit 14 Prozent, den Italienern mit acht Prozent und den Griechen mit knapp fünf Prozent. Über ein Drittel der ausländischen Bevölkerung lebt bereits mehr als 20 Jahre in Deutschland. Zwei Drittel wohnen seit mindestens acht Jahren hier und haben damit die notwendige Aufenthaltsdauer für eine Einbürgerung erreicht. Von den 127.153 im Jahr 2004 durchgeführten Einbürgerungen nimmt ebenfalls die Türkei mit 35 Prozent die Spitzenposition ein, gefolgt von Polen mit knapp sechs Prozent. Allerdings ist seit der im Jahr 2000 in Kraft getretenen Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes, welches eine doppelte Staatsbürgerschaft nur in Ausnahmefällen vorsieht, die Zahl der Einbürgerungen stetig zurückgegangen.
Drei Millionen Spätaussiedler
Mit dem Ende Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Fall der Mauer 1989 mehrte sich die Zuwanderung aus Osteuropa und den ehemaligen Ostblockstaaten und stieg Anfang der 1990er Jahre sprunghaft an. Dabei prägten besonders deutschstämmige Spätaussiedler die Immigration nach Deutschland. Sie bilden nach den Gastarbeitern die zweite große Migrantengruppe in Deutschland. Von 1988 bis heute reisten rund drei Millionen Spätaussiedler und deren Angehörige in die Bundesrepublik ein. Trotz deutscher Wurzeln gestaltete sich die Integration der Spätaussiedler schwierig, da mit den Jahren der Anteil der nachziehenden, nicht Deutsch beherrschenden Familienangehörigen wuchs. Demgegenüber stand die Reduzierung von Eingliederungsleistungen wie zum Beispiel Sprachförderung, die die Kommunen mit leeren Kassen begründeten. Die Bundesregierung versuchte, dem Problem entgegenzuwirken, indem sie ab 1996 Sprachtests für Aussiedlungsbewerber einführte. Ein effektives Integrationsinstrument stellte dies allerdings nicht dar, unter anderem weil nur der Antragsteller den Test bestehen musste. Erst Ende der 1990er Jahre bestand Einigkeit darüber, dass die Spätaussiedler mit effektiveren Eingliederungshilfen unterstützt werden müssen. Das 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz verlangt außerdem auch von Familienangehörigen den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse. Trotz allem gestaltet es sich besonders für die jungen Russlanddeutschen noch immer schwierig, sich in die Gesellschaft zu integrieren und die Spätaussiedler erfahren oftmals in ihren Wohnorten eine geringe Akzeptanz.
Im Jahr 2005 kamen 35.522 Spätaussiedler nach Deutschland. Das sind rund vierzig Prozent weniger als im Jahr zuvor. Beim Zuzug dieser Gruppe ist ein stark rückläufiger Trend zu verzeichnen, zum einen da nur noch etwa die Hälfte aller Antragsteller den Sprachtest besteht, zum anderen weil sich die Lebensbedingungen in den ehemaligen Ostblockstaaten verbessert haben. 99,6 Prozent der im vergangenen Jahr in die Bundesrepublik eingereisten Spätaussiedler stammen aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Nur noch vereinzelt kamen Personen aus Polen und Rumänien. Ihre genaue Anzahl in Deutschland ist schwer auszumachen, da sie seit der Reform des Staatsanghörigkeitsgesetzes nicht mehr formal eingebürgert werden. Stattdessen erhalten sie automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft, gemäß dem Fall, dass sie ihre deutsche Abstammung nachweisen können, und tauchen daher in den Einbürgerungsakten nicht mehr auf.
Hahlen: Deutschland ist Zuwanderungsgesellschaft
Ebenfalls rückläufig ist die Zahl der Asylanträge in Deutschland. Dies begründet sich mit dem 1993 verabschiedeten Asylkompromiss, der die Möglichkeit erschwerte, in Deutschland politisches Asyl zu beantragen. Im vergangenen Jahr registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 42.908 gestellte Anträge, wovon 28.924 Erstanträge ausmachten. Hauptherkunftsländer waren Serbien und Montenegro mit 19,1 Prozent, die Türkei mit 10,2 Prozent und der Irak mit 6,9 Prozent. Mit einem Anteil von 0,9 Prozent war im Jahr 2005 die bis dahin niedrigste Quote für die Anerkennung von Asylsuchenden erreicht.
Die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen machen Deutschland faktisch zu einem Einwanderungsland. "Wenn in einer Gesellschaft 19 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben, dann kann man durchaus von einer Zuwanderungsgesellschaft sprechen", sagte der Präsident des Amts Johann Hahlen. Experten berechnen schon längst notwendige Zuwanderungsraten, um die Folgen des demografischen Wandels zu bewältigen. Sie schätzen, dass die Bundesrepublik künftig einen Zuzug von 500.000 passenden Einwanderern im Jahr braucht, um die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter zu erhalten und die wirtschaftliche Stabilität des Landes zu sichern.
Hinzu kommt ein neuer Trend: Deutschland droht zum Auswanderungsland zu werden. "Deutsche Spitzenkräfte wandern zunehmend ab und ausländische Spitzenkräfte machen immer deutlicher einen Bogen um dieses Land", sagt Migrationsexperte Klaus J. Bade. Während Länder wie Kanada und Großbritannien gezielt benötigte Fachkräfte werben, hat die Regierung hierzulande ein entsprechendes Punktesystem abgelehnt. 145.000 Deutsche haben im vergangen Jahr Deutschland in der Hoffnung auf bessere Arbeitsperspektiven verlassen.
Aus: Polixea Portal: Blickpunkt Integrationspolitik. 12.07.2006.