Der zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat die Erfahrungen aus den Migrationsdiensten der Caritas bestätigt: Migranten gehören zu der Gesellschaftsgruppe, die von der Armut besonders betroffen ist.
Auszüge aus der umfangreichen Stellungnahme der Caritas:
[...] Der Bericht verharmlost die Lebenslage von Menschen in Deutschland mit Migrationshintergrund. So kann es nicht genügen, auf die Probleme der über 500.000 in Deutschland lebenden Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus nur in einer Fußnote einzugehen oder die Probleme von Aussiedlern auf dem Arbeitsmarkt nicht genau zu analysieren, nur weil sie statistisch als Deutsche geführt werden. Die Tatsache, dass sich nicht auf statistisches Material zurückgreifen lässt, steht einer Thematisierung nicht im Wege. [...]
Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Lebenslagen auch der Menschen zu erfassen, die sich dem staatlichen statistischen Zugriff entziehen. Gerade in einem Armutsbericht muss der verdeckten und heimlichen Armut Rechnung getragen werden. Dazu gehören auch die Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis, die sich in Deutschland aufhalten, die die Lebenswelt hier prägen und die sich in oftmals hochprekären Lebenssituationen befinden. Für eine Verminderung des Armutsrisikos muss schulische Bildung allen Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund offen stehen, unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Die gesundheitliche Versorgung aller Menschen in Deutschland muss erlaubt sein und humanitäre Hilfe für Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus darf nicht unter Strafe gestellt sein.
Die wenigen spezifischen Aussagen des Berichts zur Situation von Aussiedlern und Aussiedlerinnen sind schwer nachzuvollziehen. Der Hinweis darauf, dass Aussiedler nach fünf Jahren in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr gesondert erfasst werden (S.147) ist deshalb wichtig. Damit "verschwinden" Aussiedler, wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit erlangt haben, mit ihren Risiken und Problemen in der Statistik der deutschen Gesamtbevölkerung. Obwohl sie inzwischen über 4 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, werden sie in dem Bericht kaum differenziert betrachtet. Das Armutsrisiko von Aussiedlern wird dadurch systematisch unterschätzt. [...]
Bildung und Ausbildung von Ausländern
Ausländische Jugendliche weisen geringere Schulbildung auf, besuchen mit einem unterproportionalen Anteil Hochschulen und weisen eine geringere Ausbildungsquote auf (S. 148 ff.). An Haupt- und Sonderschulen sind Migrantenkinder besonders stark und in Gymnasien und weiterführenden Schulen nur schwach vertreten. Ebenso partizipieren sie an der geregelten Berufsausbildung nur unterproportional (S. 148 ff.).
Der Bericht bezieht sich nur auf Schüler, Studenten und Auszubildende ohne deutschen Pass. Das verzerrt die Ergebnisse, weil bei den "Deutschen" auch Eingebürgerte und Spätaussiedler miterfasst sind. Die Gründe für den mangelnden Schul- und Ausbildungserfolg werden hauptsächlich in den mangelnden Sprachkenntnissen, hier ist v.a. die Deutsche Sprache gemeint, gesucht. Strukturelle Defizite werden hingegen nicht benannt.
Forderung: Der Bericht darf sich nicht auf die Faktoren Sprache und Herkunft aus bildungsfernen Schichten als Erklärung des geringen schulischen und beruflichen (Aus)bildungsstand von Migrant(inn)en beschränken. Der Bericht muss auch strukturelle und institutionelle Defizite und konkrete Lösungsansätze zur Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aufzeigen.
Der Bericht muss deutlich machen, dass schon im Vorschulalter tradierte Vorurteile und Erwartungshaltungen seitens der Institutionen zur Ausgrenzung von Kindern mit Migrationshintergrund führen, die sich dann im weiteren Bildungsverlauf tradieren. Um dem entgegen zu wirken, bedarf es u.a. der stärkeren Berücksichtigung der Vorsozialisation und von Mehrsprachigkeit in Kindergärten und Schulen. Die interkulturelle Kompetenz der Erzieher(innen), des Lehrpersonals und der Ausbilder(innen) muss gestärkt werden. Weiter müssen Wege aufgezeigt werden, wie die Eltern verstärkt in die institutionelle Pädagogik und Bildung einbezogen werden können. Erziehung in der Familie und in öffentlichen Einrichtungen muss sich ergänzen.
Weiter muss der Bericht auf die potentiell ausgrenzende Wirkung von Eingangstests und Zugangkriterien eingehen. Diese müssen künftig stärker interkulturell ausgestaltet werden und dürfen sich nicht ausschließlich an Bildungsinhalten und -karrieren eines durchschnittlichen Deutschen orientieren.
Erwerbsbeteiligung von Ausländern
Aufgrund von Sprach- und Qualifizierungsdefiziten sind Ausländer besonders von Arbeitslosigkeit betroffen (S. 106) und tragen damit ein erhöhtes Armutsrisiko. Ausländische Frauen sind mit einer Erwerbsquote von 36,7 % im Vergleich zur Gesamtquote der Frauen von 42,6 % eine besonders stark ausgegrenzte Gruppe (S. 150). Aussiedler haben in absoluten Zahlen nur einen geringen Anteil an der Zahl der Arbeitslosen, der seit Jahren sinkt. Dies ist allerdings auf die sinkenden Zuwanderungszahlen zurückzuführen (S. 147). Entsprechend der geringeren Ausbildung und Erwerbsbeteiligung sind Migrant(inn)en besonders von Einkommensschwäche betroffen (S. 155) und auf Sozialhilfebezug angewiesen (S. 151 f.). [...]
Es wird im Bericht nicht darauf eingegangen, dass neben den Defiziten seitens der Migrant(inn)en auch strukturelle und institutionelle Ausgrenzung sowie Vorurteile eine Rolle spielen. Aussiedlern wird beispielsweise häufig mangelnde Selbstständigkeit und Passivität unterstellt. In einer prinzipiell schwierigen Ausbildungssituation erschweren derartige Vorbehalte Jugendlichen mit Migrationshintergrund den Zugang zur Ausbildung. Ebenso fehlt im Bericht die Feststellung, dass sich mit dem Zuwanderungsgesetz und Harz IV ein Problem perpetuiert, das seit Jahren vom Deutschen Caritasverband kritisiert wird: Bestimmte Migrantengruppen werden ausländerrechtlich vom Arbeitsmarkt und von Leistungen der Arbeitsverwaltung ausgeschlossen.
Forderung: Der Bericht darf sich nicht auf die Faktoren Sprache und geringe Qualifizierung von Migrant(inn)en als Gründe für die mangelnde Integration in den Arbeitsmarkt beschränken (vgl. S. 267 ff. (270 f.)). Es muss insbesondere auch auf die strukturelle und institutionelle Diskriminierung eingegangen werden und Lösungsansätze hierfür aufgezeigt werden. So muss z.B. die Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Diplome verbessert werden. Weitere Beschränkungen beim Zugang zu bestimmten Berufen wie z.B. im Handwerk, aber auch bei Ärzten oder Apothekern müssen aufgehoben werden. Andernfalls werden weiterhin zumeist hochqualifizierte Zuwanderergruppen wie z.B. jüdische Kontingentflüchtlinge oder Spätaussiedler zur Arbeitslosigkeit oder zur Annahme von Jobs weit unter ihrer Qualifikation gezwungen.
Der Bericht muss deutlich machen, dass auch ausländerrechtliche Beschränkungen zur Ausgrenzung von Migrant(inn)en vom Arbeitsmarkt führen: Nicht alle sich legal im Bundesgebiet aufhaltenden Ausländer haben einen Zugang zum Arbeitsmarkt. Es gibt z.B. Zugangsfristen für zuwandernde Familienangehörige oder Flüchtlinge, die aufgehoben werden sollten. Weiter unterliegen Drittstaatler der Vorrangprüfung, was zum faktischen Ausschluss vom Arbeitsmarkt führen kann. Auch erhalten nicht alle Migrant(inn)en Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt nach SGB III oder SGB II. Von Leistungen nach SGB II sind beispielsweise Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge und Geduldete explizit ausgeschlossen.
Wohnsituation von Ausländern
Nach Aussage des Berichtes gibt es keine allgemeinen Wohnraumversorgungsprobleme für Migrant(inn)en, und die überwiegende Mehrzahl von ihnen sei mit ihrer Wohnung zufrieden (s. 153). Nach Erkenntnissen des DCV weist die Wohnsituation vieler Haushalte mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Haushalte nicht zugewanderter Menschen große Niveauunterschiede, vor allem hinsichtlich Größe, Ausstattung und Lage auf. Viele Migrant(inn)en leben in unattraktiven Wohnvierteln, die im Rahmen einer meist un-freiwilligen Segregation zu Quartieren mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Migrationshaushalten werden. Es handelt sich oft um Häuser und Wohnungen schlechter Bausubstanzen, in schlechter Lage, in dichtbesiedelten peripheren Hochhaussiedlungen. Zu Ghettobildung kommt es auch, weil Migrant(inn)en aufgrund von Diskriminierungen und Vorbehalten von Vermietern und Eigentümern andere Teile des Wohnungsmarktes oft verschlossen bleiben. Teile der Migrantenbevölkerung leben unter extrem schlechten Wohnbedingungen oder sind ganz von der Versorgung mit "Normalwohnraum" ausgeschlossen. Hier sind besonders Familien mit vielen Kindern, Asylbewerber/innen und ein Teil der Flüchtlinge, sowie Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus besonders betroffen.
Forderung: Im Bericht ist festzuhalten, dass der soziale Wohnungsbau speziell für die Zielgruppe der Migranten gefördert werden muss, weil die zur Verfügung stehenden Wohnungen derzeit für die meisten Migrant(inn)en oft unbezahlbar sind. Um Ghettobildungen zu vermieden, müssen geförderte Wohnungen möglichst auf verschiedene Stadtgebiete verteilt und nicht in Brennpunkten konzentriert werden. Die Unterbringung von Flüchtlingen, Asylbewerber(inn)en und Aussiedler(inn)en in Sammelunterkünften führt zu unnötigen Spannungen und Problemen bei Einzelnen und Familien. Zudem ist die Unterbringung in Sammelunterkünften oft teurer als individuelle und bedarfsgerechte Unterbringung in entsprechenden Wohnungen. Der Zugang zu den Leistungen der Wohnungslosenhilfe soll allen Migrant(inn)en, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ermöglicht werden. [...]
Aus: Migrant(inn)en von der Armut besonders betroffen, in: Social Times. Nachrichten rund ums Engagement, 08.03.2005.
Hinweis: Der komplette Bericht "Lebenslagen in Deutschland - Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung", der die Lebenslagen der Menschen auf Basis statistischer Daten etwa zu Einkommen, Vermögen, Erwerbstätigkeit, Bildungsbeteiligung beschreibt, ist beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu bestellen unter.