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Info 01.05 Auch wir sind Deutschland | Jugendliche zwischen Ausgrenzung und Integration | bpb.de

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Info 01.05 Auch wir sind Deutschland

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Der Text schildert die erfolgreichen Karrieren einiger nach Deutschland eingewanderten Personen. In ihren Augen ist Deutschland ein Land der Chancen und der Ideen.

Sie selbst oder ihre Eltern sind eingewandert: Ein Software-Unternehmer, eine Juraprofessorin, ein Musikproduzent, ein Gastronom und ein Universitätsgründer erzählen, wie sie es nach oben geschafft haben.

"In der Welt, in der ich mich herumtreibe", sagt Mousse T., "spielt es eigentlich keine Rolle, woher du kommst – solange du cool bist." Der Discjockey und Produzent aus Hannover gilt in seiner Welt – der internationalen Popmusikszene – ohne Zweifel als cool. MousseT. wurde 1998 als erster europäischer Produzent aus Europa für einen Grammy nominiert, die höchste Auszeichnung der Musikindustrie. Er hat mit Michael Jackson und Quincy Jones gearbeitet. "Dass ich ein deutscher Türke bin, war lange kein Thema", sagt der Mann mit dem eleganten Kinnbart, der eigentlich Mustafa Gündogdu heißt und 1966 als Sohn eines türkischen Arztes in Hagen geboren wurde. Er schätzt die Popkultur nicht zuletzt dafür, dass man dort nicht auf seine Herkunft festgenagelt wird. Doch die Frage, woher er kommt, wird zurzeit wieder wichtiger.

Nicht ohne Stolz erzählt er, dass man ihn in Amerika für einen Engländer und in England für einen Amerikaner hält. Aber in jüngster Zeit gibt es häufiger Momente, in denen die Flucht in die Coolness nicht gelingen will. Für seine vielen türkischen Fans in Deutschland wird immer wichtiger, dass er einer von ihnen ist. Sie nennen ihn Abi – "großer Bruder" – und sind stolz darauf, dass ein Türke es auf die ganz große Bühne geschafft hat. Je mehr von Bildungsversagen, Parallelgesellschaften und Integrationsproblemen die Rede ist, umso mehr klammern sie sich an Erfolgsgeschichten wie seine. Herr Gündogdu ist ein mittelständischer deutscher Unternehmer, der in seinem Tonstudio auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Hannover 20 Festangestellte beschäftigt.

Warum aber ist er bei der Mehrheit im Lande nicht bekannter? Er hat für Tom Jones einen Welthit (Sex Bomb) geschrieben und produziert – und wurde doch bei der Echo-Preisverleihung nicht einmal erwähnt. "Man sieht mich nicht als deutschen Künstler", sagt er. Er bekennt ohne Zögern, er sei "stolz, ein Deutscher zu sein, weil dies ein kreatives Land ist". "Wenn ich Deutschland wäre", wundert er sich, "würde ich mir die Erfolge der Einwanderer an die Brust heften."

Wenn Mousse T. im Konjunktiv von Deutschland spricht, liegt ein Hauch von unerwiderter Liebe und versagter Anerkennung in der Luft. Wer mit erfolgreichen Unternehmern, Künstlern und Akademikern spricht, die als Migranten nach Deutschland kamen, wird immer wieder auf diesen Ton stoßen. Die deutsche Öffentlichkeit hat nämlich nicht nur die Misserfolge vieler Zuwanderer viel zu lange ignoriert. Sie hat auch versäumt, die beeindruckenden Aufsteigergeschichten gebührend zu feiern und ihrem Selbstbild einzuverleiben. In Ländern, die mit Einwanderung mehr Erfahrung haben, wie etwa die Vereinigten Staaten, Kanada oder Australien, werden solche Erfolgsgeschichten an die große Glocke gehängt. Aufsteiger unter den Migranten werden als Vorbilder – auch für die Einheimischen – gepriesen. Ihre Geschichten werden zum Bestandteil der offiziellen Mythologie: Kein Einwanderungsland kann ohne Werte wie Tüchtigkeit und Unabhängigkeitsstreben erfolgreich sein.

In ihren Augen ist Deutschland ein Land der Chancen und Ideen

Es ist nicht schwer, solche Geschichten auch in Deutschland zu finden. In der Kulturszene gibt es immer mehr erfolgreiche Türken – wie den Schriftsteller Feridun Zaimoglu, den Filmemacher Fatih Akin oder den türkisch-arabisch-deutschen Comedian Kaya Yanar. Man kennt vielleicht noch den Vorzeigeunternehmer Vural Öger und Fußballprofis wie die beiden Altintops oder Yildiray Bastürk. Und dann wird es allmählich dunkel.

Doch in dem toten Winkel des öffentlichen Bewusstseins tummeln sich viele interessante Figuren. Die Geschichten der Zuwanderer, die es zu etwas gebracht haben, erzählen von Deutschland als einem Land der Chancen und Ideen – fast wie in den Imagekampagnen, mit denen sich das Land derzeit selbst beweihräuchert, ohne den Beitrag eines einzigen Einwanderers zu würdigen.

Da ist zum Beispiel Erman Tanyildiz, der 1970 als Student an die TU Berlin kam. Mit seinen zahlreichen Unternehmensgründungen – vom Catering über Spezialschweißtechnik bis zum Anbieter beruflicher Bildung – hat er ein großes Vermögen erworben, von dem sein fliederfarbener Bentley beredt zeugt. Nun hat er nach einem Intermezzo als Biobauer auf Ibiza eine eigene private Fachhochschule am Ernst-Reuter-Platz gegründet. Der erste Jahrgang von Bachelor-Studenten an der OTA-Hochschule wurde erfolgreich verabschiedet. Edzard Reuter und Rita Süssmuth – Letztere als Präsidentin der Hochschule – unterstützen das Projekt. Erman Tanyildiz hat sich eine Hochschule geschaffen, wie er sie selbst gern erlebt hätte – praxisnah und campusorientiert, mit Anwesenheitspflicht für Studenten wie Professoren.

Es geht nicht ohne Studiengebühren, aber Einwandererkinder können besondere Förderung bekommen. Tanyildiz sagt, Schröders Green-Card-Initiative habe ihn zu dem Projekt getrieben: "Wir können unsere Bildungsprobleme doch nicht über Import lösen! Während hoch begabte Migrantenkinder am deutschen System scheitern, konkurrieren wir um die Inder, die nicht kommen wollen – so geht es doch wirklich nicht!" Über das Wort "Migrationshintergrund" kann er sich in Rage reden. "Ich spreche seit 46 Jahren Deutsch, habe einen deutschen Pass, eine deutsche Frau, deutsche Kinder, und ich habe viele Millionen Steuern bezahlt. Und nun", fügt er schelmisch hinzu, "habe ich das Schwerste überhaupt vollbracht – in Deutschland eine Hochschule zu gründen. Was muss ich noch tun, bis ich einfach nur ein Deutscher bin, der zufällig aus der Türkei stammt? Ich bin kein Migrant mehr, ich habe keinen Migrationshintergrund, ich bin ein türkischstämmiger Deutscher! Auch das ist Deutschland. Auch wir sind Deutschland."

Auch diese strahlende junge Frau gehört dazu, die im Alter von 28 die jüngste Professorin wurde, die jemals in Deutschland einen Lehrstuhl bekam. Als wäre ihre Jugend nicht erstaunlich genug, hat sie auch noch drei Üs im Namen und kommt aus einer kinderreichen türkischen Arbeiterfamilie im Wedding. Zümrüt Gülbay, zurzeit an der Fachhochschule Anhalt in Bernburg, ist spezialisiert auf Wirtschafts- und Medienrecht. Der Vater arbeitete in einer Schokoladenfabrik, die Mutter am Band, und doch machten alle vier Töchter Abitur. Frau Gülbay scheut vor Pathos nicht zurück, wenn sie von Deutschland spricht: "Ich kann diesem Land nicht genug dafür danken, dass es mir durch das kostenlose Studium eine Chance gegeben hat."

Für sie waren Schule und Universität keine Zwangsanstalten, sondern Freiräume. Wenn die deutschen Mitschüler und Kommilitonen sich über das Pensum beklagten, meldete sie sich freiwillig für Zusatzaufgaben. Gegen die "Vereinnahmungstendenz der türkischen Familie" (Gülbay) baute sie sich durch Bildung ihre eigene Welt. Die Eltern unterstützten sie, doch als sie eines Tages einen deutschen Freund hatte, kam es zum Eklat: "Ich musste mich zwischen meinem Glück und meiner Familie entscheiden." Der Vater sprach jahrelang nicht mehr mit ihr, und sie mied den Wedding.

Zümrüt Gülbay glaubt, dass nicht zuletzt solche Konflikte sie zu der erfolgreichen Frau gemacht haben, die sie heute ist. "Wenn sie so früh lernen, existenzielle Entscheidungen zu treffen und sich zu behaupten, gehen sie mit Ernst und Entschlossenheit durchs Leben." Sie habe die deutschen Mitschülerinnen beneidet, die freier aufwuchsen als sie: "Aber Christine Müller, deren blonde Haare und deren Namen ich so gern gehabt hätte, steht bei Edeka an der Fleischtheke."

Sie möchte kein Postergirl für gelungene Integration werden. Eigentlich äußert sie sich überhaupt nicht gern zur Ausländerpolitik: "Fragen Sie mich doch zum europäischen Wettbewerbsrecht, möchte ich manchmal sagen." Es beunruhigt sie, dass die Türken sich immer stärker zurückziehen. "In meiner Schule gab es damals kein einziges Kopftuch. Heute sehen sie immer mehr davon." Oft fragen türkischstämmige Studentinnen sie um Rat, ob sie ihren deutschen Freund vor der Familie geheim halten oder sich lieber zu ihm bekennen sollen. "Ich kann ihnen die Entscheidung natürlich nicht abnehmen. Wenn ich heute in der Integrationsdebatte diese scharfen Töne höre, man müsse sich klipp und klar für Deutschland oder für die Parallelgesellschaft entscheiden – dann kommt mir das sehr lebensfern und ungnädig vor."

Für ihre Studentinnen ist Zümrüt Gülbay ein Idol, ob sie es nun mag oder nicht. Sie träumt von einem weltoffenen Deutschland, in dem eine Professorin mit drei Üs im Namen keine Exotin mehr wäre. Wie weit der Weg dahin noch ist, hat sie bereits bei ihrem Staatsexamen erlebt: "Der Vorsitzende konnte es sich nicht verkneifen, mich am Ende zu loben, wie gut ich Deutsch spreche. Fast hätte ich gesagt: 'Sie aber auch.'"

Sandeep Singh Jolly, Gründer und Chef der Berliner Software- und Telekomfirma teta, wird nach 24 Jahren in Deutschland immer noch gelegentlich gefragt, wann er denn "wieder mal nach Hause" fahre. "Ich sage dann gern: 'Jeden Abend!' " Der 38-Jährige betreut mit seiner Firma hunderte Arztpraxen. Früher hat er die Abrechnungs-Software selbst programmiert. Heute bietet die teta GmbH einen Rundum-Service für die computerisierte Praxis – von der Installation über die Mitarbeiterschulung bis zur Hotline. Mit einer zweiten Firma namens it India vermittelt er Wirtschaftskontakte zwischen Deutschland und Indien.

Wenn er mal U-Bahn fährt, wird über seinen Bart und seinen Turban getuschelt. Er geht darüber lächelnd hinweg, aber es verletzt ihn doch, nach all den Jahren. Er fährt allerdings nicht mehr oft U-Bahn. Herr Jolly lebt mit seiner Familie in einem eigenen Haus am Grunewald. Und wenn er in Maßanzug und Turban im Porsche Cabrio oder in seinem neuen S-Klasse-Mercedes von der Arbeit kommt, sieht er aus wie der wahr gewordene Traum vom Green-Card-Inder, der die deutsche Wirtschaft ankurbelt. Zum indischen Gewürztee reicht er selbstgebackenen deutschen Apfelkuchen: Herr Jolly ist so etwas wie der Idealmigrant, den sich derzeit alle wünschen – hoch gebildet, unternehmerisch erfolgreich, kulturell integriert.

Er muss schmunzeln, wenn er so etwas hört. Seine Geschichte mit Deutschland reicht weit zurück – in eine Zeit, da Inder in Deutschland nicht als Boten der High-Tech-Globalisierung, sondern einfach nur als arme Schlucker galten, die lieber draußen bleiben sollten. Als er 1982 nach Deutschland kam, wurde sein Schulabschluss von einer Elite-High-School in Bombay nicht anerkannt. Nachdem er in Windeseile Deutsch gelernt, die Hochschulreife nachgeholt und nebenbei noch das Charlottenburger Gewürz- und Gemüsegeschäft der Familie geführt hatte, ließ man ihn wegen einer Ausländerquote ein Jahr lang warten, bis er endlich Informatik studieren durfte. Doch Sandeep Jolly ließ sich nicht ausbremsen. Während des zweiten Semesters gründete er mit Kommilitonen eine erste Firma, die Spezial-Software für den Pharmahandel entwickelte. Und dann ging es eigentlich immer so weiter.

Zurückgehen war keine Option, Scheitern kam nicht infrage

Was ist das Geheimnis seines Erfolgs? "Ich habe mich von Anfang an für Deutschland entschieden", sagt er. Zurückgehen war keine Option, und Scheitern kam nicht infrage. Er musste um jeden Preis in dem fremden Land zurechtkommen. "Die Deutschen haben mich zu Anfang bemitleidet, als ich fast ohne Deutschkenntnisse das Geschäft meines Vaters führen musste. Der arme Junge muss den Laden schmeißen und auch noch Deutsch lernen! Ich habe das nie verstanden. Für mich war es toll. Ich war mein eigener Chef und durfte auch noch eine neue Sprache lernen."

Fragt man Herrn Jolly, der längst deutscher Staatsbürger ist, nach seiner Identität, dann sagt er: "Ich bin Deutsch-Inder." An der deutschen Unternehmenskultur liebt er das rationale Planen und Projektieren, an der indischen die Flexibilität und Gelassenheit. Es falle ihm oft schwer, die "deutsche Zaghaftigkeit, den mangelnden Kampfgeist und den Sozialneid" zu verstehen. Wenn er über die Auswüchse des deutschen Sozialstaats klagt, klingt Herr Jolly manchmal fast wie Hans-Olaf Henkel. Auch eine Form der Integration.

Vo Van Long ist im selben Jahr wie Herr Jolly eingewandert – allerdings in das andere Deutschland. Er kam als vietnamesischer Kontraktarbeiter in das Werkzeugmaschinenkombinat "7.Oktober". Nicht einmal die DDR hat seinen Unternehmergeist einschüchtern können. Herr Long handelte schon im Sozialismus mit allem, was nicht niet- und nagelfest war – unter der Hand natürlich. Heute ist Herr Long ein Tycoon der Asiengastronomie in Deutschland. Unter dem Namen Thang Long, was so viel bedeutet wie "Himmelsdrachen", betreibt er Imbisse in ganz Deutschland, vom Bodensee bis nach Rügen. Und nun hat er unter demselben Namen in Berlin-Karlshorst das erste vietnamesische Hotel eröffnet. Bei der Innengestaltung stand ein Saigoner Hotel Pate. Baumaterial und Einrichtung wurden aus Vietnam importiert – von den tonnenschweren Granitlöwen am Eingang über den roten Marmor für die Fußböden bis zu den kunstvoll gezwirbelten Rattan-Möbeln. Herr Long zielt mit dem Hotel vor allem auf asiatische Geschäftsleute, die bei Akupunktur und traditioneller Massage, asiatischer Küche und Kulturangeboten ihr Heimweh vergessen wollen. Und natürlich zielt er auf die ungebrochene Begeisterung der Deutschen für gebratene Nudeln und Ente kross, die er schon seit Jahren erfolgreich damit bedient.

Das Hotel, sagt er, solle sein Land repräsentieren. Damit meint der asiatische Preuße, der lange schon deutscher Staatsbürger ist, immer noch Vietnam. Er werde im Alter "sicher zurückgehen". Es klingt ein wenig pflichtschuldig. Die Mehrzahl seiner 43 Jahre hat er in Deutschland zugebracht. Kürzlich hat Herr Long erfahren, dass das Gebäude an der Treskowallee in den Fünfzigern und Sechzigern die vietnamesische Botschaft in der DDR war. Kann das ein Zufall sein? Wenn es demnächst vollständig fertig gestellt ist, wird es auf seine Art wieder eine Botschaft sein – für den Erfolg des vietnamesischen Geschäftsgeistes hierzulande, und damit auch für ein neues Deutschland.

Aus: Jörg Lau: Auch wir sind Deutschland, in: Die Zeit vom 04.05.2006 Nr.19, Externer Link: (19.12.2007).

Fussnoten