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Info 02.05 Historische Entwicklung der Migration nach und aus Deutschland
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Deutschland hat in seiner Geschichte umfangreiche Zu- und Abwanderungsbewegungen erlebt. Ein Blick auf Wanderungen seit dem 17. Jahrhundert zeigt, dass die Migrationsgeschichte des Landes nicht erst mit der Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte in den 1950er und 1960er Jahren begann.
Wanderungsbewegungen im 17., 18. und 19. Jahrhundert
Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) führte in einigen deutschen Gebieten zu starken Zerstörungen und einem erheblichen Bevölkerungsrückgang. Die jeweiligen Landesherren warben daher erwerbsfähige und steuerzahlende Personen aus anderen, z.T. übervölkerten Regionen an, die sich in den kriegszerstörten Gebieten niederlassen sollten ("Peuplierungspolitik"). Diese wurden so zu zentralen mitteleuropäischen Zuwanderungsregionen. Auch Glaubensflüchtlinge aus anderen Teilen Europas zog es ins frühneuzeitliche Deutschland. Die umfangreichste sowie wirtschaftlich, kulturell und politisch bedeutendste Zuwanderergruppe waren die Hugenotten. Nach dem Widerruf des 1598 verkündeten Edikts von Nantes (1685) wanderten 30.000-40.000 von ihnen in deutsche Territorien vorwiegend nördlich des Mains ein (v.a. nach Brandenburg-Preußen, Hessen-Kassel, in die welfischen Herzogtümer und in die Hansestädte).
Nach diesen Einwanderungsbewegungen, die bis Mitte des 18. Jahrhunderts anhielten, dominierte bis in die 1830er Jahre die kontinentale Abwanderung nach Ost- und Südosteuropa, bis zum späten 19. Jahrhundert dann die transatlantische Abwanderung, vornehmlich in die USA. Von den 1680er Jahren bis 1800 wanderten rund 740.000 Menschen aus dem deutschsprachigen Raum nach Ost-, Ostmittel- und Südeuropa. Zwischen 1816 und 1914 zogen dann rund 5,5 Millionen deutsche Abwanderer in die Vereinigten Staaten. Dort stellte die in Deutschland geborene Bevölkerung 1820-1860 mit rund 30 Prozent nach den Iren die zweitstärkste, 1861-1890 sogar die stärkste Einwanderergruppe. Die erhebliche Ausweitung wirtschaftlicher Chancen aufgrund von Hochindustrialisierung und Agrarmodernisierung in Deutschland sowie die Wirtschaftskrise in den USA führten Ende des 19. Jahrhunderts schließlich zu einem deutlichen Rückgang der transatlantischen Migrationsbewegungen.
Flucht und Zwangsarbeit in und zwischen den Kriegen
Mit und nach dem Ersten Weltkrieg begann das "Jahrhundert der Flüchtlinge". Die Weimarer Republik wurde zum Ziel Hunderttausender von Flüchtlingen, die vor den Folgen der russischen Oktoberrevolution 1917, dem anschließenden Bürgerkrieg und der Durchsetzung des Sowjetsystems auswichen. Hinzu traten Zehntausende von osteuropäischen Juden, die vor Pogromen und antisemitischen Strömungen in vielen Teilen Ostmittel-, Südost- und Osteuropas Schutz suchten. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Deutschland erneut – wie bereits vor dem Ersten Weltkrieg – zu einem asylfeindlichen Staat. Außerdem vertrieben die neuen Machthaber rund eine halbe Million Menschen. Das betraf politische Gegner des Regimes, solche, die das Regime dafür hielt und vor allem all jene, die aufgrund der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus zu geächteten Fremden in Deutschland erniedrigt und zunehmend verfolgt wurden. Dazu zählten vor allem Juden, von denen rund 280.000 aus dem Reich flüchteten. Weltweit nahmen mehr als 80 Staaten Flüchtlinge aus Deutschland auf.
In den beiden Weltkriegen (1914-1918 und 1939-1945) führte der Arbeitskräftebedarf (v.a. in der Rüstungsindustrie) zu einem starken Zuzug ausländischer Arbeitskräfte. Dieser erfolgte jedoch in der Regel nicht freiwillig: Zwangsarbeit prägte die Ausländerbeschäftigung in Kriegszeiten. Die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg waren von Vertreibung und Fluchtbewegungen dominiert. Rund 14 Millionen Reichsdeutsche und "Volksdeutsche" (Angehörige deutscher Minderheiten ohne deutsche Staatsangehörigkeit) flohen aus Ost-, Ostmittel- und Südeuropa in Richtung Westen. In der Bundesrepublik Deutschland erleichterte die Hochkonjunktur der 1950er und 1960er Jahre fundamental die wirtschaftliche und soziale Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen. Gleichzeitig bildeten sie ein qualifiziertes und hochmobiles Arbeitskräftepotenzial, das den wirtschaftlichen Wiederaufstieg mittrug.
"Gastarbeiteranwerbung", Anwerbestopp und Familiennachzug
In den 1950er und 1960er Jahren erlebte die noch junge Bundesrepublik Deutschland einen Wirtschaftsboom, der mit einer enormen Expansion des Arbeitsmarktes einherging. Da das inländische Arbeitskräftepotenzial nicht ausreichte, um die Nachfrage zu decken, schloss die Bundesrepublik 1955 mit Italien und 1960 mit Griechenland und Spanien erste Vereinbarungen zur Anwerbung von Arbeitskräften aus diesen Ländern ab. Es folgten entsprechende »Abkommen« mit der Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Die ausländischen Arbeitsmigranten übernahmen in der Regel un- und angelernte Tätigkeiten in der industriellen Produktion mit hoher körperlicher Beanspruchung, gesundheitlicher Belastung und Lohnbedingungen, die viele Einheimische nicht akzeptieren wollten. Die Anwerbung der sogenannten "Gastarbeiter" wurde im Zuge der Öl(preis)krise und steigender Arbeitslosigkeit 1973 beendet. Hintergrund dieser Entscheidung war aber auch die zunehmende Verstetigung des Aufenthalts der ausländischen Arbeitnehmer im selbsterklärten "Nichteinwanderungsland" Deutschland.
Vom Ende der 1950er Jahre bis zum "Anwerbestopp" 1973 kamen rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland, von denen etwa 11 Millionen nur temporär im Land verblieben und später wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Die anderen blieben und zogen ihre Familien nach. So kam es, dass die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen zwar nach dem Ende der Anwerbezeit sank - von 2,6 Millionen 1973 auf 1,6 Millionen 1989 - die ausländischen Wohnbevölkerung aber im selben Zeitraum von 3,97 Millionen auf 4,9 Millionen wuchs.
Und in der DDR?
Auch in der DDR gab es einen Arbeitskräftemangel, der vor allem auf die massive Abwanderung in den Westen zurückzuführen war: Von 1949 bis zum Mauerbau 1961 hatten etwa 2,7 Millionen Menschen "rübergemacht". Diese Lücke sollte zumindest teilweise durch ausländische Arbeitskräfte geschlossen werden. Dazu schloss die Regierung Abkommen mit sozialistischen "Bruderländern". 1968 trafen die ersten der sogenannten Vertragsarbeiter aus Ungarn ein. Es folgten Arbeitskräfte aus Algerien, Angola, Polen, Mosambik und Kuba. Die größte Gruppe stammte aus Vietnam. Sie durften nur für eine befristete Zeit in der DDR bleiben. Da private Kontakte zu Einheimischen unerwünscht waren, lebten sie isoliert in Wohnheimen. Nähere Kontakte zu DDR-Bürgern waren genehmigungs- und berichtspflichtig. Zur Wende hielten sich rund 94.000 Vertragsarbeiter in der DDR auf, darunter 60.000 Vietnamesen. Nach der Wiedervereinigung verließen viele von ihnen das Land bzw. waren dazu gezwungen, weil ihre Aufenthaltsgenehmigungen ausliefen. Zuwanderung im vereinigten Deutschland: Asylmigration und Aussiedlerzuwanderung in den 1980er und 1990er Jahren
Mit der Öffnung des "Eisernen Vorhangs", dem Wandel der politischen Systeme in den ehemaligen Staaten des "Ostblocks" und dem Ende der DDR 1989/90 veränderten sich die Migrationsmuster in Europa. In Deutschland stieg die Zahl der Asylanträge vor allem aus Ost-, Ostmittel- und Südeuropa deutlich an. Sie überschritt 1988 die Marke von 100.000, kletterte im Jahr der europäischen Revolutionen 1989 auf etwa 120.000, erreichte im vereinigten Deutschland 1990 rund 190.000 und 1992 schließlich fast 440.000.
Neben der Zuwanderung von Asylbewerbern stieg Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre besonders die Zahl der Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland stark an. Die Bezeichnung "Aussiedler" stammt aus den frühen 1950er Jahren. Nach dem Ende von Flucht und Vertreibung in der Folge des Zweiten Weltkriegs lebten 1950 nach Behördenangaben noch rund vier Millionen Deutsche in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa. Ihnen sicherte das Bundesvertriebenengesetz von 1953 die Aufnahme als deutsche Staatsangehörige zu. Von 1950-1975 passierten insgesamt rund 800.000, von 1976-1987 weitere etwa 616.000 Aussiedler die westdeutschen Grenzdurchgangslager, bis mit der Öffnung des "Eisernen Vorhangs" deren Massenzuwanderung begann: Von 1987 an gingen die Zahlen vor dem Hintergrund von "Glasnost" und "Perestrojka" in der UdSSR rasch nach oben, in den folgenden anderthalb Jahrzehnten kamen mehr als drei Millionen Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Insgesamt wanderten damit im Zeitraum 1950-2013 rund 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedler zu. Betrachtet man das Wanderungsgeschehen zwischen der Bundesrepublik und dem Ausland seit 1950, so ist festzustellen, dass 1992 das Jahr mit der höchsten Zuzugszahl war. Die Zuwanderung lag in jenem Jahr bei 1,5 Millionen, der Wanderungssaldo, also die Differenz aus Zu- und Fortzügen, belief sich auf rund 782.000. In den darauffolgenden Jahren sank die Zuwanderung nach Deutschland deutlich. 2008 und 2009 war Deutschland statistisch sogar Auswanderungsland: Es verließen mehr Menschen das Land, als aus dem Ausland zuzogen. Seit 2010 verzeichnet Deutschland wieder steigende Wanderungsgewinne (vgl. Abbildung 1).
Aktuelle Entwicklung der Migration zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Ausland
Die Geschichte Deutschlands ist auch eine Migrationsgeschichte. Umfangreiche Zu- und Abwanderungsbewegungen haben das Land und seine Bevölkerung geprägt - und das bereits lange vor der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Blick auf das Wanderungsgeschehen seit 1950 zeigt, dass der Umfang der Zu- und Fortzüge im Zeitverlauf deutlichen Schwankungen unterliegt. Im Jahr 2013 erreichte die Zuwanderung den höchsten Wert seit 1993. Insgesamt zogen 1.226.493 Personen nach Deutschland, 797.886 Personen verließen im selben Zeitraum das Land. Damit ergibt sich ein Wanderungsüberschuss in Höhe von 428.607 Personen. Das Wanderungsgeschehen in Deutschland ist vor allem europäisch geprägt. Drei Viertel aller 2013 Zugewanderten stammen aus einem anderen europäischen Land, die meisten davon aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union. Seit 1996 ist Polen das Hauptherkunftsland. Nach Angaben des »Ausländerzentralregisters« (AZR), das auch Informationen über die Aufenthaltszwecke von Nicht-EU-Bürgern sammelt, kamen im Jahr 2013 Zuwanderer aus Drittstaaten vor allem aus familiären Gründen (Familiennachzug), zum Studium, Schulbesuch bzw. Berufsausbildung oder zum Zwecke der Erwerbstätigkeit nach Deutschland.
Insbesondere der Bereich der Bildungsmigration hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. So ist beispielsweise die Zahl ausländischer Studierender an deutschen Hochschulen zwischen dem Wintersemester 2009/2010 und dem Wintersemester 2013/2014 von rund 245.000 auf 301.000 gestiegen. Laut Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung soll ihre Zahl bis 2020 auf 350.000 erhöht werden. Dabei handelt es sich sowohl um Studienanfänger, die aus dem Ausland zuziehen, als auch um in Deutschland aufgewachsene ausländische Staatsangehörige, die ein Studium an einer deutschen Hochschule aufnehmen. Deutschland zählt weltweit zu den fünf wichtigsten Zielländern
Aus: Hanewinkel, Vera/ Oltmer, Jochen (2015). Focus MIGRATION. LÄNDERPROFIL Deutschland. Hrsg.: Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück/ Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.). S. 2 – 4
Im Internet unter "Länderprofile Migration: Daten - Geschichte - Politik":
Das Arbeitsmaterial Interner Link: Info 02.05 Historische Entwicklung der Migration nach und aus Deutschland ist als PDF-Dokument abrufbar.
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