In den Sozialwissenschaften ist immer wieder die Rede von zwei Theorien: der Theorie des homo oeconomicus und des homo sociologicus. Verstanden werden müssen diese Theorien als Modellvorstellungen. Das heißt, dass kein Mensch ausschließlich einem der beiden zuzuordnen ist, sondern sich eher tendenziell an einem der beiden Typen orientiert. Der homo oeconomicus handelt immer so, dass er den größten Nutzen daraus zieht. Der homo sociologicus hingegen ist ein Mensch, der durch die Gesellschaft, in der bestimmte Regeln, Normen und Werte gelten, fremdbestimmt wird. Diese beiden Theorien und Menschentypen können auf das Wahlverhalten übertragen werden: Es gibt Wählerinnen und Wähler, die eher vernünftig, also rational (homo oeconomicus) wählen, und Wählerinnen und Wähler, die ihre Wahlentscheidung in Abhängigkeit von sozialen Faktoren treffen, ihr Wahlverhalten ist also sozial eingebettet (homo sociologicus).
Die Theorie der rational choice geht auf den amerikanischen Politikwissenschaftler und Ökonomen Anthony Downs zurück: Rationale Wählerinnen und Wähler zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihre Entscheidung rational und nicht emotional treffen. Sie wählen aufgrund ihrer persönlichen Vorzüge eine bestimmte Partei. Steht eine solche Person vor der Wahlentscheidung zweier oder mehrerer Parteien, vergleicht sie den unterschiedlichen Nutzen, den sie aus den jeweiligen Parteien ziehen würde. Letztlich wird die Partei gewählt, die ihnen in ihrer konkreten Lebenssituation den größten Nutzen mit den meisten Vorteilen beschert. Unabhängig aber von der konkreten Entscheidung, welche Partei gewählt werden soll, überlegen sich rationale Wählerinnen und Wähler auch, ob es für sie überhaupt von Vorteil ist, sich an der Wahl zu beteiligen. Denn ebenso wie sie bei der Wahl genau überlegen, wägen sie auch ab, ob es sich für sie lohnt, den Aufwand der Wahl auf sich zu nehmen, ob ihre eigene Stimme dem Wahlsieg ihrer gewählten Partei helfen würde. Der Weg zum Wahllokal, die vorherige Informationseinholung über die Parteien etc. sind beispielsweise Kosten, die sich für rationale Wählerinnen und Wähler auch wirklich lohnen müssen. Für sie ist die Teilnahme an der Wahl erst dann rational, wenn der persönliche Nutzen höher als der aufgenommene Aufwand und die Mühe ist. Im Fall der Wahl ist der persönliche Nutzen der Sieg und die damit verbundenen Vorteile der bevorzugten Partei, während Aufwand und Mühe beispielsweise der Weg zum Wahllokal und die Informationseinholung sind. Die eigene Stimme muss demnach etwas wert sein und zur Wahl beitragen, damit die Beteiligung an der Wahl sich auch für die rationalen Wählerinnen und Wähler lohnt.
Eigener Text nach:
Heike Diefenbach: Die Theorie der Rationalen Wahl oder „Rational Choice“-Theorie (RCT), in: Ditmar Brock u.a.: Soziologische Paradigmen nach Talcott Parsons. Eine Einführung, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2009, S. 239-290.
Oliver Krebs und Andrea Szukala: Schüler als Wahlaufrufer – forschendes Lernen mit Experimenten zum Verhalten von Wählern, in: Gesellschaft, Wirtschaft, Politik (GWP) 2013 (2), S. 285-297.
Volker G. Täube: Die paradoxe Figur des „rationalen Wählers“, Berlin: WVB, 2002.
Peter Thiery: Moderne politikwissenschaftliche Theorie, in: Manfred Mols u.a. (Hrsg.): Politikwissenschaft: Eine Einführung. 5. Auflage, Paderborn u.a.: Ferdinand Schönigh, 2006, S. 209-247.
Arbeitsaufträge:
Stelle die Theorie des rationalen Wählers tabellarisch dar, um sie anschließend der anderen Gruppen vorzustellen.
Schau dir noch einmal
Interner Link: M 03.02 an und ordne die Aussagen der Jugendlichen dem homo oeconomicus/rationalen Wähler und dem homo sociologicus/sozial eingebettetes Wahlverhalten zu.Tragt die Theorien in der Tabelle zusammen, diskutiert und bewertet sie in der Klasse.
Das Arbeitsmaterial ist hier als Interner Link: PDF-Datei abrufbar.