Ungeheuer und Ästheten
Früher ist Fußball gerne mit Krieg verglichen worden: Von Sturm-Tanks war da die Rede und von Abwehr-Bollwerken, und der deutsche Fußball galt als besonders martialisch. Doch das Bild hat sich geändert. Fußball made in Germany gilt als Integrationsmaschine - und weiß zum Teil auch spielerisch zu überzeugen.
Früher konnten wir den Kriegen ganz bequem im Wohnzimmer zusehen. Die Waffen waren keine Bomben und Lenkflugkörper und erst recht keine Drohnen, sondern lange Bälle, die eilig nach vorn geschlagen wurden, hohe Flanken, die dann von baumlangen Kerls mit platter Stirn ins Netz gewuchtet wurden: von den Kopfball-Ungeheuern, die Hrubesch, Bierhoff oder Hoeneß hießen.
Fußball mit deutscher Beteiligung galt als ein martialisches Vergnügen, als ein Spiel, in dem "der Ringkampf nicht verboten" war, wie es ein Fußball-Ästhet aus Großbritannien in der "Financial Times" einmal formulierte – ein Kolumnist aus dem Mutterland des Fußball-Ringkampfes also. Italiener, Franzosen und Briten nannten die Deutschen Panzer, schnelle Tore waren demzufolge die Entsprechung des Blitzkriegs, die robuste körperliche Verfassung der Deutschen wurde gleichermaßen bewundert wie gefürchtet.
Die deutschen Panzer erstritten sich ihren Ruf auf dem Feld. Da war zum einen der Erfolg. Und da war diese enorme Wettkampfhärte. Freudlos, erfolgreich, unerbittlich: Zur Personifizierung für den deutschen Fußball der achtziger Jahre wurde Nationaltorhüter Toni Schumacher, der einen französische Gegenspieler über den Haufen rannte und hinterher erklärte, er stünde für dessen Jacketkronen gerade. Im Gegenzug bewunderte Deutschland die Eleganz mancher Anderer, die der Zidane und Ronaldo, und vor allem: die Multikulti-Truppe aus Frankreich, die Welt- und Europameister wurde.
Doch das Klischee der Panzer hat Patina bekommen. Vor zwei Jahren feierte man den spielerisch glänzenden Auftritt der Deutschen bei der Weltmeisterschaft in Südafrika. Und das Ausland, vor allem die Briten staunten. Der dritte Platz, über den sich früher keiner gefreut hätte, galt als ein Erfolg der Integration: Deutsche Nationalspieler mit dem Namen wie Özil, Khedira oder Boateng symbolisierten für Fußball-Feuilletonisten und solche, die es werden wollten, die Öffnung einer Gesellschaft, die als noch verstockter galt als sie es tatsächlich war. Der deutsche Fußball wurde allenthalben als eine Art Integrationsmaschine begriffen.
Dabei sagt der Erfolg aus dem Fußballplatz wenig über die Integrationskraft einer Gesellschaft aus. Doch in diesem Fall wurde er als Synonym genommen. Es passte ja auch nur zu gut. Und nicht nur das Spiel hat einen anderen Anschein bekommen, auch der Tonfall hat sich geändert. Wer verstehen will, woher der deutsche Fußball begrifflich kommt, der muss sich nur einmal ein Zitat des legendären WM-Trainers Sepp Herberger auf der Zunge zergehen lassen: "Die Taktik ist, wenn wir Clausewitz auf unser Spiel umlegen, die Lehre vom Gebrauch der Mittel, um den Wettbewerb zu gewinnen. Die eigene Stärke möglichst wirksam werden lassen, die schwachen Punkte zu verdecken, ist eine der Aufgaben, die der Taktik gestellt sind". "Vom Fußball", das klingt hier wie: "Vom Kriege". Mochte Herbergers Einlassung aus Sicht des Fachmanns auch noch so richtig sein, eine solche Wortwahl kann verstören. Wie anders klingt da doch Bundestrainer Joachim Löw, der um harte Aussagen einen ganz großen Bogen macht! Und ganz nebenbei: Kleider machen Leute. Der "Guardian" feierte ihn als eine "teutonische Version von Bryan Ferry".
Mehr geht aus Sicht der Stilkritiker einfach nicht, und so drängt sich der Gedanke auf, dass die einstigen Vorbehalte gegenüber dem deutschen Fußball vor allem ästhetische Motive hatten. Wir sind nun mal oberflächliche Wesen. So wie der FC Barcelona von Fußball-Gourmets in aller Welt wegen seines Offensivspiels geliebt wird, so ernteten die Deutschen die Anerkennung für ihre liebevolle Pflege des Kurzpassspiels, die auch die Möglichkeit des stilvollen Verlierens ausdrücklich einschließt.
Das ist erfreulich. Denn es zeigt, dass auch Stereotypen an Wirkung verlieren können. Doch der Fußball-Ästhet ist ein wankelmütiger Geselle: Ein paar hässliche Fouls, ein paar unverdiente Siege könnten genügen, um dieses neue Image des deutschen Fußballs schnell wieder in das alte zu verwandeln.
Stefan Osterhaus, Journalist, 1973 im sauerländischen Neheim-Hüsten geboren, lebt und arbeitet seit 2000 in Berlin, wo er zunächst Redakteur der "Berliner Zeitung" war. Seit 2005 ist er Sportkorrespondent der "Neuen Zürcher Zeitung", er schreibt für die "taz", den WDR-Hörfunk und für Deutschlandradio Kultur.
Aus: Osterhaus, Stefan: Ungeheuer und Ästheten. Das neue Image des deutschen Fußballs, in: Deutschlandradio Kultur, 04.06.2012, Externer Link: http://www.deutschlandradiokultur.de/ungeheuer-und-aestheten.1005.de.html?dram:article_id=207622 (15.05.2014).
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