Nationalstolz
Das Parlament: Es klingt immer so platt, aber würdet Ihr sagen, Ihr seid stolz, Deutsche zu sein?
Pritpal: Schon. Ich bin stolz, dass ich hier geboren bin und dass ich zum Beispiel umsonst zur Schule gehen kann. Das ist in Indien nicht selbstverständlich. Da muss man für Bildung Geld bezahlen und das können viele Menschen nicht. Vielleicht hätte ich in Indien keine so gute Zukunft, hätte keine Schule besucht und müsste auf der Straße betteln.
Maria: Ich finde es sehr schwierig, von Stolz zu sprechen. Ich kann sagen: Ich bin dankbar und froh, dass ich hier lebe, dass ich meine Ausbildung machen kann und der Staat sie finanziert. Aber andererseits habe ich doch mit dem, was alles in diesem Land passiert, nicht viel zu tun.
Pritpal: In Indien hätten die Leute dieses Problem überhaupt nicht. Da würde jeder sofort sagen, dass er stolz ist, Inder zu sein. Ich finde, es ist letztlich egal, zu welcher Nation ich gehöre. Ich würde immer stolz darauf sein. Das ist doch normal.
Ariane: Naja, normal. Ich finde die Frage zu schwer, um sie einfach mit Ja oder Nein zu beantworten. Natürlich bin ich froh, dass ich hier geboren bin. Du hast es ja gesagt: Wir genießen in Deutschland Freiheiten, die anderswo, auch in Indien, nicht selbstverständlich sind, in der Bildung und in anderen Bereichen. Deshalb gibt es umgekehrt auch keinen Grund, mich dafür zu schämen, dass ich Deutscher bin.
Das Parlament: Würdest Du das als stolz bezeichnen?
Ariane: Stolz klingt so hochtrabend. Ich würde eher sagen, ich bin zufrieden, Deutscher zu sein, ich bin gerne Deutscher. Aber wäre ich Spanierin, würde ich auch sagen, ich bin gerne Spanierin. Das bekommt man so mit, wenn man in einem Land geboren wird.
Nationale Symbole
Das Parlament: Wie geht Ihr denn mit nationalen Symbolen um? Habt ihr zur Fußball-Weltmeisterschaft auch die deutsche Fahne getragen?
Ariane: Schon (lacht). Ich hatte eine Fahne am Auto und habe mich von Freunden auch mit schwarz-rot-goldener Farbe bemalen lassen.
Maria: Ja, eine Fahne hatten wir auch am Auto. Aber ich muss ganz ehrlich sein, ich war auf der Fanmeile bei einigen Spielen und mir ist das jetzt nicht so aufgefallen mit den Fahnen. Es waren ja auch schwedische Fahnen da oder portugiesische. Wenn die Leute bei einem Tor die Flaggen geschwenkt haben, hat man sich halt mitgefreut. Ariane: So habe ich es auch erlebt. Da, wo ich immer Fußball geguckt habe, am Bundespressestrand, war eine so gute Stimmung, es wurde nie eklig oder komisch, gar nichts. Als wir das Halbfinale verloren hatten, haben alle ihre Fahnen eingepackt und sind nach Hause gegangen.
Das Parlament: Und habt Ihr die Nationalhymne gesungen?
Ariane: Um ehrlich zu sein, ich kann den Text immer noch nicht, auch jetzt noch, nach der WM. Aber ich habe mich darum auch nie bemüht. Wie soll ich sagen: Die Nationalhymne steht für mich in der Hierarchie der nationalen Symbole ganz oben. Die einfach zu singen, bis dahin ist es schon noch ein Schritt.
Das Parlament: Aber letztlich habt Ihr, nach dem was Ihr schildert, die vielen Fahnen, die "Deutschland, Deutschland"-Rufe und Hymnen-Gesänge zur WM nicht als etwas Ungewöhnliches oder gar Bedrohliches empfunden?
Pritpal: Nein, ich habe das erwartet. Genauso, wie ich erwartet habe, dass sich die Leute auch nach der Niederlage noch freuen und weiterfeiern. Die WM war doch ein Riesenerlebnis! Alles im eigenen Land, man konnte sogar ins Stadion gehen und die Spiele live sehen. Ich selbst hatte zwar keine große Lust, mit einer Fahne herumzulaufen. Aber die, die es getan haben, sind doch nicht gleich Nationalisten.
Ariane: Stimmt. Ich hatte sogar das Gefühl, dass die Leute darauf gewartet haben, endlich mal die Symbole ihres Landes zeigen zu können. Es ging ja nicht darum, dass man hinter Deutschland steht, sondern es ging um die deutsche Mannschaft. Und weil die Leute wussten, wie das interpretiert werden könnte, haben sie sehr darauf geachtet, dass das auch so verstanden wird.
Maria: Den Eindruck hatte ich auch. Wir haben mit der WM ein so gutes, lockeres Verhältnis zur Fahne aufgebaut. Nur haben das manche Medien dann derart aufgebauscht, dass es einen wieder völlig zurückgeworfen hat. Ariane: Ja, einige Medien haben gleich wieder plakative Überschriften gefunden und Schrecken verbreitet, und das obwohl doch alles friedlich war. Die Leute haben zusammen mit anderen Nationen gefeiert und alles verlief ruhig. Die Diskussion in den Zeitungen war völlig überflüssig.
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Das Interview führte Johanna Metz.
Aus: Wir haben das Recht, unbefangener zu sein. Jugendliche sprechen über ihr Deutschlandgefühl, in: Das Parlament: Nr. 42 / 16.10.2006, Externer Link: http://www.das-parlament.de/2006/42 (19.5.2014).
Arbeitsaufträge:
Lest das Interview mit verteilten Rollen.
Lest euch den Text anschließend nochmal leise durch und notiert euch für eure Rolle stichpunktartig, was ihr zum Thema Nationalstolz und nationale Symbole (Nationalfarben, Hymne) gesagt habt.
Diskutiert in eurer Gruppe die unterschiedlichen Äußerungen. Wie steht ihr selbst zu Nationalstolz und nationalen Symbolen allgemein und insbesondere während der Fußball-WM?
Eine Druckversion der Arbeitsblattes steht als Interner Link: PDF-Datei zur Verfügung.