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M 01.04 Vom Entwurf zum Gesetz
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Wie entsteht eigentlich eine EU-Richtlinie? Hier werden Gesetzgebungsverfahren der EU und wichtige EU-Rechtsakte erläutert, anhand eines Fallbeispiels zum Verbot dünnwandiger Plastiktüten.
Gesetze in der EU
Die Europäische Union basiert neben dem Prinzip des Intergouvernementalismus, der Regierungszusammenarbeit zwischen Staaten innerhalb einer internationalen Organisation, auch auf dem Prinzip der Supranationalität. Supranational bedeutet überstaatlich, das heißt also, dass die EU verbindliche Gesetze für all ihre Mitgliedsstaaten erlassen kann. Das bedeutet umgekehrt, dass die Mitgliedsstaaten einen Teil ihrer politischen Selbstbestimmung zugunsten der Union aufgegeben haben.
Daher gibt es aber immer auch wieder Konflikte und der supranationale Einfluss der EU variiert zwischen einzelnen Politikfeldern stark. Während die EU beispielsweise in der Umwelt- und Klimapolitik recht großen Einfluss hat, werden im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik immer noch viele wichtige Entscheidungen auf der nationalen Ebene getroffen. Aber auch hier gibt es, nicht zuletzt aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, zunehmend Versuche, die Integration weiter voranzutreiben.
Unter folgendem Link findet ihr eine Übersicht über die verschiedenen Kompetenzen der EU in unterschiedlichen Themengebieten: Externer Link: Aufteilung der Zuständigkeiten in der Europäischen Union
Genrell gilt: Will die EU ein Gesetz erlassen, dann hat sie zwei Möglichkeiten, das zu tun: Sie kann entweder eine Verordnung oder eine Richtlinie beschließen.
Verordnungen sind Gesetze, die sofort für alle Mitgliedsstaaten gültig sind, sobald sie in Kraft treten. Sie müssen so umgesetzt werden, wie die EU es beschlossen hat. Nationale Gesetze, die einen bestimmten Politikbereich betreffen, werden durch eine Verordnung ersetzt, wenn sie denselben Bereich betrifft.
Ein Beispiel ist die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die seit Mai 2018 von den Ländern umgesetzt werden muss. Diese Verordnung regelt, wie mit den persönlichen Daten von allen Bürger/innen umgegangen werden muss, die Unternehmen oder öffentlichen Behörden vorliegen. Sie legt unter anderem fest, dass alle Bürgerinnen und Bürger ein Unternehmen dazu auffordern dürfen, ihre persönlichen Daten zu löschen, wenn es keinen Grund mehr für die Datenspeicherung gibt.
Richtlinien hingegen geben nur ein Ziel an, das bis zu einem bestimmten Datum erreicht werden soll. Wie die Mitgliedsstaaten dieses Ziel erreichen, bleibt ihnen selbst überlassen. Die EU kann zwar Empfehlungen darüber aussprechen, wie ihnen das gelingen kann. Die Empfehlungen sind für die Länder aber nicht verbindlich. Diese müssen also erst nationale Gesetze erlassen oder schon vorhandene Gesetze anpassen, um die Richtlinie umzusetzen. Der Vorteil einer solchen Richtlinie liegt darin, dass nationale Unterschiede bezüglich der Gesetzgebung besser berücksichtigt werden können.
Ein Beispiel ist die Richtlinie zum eingeschränkten Verbrauch von dünnen Plastiktüten von 2015. Diese Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten den Verbrauch dieser Tüten bis 2019 auf 90 Stück pro Einwohner/in und Jahr senken müssen. Bis Dezember 2025 dürfen es dann nur noch 40 Tüten pro Einwohner/in und Jahr sein. Ob dünne Plastiktüten für die Verbraucher/innen teurer gemacht oder gleich ganz verboten werden, können die nationalen Regierungen selbst entscheiden. Hier kann jedes Land eigene Regelungen finden.
Wie entsteht ein Gesetz in der EU?
In der Regel beginnt das Gesetzgebungsverfahren damit, dass die Europäische Kommission einen Vorschlag für ein Gesetz vorlegt. Sie hat das Initiativrecht, das heißt, nur die Kommission darf einen solchen Gesetzesentwurf vorschlagen.
In der ersten Lesung wird der Vorschlag dann im Europäischen Parlament besprochen. Die Abgeordneten des Parlaments können Änderungen vorschlagen, wenn sie mit dem Text noch nicht zufrieden sind. Dann stimmen die Abgeordneten darüber ab, ob sie das Gesetz annehmen wollen. Zusätzlich zum Parlament muss auch der Rat der Europäischen Union
Können sich Parlament und Rat nicht einigen, wird ein Vermittlungsausschuss gebildet, in dem Mitglieder beider Organe sitzen. Der Ausschuss berät dann über einen neuen Entwurf. Können sie sich auf einen Entwurf einigen, wird dieser in einer dritten Lesung im Parlament diskutiert. Weitere Änderungen dürfen dann nicht mehr vorgenommen werden. Wenn sich Rat und Parlament nicht einigen können oder sogar beide den Vorschlag ablehnen, wird das Gesetz auch nicht verabschiedet.
Unter folgendem Link wird derExterner Link: Prozess der Gesetzgebung detailliert erläutert. Neben dem hier beschriebenen Gesetzgebungsprozess, kommt es allerdings häufig zu einem informellen „Trilog-Verfahren“. In diesem Fall verhandeln Vertreter von Parlament, Rat und Kommission noch vor der ersten Lesung des Gesetzes hinter verschlossenen Türen. Das kann einerseits den oft langwierigen Prozess beschleunigen, wirft aber anderseits auch Fragen zur Transparenz und demokratischen Legitimation auf. Im Modul M 01.05 werden diese Probleme noch einmal ausführlicher thematisiert.
Kommt gar nicht in die Tüte! - Fallbeispiel Plastiktüte
Mittlerweile ist es kein Geheimnis mehr, dass unser Plastikmüll die Weltmeere verschmutzt. Es gibt jedoch kein einfaches Erfolgsrezept, mit dem man dieses Problem lösen könnte – schon gar nicht, wenn sich nur einzelne Akteure und Akteurinnen damit auseinandersetzen.
Umweltschutz ist für die EU ein zentrales Thema. Und obwohl der meiste Plastikmüll, der heute in den Meeren schwimmt, gar nicht aus Europa stammt, setzt sich die EU dafür ein, dass der europäische Anteil daran noch geringer wird.
Von der Initiative zur Richtlinie.
Wenngleich die Richtlinie zum eingeschränkten Verbrauch von dünnen Plastiktüten im Jahr 2015 in Kraft getreten ist, so ist ihr Entwurf schon viel älter. Janez Potočnik, der frühere EU-Kommissar für Umwelt, hat sich schon 2011 für ein solches Gesetz ausgesprochen, um die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll einzudämmen. Auch EU-weite Verbote von Plastiktüten hatte Potočnik damals nicht ausgeschlossen.
Daraufhin wurden in der ganzen EU Befragungen durchgeführt, um herauszufinden, wie hoch der Verbrauch von Plastiktüten in den Mitgliedsstaaten tatsächlich ist. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigten, dass der Verbrauch in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ausfällt: Während in manchen Ländern weniger als 20 Tüten pro Einwohner/in und Jahr verbraucht wurden, waren es in anderen mehr als 400.
Im November 2013 legte die Europäische Kommission dann einen Vorschlag für eine Richtlinie vor. Der Vorschlag gab das Ziel an, den Verbrauch von ausgewählten Plastiktüten zu senken.
Sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat der Europäischen Union haben im Anschluss einige Änderungen am Entwurf vorgenommen. So hat zum Beispiel das Parlament aus hygienischen Gründen eine Ausnahme für Tüten hinzugefügt, die dazu benutzt werden, frische Lebensmittel wie rohes Fleisch oder Milchprodukte zu verpacken. Darum kam es zu einer zweiten Lesung im Parlament, bevor das Gesetz mit vielen Änderungen angenommen wurde. Nur wenige der Abgeordneten haben dagegen gestimmt. Der Gesetzgebungsprozess wurde im April 2015 beendet; offiziell hat der Prozess von der Veröffentlichung des Entwurfs bis zur letzten Abstimmung also rund anderthalb Jahre gedauert. Rechnet man die Arbeit im Vorfeld hinzu, sogar noch deutlich länger.
Wer ist daran beteiligt?
Die Änderungen, die Parlament und Rat am ursprünglichen Entwurf vorgenommen haben, kann man im Externer Link: Online-Archiv des Parlaments nachlesen. Trotzdem befürchten Kritiker/innen, dass noch jemand anderes den genauen Wortlaut des Textes beeinflusst hat: Und zwar Vertreter/innen der Plastikindustrie in Europa. Da Politiker/innen häufig von Lobbyisten und Lobbyistinnen (z.B. aus dem Bereich der Wirtschaft oder Verbraucher- und Umweltorganisation etc.) beraten werden, ist das nicht unwahrscheinlich. Oftmals werben Wirtschaftsvertreter/innen beraten werden, ist das nicht unwahrscheinlich. Oftmals werben die Lobbyagenturen gar mit ihren Erfolgen. Aber es lässt sich nur selten genau nachvollziehen, wer wann und auf welche Weise Einfluss genommen hat. Im Modul M 01.05 findet ihr noch einmal eine ausführliche Diskussion zum Thema Lobbyismus in der EU.
In Fall des Plastiktüten-Verbots richtete sich der Vorwurf von Kritikerinnen und Kritiker gegen die maximale Dicke der Tüten, die von der Richtlinie betroffen sind. Im Text der Richtlinie heißt es, dass dickere Tüten deshalb nicht betroffen sind, weil sie häufiger wiederverwendet werden als dünne Tüten. Doch ein großer Teil der dickeren Tüten wird innerhalb der EU produziert. Darum lässt sich der Vorwurf, dass eher wirtschaftliche als umweltpolitische Argumente ausschlaggebend waren, nicht einfach beiseiteschieben.
Autorin: Selina Kalms, ergänzt 2024 durch Franziskus von Lucke
Aufgaben:
Lies den Text sorgfältig durch und markiere - am besten farbig - sowohl wichtige wie auch unbekannte Begriffe. Kläre zunächst die dir unbekannten Begriffe (z.B. mithilfe der Lehrperson oder einem
Interner Link: Glossar o.ä.), bevor du die nächsten Aufgaben machst.Erkläre in eigenen Worten stichpunktartig, worin sich Verordnungen und Richtlinien unterscheiden.
Skizziere den geschilderten Ablauf, wie aus einem Entwurf ein Gesetz wird, in Form eines Fließdiagrammes.
Im Fall der Plastiktüten-Richtlinie befürchten Kritiker/innen eine Einflussnahme von außen auf den letztlichen Wortlaut der Richtlinie. Notiere in eigenen Worten Antworten zu den folgenden Fragen und begründe deine Antworten:
Wer könnte hinter der Einflussnahme stecken und wie genau wäre die Richtlinie beeinflusst worden?
Was würde das für die Richtlinie bedeuten?
Welche Konsequenzen hätte dies für die EU, die Umwelt etc.?
Diskutiert in der Klasse, inwiefern der Einfluss von Lobbyisten bei der Gesetzgebung gut oder schlecht ist. (Vorteile – Nachteile)
Linksammlung:
Online-Archiv des Europäischen Parlaments [Seite auf Englisch]: Externer Link: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/home/home.do
Lexikoneintrag zur Supranationalität in einfacher Sprache: Externer Link: https://www.hanisauland.de/lexikon/s/supranationalitaet/
Seite des Europäischen Parlaments mit Externer Link: Informationen zum Gesetzgebungsverfahren
bpb-Lexikoneintrag zur
Interner Link: Verordnung bpb-Lexikoneintrag zur
Interner Link: Richtlinie Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten: Externer Link: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32016R0679
Richtlinie (EU) 2015/720 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG betreffend die Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftragetaschen: Externer Link: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32015L0720
Statement der Industrievereinigung Kunststoff e.V. (IK) zum Vorschlag des ehemaligen EU-Umwelt-Kommissars Potočnik: Externer Link: https://www.kunststoffverpackungen.de/ik_statement_zu_einem_moeglichen_europaeischen_verbot__von_kunststofftragetaschen__4847.html
Seite des Europäischen Parlaments zum Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens bezüglich der Richtlinie (EU) 2015/720 [Seite auf Englisch]: Externer Link: https://oeil.secure.europarl.europa.eu/oeil/popups/ficheprocedure.do?reference=2013/0371(COD)&l=en#keyEvents
Zeit Online-Artikel über Plastikmüll in den Meeren: Externer Link: https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2018-07/plastik-meer-tiefsee-nordpazifik-muellstrudel-oekosystem
Tagesspiegel-Artikel über den Einfluss von Lobbyisten auf die Richtlinie (EU) 2015/720: Externer Link: https://www.tagesspiegel.de/themen/agenda/lobby-hoehlt-eu-plastiktuetenverbot-aus-sauber-eingetuetet/10832820.html
Lobbyagentur Alber&Geiger über die Einflussnahme auf die Richtlinie (EU) 2015/720 im Auftrag von Papier-Mettler [Seite auf Englisch]: Externer Link: https://albergeiger.com/wins/plastic-bag-ban/
- Externer Link: Ordentliches Gesetzgebungsverfahren der EU
Animationsfilm der EU: So funktioniert das: Externer Link: Trilog
B.A Kulturwissenschaft (Universität Koblenz-Landau)
Studiert im M.A Soziologie (WWU Münster)
Institut für Soziologie der WWU
Team Forschen mit GrafStat
Dr. Franziskus von Lucke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen.
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