Vertrauen und Verantwortung
Ursprünglich stammt das vom Bioethiker und Wissenschaftstheoretiker David Winickoff entwickelte Modell der Daten-Treuhandschaft aus der Medizin, denn es bietet eine Antwort auf die Frage: Wie können sensible medizinische Daten wissenschaftlich genutzt und zugleich der Datenschutz für die Patientinnen und Patienten gewahrt werden? Das Modell sieht vor, die Verantwortung über die Daten einem Treuhänder, also einer vertrauenswürdigen Einzelperson oder einer Organisation zu überlassen, die zwischen den Datenverwertenden (den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern) und den Datengebenden (den Nutzenden) vermittelt. Vertrauenswürdigkeit erlangt eine Person oder Organisation insbesondere durch rechtliche und finanzielle Unabhängigkeit; nur wenn sie selbst nicht von der Datennutzung profitieren, können sie ihre Entscheidungen ganz am Wohl der Treugeber (der Datenspenderinnen und -spender) ausrichten. Dabei haben die Datengebenden stets die Option, sich als Beraterinnen und Berater an den Entscheidungen des Treuhänders zu beteiligen. Darüber hinaus soll zusätzlich eine
Treuhandschaft in der Datenökonomie
Winickoffs Modell kann von der medizinischen Forschungspraxis auf die Datenökonomie übertragen werden. Im Kern beruht es auf der Vorstellung einer dritten, unabhängigen Instanz, die zwischen Datengebende und Digital-Unternehmen tritt, um die Interessen der einen gegenüber den anderen zu vertreten. Hauptakteur ist hier also nicht die oder der Einzelne, die Gemeinschaft oder der Staat, sondern die Treuhand, die sicher stellen soll, dass die Interessen der Beteiligten ebenso wie das gesellschaftliche Gemeinwohl in der Datenökonomie würdig vertreten werden. Durch die Bündelung dieser Einzelinteressen könnte sich die Verhandlungsposition der Nutzenden deutlich verbessern, ohne die einzelne Nutzerin oder den einzelnen Nutzer durch ein selbst zu verwirklichendes Verfügungsrecht zu überfordern. So werden die Nutzenden entlastet, ohne entmündigt zu werden, da sie sich einerseits im Rahmen eines Gremiums beratend an den Entscheidungen des Treuhänders beteiligen können, wenn sie dies wünschen, und andererseits über die Option verfügten, dem Treuhänder die Vollmacht über die eigenen Daten zu entziehen.
Das Modell in der Praxis
Das Treuhandmodell sieht zunächst keine Änderung jener Strukturen vor, durch welche Daten momentan gewonnen und verarbeitet werden; das heißt, dass die Gewinnung, die Veredelung und der Verkauf von Daten weiterhin privatwirtschaftlich erfolgen würde. Lediglich das Kontrollrecht käme nun einem Treuhänder zu, welcher sowohl die Nutzungszwecke als auch den gesetzeskonformen Umgang überprüft. Dabei wären die Datengebenden keineswegs dazu gezwungen, dem Treuhänder die gesamte Entscheidungsgewalt über die eigenen Daten abzutreten; denn auch in diesem Modell ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Datengebenden selbst entscheiden könnten, an welche Unternehmen und zu welchen Zwecken die Weitergabe ihrer persönlichen Daten erfolgt.
Die Einführung einer unabhängigen, treuhänderischen Instanz könnte die Rechte Einzelner und den Datenschutz im Allgemeinen stärken, ohne große Kosten zu verursachen, da die Strukturen unserer momentanen Datenökonomie kaum verändert werden müssten. Auch ein Daten-Eigentumsrecht wäre für die Treuhandschaft nicht erforderlich. Es müsste lediglich eine Option zur Übertragung von Verfügungsinteressen der Datenerzeugerinnen und -erzeugern an Treuhänder rechtlich abgesichert werden.
Wo liegen die Schwächen des Modells?
Da es sich bei den großen Digital-Unternehmen meist um international agierende Konzerne handelt, ist allerdings fraglich, welcher Staat den Treuhänder bewilligen könnte. Das Problem der Trans-Nationalität des Internets betrifft auch die Möglichkeiten zur Teilhabe von Nutzenden verschiedener Nationalitäten an der Treuhandschaft. In praktischer Hinsicht wäre außerdem zu klären, ob ein zentrales Treuhandverhältnis eingerichtet werden sollte oder ob es unterschiedliche Treuhänder geben sollte, entweder nach thematischen Bereichen (Gesundheit, Verkehr, Energie usw.) oder Regionen gegliedert. Während ein zentraler Treuhänder die beste Verhandlungsposition gegenüber Digital-Unternehmen erreichen könnte, lägen die Vorteile mehrerer Treuhänder in einem Wettbewerb derselben untereinander sowie in der Wahlmöglichkeit der Datengebenden (ungefähr zu vergleichen mit der freien Wahl der gesetzlichen Krankenkasse).
Darüber hinaus bietet das Modell bisher noch keine überzeugende Option zur Kontrolle der Treuhänder, ihrer finanziellen Unabhängigkeit und ihrer Gemeinwohl-Orientierung.
Arbeitsaufträge
Einzelarbeit
Lies den Text aufmerksam durch und trage die Antworten zu folgenden Fragen in deine Auswertungsmatrix ein:
Was ist die Grundidee des vorgestellten Modells?
Wer soll laut Modell künftig über die Daten verfügen?
Wer soll die Daten und den Datenhandel laut Modell künftig regulieren?
Wo zeigen sich Schwierigkeiten und welche Kritik wird am Modell geäußert?
Gruppenarbeit
Vergleicht eure Ergebnisse innerhalb der Gruppe und ergänzt diese.
Expertengruppen
Bildet für das Gruppenpuzzle jeweils neue Gruppen mit je einem Mitglied aus jeder Arbeitsgruppe und stellt euch gegenseitig jeweils das Modell eurer ursprünglichen Gruppe vor. Ergänzt die Ergebnisse zu den anderen Modellen in eurer Auswertungsmatrix.
Quellen
Duden Wirtschaft von A bis Z: Grundlagenwissen für Schule und Studium, Beruf und Alltag. 6. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut 2016:
Interner Link: Treuhänder Schneider, Ingrid (07.06.2019): Regulierungsansätze in der Datenökonomie.
Interner Link: APUZ 24-26/2019 .Schneider, Ingrid (2019): Governance der Datenökonomie. Politökonomische Verfügungs-Modelle zwischen Markt, Staat, Gemeinschaft und Treuhand. In: Ochs, Carsten (u.a.) (Hrsg.): Die Zukunft der Datenökonomie. Zwischen Geschäftsmodell, Kollektivgut und Verbraucherschutz. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Das Material steht als formatiertes Arbeitsblatt im Interner Link: PDF-Format zur Verfügung.