Gemeinsam kümmern und profitieren
Seit dem Mittelalter versteht man unter Allmende eine landwirtschaftlich nutzbare Fläche, die beispielsweise zu einer Dorfgemeinschaft gehört, welche diese Fläche gemeinsam bewirtschaftet und pflegt. Heute wird der Allmende-Begriff in der Ökonomie jedoch auch auf andere Güter übertragen, die allen zugänglich sein sollten und nicht verwehrt werden dürfen – nur in ihrer Menge begrenzt oder mit Gebühren belegt, wie etwa Autobahnen, Trinkwasser, Fischbestände oder – wie in diesem Fall – digitale Güter. Denn gelegentlich werden auch Open-Data-Projekte wie die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia oder das Betriebssystem Linux als Allmenden bezeichnet, da diese und ähnliche Projekte durch gemeinschaftliche Organisationen verwirklicht werden. Anders als privatwirtschaftliche Projekte müssen sie keinen finanziellen Gewinn erwirtschaften, und als nicht-staatliche Organisationen müssen sie auch nicht durch staatliche Institutionen verwaltet oder überwacht werden.
Jenseits von Markt und Staat
Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom erforschte, wie Gemeinschaften Allmenden verwalten, und kam zu dem Schluss, dass eine zentrale Verwaltung von knappen, also endlichen Gemeingütern durchaus nicht immer besser ist als eine lokale.
Zwar können Daten im Gegensatz etwa zu Fischbeständen oder Trinkwasser nicht „ausgehen“, also nicht aufgebraucht werden – trotzdem könnte es lohnend sein, das Allmende-Modell auf die Datenökonomie zu übertragen, weil dieses einen eigenverantwortlichen Weg zwischen Markt (Privatwirtschaft) und Staat (
Allmende in der Datenwelt
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie der Jurist Yochai Benkler haben dieses Potenzial längst erkannt und machen sich Ostroms Allmende-Modell zunutze, um Zukunftspläne für die Datenökonomie zu schmieden. So spricht sich Benkler für eine Dezentralisierung der
Das Modell in der Praxis
Das Hauptmerkmal dieser Ansätze besteht also darin, dass die zentrale Akteurin stets die Gemeinschaft ist: Aufgrund der dezentralen Organisation könnte sich – zumindest theoretisch – jede und jeder an der Daten-Verwaltung und -Bewirtschaftung ebenso wie an der kreativen Ausgestaltung der Nutzungsregeln beteiligen. Selbstorganisation hat somit auch den Vorteil großer Transparenz für die jeweiligen Teilnehmenenden. Und weil die Daten ebenso wie die durch sie erwirtschafteten Erträge zumindest anteilsmäßig an die jeweilige Gemeinschaft gekoppelt blieben, die sie erzeugt hat, könnten deren Mitglieder kollektiv den großen Digital-Unternehmen gegenübertreten, um so eine deutlich verbesserte Verhandlungsposition einzunehmen.
Der Staat müsste hierfür nichts anderes tun, als die rechtlichen Rahmenbedingungen (etwa ein Recht auf Teilhabe) und die nötige Infrastruktur für die Selbstorganisation schaffen.
Wo liegen die Schwächen des Modells
Es ist zwar lobenswert, dass Ostrom, Benkler und andere die Menschen in ihrer Möglichkeit zur freien, selbstbestimmten und gemeinschaftlichen Organisation bestärken wollten und wollen – allerdings gibt es da ein organisatorisches Problem: Digitale Gemeinschaften halten sich nämlich nicht an Ländergrenzen, sondern überwinden diese manchmal mühelos. Aus diesem Grund können sie nicht sinnvoll nach Staatsangehörigkeiten gegliedert werden. Welcher Staat könnte die Rahmenbedingung für eine internationale Gemeinschaft schaffen und sie auf diese Weise autorisieren und schützen? Wie könnten gemeinschaftliche Datenflüsse zwischen Staaten geregelt werden, ohne diese Flüsse zu unterbrechen?
Des Weiteren scheint die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft im digitalen Raum viel schwieriger auszumachen zu sein als etwa bei den Hummerfischern von Maine: Wer hätte Anspruch auf die Mitgliedschaft in einer solchen Gemeinschaft, wer nicht? Da sie nicht länger lokal abgegrenzt werden könnten, muss davon ausgegangen werden, dass digitale Gemeinschaften eine Größe erreichen würden, welche die Repräsentation ihrer Mitglieder durch Vertreterinnen und Vertreter notwendig macht. Wie könnte eine solche Repräsentation demokratisch ausgestaltet werden? Auch bezüglich des Allmende-Modells verbleiben viele Fragen noch ungeklärt.
Arbeitsaufträge
Einzelarbeit
Lies den Text aufmerksam durch und trage die Antworten zu folgenden Fragen in deine Auswertungsmatrix ein:
Was ist die Grundidee des vorgestellten Modells?
Wer soll laut Modell künftig über die Daten verfügen?
Wer soll die Daten und den Datenhandel laut Modell künftig regulieren?
Wo zeigen sich Schwierigkeiten und welche Kritik wird am Modell geäußert?
Gruppenarbeit
Vergleicht eure Ergebnisse innerhalb der Gruppe und ergänzt diese.
Expertengruppen
Bildet für das Gruppenpuzzle jeweils neue Gruppen mit je einem Mitglied aus jeder Arbeitsgruppe und stellt euch gegenseitig jeweils das Modell eurer ursprünglichen Gruppe vor. Ergänzt die Ergebnisse zu den anderen Modellen in eurer Auswertungsmatrix.
Quellen
Benkler, Yochai (23.12.2015): Wir brauchen wieder Gemeinschaften, die alternative Plattformen bauen. Im Interview mit John Hendrik Weitzmann. Externer Link: iRights e.V.
Habermann, Friederike (19.08.2015): Commonsbasierte Zukunft. Wie ein altes Konzept eine bessere Welt ermöglicht.
Interner Link: APUZ 35-37/2015 .Schneider, Ingrid (2019): Governance der Datenökonomie. Politökonomische Verfügungs-Modelle zwischen Markt, Staat, Gemeinschaft und Treuhand. In: Ochs, Carsten (u.a.) (Hrsg.): Die Zukunft der Datenökonomie. Zwischen Geschäftsmodell, Kollektivgut und Verbraucherschutz. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Stollorz, Volker (05.07.2011): Elinor Ostrom und die Wiederentdeckung der Allmende.
Interner Link: APUZ 28-30/211 .
Das Material steht als formatiertes Arbeitsblatt im Interner Link: PDF-Format zur Verfügung.