Internet ≠ kostenlos!
Der US-amerikanische Internetkritiker und Virtual-Reality-Pionier Jaron Lanier diagnostizierte eine seltsame Widersprüchlichkeit, was unsere Wünsche und Ansprüche bezüglich des Internets angeht: Denn einerseits erwarten wir Nutzenden, dass im Internet alles frei zugänglich und kostenlos ist – andererseits möchten wir nicht, dass der Staat alle Fäden in der Hand hält, und manche bewundern aus diesem Grund herausragende Unternehmer wie Steve Jobs oder Bill Gates, die in den Anfangsjahren des Internets sehr frei agierten. Diese seltsame, unglückliche Mischung aus unvereinbaren Idealen war es, die laut Lanier zu einer Lüge geführt hat, die vorgab, beides unter einen Hut zu bekommen: Gemeint ist das Werbe-Modell der heutigen Datenökonomie, das kostenlose Serviceangebote vortäusche, wo in Wirklichkeit Handel stattfinde.
Autonomie durch Daten-Verkauf?
Anstatt dieses System ganz auszuhebeln, möchte Lanier es lieber offenlegen: Zukünftig soll jeder für eine schöpferische Leistung (etwa ein beliebter Post in einem Sozialen Medium) ebenso bezahlt werden wie für die einfache Generierung von Nutzer-Daten (beim Surfen). Auf diese Weise soll einerseits die Datenerzeugung durch Nutzende als das anerkannt und vergütet werden, was sie ist: die Wertquelle der Datenökonomie. Andererseits erhalten die Nutzenden in Laniers Modell eine gewisse Autonomie über ihre Daten, weil sie selbst entscheiden können, an wen sie diese verkaufen – und an wen nicht. Das Modell sieht also die Einrichtung einer rechtlichen Basis für den Handel zwischen Datenerzeugenden und Datenkäufern vor, der künftig unter staatlicher Aufsicht und Kontrolle geregelt durchgeführt werden soll.
Mehr Selbstbestimmung durch offene Kommerzialisierung
Grob ausgedrückt besteht Laniers Lösung für das von ihm diagnostizierte Problem darin, den Widerspruch zugunsten eines der beiden vorhandenen Ideale aufzulösen. Das Internet als öffentlich-rechtliche und somit staatlich regulierte Institution lehnt Lanier jedoch ab, da die Gefahr der Ausnutzung von und der Diskriminierung mittels Nutzerdaten durch undemokratische Staaten zu groß sei. Stattdessen hat sich der Internetkritiker also für die vollständige Kommerzialisierung des Internets entschieden, in der niemand als passive Nutzerin oder als passiver Nutzer auftritt, sondern jede und jeder zugleich selbstbestimmte Produzentin und Konsumentin oder selbstbestimmter Produzent und Konsument ist. Durch diese neuen Möglichkeiten der Selbstbestimmung sollen zudem Macht-Ungleichverteilungen zwischen den Nutzenden und den Online-Dienst-Anbietern beziehungsweise Datenbrokern verringert werden.
Das Modell in der Praxis
Nach Lanier könnte der Transfer von Geld und Daten über ein umfassendes Mikrozahlungssystem erfolgen. Zu diesem Zweck müssten alle Daten mit ihrer jeweiligen Erzeugerin oder ihrem jeweiligen Erzeuger verknüpfbar sein. Sobald die Daten erworben würden oder ein Beitrag an Beliebtheit gewänne, würde ihr oder ihm ein geringer Betrag auf das digitale Konto überwiesen. Dabei sollen die Preise von den Nutzenden selbst festgelegt werden können; der Datenmarkt würde infolgedessen weitgehend von Angebot und Nachfrage reguliert. Damit die Nutzenden ihre Daten geregelt verkaufen können, muss ihnen jedoch zunächst ein Hoheitsrecht über diese zugeschrieben werden. Das heißt, dass Daten zuallererst als privates Gut beziehungsweise als Eigentum anerkannt werden müssten.
Wo liegen die Schwächen des Modells?
Da Lanier in der Ausformulierung seines Modells vage bleibt, ergeben sich einige Fragen bezüglich der praktischen Ausführung, etwa ob Nutzende bezüglich jedes einzelnen Datums mit Anbietern in Kontakt treten müssten – was einen kaum zu überschätzenden Arbeitsaufwand bedeuten würde – oder wie das allumfassende Mikrobezahlsystem vor staatlicher Überwachung geschützt werden könnte – wo doch der Staat die Kontrollinstanz des darüber abgewickelten Datenhandels übernehmen sollte. Aus finanzieller Sicht dürfte der zu erwartende Gewinn für die Nutzenden zudem recht gering ausfallen, da Daten ihren tatsächlichen Marktwert zumeist erst durch ihre nachfolgende Verkettung und Auswertung gewinnen; ein weiterer Grund, weshalb der enorme Aufwand für die Einzelne oder den Einzelnen nur schwer zu rechtfertigen ist. Trotz der vermutlich eher geringen Gewinnspanne bleibt außerdem zu befürchten, dass sich finanzschwache Nutzende dazu gezwungen sehen, all ihre Daten zu veräußern, um ihre finanziellen Mittel aufzubessern. Dabei sollte Datenschutz auf keinen Fall zum Luxusgut werden, dass sich nur leisten kann, wer finanziell gut abgesichert ist. In diesem Zusammenhang sehen Datenschützerinnen und Datenschützer ein weiteres Problem, und zwar die Tatsache, dass Eigentum grundsätzlich vollständig veräußert werden kann; hier besteht womöglich ein Widerspruch zwischen dem Modell und der Datenschutz-Grundverordnung, die persönliche Daten grundrechtlich schützen soll.
Zu guter Letzt ist fraglich, inwiefern sich das ungleiche Machtverhältnis zwischen Datenproduzentinnen und -produzenten und Datenverwertern tatsächlich verschieben würde. Denn auch wenn Nutzende selbst über den Verkauf ihrer Daten entscheiden können, scheint die Verhandlungsposition der oder des Einzelnen deutlich schwächer zu sein als beispielsweise die eines internationalen Plattform-Betreibers.
Arbeitsaufträge
Einzelarbeit
Lies den Text aufmerksam durch und trage die Antworten zu folgenden Fragen in deine Auswertungsmatrix ein:
Was ist die Grundidee des vorgestellten Modells?
Wer soll laut Modell künftig über die Daten verfügen?
Wer soll die Daten und den Datenhandel laut Modell künftig regulieren?
Wo zeigen sich Schwierigkeiten und welche Kritik wird am Modell geäußert?
Gruppenarbeit
Vergleicht eure Ergebnisse innerhalb der Gruppe und ergänzt diese.
Expertengruppen
Bildet für das Gruppenpuzzle jeweils neue Gruppen mit je einem Mitglied aus jeder Arbeitsgruppe und stellt euch gegenseitig jeweils das Modell eurer ursprünglichen Gruppe vor. Ergänzt die Ergebnisse zu den anderen Modellen in eurer Auswertungsmatrix.
Quellen
Laaff, Meike (05.01.2019): Schluss mit der Umsonst-Kultur im Netz! Externer Link: Deutschlandfunk Kultur.
Lanier, Jaron (05.01.2019): Im Interview mit Meike Laaff. Externer Link: Deutschlandfunk Kultur.
Mühlhäuser, Max (2019): Open Metadata: Nutzerzentrierte wettbewerbliche Datenverwertung mit offenen Rahmendaten. In: Ochs, Carsten (u.a.) (Hrsg.): Die Zukunft der Datenökonomie. Zwischen Geschäftsmodell, Kollektivgut und Verbraucherschutz. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Schneider, Ingrid (07.06.2019): Regulierungsansätze in der Datenökonomie.
Interner Link: APUZ 24-26/2019 .Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (26.11.2018): „Meine Daten gehören dir“. Der Externer Link: vzbv zur Gefahr eines Dateneigentums.
Das Material steht als formatiertes Interner Link: PDF-Format zur Verfügung.