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Medienkompetenz und Digital Literacy | Politische Bildung in einer digitalen Welt | bpb.de

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Medienkompetenz und Digital Literacy

Kristin Narr Christian Friedrich Christian Friedrich Kristin Narr

/ 13 Minuten zu lesen

Was ist Digital Literacy und was unterscheidet sie vom Modell der Medienkompetenz? Kristin Narr und Christian Friedrich nähern sich beiden Konzepten mit einem interdisziplinären Ansatz, der Digital Literacy und Medienkompetenz im Rahmen von politischer Bildung betrachtet und in Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen setzt.

Unterschiedlichste Ansätze nähern sich Kompetenzen in einer mediatisierten Gesellschaft an. (Illustration: Johanna Benz und Tiziana Beck/graphicrecording.cool) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de

Was ist eigentlich Medienkompetenz?

Auch wenn viele verschiedene Definitionen und Modelle von Interner Link: Medienkompetenz existieren, drehen sich die meisten um ein Wissen über Medien und ihre Funktionsweisen sowie um ein kompetentes, selbstbestimmtes Handeln mit Medien. Auch dem kritischen Umgang mit Medien wird Beachtung geschenkt, unter anderem im weit verbreiteten Medienkompetenzmodell von Dieter Baacke. Nicht zuletzt bezieht dieser Bereich der Medienkritik gesellschaftliche Dimensionen in die Auseinandersetzung mit Medien ein, indem gesellschaftliche Entwicklungen (in Bezug auf Medien) und deren Auswirkungen für das Zusammenleben sowie Chancen und Herausforderungen einer mediatisierten (Lebens-)Welt abgewogen werden.

Durch die zunehmende Digitalisierung vieler Lebensbereiche unterliegt der Medienbegriff einem Wandel. Ein "Ausschalten" des medialen Einflusses ist nur noch schwer möglich. Medien sind allumfassend und präsent, auch wenn dies nicht immer sichtbar ist. Es geht schon lange nicht mehr nur um "Medien" im kommunikationswissenschaftlichen Sinn (z. B. Zeitung oder Fernsehen) oder um Geräte, da auch das Internet Einfluss nimmt und aus "Medien" digitale Medien werden, worunter z. B. auch soziale Medien (Plattformen im Internet) gefasst werden. Medien sind dabei nicht nur Kommunikationsmittel: Die Welt und Gesellschaft werden durch und mit Medien gestaltet.

Medienkompetenz und politische Bildung

Der Zusammenhang zwischen politischer Bildung und Medienkompetenz wird im Rückblick auf das 20. Jahrhundert deutlich. In ihrem Buch "It’s Complicated" beschreibt die Medienwissenschaftlerin danah boyd die gesellschaftlichen Anstrengungen, die "Media Literacy" der Bevölkerung zu stärken. Häufig seien diese Bemühungen auf vorherige Krisen in der öffentlichen Meinungsbildung zurückzuführen. So wurde beispielsweise in Großbritannien schon in den 1930er Jahren im Kontext kontinentaleuropäischer Propaganda und der damals aufkommenden Massenmedien über kritisch-analytisches Denken in der Schule, in Kultur und anderen Umgebungen gesprochen und erste Unterrichtsmaterialien wurden erstellt.

Auch in den 1960er Jahren bekam das Feld der Media Literacy einen weiteren Schub, damals im Kontext von zusehends größer und sichtbarer werdenden Werbekampagnen in den USA. Diese Überlegungen und Anstrengungen hatten zum Ziel, dass Menschen sich vor einer Einflussnahme und Indoktrination schützen könnten, sich kritisch mit den Inhalten und den Medien auseinandersetzen mögen und eigene Schlüsse ziehen würden. Eine Motivation also, die sich nicht sonderlich von heute wünschenswerten Kompetenzen im Kontext von Medienkompetenz und politischer Bildung unterscheidet.

Dass eine Verbindung von Medienkompetenz und politischer Bildung gezogen werden kann, begründet nicht nur ein Blick zurück, sondern auch die Auseinandersetzung mit einer der Zieldimensionen von Medienkompetenz: Die gesellschaftliche Teilhabe (eben auch) durch die souveräne Nutzung und Gestaltung von Medien.

Kristin Narr. (Christiane Gundlach) Lizenz: cc by/4.0/deed.de

Medienpädagogische Angebote können per se interdisziplinär und in Richtung politischer Bildung gedacht werden – können deswegen, weil dafür ein ganz bestimmtes Verständnis von Medienpädagogik vorausgesetzt wird. Inhalte und Formate der Angebote sind in diesem Verständnis verschränkt: Ist in einem Workshop das Produkt vorgegeben (z. B. Film, Hörspiel, Comic), bieten die verschiedenen Formate trotzdem unterschiedliche Möglichkeiten für die Beschäftigung mit vielfältigen, gesellschaftlich relevanten Themen, wie z. B. ein Trickfilm über Umweltschutz oder ein Podcast über anstehende Wahlen. Gleichzeitig setzt die Beschäftigung mit bestimmten gesellschaftsrelevanten Inhalten (vor allem "digitalen Themen" wie Interner Link: Datenschutz oder Interner Link: Algorithmen) nicht nur die Thematisierung von (digitalen) Medien voraus, sondern auch deren Nutzung. Einfacher gesagt: Wenn ich mich mit dem Thema Datenschutz beschäftige, ist es hilfreich, das Smartphone mit seinen Apps genauer zu betrachten und sich aktiv damit auseinanderzusetzen.

Medienpädagogische Angebote können in diesem Sinne einen Raum für politische Bildung öffnen. Es geht nicht nur um die Beschäftigung mit Medien, sondern darum, was Menschen mit Medien machen und wie sie Medien aktiv und für sich und ihre Bedürfnisse in den Gebrauch nehmen (können). Vier Kriterien für die Praxis können helfen, das beschriebene Verständnis zu stützen und mit Leben zu füllen: Offenheit, Partizipation, Gesellschaftsrelevanz und Lebensweltorientierung.

Offenheit

Das Prinzip "Offenheit" ist aus zwei Perspektiven zu verstehen: Zum einen tauschen sich (medien-)pädagogisch Aktive viel aus und zeigen, was sie machen, wie sie Dinge angehen und lösen. Dies trägt zur Interdisziplinarität der Medienpädagogik mit verschiedenen Einflüssen aus verwandten Disziplinen und Themen bei, u. a. der politischen Bildung. Wissen und Ressourcen werden verstetigt und weitergegeben, da Medienpädagog*innen in einem sehr dynamischen Feld arbeiten, in dem sich vieles (Zielgruppen, Themen, Inhalte, Formate, Methoden) schnell wandelt. Hinzu kommt, dass es mittlerweile gängig geworden ist, in Veröffentlichungen auch auf Offenheit zu setzen und durch den Einsatz offener Lizenzen deutlich zu machen, dass die Nutzung, Veränderung oder Anpassung der Materialien explizit möglich und gewünscht sind.

Zum anderen beschäftigen sich viele Kolleg*innen auch auf einer praktischen Umsetzungsebene mit Offenheit, etwa indem sie Zugänge für verschiedene Zielgruppen schaffen: z. B. zu Programmen (beispielsweise durch die Nutzung freier, kostenloser Software) oder auch in der praktischen Projektarbeit zu alternativen Tools (beispielsweise durch die Nutzung von Open Source).

Partizipation

Der Großteil der medienpädagogischen Angebote beinhaltet einen starken partizipativen Anteil und stellt Anliegen, Bedürfnisse und Themen ihrer Teilnehmer*innen in den Vordergrund bzw. macht sie mit medienpädagogischen Methoden sichtbar. Dies sind u. a. themen- oder/und ergebnisoffene Angebote oder solche, bei denen die Erstellung eines eigenen Produktes oder die Umsetzung einer eigenen Idee im Vordergrund steht. Mit diesen Angeboten sollen Menschen befähigt werden, selbst gestalterisch aktiv zu sein und Dinge einfach auszuprobieren. In der heutigen Informationsgesellschaft ist Wissen – mit der Betonung nicht auf Faktenwissen, sondern auf Wissen über Prozesse und Kompetenzen – eine kritische Ressource. Damit werden Grundsätze wie Demokratie und Selbstbestimmung zu Bildungsfragen, für die es Kompetenzen und Lernfähigkeit braucht.

Junge Menschen müssen deshalb dazu befähigt werden, digitale Geräte nicht nur zu nutzen, sondern die ihnen zugrundeliegende Kultur zu gestalten. Dafür braucht es vor allem Räume und Gelegenheiten zum Kennenlernen und Ausgestalten. Wenn Partizipation gelingen soll, ist auch der Zugang zur Zielgruppe entscheidend: Der Alltag und die Kommunikation junger Menschen sind heute digital und medial geprägt, weswegen eine lebensweltbezogene Partizipation junger Bürger*innen, sprich Jugendbeteiligung, auch digital sein sollte.

Gesellschaftsrelevanz

Die Medienpädagogik strebt einen kritischen Umgang mit Medien und Informationen zur souveränen Meinungsbildung und Teilhabe an der Gesellschaft an. Gleichzeitig bietet medienpädagogische Arbeit für alle Ziel- und Altersgruppen Anknüpfungspunkte und -möglichkeiten – wir alle nutzen Geräte und Anwendungen und sind tagtäglich mit gesellschaftlichen Themen rund um die Digitalisierung konfrontiert (z. B. Big Data-Analysen, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz). Bei der Konzeption von (medienpädagogischen) Angeboten stellt sich deshalb immer die Frage, wie man vor allem mit schwierigen gesellschaftlichen Themen umgeht und daraus passende und relevante Angebote für eine Zielgruppe schafft.

Dabei kann es beispielsweise um die Vermittlung von Wissen und Informationen gehen: Denn Menschen beziehen ihre Informationen aus den verschiedensten Medien, müssen also die Funktions- und Arbeitsweisen hinter diesen Medien verstehen, damit Aspekte wie Manipulation oder Quellenkritik verinnerlicht und zur Meinungsbildung herangezogen werden können.

Lebensweltorientierung

Medienpädagogische Angebote zeichnen sich oft durch Lebensweltnähe und einen zeitgemäßen Zugang aus, besonders unter Berücksichtigung der (Haupt-)Zielgruppe Kinder und Jugendliche. Die Angebote wollen an ihre Lebenswelt anknüpfen und sie sind darauf ausgelegt, einen Bezug zu ihnen deutlich zu machen und ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Dynamische Methoden ermöglichen beispielsweise den Zugang zu komplexen und schwierigen Themen. Dieser didaktische Ansatz ist mit dem fachdidaktischen Prinzip der Adressatenorientierung ebenfalls in der politischen Bildung zu finden: Angebote werden ausgehend von der Lebenssituation und den Voraussetzungen der Zielgruppe konzipiert und umgesetzt, sodass Reflexionen (auf einer übergeordneten gesellschaftspolitischen Ebene) angestoßen werden.

Diese Kriterien helfen nicht nur dabei, Fähigkeiten zur Gestaltung und Veränderung von Medien und Gesellschaft in den Fokus medienpädagogischer Angebote zu setzen; sie verdeutlichen außerdem, dass die Kompetenzen, die solche Angebote zum Gegenstand haben und die für eine Teilhabe an der Gesellschaft notwendig sind, derart komplex sind, dass sich die Frage stellt: Ist Medienkompetenz als Begriff hier noch passend? Oder greifen die medialen Entwicklungen und die anknüpfenden Kompetenzen weiter und braucht es einen neuen Begriff, um souveränes Handeln in und Teilhabe an der digital geprägten Gesellschaft zu beschreiben?

Einen solchen Ansatz präsentiert das Konzept der "Digital Literacy", das allerdings noch selten im deutschsprachigen Diskurs auftaucht. Dabei ist das Konzept – ganz besonders in Verbindung mit politischer Bildung – vielversprechend.

Was ist Digital Literacy?

Christian Friedrich (© Gesine Born)

Den verschiedenen Modellen und Konzepten zur Einordnung von Digital Literacy ist mit Medienkompetenzmodellen gemein, dass sie sich der Interaktion von Individuen in einer medialisierten Erlebenswelt widmen. Einen besonderen Blick legen sowohl Medienkompetenz als auch Digital Literacy darauf, wie Individuen sich die Bedingungen dieser Welt aneignen können. Dies geschieht in der Regel, indem Methoden, Kompetenzen, Skills oder auch Aktivitäten sortiert und geclustert werden. Diesen Methoden und Kompetenzen werden dann verschiedene Wirksamkeiten und Prägungen zugeschrieben. Die eine Definition von Digital Literacy ist kaum zu beschreiben. Zwei verschiedene Konzepte, die sich aus ihren jeweiligen Positionen heraus einer Begriffsklärung verschreiben, sollen hier umrissen werden.

4K-Modell

Im "Framework for 21st Century Learning” werden Kreativität, Kritisches Denken, Kollaboration und Kommunikation als die Kompetenzen beschrieben, die für die ungewissen beruflichen Anforderungen im 21. Jahrhundert bedeutsam seien. Das 4K-Modell baut darauf auf und hat es in den letzten Jahren durch seine handliche und gut zu beschreibende Kategorisierung von Kompetenzen und Fähigkeiten geschafft, internationale und nationale Bildungsdiskurse zu prägen. Als ein Modell, das sich Fragen zum Lernen in einer mediatisierten Welt verschreibt, kann es dem Feld der Digital-Literacy-Konzepte zugeordnet werden, auch wenn der Begriff "Digital Literacy" dabei selbst nicht im Vordergrund steht. Im Vergleich zu manch anderen Digital-Literacy-Konzepten wird hier mit einer überschaubaren Anzahl von Begriffen gearbeitet. Diese Stärke ist gleichzeitig auch seine Schwäche: Denn das Konzept ist durch Handlungsorientierung geprägt, bietet aber wenig Bezüge zu einem Verständnis politischer Bildung.

Mit Kommunikation, kritischem Denken, Kollaboration und Kreativität zu Digital Literacy. (Illustration: Johanna Benz und Tiziana Beck/graphicrecording.cool) Lizenz: cc by-nc-sa/4.0/deed.de

Die Kritik an einer zu starken Prägung des 4K-Modells durch Wirtschaftsinteressen wird unter deutschsprachigen Bildungsakteur*innen oder -institutionen, Stiftungen, Trainer*innen und Einrichtungen zur Fortbildung von Lehrkräften, aber auch Landesministerien bisher selten aufgegriffen. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man sich verdeutlicht, wie groß die Skepsis gegenüber dem zunehmenden Einfluss großer Internet-Konzerne im Kontext von Bildung und Digitalisierung sonst ist.

Die Interner Link: OECD (Organisation für Wirtschaft und Zusammenarbeit) ist eine der bekanntesten Fürsprecherinnen der 4Ks und scheint die Grundannahmen des Modells zu bestätigen, etwa dass die Art der Jobs der Zukunft nicht vorhergesagt werden kann. Dass diese Argumentation fragwürdig ist, legt Benjamin Doxtdator, ein kanadischstämmiger Lehrer und Autor in Belgien, eindrucksvoll dar und analysiert die Prägung des Modells durch ökonomische Interessen. Der Beitrag von Doxtdator beschreibt, wie die Argumentation, die Zukunft des Arbeitsmarkts sei unvorhersehbar, in einer scheinwissenschaftlichen Argumentation genutzt wird, um politische und gesellschaftliche Änderungen insbesondere im Bildungsbereich zu forcieren. In "A Field Guide to Jobs that don’t exist yet” beschreibt er Narrative des "future proofing” von Bildung, mit dem eine vermeintliche Zukunftssicherheit verbunden wird, sowie deren durchökonomisiertes Verständnis von Bildung.

Insbesondere der politischen Bildung, der es um die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben und nicht nur um die Teilnahme an Märkten geht, ist mit der oft unterkomplexen Reduktion des Lernens auf Kompetenzen und Handlung nicht viel geholfen. Das 4K-Modell eignet sich dennoch gerade wegen dieser Defizite als Türöffner und Gesprächseinstieg, um sich Fragen um Digital Literacy anzunähern.

8 Cs of Digital Literacy

Ein Modell, das die Vieldeutigkeit und Ambiguitäten rund um den Begriff Digital Literacy gut verständlich aufbereitet, liefert Doug Belshaw, Lehrer, ehemaliger Mitarbeiter der Mozilla Foundation und inzwischen Berater für organisationales Lernen, in seiner Dissertation von 2012. In diesem nicht mehr taufrischen, aber nach wie vor zeitgemäßen Modell leitet Belshaw acht Elemente von Digital Literacy her: "Cultural", "Creative", "Constructive", "Communicative", "Confident”, "Cognitive”, "Critical” und "Civic”.

Ähnlich wie chemische Elemente sind auch die Elemente als Perspektiven von Digital Literacy nach Belshaw selten in Reinform zu finden oder zu verorten: Ein Denkprozess, eine Handlung, eine bestimmte Art bzw. Vorgang der Kommunikation bedingt oder umfasst immer verschiedene Elemente von Digital Literacy. Damit wird deutlich, dass es unweigerlich Überschneidungen in den Elementen geben muss, sie nicht trennscharf voneinander abgrenzbar sind.

Acht Elemente von Digital Literacy. Erstellt von Christian Friedrich mit dem Externer Link: Remixer der Externer Link: Visual Thinkery, der unter CC-BY-SA 4.0 lizenziert ist. Lizenz: cc by-sa/4.0/deed.de

Die sprachliche Übertragung der Elemente ins Deutsche geht oft schief: Manche*r übersetzt das Element "Critical” mit "kritisch”. Damit greift die Übersetzung aber zu kurz. Lisa Rosa hat kritisches Denken als "das Hauptelement der Literacy des digitalen Zeitalters” ausgemacht, warnt aber auch ausdrücklich davor, in kritischem Denken vor allem "rumnörgeln” zu verstehen. Vielmehr sei kritisches Denken ein eigener Analysevorgang, der weit mehr umfasst als bloße Beschwerden.

Ein ähnliches Schicksal widerfährt häufig auch Belshaws Element "Civic”. Das liegt an den verschiedenen Deutungen: Gesellschaftlich, bürgerlich, staatsbürgerlich, zivilgesellschaftlich, städtisch - alles gängige Übersetzungen, die im Deutschen unter Umständen speziell konnotiert sein können. Festzuhalten ist, dass mit "Civic" wohl ein Wirken des Individuums in die Gesellschaft und in der Gesellschaft zu verstehen ist - wohlgemerkt ohne künstlich zwischen einer analogen Kohlenstoffwelt und einer digitalen Welt zu unterscheiden. Mit dem Element "Civic" offeriert Belshaw damit im Vergleich zu dem 4K-Modell ein weiteres, für politische Bildung entscheidendes Teilstück: was Menschen mit digitalen Tools, in digitalen Ökosystemen, auf Plattformen und anderswo im Netz tun, ist nicht nur das Produkt gesellschaftlicher Sozialisation, sondern es formt unmittelbar gesellschaftliches Zusammenleben.

Digital Literacy und politische Bildung

Politische Bildung im engeren Sinne hat das Ziel, "Jugendliche und Erwachsene mit den zur Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben notwendigen Voraussetzungen auszustatten”. Spätestens mit dem Brexit-Referendum und den US-Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020, aber auch schon 2008 mit der Wahl Barack Obamas ins Weiße Haus hat sich auch in Print, Radio und Fernsehen die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Netz und Plattformen wie Facebook oder Twitter eine erhebliche Auswirkung auf das "echte Leben” haben. Diskurse, Effekte, Meinungs- und Willensbildung finden heute auch online statt und haben einen realen Einfluss auf die Welt der Wahlen, Abstimmungen und Parlamente. Entsprechend muss eine Bildung, die das Ziel hat, Menschen auf die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben vorzubereiten, zwangsläufig entsprechende Konzepte vorsehen.

Dass politische Bildung und Digital Literacy einander bedingen, lässt sich auch abseits der oft zitierten politischer Großereignisse verfolgen: 99 Prozent der in der JIM-Studie 2019 befragten Jugendlichen gaben an, dass ihr Haushalt mit einem Smartphone ausgestattet sei. 98 Prozent verfügen über einen Computer oder Laptop. Dies haben nicht nur die Herausgeber*innen der JIM-Studie seit Jahren zuverlässig erkannt, sondern auch diejenigen, die mit populistischer und gruppenbezogener Menschenverachtung insbesondere um junge Schichten von Wähler*innen bemüht sind.

Die Autorin Karolin Schwarz beschreibt in ihrem Buch "Hasskrieger - Der neue globale Rechtsextremismus" ausführlich, wie sich beispielsweise rechte und rechtsextreme Gruppen im Netz versammeln, dort Nachwuchs rekrutieren, Diskurse beeinflussen und zuvor unsagbares als wieder sagbar etablieren. Welche Auswirkungen diese Diskursverschiebung nach rechts erst in einzelnen Regionen, Bevölkerungsgruppen oder ‘Orten’ im Internet, später aufgegriffen von Politiker*innen und Journalist*innen, auf Gesellschaft und Politik hat, schildert auch Matthias Quent in seinem Buch "Deutschland rechts außen” sehr anschaulich. Beide Autor*innen beschreiben das Internet als eine Art Ökosystem, in dem politisch extreme Positionen und ihre Formulierungen getestet, auf bestimmte Menschen und Zielgruppen angepasst, immer weiter wiederholt und multipliziert werden, um sich so früher oder später in den etablierten Formaten der Meinungs- und Willensbildung wiederzufinden.

Die Argumente für eine Verknüpfung von Digital Literacy und politischer Bildung sind aber nicht nur in negativ und dystopisch konnotierten Betrachtungen zu finden. Auch Interner Link: die emanzipatorische Leistung von Technologie und Internet ist an dieser Stelle hervorzuheben. So sind Hackathons wie Externer Link: Jugend Hackt – Claim: "Mit Code die Welt verbessern” –, die Externer Link: EU Code Week, aber auch das 2019 beendete Projekt Externer Link: Demokratielabore seit langer Zeit einem anderen Narrativ auf der Spur: durch besseres Verstehen von Technologie, durch Selbstermächtigung und Aneignung, durch Zusammenarbeit und gemeinsames Lernen lässt sich Gesellschaft besser verstehen und verändern bzw. hacken. Es werden Zusammenhänge zwischen Gesellschaft und Plattformen, zwischen Nachrichten und Propaganda im Netz und Meinungsbildung ersichtlich. Die Funktionsweisen des Internets und seiner zugrundeliegenden Technologien werden ebenso deutlich wie die kulturellen Techniken, die Menschen sich erarbeiten, um sich im Netz und mit Technologie für eine bessere Welt zu engagieren – von Fridays for Future über Hashtags und Bewegungen wie #Aufschrei und #metoo bis hin zu gesellschaftlichen Debatten um die Interner Link: EU-Urheberrechtsreform im Jahr 2019.

All diese Beispiele zeigen, dass es zumindest einer Erweiterung, wenn nicht Erneuerung bestehender Konzepte im Kontext von Digital Literacy bedarf. Die Vermittlung der Fähigkeit, sich in einer in ihren Machtverhältnissen vollkommen anders gestalteten Welt von Information, Nachrichten und ihrer Verbreitung und Teilhabe zu verhalten, ist eine Herausforderung für die politische Bildung. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass diese Herausforderung an sich zwar groß, aber nicht vollkommen neu ist. Denn schon immer war politische Bildung von sich ändernden Medien- und Nachrichtenwelten herausgefordert.

Was nun?

Der Text will keine eindeutige Antwort präsentieren, er möchte den Impuls geben, über Begriffe nachzudenken und zu einer Debatte über diese Begriffe anregen. Mit Blick auf Medienkompetenz: Greift der Begriff mittlerweile zu kurz und beschreibt er noch das, was wir meinen? In Bezug auf Digital Literacy: Ist das Konzept treffend? Oder gibt es andere, treffendere Begriffe?

Was sagen Sie? Die Autorin und der Autor freuen sich auf den Austausch mit Ihnen.

Weitere Inhalte

Kristin Narr ist Medienpädagogin. Ihre Arbeitsschwerpunkt liegen im Bereich der offenen, kreativen und partizipativen Lernsettings mit digitalen Medien und Open Educational Resources (OER). Sie ist Mitglied des Vorstands der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur e.V. (GMK) und Redaktionsmitglied im Medienpädagogik Praxisblog.
Externer Link: https://twitter.com/la_fool?lang=de

Als Berater und als Referent für Bildung und Wissenschaft bei Wikimedia Deutschland hat Christian Friedrich sich für offenes, kollaboratives und partizipatives Lernen im Netz eingesetzt, Lehrformate konzipiert und umgesetzt. Er moderiert den Podcast "Hamburg hOERt ein HOOU" und gemeinsam mit Markus Deimann den Podcast "Feierabendbier Open Education".