Überschuldung ist mehr als ein gesellschaftliches Randphänomen. Bei Personen, die als absolut überschuldet gelten, sind die Zahlungsrückstände so gravierend, dass als letzter Ausweg nur die Privatinsolvenz bleibt. Die Insolvenzordnung eröffnet Privatpersonen seit 1999 die Möglichkeit, nach einer sogenannten Wohlverhaltensphase von ihren Restschulden befreit zu werden. Die Insolvenzgerichte liefern Daten zur absoluten Überschuldung von Privatpersonen – nicht Haushalten –, die das Insolvenzverfahren in Anspruch nehmen. Darüber hinaus stellt die Überschuldungsstatistik Informationen zu den sozioökonomischen Strukturen überschuldeter Personen bereit und gibt einen Überblick über die Auslöser der finanziellen Notlage sowie über die Art und Zahl der Hauptgläubiger. Die Daten hierzu beruhen auf den Angaben der Schuldnerberatungsstellen. Ein Blick in den Schuldnerberatungsatlas (Externer Link: schuldnerberatungsatlas. destatis.de) zeigt, wo diese in Deutschland zu finden sind.
Privatpersonen, die als Verbraucherin oder Verbraucher in eine Notlage geraten sind, können in einem Verbraucherinsolvenzverfahren von ihren Schulden befreit werden. Diese Möglichkeit nutzten seit Einführung der neuen Insolvenzordnung im Jahr 1999 bis Ende 2022 rund 1,64 Millionen Privatpersonen. Durch das Scheitern einer selbstständigen Tätigkeit wurden in diesem Zeitraum weitere rund 700.500 Personen zahlungsunfähig. Sie gelten in diesem Fall ebenfalls als absolut überschuldet und haben die Möglichkeit, ihre Schulden gerichtlich regulieren zu lassen. Mit Ausnahme von 2008 stieg die Zahl der Privatinsolvenzen bis 2010 von Jahr zu Jahr an; ab 2011 sank sie jedes Jahr.
Im Jahr 2020 gab es knapp 41.800 Verbraucherinsolvenzen. Im darauffolgenden Jahr 2021 stieg die Zahl der Verbraucherinsolvenzen auf rund 79.600 Insolvenzverfahren. Dies war darauf zurückzuführen, das Ende 2020 ein Gesetz zur schrittweisen Verkürzung von Restschuldbefreiungsverfahren von sechs auf drei Jahre beschlossen wurde. Um von dieser Neuregelung zu profitieren, hielten sich viele Verbraucherinnen und Verbraucher zunächst zurück und stellten vermehrt Insolvenzanträge im Jahr 2021. Im Jahr 2022 wurden rund 66.400 Verbraucherinsolvenzverfahren gemeldet. Dabei muss der Auslöser für die Überschuldung nicht in der Gegenwart liegen, sondern kann viele Jahre zurückreichen.
Die gerichtlichen Akten informieren zwar vollständig über die Zahl der Privatinsolvenzen, nicht jedoch über die Gesamtzahl aller überschuldeten Personen. Sie enthalten auch keine Informationen zum Personenkreis und zu den Umständen, die zur Überschuldung geführt haben. Um Aussagen zu den sozioökonomischen Strukturen der überschuldeten Personen treffen zu können sowie die Ursachen und Hauptgläubiger statistisch zu belegen, werden seit dem Jahr 2006 zusätzlich Schuldnerberatungsstellen nach ihren Klientinnen und Klienten in Beratung befragt. Mit dieser freiwilligen Erhebung kann über die Insolvenzstatistik hinaus ein wesentlicher Beitrag zur Darstellung der Schuldensituation von Privatpersonen geleistet werden.
Schuldnerberatungsstellen haben die Aufgabe, den Menschen, die in wirtschaftliche oder existenzielle Not geraten sind oder zu geraten drohen, eine angemessene Hilfestellung zu leisten. Ziel ist es, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zu sanieren. Darüber hinaus gehört auch das Erörtern von Präventionsmaßnahmen zum Beratungsangebot. Durch ihre Tätigkeit verfügen die Beratungsstellen über einen großen Datenpool zur Überschuldungssituation, der sich auch für statistische Zwecke nutzen lässt. Für das Jahr 2022 übermittelten 665 der rund 1.380 Beratungsstellen, die hauptsächlich unter der Trägerschaft der Verbraucher- und Wohlfahrtsverbände sowie der Kommunen stehen, Daten von über 160.000 Personen. Allerdings müssen diese Personen nicht zwangsläufig überschuldet sein: Teilweise ist auch nur eine vorübergehende Zahlungsstörung eingetreten oder die Folgen einer Zahlungsunwilligkeit sollen ausgeräumt werden.
Menschen, die – verschuldet oder unverschuldet – in finanzielle Not geraten, verlieren häufig ihren sozialen Status. Nicht selten kommt es zur gesellschaftlichen Ausgrenzung, denn Arbeitslosigkeit und unerwartete gravierende Änderungen der Lebensumstände stellen für sich genommen schon eine schwere Belastung dar, auch ohne die damit verbundenen finanziellen Folgen. Auslöser der Misere waren bei über einem Viertel (30 %) der überschuldeten Personen, die im Jahr 2022 die Hilfe einer Beratungsstelle in Anspruch genommen hatten, kritische Lebensereignisse wie eine Scheidung, der Tod der Partnerin oder des Partners, eine Krankheit oder ein Unfall. Sieben Jahre zuvor, im Jahr 2015, war dies für 26 % der beratenen Personen Hauptauslöser der Überschuldung. Zahlungsschwierigkeiten wegen unwirtschaftlicher Haushaltsführung oder gescheiterter Selbstständigkeit waren bei knapp 24 % der beratenen Personen ausschlaggebend für die Inanspruchnahme der Hilfe einer Beratungsstelle. Im Jahr 2015 lag dieser Anteil bei knapp 18 %. Arbeitslosigkeit nannte im Jahr 2015 ein Fünftel der beratenen Personen (20 %) als Hauptgrund für ihre finanziellen Schwierigkeiten. Im Jahr 2022 lag dieser Hauptauslöser mit 19 % leicht darunter. Bei rund 10 % der beratenen Personen lag die Überschuldung 2022 hauptsächlich an einem längerfristigen Niedrigeinkommen (2015: 3 %).
Die Schulden aller Personen in Beratung beliefen sich 2022 durchschnittlich auf 30.940 Euro. Besonders hoch waren die Verbindlichkeiten bei Paaren ohne Kind mit 46.907 Euro, bei Paaren mit Kind(ern) betrugen sie 32.031 Euro. Bei diesen beiden Haushaltstypen beliefen sich die Schulden auf das 41- beziehungsweise 23-Fache des durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens. Bei Alleinerziehenden reichte durchschnittlich eine Schuldenhöhe von 24.596 Euro aus, um die finanzielle Lage ins Ungleichgewicht zu bringen: Hier machen die Schulden das 18-Fache des Monatseinkommens aus.