Unerwartet und mit großer Wucht hatte die Coronapandemie eingefahrene Alltagsabläufe durcheinandergebracht. Eine große Unsicherheit über eine weitere Verbreitung eines bis dahin unbekannten Virus und teils monatelange Lockdowns erschütterten auch die bestehenden Mobilitätsmuster und veränderten zumindest zeitweise das Verhältnis gegenüber den verschiedenen Verkehrsmitteln. Virtuelle Mobilität hatte die physische Mobilität teilweise ersetzt. Im Vor-Corona-Vergleichsjahr 2017 betrug der Anteil der Beschäftigten, die (oftmals lediglich wenige Tage) im Homeoffice arbeiteten, 13 %. Der Anteil derjenigen, die ganz oder teilweise im Homeoffice arbeiteten, erhöhte sich während der Pandemie auf 50 % und blieb im Jahr 2022 auch nach der Rücknahme aller arbeitsplatzbezogenen Restriktionen mit 37 % fast dreimal so hoch wie vor der Krise.
Alles anders nach der Coronapandemie?
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Sozialbericht: Kapitel 12.3.5
Die Pandemie hatte einen schon länger bestehenden Trend zur ortsflexiblen Arbeit verstärkt. Homeoffice und Videokonferenzen sind innerhalb weniger Jahre für viele Beschäftigte zur Routine geworden. Allerdings bestehen gleichzeitig erhebliche Unterschiede in Abhängigkeit vom Bildungsgrad und der beruflichen Tätigkeit. Beschäftigten mit höheren Bildungsabschlüssen gelang es oft schon früher, ihren Arbeitsplatz nach Hause oder an andere Standorte zu verlegen. Sie haben ihre Homeoffice-Zeiten während der Coronakrise deutlich ausgeweitet. Auch der Anteil der Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen, die örtlich- und zeitlich flexibel arbeiten, hatte sich erhöht. Gegen Ende der Coronapandemie im Jahr 2022 lag er mit 11 % jedoch deutlich unter dem Anteil der Beschäftigten, die mindestens die Hochschulreife aufwiesen. Von diesen waren 60 % im Homeoffice tätig. Diese Schere hat sich gegenüber der Vor-Corona-Zeit erheblich geöffnet.
Die abnehmende Bedeutung des stationären Arbeitsplatzes hat auch Auswirkungen auf den Verkehr, nicht zuletzt auf die Anzahl der Pendelwege und ihre Verteilung über die Woche und auch über den Tag. Die Effekte sind durchaus ambivalent: Einerseits nehmen angesichts der hohen Anteile von Homeoffice-Arbeit die langen Pendelstrecken ab, während gleichzeitig der Anteil kürzerer Wege in der lokalen Umgebung zunimmt. Diese kürzeren Wege werden wiederum zu einem höheren Anteil zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt. Die Menschen, die örtlich und zeitlich flexibel arbeiten, verringern ihre arbeitsbezogene Verkehrsleistung. Wenn die Gründe fehlen, das Büro aufzusuchen, und Treffen oder Konferenzen virtuell besucht werden können, wird weniger mit dem Auto oder Bus und Bahn gefahren, aber auch weniger geflogen.
Andererseits hat sich in der Pandemie zugleich die seit Längerem beobachtbare Tendenz zu Online-Bestellungen weiter verstärkt. Der Anteil der Menschen, die Online-Bestellungen vornehmen, ist laut der Panel-Befragung "Mobilität in Zeiten der Corona-Pandemie" (MOBICOR) von 6 % im Jahr 2017 auf 17 % im Jahr 2022 gestiegen. Auch wenn nach der Pandemie ein Rückgang zu verzeichnen war, lag der Wert immer noch weit über dem Vor-Corona-Niveau. Es sind vor allem Menschen mit einem hohen oder sehr hohen Einkommen, die zunehmend ihre Einkäufe oder sonstigen Besorgungen online absolvieren. Es ist also davon auszugehen, dass ein Teil der eingesparten Verkehrsleistung lediglich ausgelagert wird.
Ein weiterer Effekt der Externalisierung betrifft den stationären Einzelhandel. Es gibt starke Hinweise darauf, dass sich die Einzelhandelsumsätze in Gegenden stabilisieren oder zunehmen, wo die Geschäfte gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. Die seit Jahrzehnten als Gemeinplatz betrachtete Annahme, dass der Einzelhandel nur dann funktioniert, wenn die Geschäfte leicht mit dem Auto zu erreichen sind und entsprechende Parkplätze zur Verfügung stehen, hat sich in den Innenstadtlagen ins Gegenteil verkehrt: Wenn heute noch vor Ort eingekauft wird, dann muss die Aufenthaltsqualität stimmen. Eine Dominanz des fließenden und ruhenden Autoverkehrs ist da hinderlich.
Ob die in der Coronapandemie entstandene hohe Orts- und Zeitflexibilität in der Arbeitswelt von Dauer sein wird, bleibt eine offene Frage. Stellt sie die neue Normalität dar? Wenn das so ist, dürfte das erhebliche Auswirkungen auf das künftige Verkehrsgeschehen haben. Ebenfalls noch offen ist die Frage, ob und in welchem Umfang eingesparte Arbeitswege zu einem Anstieg von Freizeitwegen führen. Damit steigen grundsätzlich die Chancen, die klassischen Strukturen der physischen Mobilität zu reduzieren, viele Aktivitäten virtuell, über das Internet zu erledigen und damit physischen Verkehr zumindest teilweise zu reduzieren. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Planungsprämissen für den Ausbau insbesondere der Straßeninfrastruktur neu zu bestimmen sind. Denn für die Kosten-Nutzen-Relation beispielsweise in der Bundesverkehrswegeplanung werden sowohl ein Verkehrsmengenwachstum als auch feste Verkehrsspitzen zu Hauptverkehrszeiten unterstellt, was als Legitimation für Neubauprojekte und den weiteren Ausbau von Straßenverkehrskapazitäten dient.
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