Seit Mitte der 1990er-Jahre haben digitale Medien den Handlungsspielraum von Bürgerinnen und Bürgern deutlich erweitert. Das gilt im Bereich des gesellschaftlichen Engagements und der politischen Partizipation ebenso wie in vielen anderen Alltagskontexten. Zugleich sind diese neuen digitalen Möglichkeiten in einem ständigen Wandel begriffen, was die Erforschung politischer Partizipation und Kommunikation vor große Herausforderungen stellt. Unentwegt entstehen neue digitale Tools und Anwendungen, die in der öffentlichen Wahrnehmung oft als disruptive Innovationen gehandelt werden. Die erste Innovationswelle im Bereich politischer Kommunikation und Partizipation in den 1990er-Jahren ist mit frühen Anwendungen wie E-Mail und dem World Wide Web verbunden: Diese Technologien erweiterten die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Bürgerinnen und Bürgern, staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, eröffneten politischen Akteuren unabhängig von journalistischen Gatekeepern neue Zugänge zur Öffentlichkeit und vergrößerten damit das politische Informationsangebot.
Im Zuge der umfassenden technischen und sozialen Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre hat sich die digitale Medienumgebung grundlegend verändert. Internetnutzung und digitale Kommunikation finden heute überwiegend mobil statt, das Smartphone dominiert die alltägliche Mediennutzung und die Infrastruktur für Vernetzung, Informationsaustausch und Kommunikation wird insbesondere durch Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram oder TikTok bereitgestellt. Die Kommunikationsprozesse über diese Plattformen sind geprägt durch eine intensive Kuratierung – also die Auswahl und Zusammenstellung – von Inhalten durch die Plattformanbieter. Dabei werden die Profile von Nutzerinnen und Nutzern analysiert, um ihnen automatisiert gefilterte und personalisierte Inhalte anzubieten. In den vergangenen zehn Jahren hat sich gezeigt, wie dramatisch sich diese Praxis – die aus Sicht der Plattformanbieter in erster Linie einer besseren Monetarisierung der Inhalte dient – auf den politischen Prozess, insbesondere den politischen Diskurs und die politische Partizipation auswirkt. Ein Beispiel dafür ist der Cambridge-Analytica-Skandal in den USA 2016. Dort zeigte sich, dass die personalisierten Informationsmenüs der Menschen auf sozialen Medien Einfallstore für individuell zugeschnittene und dadurch extrem manipulative politische Botschaften darstellen können.
Beim Blick auf digitale Formen politischer Partizipation sollte dennoch nicht übersehen werden, dass etablierte Formen politischen Handelns dadurch nicht einfach ersetzt werden. Stattdessen ist politische Partizipation oft eng mit physischer Präsenz verknüpft, sei es beim Wahlprozess oder auf Demonstrationen und Versammlungen (siehe
Darüber hinaus sind neue Praktiken und Handlungsräume entstanden, die durch digitale Technologien ermöglicht werden und in erster Linie im Bereich der diskursiven Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern liegen. In Kommentarbereichen von Nachrichtenseiten, Videoplattformen, sozialen Medien oder Foren finden heute politische Debatten und Meinungsbildung statt, die sich bisher weitgehend verborgen im privaten Bereich vollzogen und in der Regel keine größeren Öffentlichkeiten erreichten. Zugleich sind heute mit diesen neuen Formen der digitalen Partizipation auch negative Phänomene wie die Verbreitung von Hassrede, Desinformation und antidemokratischer Propaganda verbunden.
Im Folgenden liegt der Fokus auf diesen neuen, digitalen Formen der politischen Partizipation. Unter Rückgriff auf die Befragungsdaten des Weizenbaum Panels wird gezeigt, wie weit verbreitet ausgewählte digitale Partizipationsformen sind, welche Rolle internetbezogene Bürgernormen spielen und welche Ungleichheiten sich in diesem Bereich beobachten lassen.
Info 1Weizenbaum Panel
Die hier präsentierten Befunde basieren auf den Daten des Weizenbaum Panels, einer Längsschnittbefragung des Weizenbaum-Instituts in Kooperation mit der Freien Universität Berlin. Seit 2019 wird jährlich eine repräsentative Stichprobe von Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland ab einem Alter von 16 Jahren telefonisch zu ihrer Mediennutzung, demokratischen Einstellungen und politischen Partizipation mit einem besonderen Schwerpunkt auf digitalen Partizipationsformen befragt (2019: 1.298 Befragte, 2020: 964, 2021: 1.595, 2022: 2.023, 2023: 2.170). Die Untersuchung ist dabei als rollendes Panel angelegt, das heißt, es werden in jedem Jahr möglichst dieselben Personen befragt. Neue Befragte zum Ausgleich der Panelmortalität werden nach den üblichen Zufallsverfahren für Telefonbefragungen in Deutschland (Dual-Frame-Ansatz, Gabler-Häder-Design, Last-Birthday-Methode) ausgewählt. Der hier zugrunde liegende Datensatz (Scientific Use File) umfasst alle Jahre von 2019 bis 2023. Für die Auswertung wurde nach Bildungsstand (Schulabschluss) gewichtet. Weitere Informationen zum Weizenbaum Panel, der öffentlich nachnutzbare Datensatz (Public Use File) sowie alle Fragebögen, Methodenberichte und weiteres Material gibt es unter: Externer Link: https://panel.weizenbaum-institut.de