Ein etwas anderes Bild zeigt sich bezüglich der Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland. Diese Einstellung bezieht sich weniger auf die Verfassungsnorm, das heißt die in der Verfassung implementierte Form der Demokratie, als vielmehr auf die Verfassungsrealität oder die Wirklichkeit der Demokratie in Deutschland. In die Beurteilung dieser Verfassungsrealität können verschiedene Aspekte eingehen. Insbesondere das Funktionieren institutioneller Mechanismen (zum Beispiel der Austausch von Regierung und Opposition und die Gewährleistung der Gleichheit vor dem Gesetz), die Handlungen der Regierenden (zum Beispiel Berücksichtigung von Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen oder Amtsmissbrauch) und die Ergebnisse dieses Handelns (zum Beispiel wirtschaftliche und sozialpolitische Leistungen) dürften bei der Beurteilung des Funktionierens der Demokratie eine Rolle spielen.
Die in Abbildung 1 präsentierten Zeitreihen für die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland zeigen eine deutliche Differenz zwischen Ost- und Westdeutschland. Über den gesamten Zeitraum von 1991 bis 2023 hinweg waren im Westen Deutschlands durchschnittlich mehr als zwei Drittel (69 %) der Bürgerinnen und Bürger zufrieden, während im Osten durchschnittlich weniger als die Hälfte (45 %) zufrieden war. Es gab erhebliche Schwankungen im Zeitverlauf, die parallel in Ost- und Westdeutschland zu beobachten waren. Das heißt, dass die Bürgerinnen und Bürger in beiden Teilen Deutschlands ganz ähnlich auf bestimmte Ereignisse reagierten; dies aber auf unterschiedlichem Niveau. Hinsichtlich der Struktur dieser Schwankungen ist bemerkenswert, dass zu den Bundestagswahlen mit Ausnahme von 2005 und 2021 ein Anstieg der Demokratiezufriedenheit erfolgte (1994, 1998, 2009, 2013, 2017). Die nach der Bundestagswahl 2009 im Jahr 2010 erfolgte Abnahme der Demokratiezufriedenheit dürfte auf die europäische Wirtschafts-, Banken- und Staatsschuldenkrise (sogenannte "Euro-Krise") zurückgehen, die sich ab 2009 aus der globalen Finanzmarktkrise 2007/08 entwickelte. Die Krise wurde in Deutschland von heftigen Debatten um den Euro-Rettungsschirm sowie Sorgen um die deutsche Wirtschaftsleistung begleitet. Diese Abnahme umfasste in West und Ost aber weniger als 10 Prozentpunkte und war nicht von Dauer, denn bis 2014 nahm die Demokratiezufriedenheit in beiden Landesteilen kontinuierlich wieder zu.
Nach 2014 war sowohl in West- als auch in Ostdeutschland ein Abfall der Demokratiezufriedenheit festzustellen. Besonders deutlich war das in Ostdeutschland der Fall, wo die Demokratiezufriedenheit von 59 % (2014) auf 47 % (2015) sank. Dieser Abfall ist vermutlich auf die hohe Zahl von in Deutschland ankommenden Geflüchteten zurückzuführen. Basierend auf Daten des Politbarometers wurde ab Anfang 2015 das Thema "Ausländer/Integration/Flüchtlinge" von den deutschen Bürgerinnen und Bürgern als das wichtigste Problem in Deutschland angegeben; erst Anfang 2019 wurde es vom Themenkomplex "Umwelt/Klima/Energiewende" abgelöst.
In den Jahren 2016 und 2017 stieg die Demokratiezufriedenheit in Ostdeutschland an und erreichte 2019 den Wert von 59 %. In Westdeutschland lag die Demokratiezufriedenheit 2017 auf ihrem Höchststand und ging seitdem leicht zurück. Obgleich Bürgerinnen und Bürger weiter Migration und Integration als wichtige Probleme nannten, wurde die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie dadurch offenbar nicht nachhaltig negativ beeinflusst. Bemerkenswert ist, dass in Ostdeutschland 2020 ein sprunghafter Anstieg der Demokratiezufriedenheit auf den Spitzenwert von 71 % zu verzeichnen ist. Dieser bricht allerdings 2021 deutlich ein: Weniger als die Hälfte der Personen gab zu dem Zeitpunkt an, mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland zufrieden zu sein. Ursächlich für dieses Auf und Ab ist vermutlich die Coronapandemie, in deren Anfangszeiten das Krisenmanagement der Bundesregierung zunächst hohe Zustimmung fand. 2021 hingegen mehrte sich die Kritik am Umgang mit der Pandemie, insbesondere an der Einschränkung von Grundrechten und dem weitgehenden Ausbleiben einer politischen Debatte über die Angemessenheit der Maßnahmen.
Bemerkenswert an den beiden Zeitreihen zur Demokratiezufriedenheit in West- und Ostdeutschland ist, dass die Differenz zwischen beiden Teilen Deutschlands mit Ausnahme von 2020 über den gesamten Zeitraum weitgehend bestehen blieb. 1991 betrug diese Differenz 29 Prozentpunkte, im Jahr 2023 lag sie bei 30 Prozentpunkten. Mehr als 30 Jahre nach der deutschen Vereinigung gibt es keine Hinweise darauf, dass die zunehmenden Erfahrungen der Ostdeutschen mit der Demokratie dazu beitragen würden, die Kluft in der Demokratiezufriedenheit zwischen Ost- und Westdeutschen dauerhaft zu verringern.
Ein Vergleich mit den anderen 26 Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) sowie Großbritannien kann darüber Aufschluss geben, wie die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland einzuschätzen ist. Im Januar/Februar 2023 rangierte die Demokratiezufriedenheit in Westdeutschland deutlich über dem westeuropäischen Durchschnitt. Lediglich in den skandinavischen Ländern, in Luxemburg und in Irland war die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie noch weiter verbreitet. In Ostdeutschland lag die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie hingegen im EU-weiten Vergleich auf einem der letzten Plätze und deutlich unter dem Durchschnitt sowohl der westeuropäischen als auch der osteuropäischen Länder. Lediglich in Bulgarien, Griechenland und der Slowakei war die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie Anfang 2023 noch geringer verbreitet als in Ostdeutschland.
Im Durchschnitt wiesen vor allem Länder Ost- und Südosteuropas eher niedrigere Werte der Verbreitung von Demokratiezufriedenheit auf.
Waren die Bürgerinnen und Bürger in den besonders stark von der Euro-Krise betroffenen Ländern wie Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Irland ab 2009 bis circa 2017 noch vermehrt unzufrieden mit der Demokratie in ihren Ländern, so hatte sich die Lage in fast allen diesen Ländern – mit Ausnahme Griechenlands – bis 2023 weitgehend erholt. Vergleichsweise niedrig war die Demokratiezufriedenheit zudem im Vereinigten Königreich nach dessen EU-Austritt und in Frankreich, das von Protesten gegen die Rentenreform geprägt war. In der Mehrzahl der westeuropäischen Länder war die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger trotz der Coronapandemie, der Klimakrise, der Herausforderungen angesichts der Aufnahme von Geflüchteten oder des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU mit dem Funktionieren der Demokratie im eigenen Land zufrieden.
Unter den osteuropäischen EU-Mitgliedsländern zeigen sich erhebliche Differenzen bei der Demokratiezufriedenheit. Während in Lettland, Tschechien, Polen und Estland mehr als die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie des eigenen Landes war, traf dies in den anderen osteuropäischen EU-Mitgliedsländern sowie im Durchschnitt der osteuropäischen Länder nur für eine Minderheit zu. Am geringsten war der Wert in der Slowakei, wo weniger als ein Drittel (31 %) der Menschen zufrieden war.