Der Rentenzugang bildet jeweils die Verrentung innerhalb eines Kalenderjahres ab. Wären alle Alterskohorten gleich oder annähernd gleich besetzt, so könnte ein solcher Verrentungsjahrgang stellvertretend für die Gesamtheit der Population im Ruhestand untersucht werden. Wegen der starken demografischen Schwankungen der deutschen Geburtenraten im Umfeld der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs ist eine solche Interpretation aber nicht möglich. Der Geburtsjahrgang 1941 umfasste über 864.000 Altersrentnerinnen und -rentner, der Jahrgang 1946 nur 610.000. Die sehr unterschiedliche Besetzung der Geburtskohorten verzerrt die Zusammensetzung der Rentenzugangsjahrgänge derartig, dass sich auf dieser Grundlage Aussagen über die durchschnittlichen Rentenhöhen und das Rentenzugangsverhalten nicht darstellen lassen. Daher wurden für die nachfolgende Untersuchung alle Rentenzugangsjahrgänge von 2001 bis 2022 zusammengespielt und dann für elf Geburtsjahrgänge so vereinheitlicht, dass eine Interpretation für die Geburtsjahrgänge 1941 bis 1952 möglich wurde. Untersuchungspopulation sind damit die in Deutschland lebenden Altersrentenempfängerinnen und -empfänger der gesetzlichen Rentenversicherung der Geburtsjahrgänge 1941 bis 1952, die zwischen 2001 und 2022 erstmals eine Altersrente bezogen.
Übergang in Altersrente: Männer in Ost- und Westdeutschland
Die starke Verbreitung der Frühverrentung wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit hat bei den westdeutschen Männern von Geburtsjahrgang 1941 bis 1951 stetig abgenommen. Die Inanspruchnahme sank von 40 auf 10 %, bevor beide Formen der Frühverrentung ab dem Geburtsjahrgang 1952 nicht mehr zur Verfügung standen. Der deutlichste Rückgang zeigte sich dabei schon zu Beginn: Die Zugänge sanken beim Geburtsjahrgang 1942 auf nur noch 28 %. Damit haben einige Versicherte die Abschläge vermieden, die sonst die Rentenhöhe vermindert hätten. Ab dem Geburtsjahrgang 1947 finden sich dann schnell deutlich steigende Anteile von Rentnern, die 45 Versicherungsjahre nachweisen und damit vorzeitig ohne Abschläge Altersrente beziehen konnten. Im Geburtsjahrgang 1952 war diese Rente mit einem Anteil von einem Drittel dann eine bereits sehr verbreitete Rentenart geworden, zumal sie aufgrund der Reform vom Juli 2014 einen abschlagsfreien Zugang mit 63 Jahren ermöglichte. Dieser hohe Anteil konnte für die darauffolgenden Geburtsjahrgänge noch leicht ausgebaut werden.
Auch in Ostdeutschland war die Frühverrentung beim Geburtsjahrgang 1941 sehr beliebt. Über 60 % der Männer nahmen dort die früheste mögliche Rente in Anspruch, obwohl sie mit Abschlägen berechnet wurde. Hier spiegelt sich im Rentenzugangsverhalten unter anderem die verbreitete Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland in den Jahren 2001 bis 2006 wider. Allerdings stiegen die Rentenabschläge im Verlauf der Zeit an und machten die Frühverrentung finanziell immer unattraktiver, weshalb der Anteil der Frühverrentungen ab der Geburtskohorte 1942 unter Ostdeutschen stark zurückging. Zuletzt hatte im Geburtsjahrgang 1951 auch in Ostdeutschland nur noch ein Fünftel (22 %) die Rente wegen Arbeitslosigkeit und nach Altersteilzeit in Anspruch genommen. Dagegen stiegen die Zugänge auf Rente für besonders langjährig Versicherte (nach 45 Versicherungsjahren) beim Geburtsjahrgang 1951 auf rund ein Drittel (32 %) und dann sprunghaft weiter auf 41 % beim Geburtsjahrgang 1952 an. Dieser Anteil stieg bis zum Geburtsjahrgang 1955 weiter auf 46 % an. In Ost- wie in Westdeutschland sind dabei zwei Verschiebungen zu beobachten: Der Bezug von Rente wegen Arbeitslosigkeit und nach Altersteilzeit wurde zunächst von einem wachsenden Anteil von Renten für schwerbehinderte Menschen und dann von einem steigenden Anteil der Renten für besonders langjährig Versicherte abgelöst.
Übergang in Altersrente: Frauen in Ost- und Westdeutschland
Frauen der Geburtsjahrgänge 1941 bis 1951 hatten die Möglichkeit, ab 60 Jahren die sogenannte Altersrente für Frauen zu beziehen und damit auch ohne vorangehende Arbeitslosigkeit früh aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Die Frühverrentung war daher für Frauen, wenn sie ab dem Alter von 40 Jahren überwiegend erwerbstätig waren, schon von den rechtlichen Möglichkeiten leichter zugänglich als für Männer. Für die Geburtsjahrgänge ab 1952 wurde diese Rentenart abgeschafft.
In Westdeutschland zeigt sich bei Frauen des Geburtsjahrgangs 1941 eine Zweiteilung: Eine Hälfte (51 %) aller Frauen nahm eine Rente in Anspruch, die längere Versicherungszeiten erfordert, davon der größte Teil die Altersrente für Frauen (siehe Abbildung 4). Die andere Hälfte (44 %) konnte dagegen (nur) eine späte Regelaltersrente beantragen. Die Rente für schwerbehinderte Menschen spielt wie bei den Männern eine geringe Rolle mit nur 5 % Inanspruchnahme. Im Vergleich der Geburtskohorten stieg der Anteil der Frauen, die nur die Voraussetzungen für die späteste Rentenart – die Regelaltersrente – erfüllen, sogar noch an und erreichte beim Geburtsjahrgang 1946 mit 52 % die Mehrheit, um dann bis 1951 wieder leicht abzunehmen. Mit der Ausweitung der aus Steuermitteln bezahlten Beitragszeiten für Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung, der sogenannten "Mütterrente", erfüllten noch mehr westdeutsche Frauen die Voraussetzung einer Regelaltersrente, sodass es in den erstmals beschiedenen Renten ab dem Geburtsjahrgang 1952 auch sehr viele Frauen gab, die in ihrem gesamten Leben nur sehr wenig oder gar nicht erwerbstätig waren. In der Folge gab es bis zum Geburtsjahrgang 1955 einen stabilen Anteil Frauen, die ausschließlich die Regelaltersrente in Anspruch nehmen konnten. Auf der anderen Seite konnte ein Viertel der Frauen in Westdeutschland im Geburtsjahrgang 1952 eine Versicherungsbiografie von 45 oder mehr Jahren nachweisen, weshalb sie die Rente für besonders langjährig Versicherte beziehen. Dieser Anteil stieg bis zum Geburtsjahrgang 1955 auf 28 %.
Die frühe Verrentungsmöglichkeit im Rahmen der Altersrente für Frauen wurde in Ostdeutschland im Geburtsjahrgang 1941 von fast allen Frauen in Anspruch genommen. Ein geringer Anteil von jeweils etwa 5 % nahm in diesem Jahrgang die Rente für schwerbehinderte Menschen und die Regelaltersrente in Anspruch. Für die nachfolgenden Jahrgänge wurde die Altersrente für Frauen mit mehr Abschlägen berechnet und dadurch zunehmend unattraktiver. Damit stieg der Anteil von Frauen, die als späte Alternative eine Rente für langjährig Versicherte anstrebten, die ihnen nach 35 Versicherungsjahren zusteht. Auch der Anteil der Frauen, die als späteste Option die Regelaltersgrenze wählten, stieg auf rund ein Fünftel an. Mit der Einführung der Rente für besonders langjährig Versicherte ab 2012 wird erkennbar, wie viele Frauen in Ostdeutschland 45 Versicherungsjahre und mehr aufweisen können. Mit der Abschaffung der Rente für Frauen wurde dem Geburtsjahrgang 1952 die früheste Altersrente genommen, womit schlagartig der Anteil der Frauen auf ein Drittel stieg, die nach 45 und mehr Versicherungsjahren als besonders langjährig Versicherte ohne Abzüge in Rente gingen. Ebenso viele konnten 35 Versicherungsjahre vorweisen und hatten damit Anspruch auf die Rente für langjährig Versicherte. Durch die Reformen wurde im Ergebnis erreicht, dass vor allem Frauen des Geburtsjahrgangs 1952 in Ostdeutschland länger auf die Altersrente warten, aber auch seltener Abzüge für vorzeitige Rente in Kauf nehmen mussten. Der Anteil der Bezieherinnen einer Rente für besonders langjährig Versicherte hat stark zugenommen und erreichte im Geburtsjahrgang 1955 einen Anteil von 41 %. Verdrängt wurde bei der Inanspruchnahme vor allem die mit Abschlägen berechnete Rente für langjährig Versicherte.