Ein konsistenter Befund der Gesundheitsforschung und Epidemiologie der vergangenen Jahrzehnte ist, dass sich die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheitschancen nicht nur im allgemeinen Gesundheitszustand, gemessen an der Selbsteinschätzung durch die Befragungspersonen, zeigt, sondern auch in objektiven Gesundheitsparametern und dem Krankheitsgeschehen (Morbidität) zum Ausdruck kommt. Werden chronische und häufig vorkommende Erkrankungen betrachtet, so ist über ein breites Spektrum verschiedener Krankheitsgruppen festzustellen, dass sozioökonomisch benachteiligte Gruppen besonders stark von chronischer Morbidität betroffen sind. Dabei reicht das Spektrum von Herz-Kreislauf-Krankheiten, chronischen Atemwegserkrankungen und Stoffwechselstörungen über Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Störungen bis hin zu bestimmten Krebserkrankungen. Dies bestätigen auch die Daten der GEDA-Studie des RKI, nach denen die bevölkerungsweite Verbreitung (Prävalenz) von chronischen Erkrankungen wie der koronaren Herzkrankheit, dem Diabetes mellitus, der chronisch obstruktiven Lungenkrankheit (COPD), Arthrose oder Depression in den niedrigen Einkommensgruppen deutlich höher liegt als in den höheren Einkommensgruppen.
Werden Altersunterschiede zwischen den Einkommensgruppen statistisch ausgeglichen, zeigt sich, dass das Krankheitsrisiko von Frauen und Männern im niedrigsten Einkommensquintil je nach Erkrankung etwa 1,5- bis 4-mal höher ausfällt als bei Gleichaltrigen im höchsten Einkommensquintil. Viele dieser Erkrankungen tragen erheblich zur Krankheitslast in der Bevölkerung insgesamt bei und gehen mit erhöhten Risiken für Arbeitsunfähigkeit und Erwerbsminderung einher.
Dass die gesundheitliche Ungleichheit nicht erst im Erwachsenenalter zutage tritt, wenn altersassoziierte Gesundheitsprobleme und Erkrankungen zunehmen, sondern bereits im Kindes- und Jugendalter existiert, ist mittlerweile auch für Deutschland umfangreich dokumentiert. Dazu haben insbesondere die ab Anfang der 2000er-Jahre durchgeführte KiGGS-Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) des RKI und der deutsche Teil der internationalen HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children) wichtige Beiträge geleistet. Die Studien stellen fest, dass die soziale Lage bereits in der Kindheit und Jugend verschiedene Bereiche der Gesundheit prägt. Dies belegen auch neuere Daten der bundesweiten KIDA-Studie (Kindergesundheit in Deutschland aktuell) des RKI.
In Abbildung 3 sind Ergebnisse der KIDA-Studie zur psychischen Gesundheit und zur Prävalenz von starkem Übergewicht (Adipositas) unter 3- bis 17-Jährigen in Abhängigkeit von den Bildungsabschlüssen ihrer Eltern für das Jahr 2022 dargestellt. Die zugrunde liegenden Informationen beruhen in der Altersgruppe von 3 bis 15 Jahren auf Elternangaben und in der Altersgruppe von 16 und 17 Jahren auf Selbstangaben der Befragten. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl die Verbreitung von Adipositas als auch der Anteil von Kindern und Jugendlichen, für die eine weniger gute oder schlechte psychische Gesundheit berichtet wurde, in niedrigen Bildungsgruppen höher lagen als in hohen Bildungsgruppen. Werden Geschlechter- und Alterseffekte in weiterführenden Analysen statistisch herausgerechnet, hatten Kinder und Jugendliche von Eltern mit niedrigen Bildungsabschlüssen eine fast dreimal so hohe Wahrscheinlichkeit für einen weniger guten oder schlechten psychischen Gesundheitszustand als jene von Eltern mit hohen Bildungsabschlüssen. Für das Vorliegen einer Adipositas war diese Wahrscheinlichkeit bei Kindern und Jugendlichen mit niedriger elterlicher Bildung um den Faktor 3,6 erhöht, verglichen mit jenen aus Familien, in denen mindestens ein Elternteil über einen hohen Bildungsabschluss verfügte.