Die Selbsteinschätzung des allgemeinen Gesundheitszustands hat sich als wichtiger und eigenständiger Prädiktor der Inanspruchnahme medizinischer Versorgung wie auch der Mortalität (Sterblichkeit) erwiesen. International wird sie daher in vielen Studien und Datenerhebungen als globaler Gesundheitsindikator erfasst und für Analysen zur gesundheitlichen Ungleichheit herangezogen, so auch in den Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts (RKI). Nach den bundesweiten Daten der Studie "Gesundheit in Deutschland aktuell" (GEDA), die regelmäßig vom RKI durchgeführt wird, zeigt sich ein ausgeprägter sozialer Gradient im selbst eingeschätzten allgemeinen Gesundheitszustand zuungunsten von Personen mit niedriger formaler Bildung.
Info 1 Bildung
Zur Ermittlung des formalen Bildungsniveaus wird im Folgenden auf die CASMIN-Klassifikation ("Comparative Analyses of Social Mobility in Industrial Nations") zurückgegriffen, die in den 1970er-Jahren für international vergleichende Analysen zur sozialen Mobilität entwickelt wurde. Im Jahr 2003 wurde eine überarbeitete Version vorgestellt, die aktuellen Entwicklungen der Bildungssysteme, insbesondere in Großbritannien, Frankreich und Deutschland, Rechnung trägt. Die CASMIN-Klassifikation ist an Bildungszertifikaten orientiert, wobei sowohl schulische als auch berufsbildende Abschlüsse berücksichtigt werden. Die Bildungsabschlüsse werden entsprechend ihrer funktionalen Äquivalenz im Ländervergleich neun Kategorien zugeordnet, auf deren Basis ein niedriges ("primary/low secondary"), mittleres ("mediate/high secondary") und hohes Bildungsniveau ("tertiary" education) abgegrenzt werden kann.
Während Frauen und Männer aus der niedrigen Bildungsgruppe im Jahr 2022 zu 50 beziehungsweise 58 % einen guten oder sehr guten allgemeinen Gesundheitszustand berichteten, betrug dieser Anteil in der mittleren Bildungsgruppe 69 beziehungsweise 73 % und in der hohen Bildungsgruppe bei Frauen und Männern jeweils 81 %. Der Altersvergleich zeigt, dass diese Unterschiede bereits im jungen Erwachsenenalter zwischen 18 und 29 Jahren bestehen, im späten Erwerbsalter zwischen 45 und 64 Jahren am stärksten ausgeprägt sind und sich bis ins höhere Alter von 65 Jahren und darüber hinaus zeigen.
Auch im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) werden die Befragten regelmäßig zu ihrem allgemeinen Gesundheitszustand befragt, sodass sich zeitliche Entwicklungen und Trends mit den Daten über längere Zeiträume untersuchen lassen. In Abbildung 2 sind Berechnungen auf Basis der SOEP-Daten seit Anfang der 2000er-Jahre dargestellt. Ausgewiesen sind Anteile von Frauen und Männern im Alter zwischen 18 und 79 Jahren, die ihren eigenen Gesundheitszustand als weniger gut oder schlecht beurteilen, jeweils getrennt nach Kalenderjahr und Einkommensniveau. Durch eine Altersstandardisierung dieser Anteile sind Altersunterschiede zwischen den Gruppen und Kalenderjahren statistisch bereinigt, sodass direkte Gruppen- und Zeitvergleiche möglich sind.
Info 2 Einkommen
Das Einkommensniveau wird durch Berechnung des Nettoäquivalenzeinkommens ermittelt, wobei es sich um ein bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied handelt. Es wird berechnet, indem das monatliche Haushaltsnettoeinkommen durch die Summe der Bedarfsgewichte aller Haushaltsmitglieder geteilt wird. Die Bedarfsgewichte werden gemäß folgender Äquivalenz-Skala der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) bestimmt: Der Haupteinkommensbezieher oder die Haupteinkommensbezieherin erhält ein Bedarfsgewicht von 1, jedes weitere Haushaltsmitglied ab 14 Jahren ein Bedarfsgewicht von 0,5 und Haushaltsmitglieder unter 14 Jahren ein Bedarfsgewicht von je 0,3. In Abhängigkeit von der Höhe des Nettoäquivalenzeinkommens werden verteilungsbasiert verschiedene Einkommensgruppen abgegrenzt, zum Beispiel fünf gleich große Einkommensgruppen (Quintile) oder die sogenannte Armutsrisikogruppe ( 60 % des mittleren Einkommens) gegenüber einer Hocheinkommensgruppe (≥ 150 % des mittleren Einkommens). Als mittleres Einkommen wird dabei der gesellschaftliche Median des Nettoäquivalenzeinkommens verwendet.
Die Ergebnisse zeigen über den gesamten Zeitraum, dass der Anteil der Personen, die angaben, einen weniger guten oder schlechten Gesundheitszustand zu haben, im niedrigsten Einkommensquintil höher ausfiel als in den mittleren Einkommensquintilen und im höchsten Einkommensquintil. Bei Frauen mit niedrigem Einkommen ist dieser Anteil zwischen den Jahren 2000 und 2021 im Durchschnitt angestiegen. Bei Männern mit hohem Einkommen ist der Anteil der Personen, die nach eigener Angabe einen weniger guten oder schlechten Gesundheitszustand aufweisen, im Durchschnitt gesunken. Im Zuge dieser Entwicklungen haben sich die Unterschiede im selbst eingeschätzten Gesundheitszustand zwischen dem niedrigsten und höchsten Einkommensquintil bei Frauen und Männern im Zeitverlauf vergrößert. Im Jahr 2021 lagen die Anteile derer, die ihren Gesundheitszustand als weniger gut oder schlecht beurteilen, im niedrigsten Einkommensquintil bei Frauen fast doppelt und bei Männern etwa dreimal so hoch wie bei Gleichaltrigen im höchsten Einkommensquintil.