Wirtschaftliche Unabhängigkeit und soziale Absicherung, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen, sind eng mit einer eigenen Erwerbstätigkeit gekoppelt. Wichtige Determinanten sind der Umfang der Erwerbstätigkeit, die Einbindung in die sozialen Sicherungssysteme und der Verdienst.
Info 3Recht auf eigene Erwerbstätigkeit von Frauen in Deutschland
Frauen in Deutschland waren lange Zeit vorwiegend für das Wohlergehen der Familie zuständig. Dagegen waren Männer, trotz oft großer Abwesenheit, die Familienoberhäupter. Laut dem 1896 im Deutschen Kaiserreich beschlossenen "Gehorsamsparagrafen" des Bürgerlichen Gesetzbuches, Artikel 1354, durften sie "(…) die Entscheidungen in allen das gemeinschaftliche eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten (…)" allein treffen. 1958 wurde dieser Paragraf in der Bundesrepublik Deutschland durch das bis heute gültige "Gleichberechtigungsgesetz" ersetzt. Während die Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bereits seit den 1950er-Jahren weitestgehend in den Arbeitsmarkt integriert wurden, durften Frauen in Westdeutschland ab 1977 erstmals selbstständig ein Bankkonto eröffnen und ohne Zustimmung des Ehemannes einen Arbeitsvertrag abschließen: eine entscheidende Voraussetzung für die eigenständige Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt.
Zuletzt erreichte die Erwerbstätigenquote von Frauen in der Altersgruppe der 15- bis 64-Jährigen mit 73,0 % im Jahr 2022 einen Höchststand, wie Ergebnisse der Arbeitskräfteerhebung dokumentieren. Seit 2012 ist die Frauenerwerbstätigkeit um 5,0 Prozentpunkte und seit 2002 sogar um 14,2 Prozentpunkte gestiegen. Auch wenn die Erwerbstätigkeit von Frauen sich langsam den Männern annähert, gehen Männer mit 80,5 % nach wie vor öfter einer Erwerbstätigkeit nach (siehe auch Interner Link: Kapitel 4.1.4).
Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede bei der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern. Vor allem Mütter übernehmen oft die Sorgearbeit und passen ihre Erwerbstätigkeit der Familiensituation an, während Väter sogar etwas mehr arbeiten als Männer ohne Kinder. Im Jahr 2022 waren nach Ergebnissen des Mikrozensus 39,6 % der Mütter im Alter von 15 bis 64 Jahren mit mindestens einem Kind unter drei Jahren erwerbstätig (ohne Unterbrechung von Elternzeit oder Mutterschutz). Der Anteil ist in den vergangenen zehn Jahren um 4,5 Prozentpunkte gestiegen, 2012 lag er bei 35,2 %. Ein Grund für diesen Anstieg dürfte der Ausbau der Kinderbetreuung im Zuge der Einführung eines Rechtanspruchs auf einen Kitaplatz im Jahr 2013 sein. Auf die Erwerbstätigkeit von Vätern wirkte sich dies allerdings kaum aus. 2022 waren 89,5 % der Väter im gleichen Alter mit einem Kind unter drei Jahren erwerbstätig, 2012 waren es 89,9 % (siehe auch Interner Link: Kapitel 2.1.5).
Dabei sind erwerbstätige Frauen sehr viel häufiger in Teilzeit tätig als Männer. Während nach Ergebnissen der Arbeitskräfteerhebung fast die Hälfte der Frauen ab 15 Jahren 2022 in Teilzeit arbeiteten (49,2 %), taten dies nur 12,7 % ihrer männlichen Kollegen. Im Vergleich zu zehn Jahren davor zeigt sich, dass heute beide Geschlechter ihre Arbeitszeiten zwar etwas öfter reduzieren (2012 Frauen: 46,1 %, Männer: 9,8 %). Das Verhältnis untereinander hat sich jedoch nur wenig verändert. Damals wie heute arbeiteten Frauen fast viermal so oft in Teilzeit wie Männer. Bei der Frage nach den Hauptgründen für die Ausübung der Teilzeittätigkeit gaben Frauen mit 33,5 % im Jahr 2022 an, dass sie ihre Arbeitszeit wegen Betreuung von Kindern, anderen Angehörigen oder sonstigen familiären Verpflichtungen reduziert haben. Männer gaben diesen Grund lediglich mit einem Anteil von 8 % an (siehe auch Interner Link: Kapitel 4.1.6, sowie Interner Link: Kapitel 2.1.5).
Die geringere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt spiegelt sich auch in ihrer Gestaltung des Lebensunterhalts wider. 2022 erwirtschafteten nach eigener Auskunft in der Befragung des Mikrozensus 63,1 % der Frauen und 76,2 % der Männer ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus der eigenen Erwerbstätigkeit. Das bedeutet, dass Frauen in höherem Maße abhängig von anderen Einkommensquellen, beispielsweise die ihrer Angehörigen, sind als Männer.
Neben den weiterhin bestehenden Unterschieden bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen und Männern fallen auch die Stundenlöhne zwischen den Geschlechtern unterschiedlich aus. Der auf Grundlage der Verdiensterhebung berechnete unbereinigte Gender Pay Gap zeigt, dass Frauen 2023 generell 18 % weniger verdienten als Männer (siehe Interner Link: Kapitel 4.2.3). Der Gender Pay Gap ist nicht allein durch Verdienstdiskriminierung von Frauen zu erklären, sondern resultiert zu einem erheblichen Teil daraus, dass Frauen öfter in Branchen, Berufen und Anforderungsniveaus arbeiten, die geringer entlohnt werden.
Da Frauen viel öfter ihr Erwerbsleben unterbrechen, häufiger in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt sind als Männer, haben sie schlechtere Voraussetzungen für eine Beförderung oder eine Lohnerhöhung. Untersucht man die Verdienstunterschiede bei vergleichbarer Tätigkeit, Qualifikation und Erwerbsbiografie, wird beim bereinigten Gender Pay Gap sichtbar, dass gleicher Lohn für gleiche Arbeit zwischen Frauen und Männern noch nicht überall Realität ist. So verdienten Frauen 2023 bereinigt immer noch 6 % weniger als ihre männlichen Kollegen.
Aufgrund des durchschnittlich geringeren Erwerbseinkommens können Frauen weniger Altersvorsorgeansprüche aufbauen als Männer. So entsteht bei Eintritt in den Ruhestand ein erheblicher "Gender Pension Gap" zwischen den Geschlechtern. Diese "Rentenlücke" wird beispielsweise auf Basis der Erhebung über Einkommen und Lebensbedingungen (European Union Statistics on Income and Living Conditions; EU-SILC) vom Statistischen Bundesamt berechnet. Demnach wiesen 2023 Frauen ab 65 Jahren in Deutschland ein 39,4 % geringeres individuelles durchschnittliches Alterseinkommen auf als Männer. Zählt man die Hinterbliebenenrente oder -pension von der Erwerbstätigkeit des Ehepartners beziehungsweise der Ehepartnerin mit ein, so stand Frauen dennoch über ein Viertel weniger persönliches Geld (27,1 %) im Alter zur Verfügung als Männern. Der Indikator lässt allerdings keine Aussagen zur tatsächlichen Einkommenslage im Alter zu. Hierfür müsste der für die wirtschaftliche Situation wichtige Haushaltskontext mitberücksichtigt werden (siehe auch Interner Link: Kapitel 5.2, und Interner Link: 9.1).
Den Haushaltskontext berücksichtigt daher ein weiterer aus EU-SILC-Ergebnissen erstellter Indikator. Dieser misst die Gefährdung durch Armut oder soziale Ausgrenzung (At risk of poverty or social exclusion, AROPE). Hier ist laut EU-Definition maßgeblich, ob das Einkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze von weniger als 60 % des mittleren Einkommens liegt, der Haushalt von erheblicher materieller und sozialer Entbehrung betroffen ist oder jemand in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung lebt. Ist mindestens eines dieser Kriterien erfüllt, zeigt sich für das Jahr 2023, dass Frauen ab 65 Jahren und älter mit 22,8 % ein höheres Risiko aufwiesen, von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen zu sein, als Männer im gleichen Alter (17,9 %). Betrachtet man hieraus nur die Armutsgefährdung, so betraf dies 2023 ältere Frauen mit 20,6 % deutlich öfter als ältere Männer (15,7 %). Hintergrund für die höhere Gefährdung durch Armut oder soziale Ausgrenzung von Frauen ist unter anderem, dass Frauen eine gegenüber Männern um knapp fünf Jahre höhere Lebenserwartung aufweisen und daher im Alter häufiger allein leben.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Erwerbs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern in Deutschland trotz einiger Verbesserungen in der Vergangenheit weiterhin sehr unterschiedlich ist. Bis heute bewirken geschlechtsspezifische Rollenbilder, dass sich vorwiegend Frauen den Herausforderungen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stellen. Mit Beginn der Familiengründung steigen die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern im Lebenslauf an. Die Folgen für Frauen gegenüber Männern sind geringere Arbeitsmarktbeteiligung, Erwerbsunterbrechungen sowie geringere Verdienstmöglichkeiten. Darüber hinaus arbeiten Frauen häufiger in Erwerbsformen, die keine eigenständige Existenzsicherung ermöglichen und dadurch ein erhöhtes Risiko für Armut oder soziale Ausgrenzung mit sich bringen.